Siara sah ihn auf der Mauer sitzen, ein Bein angezogen, den anderen ließ er runter baumeln. Schweigend kletterte Siara auf die Mauer, die für sie etwas zu groß war und legte anschließend das Buch auf ihr Schoß. „Du kannst mich nicht dazu bringen, diesen Zauber auszusprechen“, sagte er nach einer Weile. „Das habe ich auch nicht vor.“ Er sah sie kurz an, dann sah er wieder in die Ferne. „Ich war elf, als meine Mutter getötet wurde.“ Sofort wanderte sein Blick wieder zu ihr. „Was?“ „Unterbreche mich nicht, bitte.“ Er runzelte die Stirn, schwieg aber. „Das war noch, als ich mit meiner Mutter im Feenreich gelebt habe. Sie wurde auf das Befehl der Feenkönigin gehängt. Es wurde sozusagen ein Exempel an ihr statuiert. Nur weil ich etwas gesagt habe, was ich anscheinend nicht hätte tun sollen.“ Sirius wollte sie nach dem Grund fragen, und warum sie ihm das alles erzählte, aber er merkte, dass sie mit jemanden darüber sprechen musste. „Mich hat dasselbe Schicksal erwartet, aber ich konnte entkommen. Als alle zugesehen haben, wie meine Mutter getötet wurde, bin ich weggelaufen. Ich habe meinen Vater gesucht. Er hat mich sofort erkannt, denn ich sehe meiner Mutter sehr ähnlich. Er hat mich in seine Arme geschlossen. Er hat mich gefragt, wie es meiner Mutter geht, und wo sie sei. Als ich sagte, dass sie getötet wurde, hat er mir versprochen, mich niemals alleine zu lassen.“ Die Erinnerungen quälten sie, aber alles holte sie ein und jetzt konnte sie nicht mehr aufhören zu erzählen. „Ein Jahr lang war ich glücklich bei ihm. Natürlich vermisste ich meine Mutter, aber als dann die Kriegerfee, die mir bei meiner Flucht geholfen hatte, auftauchte und mir sagte, dass die Königin mich gefunden hatte und mich holen würde, wusste ich, dass ich gehen musste. Damit wenigstens meinem Vater nichts geschah. Ich bedankte mich bei ihr und sagte, dass ich von der Bildfläche verschwinden würde. Ich ging zu meinem Vater, umarmte ihn noch einmal so fest ich konnte und löschte dann seine Erinnerungen an mich, an unsere gemeinsame Zeit, und die an meine Mutter. Dann ging ich. Deshalb lebe ich im Wald. Alleine. Denn ich habe Angst, dass jemandem etwas geschehen könnte, wenn er mir zu nahe kommt. Alleine kann ich besser verschwinden.“ „Siara…“ „Ich bin noch nicht fertig.“ Was könnte jetzt noch kommen, das schlimmer war? „Als ich fünfzehn war, bin ich Alekto das erste Mal begegnet. Sie hatte ihre Dämonen auf ein Ehepaar mit einem kleinen Mädchen gehetzt. Ich habe mich dazwischen gestellt und ihre Dämonen zurück in die Hölle geschickt. Daraufhin wurde sie sehr wütend und beinahe hätte sie mich getötet. Naja, sie dachte, sie hätte mich getötet. Aber ich bin ja noch lebendig.“ Nun sah sie Sirius an. Denn er sollte merken, dass sie das alles nur erzählte, damit er einsah, dass auch er stark genug war. „Ich bin stark. Daran zweifle ich nicht, denn nur dieser Gedanke hat mich am Leben gelassen. Ich habe Alekto überlebt, welche Fee könnte das denn von sich selbst behaupten? Ich wollte auch nie zu den Feen gehören, die die Augen vor der Wahrheit verschließen.“ „Welche Wahrheit?“, fragte Sirius vorsichtig. „Dass sie nur ein heuchlerisches Volk sind. Die erste Feenkönigin war es, die den Mann verraten hat, den sie liebte. Als ich das erfuhr, wurde ich zu einer Gefahr. Also ist es nicht gelogen, wenn ich sage, dass ich das Feenreich verabscheue. Vielleicht hast du es gemerkt, da ich lieber ohne Flügel durch die Gegend laufe, als wie mit. Ich weiß und kenne meine Rolle in dieser Geschichte. Das solltest du auch. Es ist nicht falsch, zuzugeben, dass man Angst hat. Denn ich hatte immer Angst. Aber das was zählt ist, dass man an sich selbst glaubt. Ich hoffe, du verstehst worauf ich hinauswill.“ Siara sprang von der Mauer runter und legte das Buch neben Sirius. Dann lief sie weg. Sie kam aber nicht weit, denn Sirius war von den Mauer gesprungen und hielt sie am Arm fest. „Wenn ich diesen Zauber ausspreche, musst du mir helfen.“ Sie sah zu ihm hoch. „Wobei brauchst du Hilfe?“ „Sei einfach wieder in meiner Nähe.“ Er legte seine freie Hand auf ihre Wange. „Ich danke dir, Siara.“ „Wofür?“, fragte sie mit leiser Stimme. „Das du an mich glaubst. Und dass du mir vertraust.“ Er sah ihr tief in die Augen. Sie hatten etwas hypnotisierendes. „Ohne dich hätte ich schon längst aufgegeben.“ „Freut mich, dass ich helfen kann.“ „Wir sollten uns beeilen.“ „Stimmt.“ Sein Blick fiel auf ihre Lippen, dann schloss er noch den wenigen Abstand zwischen ihnen und legte seine Lippen auf ihre. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und erwiderte seinen Kuss. Ihr Herz klopfte wie wild gegen ihren Brustkorb, dass sie befürchtete, er könnte es hören. Sie brachte all ihre Kraft zusammen und drückte Sirius sanft von sich. „Wir müssen uns wirklich beeilen“, sagte sie und holte schwer Luft. „Okay.“ Sirius drückte ihr noch einen Kuss auf die Stirn und gemeinsam liefen sie zurück zum Haus.