Und mein Blick wandte sich gen Himmel. Dunkle Wolken verdeckten die Sonne und bildeten eine undurchdringliche Mauer. Ein Grummeln, wie das Brüllen eines Löwen, bahnte sich an und entlud sich über meinem Kopf. Als hätte man mit einer Stecknadel in einen Ballon gestochen, fing es plötzlich in Strömen an zu regnen. Die kalten Tropfen hatten mich schon nach wenigen Minuten vollkommen durchnässt. Ich sah sie wie in Zeitlupe fallen, Kristallregen, der bei der Kollision mit dem Boden zerplatzte.
K A I
Seine Mutter hatte ihn Kai genannt. Ein Name, an dem man nicht erkannte, dass er ein Muslim war. Ein Flüchtling, ein Einwanderer. Wobei dies ja eigentlich nur auf seine Eltern zutraf. Kai selbst war in Deutschland geboren und hatte eigentlich auch nicht vor, in den nächsten Zehn Jahren wieder in sein Heimatland zurückzukehren. Warum auch? Es ging seiner Familie hier verhältnismäßig ziemlich gut, im Gegensatz zu den Flüchtlingen, die zu Massen in den Flüchtlingsheimen lebten. Nachdem Kai einen Blick auf die Uhr geworfen hatte und zu seinem Missfallen festgestellt hatte, dass es (Mal wieder) viel zu spät war, schnappte er sich einen Apfel aus der Küche und verließ das Mehrfamilienhaus im Laufschritt. Sein Bus würde die Haltestelle in genau zwei Minuten erreichen, vorausgesetzt er würde endlich einmal pünktlich sein. Kai überquerte einen Zebra-Streifen und sah den Bus aus dem Augenwinkel die Straße entlang fahren. Die Bushaltestelle war noch ungefähr 50 Meter von seinem aktuellen Standort entfernt und wenn der Bus in diesem Tempo weiterfahren würde, sah Kai keine Chance diesen noch zu erwischen. Also begann er sein Tempo zu einem Sprint zu steigern. Trotz der Tatsache, dass er nicht besonders gut in Sport war, konnte er die Stufe in den Bus in letzter Sekunde noch erklimmen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der Busfahrer ihn gesehen und auf ihn gewartet hatte. Völlig außer Atem ließ der Jugendliche sich in einen Sitz fallen und trank einen Schluck aus seiner Flasche. Warum musste der vermaledeite Bus auch ausgerechnet heute pünktlich kommen? Normalerweise musste Kai noch mindestens fünf Minuten in der morgigen Kälte warten. »Yo Man, was geht?«, wurde er sofort von seinem Kumpel Mohamed begrüßt. »Alles klar.«, grinste er lässig und schlug in die ausgestreckte Hand, die der Syrer ihm hinhielt, ein.
Spätestens als seine grässliche Deutschlehrerin Frau Meyer-Berger (allein schon dieser bescheuerte Doppelname war ein Albtraum. Warum wollte sich diese Frau bitte nicht einfach Berger nennen? Nach ihrem Mann? Wahrscheinlich war sie eine dieser Möchtegern-Feministen, die eigentlich die Absicht hatten, dass Frauen die Welt regierten) ihn in der ersten Stunde, in der er eigentlich Physik haben sollte, begrüßte wusste er, dass dies ein schrecklicher Tag sein würde. »Da Herr Schmidt euch bedauerlicherweise kein Vertretungsmaterial zur Verfügung gestellt hat, werden wir nun Deutsch machen. Schlagt doch bitte Seite 137 auf.«, sagte sie mit einem gekünstelten Lächeln. Schon nach wenigen Sätzen über die metaphorische Verwendung von Vergleichen in Gedichten, schaltete Kais Gehirn ab und er wandte sich an seinen Tischnachbarn Adam. »Oh man, wie beschissen, warum müssen wir ausgerechnet MB in Vertretung haben?«, seufzte er leise. MB oder auch Megabyte war der Name, den die Schüler der Lehrerin gegeben hatten, nach den Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen und ihrem Körperumfang. Adam nickte und antwortete leise: »Wir müssen die doch heute eh noch eine Doppelstunde ertragen.« Kai stöhnte auf, bei dem Gedanken auf eine Doppelstunde Deutsch und versuchte sich nach einer Ermahnung von ›MB‹ wieder auf den Unterricht zu konzentrieren.
Nachdem das Klingeln der Schulglocke ihn endlich von seinem Leiden erlöst hatte, gesellte er sich zu seinen Freunden auf die Tischtennisplatte und beobachtete die Masse der Schüler, die aus dem Gebäude strömten. Die Menge bewegte sich wie ein einziges Wesen, das sich ungleichmäßig durch die Gänge der Gesamtschule schlängelte. »Hey, Kai.«, wurden seine Gedankengänge von Mohamed unterbrochen. »Was hast du eigentlich so für Kurse gewählt?« Kai verglich seine Wahlen mit denen seines besten Freundes. »Man, warum hast du nicht Spanisch gewählt?«, beschwerte Mohamed sich.
»Bin besser in Naturwissenschaften.«, erwiderte Kai schulterzuckend. »Aber warum zum Teufel hast du Erdkunde als bilinguales Fach gewählt?«
»Bin halt besser in Sprachen.«, grinste der Syrer frech.
Genervt verdrehte Kai die Augen, musste aber dann auch lachen.
J U L I A N
»
Julian war in vielerlei Hinsicht ein normaler Junge. Er lebte mit seinen Eltern und seiner Schwester in einem Einfamilienhaus am Stadtrand und kam nun in die elfte Klasse einer Gesamtschule in der Nähe des Wohnviertels. Sein Zeugnisdurchschnitt war 2,3 was für ihn gut genug war. Julian liebte Indie Musik, aber das wusste niemand. Es war ihm peinlich. Deswegen behauptete er vor Freunden, dass er ein großer Fan von Elektromusik war, obwohl er diese eigentlich kaum mochte.
Julian war in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Junge. Er tanzte für sein Leben gern, aber traute sich nicht, das jemandem zu sagen. Seine Lieblingstiere waren Flamingos, er wusste aber nicht genau warum. Julians gehüteter und gehasster Zweitname war Kim und er liebte Fritzchen-Witze.«
Die Feder schwebte für einen kurzen Moment über den Papier, ehe sie sich wieder darauflegte und in einer sanften, filigranen Schrift schrieb:
»Außerdem war er anders. Er wollte sich nicht in die gesichtslose Menge fügen, sah sich aber gezwungen, das zu tun.«
Geräusche waren auf der Treppe zu hören und in Julian schlug eilig das kleine schwarze Notizbuch zu. Niemand sollte je lesen, was darin stand. »Verdammt, Juli was machst du die ganze Zeit?«, fauchte seine Schwester Maike ihn an. Er zuckte die Schultern. »Es gibt Abendessen, Mam hat schon dreimal gerufen.«
Es gab Fischfilet und Kartoffeln, aber Julian hatte nicht wirklich Hunger. Abwesend betrachtete er die Zeiger der Uhr, die die Zeit anschoben und stellte sich vor, dass drei kleine Männchen darin in einem Laufrad rennen mussten, um die Zeit voran zu treiben. Das Sekundenmännchen war am schnellsten und das Stundenmännchen war das faulste. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und er schob sich gedankenverloren eine Gabel Kartoffeln in den Mund. »Oh Gott, Mam, was hast du bitte da rein getan?«, fluchte Maike und schob den Teller in einer ruckartigen Bewegung von sich. »Butter und Salz.«, verteidigte Grace sich. »Zu viel Salz!«
Die Worte echoten in Julians Kopf und er begann, sich aus dem Streit zurückzuziehen. Wie so oft. Seine Mutter und seine Schwester verstanden sich nicht sonderlich gut und sein Vater arbeitete den ganzen Tag. Julian saß irgendwo dazwischen und wusste nicht genau, was er mit sich anfangen sollte. Meistens vergrub er sich in der Musik, schloss seine Tür ab und tanzte. Die Augen geschlossen, wog er sich zur Musik, Mal schnell, Mal langsam. Das war seine Leidenschaft.
A N M E R K U N G
Dies ist einfach eine kurze Vorschau, in der man etwas über die beiden Hauptpersonen erfährt. Kai ist ein wenig verschlossener, er vertraut niemandem seine Probleme an, deswegen findet man in seinem Teil eher Handlung. Julian ist sehr still und hat wie man am Anfang erfahren hat, ein Tagebuch, das alle seine Probleme in sich hineinfrisst.
Die Vorschau soll einfach eine bessere Verbindung zu den Hauptpersonen ermöglichen, gehört aber inhaltlich nicht zu dem Buch dazu.
Und nun viel Spaß
Catan