Auch in der Luft war mittlerweile ein Kampf entbrannt zwischen den wenigen Löwen der Rebellen, den Pegasossen der Lunarier und den Löwen ihrer Gegner. Ikarios, der junge Lunarier, beflügelt durch die gelungene Befreiung seiner Geliebten Ismayila, warf sich nun mit aller Macht in den Kampf. Er hatte seine Gefährtin selbst in Sicherheit gebracht. Sie hatte Schreckliches mitgemacht und furchbare Ängste ausgestanden. Der komische Königssohn Taumanas hatte sie zu seinem Besitz machen wollen. Sie und Ikarios wollten sich nicht ausmalen, welche schrecklichen Demütigungen auf sie gewartet hätten, wenn es den Rebellen nicht gelungen wäre, sie zu befreien. Von da her, war die Idee des Königs die Lunarierinnen als Druckmittel zu benutzen, ihnen eigentlich auch etwas gelegen gekommen. Dafür jedoch war jetzt eine Schlacht in Gange, welche sehr viele Opfer forderte. Ikarios war einer der besten Bogenschützen seines Volkes. Ausserdem war er auch sehr geschickt im Armbrustschiessen. Armbrustschützen gab es noch nicht so viele im Land der Lunarier, aber jene die es beherrschen, gehörten zu den Besten. Ikarios besass eine leichte Armbrust, auf dem Bogenrücken mit wunderschönen Bildern, die Blumen, Vögel und Hirsche zeigten, verziert. Der Griff war aus Narami Holz, der Bogen, aus dem Horn der Wasserbüffel, welche es im Reich des Silbermondes einige gab. Die Sehne des Bogens hatte man aus Pflanzenfasern gefertigt. Die metallenen Bolzenpfeile waren befiedert, mit zwei weissen Federn und hatten eine gewaltige Durchschlagskraft. Sie steckten in einem, unten breiter werdenden Köcher, aus hellem Leder. Ikarios kreiste über den Zinnen der Sonnenstadt und schoss immer wieder seine Pfeile ab. Seine Schüsse trafen meist genau ihr Ziel. Die Feinde begannen natürlich auch auf ihn zu schiessen, doch der leuchtende Schutzschild seines Pegasosses, bewahrte ihn vor Schaden. Dann kam der Moment, den er am meisten gefürchtet hatte: Die roten Löwen des Feindes griffen die Pegasosse an. Mit lautem Brüllen
stürzten sie sich auf diese herab. Die Pferde wieherten, bäumten sich teilweise in der Luft auf und schlugen mit ihren Hufen nach den Raubtieren. Ein Löwenreiter hatte es gerade auf Ikarios abgesehen. Er wusste, dass von ihm eine besondere Gefahr ausging, weil er durch das Schiessen mit seiner Armbrust, besonders viel Schaden anrichtete. Neben ihm gab er nur noch wenige, die ebenfalls diese Waffe benutzten, sie hatten vorwiegend Pfeilbogen.
Der mächtige Löwe brüllte und fauchte furchterregend! Seine langen, spitzen Klauen, schlugen nach dem Pegasoss. Doch ein silberner Schein schleuderte ihn zurück. Das Raubtier taumelte etwas und sein Reiter musste darauf achten, dass er nicht abstürzte, doch bald hatte er die Situation wieder unter Kontrolle und ging erneut auf den Lunarier los. Der Löwe schlug wieder nach dem Pegasoss und wollte diesem mit seinen Zähnen die Kehler aufreissen, doch der Schutzschild hielt noch immer. Das geflügelte Pferd wich dem Löwen aus und flog einen Bogen. Ikarios musste sich gut festhalten, bei diesem plötzlichen Flugmanöver. Seine Armbrust war zum Glück mit einem Schulterriemen befestigt. Das Pferd wandte sich nun wieder um und galoppierte wie auf einer unsichtbaren Strasse durch den Himmel, dem Löwen entgegen. „Schiess jetzt!“ hörte Ikarios eine Stimme in seinem Kopf. Der Pegasoss sprach zu ihm. Noch immer war er von neuem erstaunt darüber. Er legte an, das hintere Ende der Armbrust, stützte er auf seinem muskulösen Bauch ab, zog dann die Sehne mit einem todbringende Eisenbolzen darauf, zurück und betätigte die Abzugsstange. Der Pfeil zischte mit unglaublicher Geschwindigkeit durch den Himmel und traf den Reiter mitten in die Brust. Dieser stiess einen Schrei aus und stürzte tödlich getroffen ab. Der Löwe, im ersten Augenblick etwas orientierungslos ohne Reiter, gab jedoch noch nicht auf. Er brüllte erneut, diesmal wuterfüllt und griff das Pferd ein weiteres Mal an. der Schutzschild schleuderte ihn noch ein paar Mal zurück, doch dann begann dieser langsam unter den widerholten Angriffen zu bröckeln. Der Löwe blutete bereits aus vielen Wunden, doch er gab nicht auf. Der Pegasoss wieherte laut und setzte sich zur Wehr. Er trat mit seinen glänzenden, silbernen Hufen nach dem Löwen, traf ihn auch einige Male schwer, das erkannte man an dem etwas taumelnden Flug des grossen Raubtieres. Auch mit den Zähnen begann das geflügelte Pferd nun nach dem Feind zu schnappen. Doch auch der Löwe blieb nichts schuldig. Er schaffte es den Schutzschild schliesslich zu durchdringen und schlug erneut mit seinen gewaltigen Reisszähnen nach dem Hals des Pegasosses. Ikarios sah mit Schrecken, wie auch das weise Fell seines Reittieres immer mehr mit rotem Blut getränkt wurde. Dieses wich dem Löwen zwar immer wieder aus, doch nun war es nicht mehr unverwundbar. Schliesslich entschloss Ikarios sich, den Rücken des Pferdes zu verlassen. Er breitete seine Flügel aus und erhob sich in die Lüfte. Schnellstmöglich brachte er sich vor den beiden kämpfenden Kreaturen in Sicherheit. Dann legte er mit seiner Armbrust an und zielte direkt auf die Stirn des Löwen. Sie lag nun zum Glück frei, die Hufe des Pegasosses, hatten die Rüstung des roten Giganten, zum grossen Teil zerschmettert. Ikarios zielte und schoss. Der metallene Bolzenpfeil, bohrte sich tief in die Stirn des Löwen. Dieser heulte auf und taumelte zurück. Noch einmal schoss Ikarios, während der Pegasoss den Gegner mit seinen Hufen bearbeitete und dann…stürzte der Löwen endlich ab! Er riss gleich einen weiteren gegnerischen Löwenreiter mit in die Tiefe und die beiden schlugen in einer gewaltigen Staubwolke auf den harten Boden, tief unter der Festung ein. Ikarios überprüfte nochmals, ob sie auch wirklich tot waren, dann wandte er sich nach seinem Pferd um. Dieses blutete nun ebenfalls aus vielen Wunden. „Ich glaube, wir müssen dich zu einem Heiler bringen“, sprach er im Geist zu ihm. Doch der Pegasoss erwiderte: „Das ist nicht nötig. Ich brauche nur einen Moment Ruhe, dann wird mich das Licht der Göttin wieder heilen.“ Ikarios nickte und setzte sich wieder auf den Rücken des Tieres, zusammen verliessen sie das Schlachtgetümmel, um neue Kräfte zu sammeln.
Aellia schaute noch einen Moment auf den Leichnam des Königs, dann wandte sie sich langsam um. Die Solianer, wie die Lunarier, standen schweigend um sie herum. Zwei Heiler wollten zu ihr eilen, um sich ihre Wunden und das beschädigte Gefieder anzuschauen. Doch sie gebot ihnen mit einer Geste Einhalt. „Später“, sprach sie, dann wandte sie sich an die Solianer. „Wie ihr seht, habe ich euren König im Zweikampf besiegt. Ich bin nun eure Königin!“ Einige der Angesprochenen nickten, schwebten nach vorn und beugten ihr Knie vor der Harpya „Meine Königin!“ sprachen sie. Einige andern zögerten noch, in ihrer Augen lag Entsetzen und Ratlosigkeit, teilweise auch Verachtung, da sie eine Frau als Königin sehr schwer akzeptieren konnten. „Auch ihr werdet euch noch daran gewöhnen, dass ich nun eure Herrscherin bin. Allerdings werde ich die Königswürde bald an Trojanas abgeben.“ „Trojanas?“ fragten einige erstaunte Stimmen. „Ja, er wird euer neuer König werden. Ich werde ihn dazu machen, wenn wir in der Stadt zurück sind.“ Erleichterung zeichnete sich nun auf den Gesichtern der solianischen Männer ab. Dann schwebten sie ebenfalls nach vorn und beugten vor Aellia das Knie. Ein Mann, bekleidet mit einem goldenen Mantel und einer roten, mit einer Sonne geschmückten Lederrüstung meinte: „Ich bin der oberste Priester des Sonnenzirkels und höchster Würdenträger nach dem König und den Königssöhnen. Ich habe den Zweikampf mit angesehen und du hast Solianas fair besiegt. Es spricht nichts dagegen, dass du unsere Königin wirst. Ich werde deinen Sieg bestätigen, wenn wir in der Stadt ankommen und die anderen hier ebenfalls.“ „Dann wird es höchste Zeit aufzubrechen!“ „Aber Aellia!“ wollte der lunarischen König Varthemos einwenden „dein Gefieder, du kannst nicht fliegen.“ „ich werde Typon nehmen“, sprach sie „aber wenn du angegriffen wirst?“ „Ich glaube kaum, dass die Solianer ihre neue Königin angreifen werden. Doch dann brauche ich ein Zeichen, dass mich sogleich als neue Herrscherin auszeichnet und das alle kennen.“ Der Priester meinte: „Das Medaillon das er trug, es ist das Zeichen des Sonnenkönigs.“ Er hob ein goldenes, an einer stabilen Kette befestigtes Medaillon vom Boden auf, welches während des Kampfes heruntergefallen war. Es zeigte eine strahlende Sonne, mit einem runden Loch in der Mitte. Aellia nahm es entgegen und schaute es etwas nachdenklich an. Es war ein sehr seltsames Gefühl, als eine Frau des dunklen Mondes, das Symbol des Sonnenkönigs zu tragen, sie dachte einen Moment über den tieferen Sinn dieses Sachverhaltes nach, dann legte sie sich das Medaillon um den Hals.