"Einmal alles hinter sich zu lassen, nur für ein paar Stunden", die Freundin fängt zu weinen an, "alles artet in Arbeit aus, wirklich alles". Sie tupft sich mit dem Taschentuch die Augen trocken und schnäuzt sich geräuschvoll, sodass einige Besucher des Cafes verstohlen zu uns herüberschauen, ich nicke freundlich zurück. Sie ist eine wirklich gute Freundin, eine „zu gute Haut“, wie man so schön sagt und nun wird ihr alles, wirklich alles zu viel. Sie schnieft wieder ganz laut und verzieht verdächtig die Mundwinkel, fängt sie wieder zu schluchzen an, oder kann sie die Tränen noch im Keim ersticken?
Ich überlege kurz, wie kann ich ihr helfen? Kann ich ihr überhaupt helfen, oder scheitere ich bei einer Hilfe im Vorfeld schon? Ich war noch nie so……, was ist das eigentlich, aussichtslos verzweifelt, am Boden zerstört, vielleicht bin ich robuster, oder vielleicht habe ich kein Herz, oder keine Gefühle? Sie tut mir im Herzen leid, sie sieht bedrückt aus und elendiglich - verquollene Augen, rote Nase und rotgefleckt im ganzen Gesicht und in sich zusammengesunken, wie ein nasser Sack - ein jämmerlicher Anblick. Jetzt wieder, dieses verdächtige Zucken und nun nähert sich auch noch die Kellnerin, sie steuert direkt auf uns zu. „Haben sie noch einen Wunsch“ und ob ich einen Wunsch habe, ich hätte tausend Wünsche, doch ich sage leise, "nein Danke" und schenke ihr ein Lächeln.
Meine Freundin starrt auf den Boden, eine Sekunde, eine Minute, eine Ewigkeit, ich habe das Zeitgefühl verloren, ich nippe an meiner Tasse. Der Kaffee ist schon kalt, das Wasser im Glas, schon warm. Soll ich etwas tröstendes sagen? Soll ich ihr womöglich Ratschläge erteilen? Bei einem Problem, von dem ich keine Ahnung habe, ich Glückliche.
Sie schaut mich wieder an, "weißt du, ich liebe ihn doch und meine Kleine", dabei denke ich mir, die Kleine ist 16, " ich könnte ohne sie nicht leben, aber…." eine Pause entsteht, dann fährt sie fort, "das Büro, der Haushalt, der Garten, ich bringe nichts mehr auf die Reihe und dann Abends, ich kann nicht mehr, ich will auch nicht mehr, doch Rainer, er versteht es nicht, er glaubt dass ich einen Freund habe….einen Freund kannst du dir das vorstellen, ich einen Freund". Sie schreit das fast hysterisch hinaus? Wieder laufen ihr die Tränen über die Wangen, ich reiche ihr ein Taschentuch. Dann schweigen - eine Sekunde, eine Minute, oder eine Ewigkeit. Die alte Dame am Nebentisch verzieht auch schon ihre Mundwinkel, ich glaube, die hat die ganze Zeit mitgehört, ja die alten Weiber, haben wohl nichts anderes zu tun.
Jetzt fühle ich mich auch nicht mehr wohl in meiner Haut, diese Gefühlsausbrüche, dieses schmerzverzerrte Gesicht, eigentlich kenne ich meine Freundin nur gut gelaunt, unternehmungslustig und immer in Bewegung, wie gesagt, Büro, Haus und Garten.
Ein vorsichtiger Blick zur alten Dame, es scheint als ob sie sich zu uns herüber beugen würde, sie kann nichts hören, nein wir reden nicht, wir schweigen, doch das weiß sie nicht, sie sieht und hört eventuell nicht mehr so gut. Der Bub am Nebentisch löffelt zufrieden und mit Genuss seinen Eisbecher, er hat sicher noch keine Sorgen und wenn, …..Mit einem Ruck richtet sich meine Freundin auf, wischt sich das Gesicht trocken und lächelt. Ich bin irritiert, habe ich womöglich etwas versäumt?
Dieses Lächeln - es ist so - als ob sie - nein, ich warte geduldig - worauf - auf eine Reaktion?
Sie öffnet den Mund und sagt es, laut, trocken, emotionslos, ohne mit den Mundwinkeln zu zucken: Ich fahre auf Urlaub - ich brauche eine Auszeit".