Ich blicke meinem Kind in die Augen.
Es liegt da so geduldig und wartet auf eine Geschichte.
Mein Sohn ist viel zu schnell erwachsen geworden.
So viele erlebte Dinge sind bereits in Vergessenheit geraten.
Und manches werde ich nie vergessen.
Wenn ich es mir so recht überlege, fällt mir einfach keiner meiner Geschichten ein, die ich ihm nicht schon unzählige Male erzählt habe.
"Sohn...ähm... nun...also. Du willst also eine Geschichte hören?" Wie beginne ich denn nun? Es war einmal? So etwas ist doch unter meinem Niveau.
Ich bin schließlich sein Vater. Ich werde die ultimativste Geschichte erzählen, die jemals erzählt wurde.
Ich balle meine Fäuste zusammen. Ich fühle mich auf einmal so voller Energie. Ich spüre wie sie durch mich fließt und in wenigen Minuten die Worte aus mir herausströmen wie bei einem Wasserfall. Ich werde meinem Sohn eine Welt zeigen, die ihm in seine Träume geleitet und ihm nur von dem Schönsten träumen lässt. Ich sehe in meinen Visionen bereits mutige Helden von denen ich damals bereits auch geträumt habe. Ich wollte ebenso mutig sein wie sie. Ich wollte ebenso in ferne Länder reisen und fantastische Welten zu sehen bekommen. Ich erzähle ihm von Gefühlen wie Freiheit und vollkommener Geborgenheit nachts am Lagerfeuer. Wie wenn Fabelwesen um die ungezügelte Wärme tanzen mit dem Geschmack von Beerenwein auf den Lippen. Wenn sie abends in die Ferne des Himmels schauen und nach den Sternen greifen. Schon die Schwerelosigkeit spüren, die unser Universum zu bieten hat. Mein Sohn soll niemals erwachsen werden. Ich wünsche ihm diese phantasievolle Leichtigkeit in seinem Leben. Dieses Gefühl von Glück in seiner Brust.
Aber... wenn ich mich so zurückerinnere ist nichts von dem was ich damals träumte geschehen. Ich bin hier geblieben und... ich setze mich vor das Kinderbett. Und habe stattdessen die Ehre diese Geschichten und Träume weiterzugeben.
Ich streiche meinem Sohn durch seine lockigen Haare. Er ist schon längst eingeschlafen.
Die ultimativste Geschichte... sie wird doch gerade geschrieben....
Ich stehe auf und drehe mich noch einmal um bevor ich die Tür schließe.
"Träume was Schönes, mein Sohn."