Schon sehr früh am Morgen brachen die, inzwischen größer gewordene Gruppe auf. Damian ging voraus, da er den Weg kannte. Und Selena? Sie hielt soviel Abstand wie möglich. Sie lief alleine, während Thea an Alics Seite lief. Seit gestern Nacht waren die zwei sich näher gekommen. Man könnte sogar sagen, dass sie nun ein Paar waren. Sie lachte über etwas, was er gesagt hatte. Killian ließ Tiara nicht aus den Augen und lief neben ihr. Hielt aber Abstand. Tiara wies ihn darauf an und nörgelte, dass er sich nicht so anstellen solle. Sirius und Siara liefen ebenfalls nebeneinander. Im Gegensatz zu den anderen, schwiegen sie aber. Selena fiel auf, dass auch Siara die anderen beobachtete. „Durch dieses Dorf werden wir gehen. Aber wir machen dort keine Rast“, hörte sie Damian sagen. Stirnrunzelnd trat Selena vor. Ein kleines Dorf war von einer niedrigen Mauer umkreist. An vielen Stellen bröckelte schon die Mauer. Es schien, als lebe dort niemand mehr. „Warum denn?“, wollte Thea wissen. „Es sieht nicht besonders gefährlich aus. Außerdem könnten wir dort Proviant kaufen“, ergänzte Alic. Tiara kniete sich hin und legte die Hand flach auf den Boden. Obwohl Thalia an sich nicht mehr als eigenes Königreich existierte, hatten aber Thalias Bewohner ihre Verbundenheit mit der Natur nicht verloren. „Das Dorf. Es ist, als wäre es ausgestorben“, murmelte Tiara und sah Damian fragend an. Er seufzte und sagte leise. „Das ist eines der Dörfer, welches von Dämonen heimgesucht wird. Es würde mich wundern, wenn noch Menschen dort leben würden.“ Selena schnappte entsetzt nach Luft. „Tiara, leben da noch Menschen?“, fragte Thea. Tiara schloss die Augen. „Einige Menschen sind noch dort, ja.“ „Dann brauchen sie unsere Hilfe“, sagte Selena entschieden. „Oh nein! Wir gehen da so schnell wie möglich durch. Noch bevor es dunkel wird.“ Sie sah Damian fassungslos an. „Du willst die Menschen dem Tod überlassen?“ „Was willst du denn ausrichten? Du hast am eigenen Leib erfahren, wie es ist von Dämonen angegriffen zu werden!“ „Genau deswegen ja!“, schrie sie ihn an. „Ich weiß was das für ein Gefühl ist. Es schnürt einem die Kehle zu, du bekommst keine Luft und wünscht dir, dass du endlich sterben würdest, um die Schmerzen nicht mehr zu spüren! Genau deshalb werde ich die Menschen, die meine Hilfe brauchen, niemals im Stich lassen. Komme was wolle!“ Ihre Stimme hatte einen schrillen Ton angenommen. „Okay. Wenn dir dein Leben scheißegal ist, was ist mit deinen Freunden? Deinem Bruder?“, verlangte Damian zu wissen. „Da braucht sie nicht lange zu überlegen, denn wir sind ihrer Meinung“, sagte Thea und trat neben Selena. „Vielleicht bist du es nicht gewöhnt, Damian. Aber wir sind eine Familie und wir halten immer zusammen“, fügte Tiara hinzu und stellte sich auf die andere Seite von Selena. „Uns wurde beigebracht, Menschen die Hilfe benötigen, nie im Stich zu lassen. Und solange wir zusammenhalten, kann nichts passieren“, ergänzte Alic und schlang einen Arm um Thea. „Ich bin immer auf der Seite meiner Freunde.“ Sirius sah Damian an. „Das ist alles so interessant!“, während Siara schrieb, gesellte sie sich neben Sirius. Dieser wiederum verdrehte die Augen. Selena wurde es warm ums Herz. Trotz allem hielten sie alle zusammen. „Ich kann dich nicht zwingen uns zu helfen. Du kannst das Dorf passieren und auf uns an einem sicheren Ort warten“, sagte Selena und sah Damian an. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er stieß einen Fluch aus. „Von mir aus, retten wir eben Menschen. Wir sollten uns aber beeilen.“ Selena nickte und folgte mit den anderen Damian.
Sie betraten das Dorf und es verschlug Selena die Sprache. Nicht im Positiven. „Ach du meine Güte“, entfuhr es Thea. „Großer Gott, ich wusste gar nicht, dass Menschen unter diesen Verhältnissen leben“, murmelte Tiara und sah die runtergekommenen Häuser an. Nirgends wuchs mehr etwas. Selena sah runter, als jemand sie am Ärmel zupfte. „Hast du etwas zum Essen?“, fragte ein hagerer Junge. Er musste ungefähr acht sein. Sie konnte es schwer sagen, da er so unterernährt war. Selena kniete sich zu ihm runter. „Natürlich.“ Sie sah zu Alic hoch, der ihr schon ein Sandwich reichte. „Hier, bitte schön.“ Sie gab dem Jungen das belegte Brot. „Vielen Dank.“ Statt es sofort zu essen, steckte er es ein und rannte weg. „Was war denn das?“, fragte Tiara und sah dem Jungen hinterher. „Ich weiß es nicht, aber finden wir es heraus“, antwortete Selena und rannte dem Jungen hinterher. Sie betraten das Haus, indem der Junge verschwunden war und sahen ein noch jüngeres Mädchen. Sie aß das Sandwich, was Selena dem Jungen gegeben hatte. „Wer seid Ihr?“, hörten sie eine Frauenstimme sagen. Selena drehte sich um und sah eine blonde Frau. Sie war ein Stück größer als Selena und obwohl sie nicht alt sein konnte, hatte sie schon einige Falten. Sie war sehr dünn und ihr Kleid war an einigen Stellen zerrissen und wieder zusammengeflickt. „Mein Name ist Selena. Meine Freunde und ich sind in der Durchreise.“ „Da kommt ihr aber in die falsche Gegend. Ihr solltet hier wieder verschwinden“, sagte die Frau mit erschöpfter Stimme. „Haben wir auch vor“, murmelte Damian und erntete daraufhin einen Schlag auf die Schulter von Alic. Dafür liebte sie ihren Bruder. „Wir möchten euch unsere Hilfe anbieten“, sagte Tiara. „Hilfe? Keiner kann uns helfen. Uns hat man schon längst vergessen, nur die nicht.“ „Wer ist die?“, fragte Alic. Die Frau senkte die Stimme, als sie „Dämonen“, sagte. „Wir können wirklich helfen. Angefangen, hiermit.“ Thea öffnete ihren Rucksack und nahm die restlichen Sandwiches raus. „Wie viele Menschen leben noch hier?“, fragte Killian. „Nicht mehr viele…“ Während die Frau erzählte, nahm Selena ein Sandwich und ging zu dem Jungen rüber. „Du hättest mir sagen können, dass du selbst auch eins brauchst.“ Sie reichte ihm das Sandwich. Er nahm es entgegen. „Ich heiße Selena. Wie heißt du?“ „Johnny“, sagte er, während er in sein Sandwich biss. „Schön dich kennen zulernen, Johnny. Ist das deine Schwester?“ Selena sah das Mädchen lächelnd an. „Ja, das ist Eliza. Sie ist erst vier.“ „Freut mich dich kennen zulernen, Eliza.“ Sie strich dem Mädchen eine blonde Locke aus der Stirn. „Sel?“ Sie stand auf und sah ihren Bruder fragend an. „Ich gehe mit Damian Feuerholz sammeln.“ Sie ging auf ihre Freunde zu. „Was ist der Plan?“ „Tiara, du stellst Medizin her. Sirius, du errichtest eine Schutzbarriere und Siara begleitet dich. Thea, du schaust mit Killian, nach den anderen Bewohnern und bringst sie hier her. Sel, du hilfst Claire mit dem Essen“, erklärte Alic. „Claire?“, fragte Selena. „Ich bin Claire“, stellte sich die blonde Frau vor. „Oh, ich bin Selena.“ Sie reichte der Frau die Hand. „Dann machen wir uns mal an die Arbeit.“ Jeder machte sich an die Arbeit. Nachdem Claire Wasser aufgesetzt hatte, holte Selena das ganze Gemüse heraus, was Sirius ihnen gezaubert hatte. „Wie lange lebt ihr schon so?“, fragte Selena während sie Karotten in Stücke schnitt. „Die ersten Angriffe haben vor zwei Jahren angefangen. Davor war hier alles so schön und friedlich.“ Claire hielt inne und verlor sich in Erinnerungen. „Es tut mir wirklich leid, dass ihr das durchmachen müsst.“ „Du kannst ja nichts dafür und außerdem seid ihr die Einzigen, die uns helfen. Im Gegensatz zu den königlichen Familien zumindest.“ Wenn sie nur wüsste, dass sie zu diesen königlichen Familien gehörte. „Habt ihr nach Hilfe gefragt?“, fragte Selena vorsichtig. Claire lachte auf. „Einige Männer sind vor zwei Jahren aufgebrochen, keiner ist zurückgekommen. Darunter war auch mein Mann.“ Selena schluckte schwer. Jetzt wollte sie diesen Menschen umso mehr helfen. Sie hatte nicht gewusst, dass es Menschen gab, die unter solchen Verhältnissen leben mussten. Ihre Eltern hatten ihnen viel verschwiegen. Während sie ein wohlbehütetes Leben geführt hatte, hatten diese Menschen um ihr Überleben gekämpft. Chandrick war doch nicht so ein friedliches Land, wie sie immer geglaubt hatte.
Sirius nahm am Eingang des Dorfes Platz und streckte die Arme aus. „Du solltest Abstand halten“, sagte er an Siara gewandt. „Okay.“ Sie nahm erneut Block und Stift und beobachtete Sirius gespannt. Dieser verdrehte bloß die Augen und machte sich an die Arbeit. Er beschwor eine Formel und errichtete eine Schutzbarriere um den Eingang. „Wow“, murmelte Siara und beobachtete Sirius, dabei vergaß sie ganz, zu schreiben. „Wir müssen noch an andere Stellen gehen und Schutzbarrieren errichten.“ Sie nickte und folgte Sirius. „Ich hoffe so sehr, dass die Barriere hält.“ Sie sah ihn fragend an. „Ich habe noch nie eine so große Barriere errichtet. Zumindest nicht alleine.“ Siara fing an auf ihrer Unterlippe zu kauen. „Vielleicht können wir unsere Magie kombinieren.“ Sirius sah sie erstaunt an. „Wie willst du das denn machen?“, fragte er sie. „Gib mir deine Hand.“ Er reichte ihr seine Hand. „Luft, Wasser, Erde und Feuer, beschützt diese Barriere mit all eurer Macht!“ Sirius spürte wie Kraft durch ihn strömte. Es kam von Siara. „Du bist dran“, flüsterte sie. „Cum omnibus potius confirmat elementis“, rief Sirius und die Barriere verstärkte sich um das Dreifache. „Das war unfassbar, sowas habe ich noch nie erlebt, kannst…“, als Sirius zu Siara sah, merkte er, dass sie ziemlich erschöpft war. Sie war noch blasser als sonst und hatte ein gezwungenes Lächeln auf den Lippen. „Siara.“ Ihre Beine gaben unter ihrem Gewicht nach und sie wäre hingefallen, wenn Sirius sie nicht aufgefangen hätte. Er legte einen Arm unter ihre Kniekehlen und den anderen um ihren Rücken. „Leg deinen Arm um mich“, sagte er sanft. Sie nickte und schlang einen Arm um seinen Nacken. „Woher wusstest du, dass es funktioniert?“ Sie brachte nur ein schwaches Schulterzucken zustande. Er trug sie sie zurück zu den anderen. „Was ist passiert?“, rief Tiara, als Sirius mit Siara auf dem Arm das Haus betrat. Auch die anderen sahen auf. Fast jeder war da. „Wir haben die Barriere verstärkt. Sie braucht nur Ruhe“, antwortete er. An Claire gewandt fragte er: „Wo kann ich sie hinlegen?“ „Komm mit.“ Er folgte Claire in eine Nische und legte Siara auf das Bett. Sie war eingeschlafen. „Danke“, sagte Sirius zu Claire. „Ich schätze, wir müssen euch danken.“ Sirius erwiderte nichts, und folgte ihr zu den anderen. „Sind das die anderen Dorfbewohner?“, fragte er Alic. Er nickte. Es waren höchstens zwanzig Personen im Raum. Die Mehrheit waren Frauen und Kinder. Auch waren einige alte Menschen unter ihnen. Tiara kümmerte sich gerade um eine Wunde eines kleinen Jungens. Sie sprach mit ihm und lenkte ihn ab. Selena und Thea teilten mit Claire zusammen Essen aus. Von Killian und Damian fehlte jede Spur. „Wo sind Killian und Damian?“, fragte Sirius Alic. „Sie stellen draußen Fackeln her. Komm mal mit.“ Sirius folgte Alic in eine Ecke, wo sie ungestört reden konnten. „So ungern ich das auch sage, wir werden ihnen nicht auf Dauer helfen können.“ Sirius nickte. Das war ihm auch bewusst. Seine Barriere würde vorerst halten aber sobald er das Dorf verließ, würde auch die Barriere verschwinden. „Ich wünschte, einer von uns wäre ein Portalöffner.“ „Leider gibt es nur noch eine einzige Person in ganz Chandrick, die dazu in der Lage ist und diese Person wird uns sicher nicht helfen.“ „Meine Mutter“, gab Alic zu und fuhr sich über das Gesicht. „Kannst du keine Dauerhafte Barriere errichten?“, fragte Alic. „Vielleicht gibt es eine Formel, aber ich kenne sie nicht und wenn ich sie kennen würde, würde ich es sicher nicht alleine hinbekommen. Es tut mir leid Alic aber hier bin ich überfordert.“ Alic fluchte und sah die unschuldigen Menschen an. „Wir können sie aber nicht im Stich lassen.“ „Wir können aber auch nicht hier bleiben.“ „Das weiß ich doch“, murmelte Alic. „Und was sollen wir machen?“ „SIE GREIFEN AN!“, schrie Damian und rannte mit Killian in das Haus. Schon ertönte ein dumpfes Geräusch.