„Was hast du gerade gesagt?“ „Ich schau mal wo die anderen sind.“ Selena versuchte sich schnell aus dem Staub zu machen aber Damian hielt sie am Handgelenk fest. „Selena.“ „Ich…“ „Sel, was ist denn passiert?“ Tiara kam angerannt. Daraufhin ließ Damian sie los. „Äh, das ist eine lange Geschichte.“ Tiaras Blick wanderte zu Damian. „Geht es dir gut?“ Er nickte. „Ich bereite dir schnell einen Trank zu.“ Sie holte ihre Kräutertasche und ging zur Feuerstelle. Zu Selenas Erleichterung kamen auch die anderen. „Willst du ihm nichts frisches zum Anziehen geben?“, fragte Thea. „Was? Oh, stimmt.“ Sie kramte nach einem sauberen Hemd und trat zu Damian. „Ich helfe dir.“ „Glaub bloß nicht, dass du so leicht entkommst“, flüsterte er, sodass nur sie ihn hören konnte. Sie sah ihm in die Augen, schwieg aber. „Hier, trink das. Es lindert deine Schmerzen.“ Tiara reichte ihm ein dickflüssiges Trank. „Danke.“ „Ich mache uns etwas zu Essen. Hilfst du mir, Sel?“ „Klar.“ Sie stand auf und folgte ihrer Freundin. „Was zum Teufel läuft da zwischen euch?“, flüsterte Tiara, als sie alleine waren. „Was läuft da zwischen euch?“, fragte Thea die ebenfalls dazu gekommen war. Sie hatte Tiaras Frage nicht gehört, aber dieselbe gestellt. „Nichts.“ „Du lügst. Oh mein Gott, sag bloß du empfindest etwas für ihn?!“ Tiara sah sie mit großen Augen an. „Das ist ja niedlich“, sagte Thea und drückte beide Hände auf ihre Brust. „Ihr spinnt doch. Ich kenne ihn nicht mal lange genug.“ „Okay, dann anders gefragt. Warum weichst du die ganze Zeit seinen Blicken aus?“ „Tu ich nicht!“ Das war ihr gar nicht aufgefallen. „Ich kanns nicht glauben, wirst du gerade rot?“, rief Tiara. „Dich hats erwischt, ganz klar“, sagte Thea entschieden. „Und ihn anscheinend auch“, fügte Tiara hinzu. „Er sieht dich die ganze Zeit an.“ „Das kommt dir nur so vor. Und nur weil er mir erneut das Leben gerettet hat, heißt das noch lange nicht…“ „Warte, was?“, riefen beide gleichzeitig. „Seid mal leiser!“, zischte Selena und setzte einen Topf auf. „Der Pfeil, der aus seiner Schulter geragt hat, war für dich bestimmt?“, fragte Thea. „Pfeil?“, fragte Tiara. „Nein, es war nicht für mich bestimmt. Für niemanden eigentlich. Der Typ hat einfach in den Baum geschossen, auf dem wir saßen und…“ „Und?“, wollte Thea wissen. „Er hat sich als Schutzschild benutzt.“ „Okay, er liebt dich!“, Thea klatschte in die Hände. „Da war mehr“, stellte Tiara fest und sah ihre beste Freundin mit zusammengekniffenen Augen an. „Bevor ich gekommen bin, hat er dich festgehalten. Ich habe euch unterbrochen. Aber wobei, weiß ich nicht.“ Selena hasste es, wenn Tiara sie so durchschaute. „Es kann sein, dass ich ihm gesagt habe, dass er mir wichtig ist“, gab Selena zu. „Was?“, schrie Thea und Tiara riss die Augen auf. „Alles okay bei euch?“, rief Alic. „Ja, ja“, rief Thea, wendete aber den Blick nicht von Selena ab. „Und was hat er gesagt?“, fragte Tiara. „Er hatte keine Zeit etwas zu sagen.“ „Weil ich aufgetaucht bin“, beendete Tiara Selenas Satz. „Ihr zwei werdet mich auf keinen Fall mit ihm alleine lassen, verstanden?“ „Warum denn nicht?“, fragte Thea. „Ich…“ „Okay.“ Tiara sah ihre beste Freundin an aber dann zwinkerte sie Thea zu, so, dass Selena es nicht bemerkte. Als das Essen fertig wurde, kamen Sirius und Siara dazu.
„Ich finde, dass wir uns besser kennenlernen sollten“, sagte Tiara nach dem Essen. „Wir kennen uns doch alle“, erwiderte Alic. „Nein. Wir haben zum Beispiel Sirius eine Ewigkeit nicht mehr gesehen und Siara und Damian sind neu bei uns“, erklärte Thea. „Na gut und was schlägt ihr vor?“, fragte er. Selena warf ihren Freundinnen vernichtende Blicke zu. „Ich finde die Idee ganz gut“, sagte Damian und sah bewusst Selena an. „Ich kenne da ein Spiel. Es ist ein Kartenspiel. Es gibt eine Wahrheitskarte, Pflichtkarte und eine Kusskarte.“ Selena fing an zu husten. Dann sah sie Tiara mit einem mörderischen Blick an. „Warum nicht?“ Alic zuckte mit den Schultern. „Dafür brauchen wir aber die Karten“, Thea sah Sirius erwartungsvoll an. „Geht klar.“ Er schnippte mit dem Finger. „Super. Ich fange an“, rief Tiara und zog die erste Karte. „Wahrheit“, las sie vor und zeigte es den anderen. „Was sollen wir sie fragen?“ „Ich hab etwas“, sagte Alic. Als die anderen nickten, fragte er: „Hast du jemals in deinem Leben etwas Verbotenes getan?“ Selena und Thea seufzten auf. „Das hätten auch wir beantworten können“, rief Selena. „Abgesehen hiervon? Nein.“ „Okay.“ „Jetzt bist du dran Alic.“ Er zog ebenfalls eine Wahrheitskarte. „Ich weiß was!“, riefen Selena und Tiara gleichzeitig. Alic stöhnte auf. „Bist du verliebt?“ „Mann Tiara, du hast die Frage falsch gestellt!“, rief Selena. „Oh, ups.“ „Ja.“ Alle Blicke wanderten zu Alic. „Der Nächste“, fügte er hinzu. „Thea, du bist dran.“ Sie zog die erste Kusskarte. Thea wandte sich an ihre Freundinnen. „Findet ihr nicht, dass er eine Antwort für sein Geständnis verdient?“ Selena und Tiara grinsten. Dann drehte sich Thea zu Alic um. Er saß stocksteif da. „Leute, ich glaube die zwei brauchen etwas Privatsphäre“, sagte Selena und auch alle anderen sahen wie sie, weg. Thea krallte die Finger in Alics Kragen und zog ihn an sich. Dann presste sie ihre Lippen auf seine. Als sie sich voneinander lösten murmelte sie: „Ich auch.“ Das Spiel ging weiter, bis nur noch eine Karte übrig blieb und Damian dran war. Und jeder, der aufgepasst hatte, wusste, dass es eine Kusskarte war. Thea und Tiara grinsten, als wäre es Heilig Abend. Damian drehte die Karte um. Jeder sah ihn an. Er stand vorsichtig auf und stellte sich hinter Selena. „Wir sollten unser Gespräch zu ende führen.“ „Und wir richten unser Lager her. Los Leute!“, scheuchte Thea die anderen. Alic zog sie am Arm mit. Als sie dann alleine waren, sah Damian Selena an. „Was du vorhin gesagt hast, hast du das ernst gemeint?“ Selena hatte noch nie in ihrem Leben gelogen, und das hatte sie auch jetzt nicht vor. „Ja, habe ich.“ „Okay.“ „Okay? Mehr sagst du dazu nicht? Warum hast du dann…“ Weiter kam sie nicht, denn Damian hatte eine Hand an ihr Nacken gelegt und die anderen um ihre Taille. Sie sah ihm in die Augen, dann legte er seine Lippen auf ihre. Er drückte sie an sich. Ihre Hand wanderte wie von selbst an seine Wange. Wann bitte, war er ihr so wichtig geworden? Bessere Frage, wann hatte sie Gefühle für ihn entwickelt? Auf einmal spürte sie keinen Boden mehr unter den Füßen. „Deine Schulter, lass mich runter.“ „Meiner Schulter geht’s gut.“ Erneut küsste er sie. Selena kreuzte die Beine hinter seinem Rücken und verlagerte ihr Gewicht so, dass seine verletzte Schulter verschont blieb. Anscheinend machte das ihm aber überhaupt nichts aus. „Wir…müssen reden“, brachte Selena atemlos hervor. Sie unterbrach den Kuss und sah zu ihm runter. „Müssen wir das?“, fragte er und stellte sie wieder auf die Füße. „Nach dem hier? Ja, müssen wir.“ Er sah sie eine Weile an. „Ich hatte die Kusskarte.“ Selena starrte die Karte an, die er zwischen Zeigefinger und Mittelfinger hielt. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. „Ja, die Kusskarte. Was ich sagen wollte, war, dass wir deine Hilfe brauchen und du uns deswegen nicht egal bist.“ Selena wunderte sich selbst, wie ihre Stimme so gelassen und fest klingen konnte, obwohl er ihr gerade ihr beschissenes Herz herausgerissen hatte. Er sah sie eine Weile an, dann nickte er. „Verstehe.“ „Ach und die Kusskarte, es war nicht notwendig, den Kuss so in die Länge zu ziehen. Immerhin hat es nichts bedeutet.“ Immer noch gelassen. Wie zum Teufel schaffte sie das, obwohl sie am liebsten weinen wollte. „Du küsst gut, wahrscheinlich deswegen.“ „Danke.“ Die Unterhaltung nahm eine merkwürdige Richtung an. „Ich geh mal zu den anderen. Du solltest dich ausruhen.“ Sie drehte sich um und lief zu einem der Zelte, die Sirius gezaubert hatte. Ohne die anderen zu beachten, lief sie in das Zelt. Kurz darauf kamen Thea und Tiara rein. „Was ist los?“, fragte Thea. „Was los ist? Euer genialer Plan ist nach hinten losgegangen. Wenn ihr noch einmal so etwas macht, wars das mit unserer Freundschaft!“, fauchte Selena. Thea und Tiara wechselten einen Blick. „Was ist denn passiert? Keine Sorge, das Zelt ist Schalldicht, man hört uns von draußen nicht.“ „Was passiert ist? Damian hat mir gerade mein beschissenes Herz rausgerissen und darauf getrampelt.“ Die Mädchen starrten Selena an. „Soviel zu eurer Theorie, dass es ihn erwischt hat. Er hat mich nur wegen der Kusskarte geküsst und es mir dann anschließend ins Gesicht gesagt. Ich war kurz davor, ihm zu sagen, dass er mir etwas bedeutet. Aber irgendwie habe ich es geschafft, mein Gesicht zu wahren.“ Tiara schloss kurz die Augen. „Es tut…“ „Wehe ihr sagt jetzt, dass es euch leidtut!“, warnte Selena sie. Thea und Tiara schwiegen, während Selena sich in eines der Schlafsäcke legte.
Damian saß an einem Baum angelehnt und starrte die Sterne an. Was für eine Scheiße hatte er da bloß angerichtet? Er hätte sie niemals küssen dürfen und auch nicht sich selbst als Schild benutzen lassen. Was war nur los mit ihm. Als er versucht hatte, die Situation zu retten, hatte er es nur noch schlimmer gemacht. Er hatte eigentlich nur vorgehabt, sich zu vergewissern, dass er ihr vertrauen konnte, aber als sie erneut gesagt hatte, er sei ihr wichtig… Frustriert fuhr er sich mit den Händen übers Gesicht. Eigentlich hatte er gedacht, es wäre etwas passiert, nach dem Kuss aber dann hatte er, so dumm wie er war, die Kusskarte als Ausrede gewählt. Er hatte vorgehabt, sich zu verbessern, aber dann hatte sie gleichgültig reagiert und das hatte ihn noch mehr verwirrt. Um sein Gesicht zu wahren, hatte er weiter gespielt. Eins wusste er aber, und das war, niemals zuzulassen, dass ihr etwas geschah und diese Erkenntnis jagte ihm eine Heidenangst ein. „Können wir kurz reden?“ Alics Stimme holte ihn aus seinen Gedanken. „Klar.“ Alic setzte sich neben Damian. „Wie geht es deiner Schulter?“ Stimmt ja, er war verletzt worden. „Gut, davon stirbt man nicht.“ Zumindest er nicht. „Du hast das Leben meiner Schwester gerettet. Erneut. Dafür bin ich dir sehr dankbar. Ach ja, meins hast du ja auch noch gerettet“, fügte Alic leise hinzu. „Ja, das hat mich auch überrascht“, gestand Damian und starrte seine Hände an. „Vielleicht ist es dir nicht bewusst, aber Sel bedeutet mir mehr als alles andere auf der Welt. Nenn es Zwillingsding oder wie auch immer, aber wenn ihr etwas zustoßen würde… Ich weiß nicht was ich täte. Daher, danke.“ Damian wusste nicht was er darauf erwidern sollte, er hatte lange nicht mehr soviel Kontakt mit anderen gehabt. „Sel lässt es ungern zu, dass andere sie durchschauen. Tiara und ich sind wohl die Einzigen auf dieser Welt, die dazu in der Lage sind. Also glaub mir, wenn ich dir sage, dass meine Schwester nicht nur sehr stark sondern auch am verwundbarsten ist. Und wenn irgendjemand, egal wer, meine Schwester unglücklich macht, bekommt die Klinge meines Rapiers zu spüren. Ohne wenn und Aber.“ Damian nickte bloß. „Gutes Gespräch. Du solltest dich ausruhen, morgen früh müssen wir weiter.“ Alic klopfte Damian auf die gesunde Schulter und stand auf. Damian sah, wie Thea aus einem der Zelte rauskam und Alic umarmte. Sie sagte etwas, woraufhin Alic lächelte. Kurz danach verschwand sie wieder im Zelt und Alic setzte sich an die Feuerstelle, neben Sirius. Damian legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.