Er war zutiefst bewegt davon. Hier standen wundervolle Dinge, Dinge, nach denen er sich tief in seinem Innern mehr gesehnt hatte, als er es sich bisher hatte eingestehen wollen. Wenn dieses Schreiben von der Königin wahrlich unterzeichnet wurde, dann gab es wieder eine Zukunftsperspektive, für ihn und seine Beziehung mit Alwiana. Es bedeutete auch eine gute Zukunftsperspektive, für ihre möglichen Kinder, egal ob weiblich…oder männlich. Bisher war er immer etwas davor zurückgeschreckt, mit einer Frau Kinder zu zeugen, weil er wusste, dass ein Junge es sehr schwer haben würde. Er wusste das von vielen, die ihn hier immer wieder besuchten. Ausserdem wusste er auch, dass die weiblichen Kinder den Vätern jeweils ganz entzogen wurden und sich nur die Mütter um sie kümmerten. Hydrochias eigene Mutter, hatte ihn früh verlassen und seine jüngere Schwester mit sich genommen, die er seither nie mehr sah. Er selbst wuchs bei seinem Vater auf dem Leuchtturm auf und übernahm dann seine Arbeit. Seine Mutter hatte er nur noch ganz selten gesehen und da war sie für ihn schon eine Fremde. Er wollte das seinen Kindern nicht antun, egal welchen Geschlechtes, ausser…, es gab wirklich ganz neue Gesetze.
„Ihr habt hier die wichtigsten Punkte berücksichtigt“, sprach er und gab Tantalius das Schreiben zurück. „Was ihr damit schaffen würdet, klingt nach einem wundervollen Elysium. Aber so einfach wird es nicht sein, die Obersten davon zu überzeugen. Ihr wisst, dass die Königinnenkaste und Priesterkaste sehr viel auf die Gesetze der grossen Lilithia geben. Sie sind ihr treu ergeben und das was ihr wollt, wird ihnen als Blasphemie, ja vielleicht gar als Verrat an der Göttin, erscheinen.“ Die Augen des Fremden verengten sich etwas und sein Blick wurde für einen Moment kalt. „Ja, dessen bin ich mir bewusst. Doch ich habe einen Plan entwickelt, einen Plan, der uns an unser Ziel bringen wird.“ .“ Sein Blick wurde wieder offener und er schaute Hydrochias nun bittend an: „Deshalb habe ich euch darum gebeten uns, dieses eine Mal, die Wasserkontrolle machen zu lassen.“ „Was um alles in der Welt habt ihr vor?“ Hydrochias spürte ein komisches Gefühl in der Magengegend. „Wollt ihr sie etwa alle vergiften?“ „Ich möchte euch zu eurem eigenen Schutz nicht zu viel darüber sagen, aber ich kann euch versichern, dass wir darauf bedacht sind, diese neue Welt auf möglichst wenigen Opfern aufzubauen. Wir streben eine gewalt-arme Lösung an. doch ganz ohne Opfer wird es auch nicht gehen. Es liegt nun ganz an euch, wie ihr damit umgehen wollt. Ich wäre sehr froh, wenn ihr uns unterstützen würdet, denn glaubt mir, es wird sich für euch und uns alle lohnen. Selbst die Frauen, sind nicht mehr alle so glücklich damit, dass sie nicht lieben dürfen, dass sie jene, denen sie sich vielleicht aufs Innigste zugetan fühlen, immer wieder von sich weisen müssen, weil sie glauben, dies sei der einzige Weg. Das grosse Dilemma der harpischen Frauen ist es doch, dass sie nicht wirklich ihr Herz sprechen lassen können, vermutlich auch, weil ihnen auch niemals väterliche Liebe zuteilwurde und sie auch nie die Möglichkeit hatten, uns Männer in einem besseren Licht zu sehen.
All das würde sich verändern. Dieser Ort, er könnte ein Ort der Liebe sein, doch wir müssen dafür kämpfen!“
Die Worte von Tantalius berührten Hydrochias aufs Tiefste, besonders da sie wirklich aufrichtig klangen. Dieser Mann, hatte eine sehr mitfühlende, jedoch auch gefährliche Seite. Er würde seine Ziele versuchen, mit allen Mitteln zu erreichen, er sah es als seine Berufung. Wie jedoch würde er es tun? Was wollten er und seine Männer mit dem Wasser? Der Leuchtturmwächter war hin und her gerissen, zwischen der Sehnsucht nach einer besseren Welt, seinem Verantwortungsbewusstsein und auch der Angst, dass dies alles in einem Desaster enden würde, welches man dann nicht mehr unter Kontrolle brachte. Würde der Plan von Tantalius fehlschlagen, würde die Königin den neuen Gesetzen nicht zustimmen, oder deswegen gar ein Krieg anzetteln, dann hatte das schlimme Folgen. Natürlich…auch für ihn selbst, da er sich auch des Verrates schuldig machen würde. Da ihm Ehrenhaftigkeit immer sehr viel bedeutet hatte, war das keine schöne Aussicht. Andererseits jedoch…,wenn er so darüber nachdachte, wie wundervoll die Welt des dunklen Mondes werden konnte, wenn das gelang, was Tantalius anstrebte.
Hydrochias war ein eher pragmatischer, besonnener Typ. Er wägte deshalb immer alles sehr genau ab. Doch diesmal gab es keinen wirklich sicheren Weg. Er musste entweder das Risiko eingehen und sich auf die Seite der Rebellen schlagen, oder sich gegen diese stellen und damit ganz sicher auch sein Leben und die Aussicht auf eine bessere Zukunft, auf eine Zukunft mit Alwiana, aufgeben. Denn ganz bestimmt würde man ihn nicht am Leben lassen, wenn er Tantalius ein Nein zur Antwort gab. Er wurde dann zum Risikofaktor für die Rebellen.
Nun war es an dem Leuchtturmwächter, nachdenklich im Schankraum auf und ab zu schweben. Tantalius sass nun ganz ruhig da und liess ihm Zeit zum Überlegen. Das schätzte Hydrochias sehr. Immerhin war es auch sehr freundlich von dem Rebellenführer, dass er mit ihm erst das Gespräch gesucht hatte, er hätte ihn auch einfach töten können, doch scheinbar wollte er wirklich, möglichst wenig Tote. Der Leuchtturmwärter hatte auf einmal ein seltsames Gefühl der Zugehörigkeit. Er fühlte sich mit Tantalius verbunden, fühlte sich verbunden mit den Rebellen und dem ganzen, männlichen Geschlecht. Nun gut, er verriet, wenn er bei dieser Sache mitmachte die Frauen und damit auch in gewisser Weise seine Geliebte. Doch wenn die neuen Gesetze tatsächlich in Kraft traten, diente es ihrer Liebe nur, denn er war überzeugt, dass Alwiana ihn auch liebte, auch wenn sie das nicht zugab. Er musste es versuchen, denn er wusste, dass er es sonst für immer bereut hätte.
Ein Gedanke an die Göttin tauchte in seinem Bewusstsein auf. Natürlich würde er auch sie, in gewisser Weise, verraten…aber würde er das wirklich? Er konnte einfach nicht glauben, dass sie so herzlos war. Er konnte nicht glauben, dass sie so negativ zum männlichen Geschlecht stand. Sie waren doch gleichermassen durch sie geschaffen worden. Das harpische Volk war ihr Volk. Und er, wie alle anderen Männer, gehörten doch auch zu diesem Volk. Es war nur recht und billig, wenn alle Harpyer das gleiche Recht hatten. „Nun gut“, sprach er mit nun fester Stimme: „Ich werde euch helfen! Doch ihr müsste mir versprechen, dass ihr wirklich versucht, die Todesopfer gering zu halten. Auch die Sicherheit für Alwiana, sollte gewährleistet sein. Sie ist nämlich einer der Hauptgründe, warum ich das tue, nebst den wundervollen Aussichten auf eine bessere Welt natürlich.“ Tantalius lächelte: „Wir werden unser Bestes tun. Ich bin froh, dass du dich unserer Sache anschliesst.“ Er duzte ihn nun auf einmal. „Ein Versuch ist es sicher wert. Ich werde dich und deine Männer einfach als meine Hilfsarbeiter ausgeben. Da ich gerade so viel zu tun habe, musste ich mir Hilfe holen. Der Leuchtturm ist ja auch wirklich sehr sanierungsbedürftig, da gibt es so vieles auszubessern und zu reparieren, das würde ich sowieso nicht alles allein schaffen.“ Der Rebellenführer grinste nun und klopfte ihm auf die Schulter. „Dann also sind wir uns einig. Das Wasserschiff kommt ja schon sehr bald.“