Ich hatte Sport schon immer gehasst. Aber am allermeisten hasste ich Fußball. Ich verstand den Sinn nicht, einem Ball hinterherzurennen um ihn in ein Tor zu schießen. Aus diesem Grund stand ich nun unmotiviert auf dem Fußballfeld unserer Schule und blickte auf die hektischen Ballwechsel, die im vorderen Teil des Spielfeldes ausgeführt wurden. Meine Augen verfolgten Kai, der in der Mitte spielte und gerade den Ball an einen grimmig blickende Stürmer abgab. Doch statt mit dem Ball mitzuwandern, blieben meine Augen an Kai hängen. Er joggte gemächlich nach vorne und bekam den Ball zurückgepasst. Mit federleichten Bewegungen dirigierte er den Ball dann um seine Gegner herum und donnerte die Kugel dann mit brutaler Kraft in den Kasten. Vereinzelte Jubelrufe und Klatschen war die Reaktion meiner Mannschaft. Ich blickte hinüber zu Mike, der Spieler in der gegnerischen Mannschaft war und sah, dass er hektisch auf den Torwart einredete. »Hey, Ju!«, wurde ich von einem unserer Spieler, Jack angesprochen. Kaum hatte ich mich umgedreht, kam der Ball auf mich zugeschossen. Verzweifelt versuchte ich ihn mit meinem Fuß zu stoppen, was den Ball abprallen und fünf Meter weiter Mike direkt vor die Füße zu rollen. Dieser grinste nur und dribbelte geschickt um Jack herum. Da kam Kai mit einem unglaublichen Tempo an mir vorbeigeschossen und begann, Mike zu umschwirren wie eine Motte das Licht. Dadurch verunsichert, konnte Mike sich nicht mehr auf den Ball konzentrieren und war ihn im nächsten Moment los.
»Du scheinst Sport nicht besonders zu mögen.«, sprach Kai mich nach dem Spiel an. »Nein.«, seufzte ich und fügte in Gedanken ein Abgesehen von Tanzen hinzu. In der Umkleide roch es nach der teuflischen Mischung aus Schweiß und Deo und ich versuchte, so wenig wie möglich zu atmen. Hastig drehte ich mich um und versuchte, so schnell wie möglich das T-Shirt zu wechseln. Ich hasste jene Situation, wollte nicht, dass die anderen Jungs mich halbnackt sahen. Nachdem ich so schnell wie möglich meine Klamotten gewechselt hatte, packte ich meine Sachen zusammen und wollte gehen, wurde aber von Kai aufgehalten. »Warum bist du schon fertig?«, fragte er erstaunt, während er sein T-Shirt auf den Boden schmiss. Ich ließ meinen Blick über seinen nackten Oberkörper schweifen und sog scharf die Luft ein. Warum sah er nur so gut aus, wie er da vor mir stand, ohne Shirt und mit einer engen schwarzen Jeans. »Ju?«
»Ich...muss los.«, stammelte ich schnell und riss mich von dem göttlichen Anblick seines Körpers los.
Verdammte Scheiße. Wieso musste so etwas immer mir passieren? Es gab einen Grund, warum ich die Jungsumkleiden mied und dieser war soeben eingetreten. Wütend schmiss ich meine Tasche auf den Tisch und ließ mich auf meinen Platz fallen. Als Kai sich neben mich setzte, ignorierte ich ihn so gut es eben ging und begann auf meinem Block herumzukritzeln. »Was ist los, man? Bist du etwa eifersüchtig?«, sprach Kai mich auf den Vorfall an. Er dachte also, dass mein Starren aufgrund von Eifersucht war. Ich wusste, dass es nicht so war. Ich kannte auch den eigentlichen Grund, konnte ihn aber noch nicht aussprechen.
»Nein.«, antwortete ich schließlich entschlossen auf Kais Frage, mein Gesicht fühlte sich heiß an und ich war mir sicher, dass es die Farbe einer reifen Tomate angenommen hatte. Kai nickte, aber sah nicht sonderlich überzeugt aus. »Was hast du jetzt?« fragte ich, um das Thema zu wechseln. »Chemie.«, war seine Antwort. »und du?« Ich seufzte und hielt ihm meinen Stundenplan hin. Ein enttäuschter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. »Französich. Schade, man dann haben wir heute keine Kurse mehr zusammen.«
Der Gong zerriss unser Gespräch, als wäre es ein Blatt Papier. »Muss los.«, sagte ich und verließ den Raum ohne Kai noch eines Blickes zur würdigen.
Französisch war eines dieser Fächer in denen Mike übernatürlich gut war. Die Stunden, die ich bei unserer Französischlehrerin absitzen musste, waren endlos und zogen meine Augenlieder wie automatisch nach unten. »Ju, Gruppenarbeit.«, flötete Mike gut gelaunt und ich hob meinen Kopf, der auf der Tischplatte geruht hatte und sah ihn aus müden Augen an. »Hm?«, brummte ich schlecht gelaunt. »Hast du etwa geschlafen?«, rief Mike entsetzt. »Shht!«, zischte ich augenblicklich und warf unserer Französischlehrerin einen ängstlichen Blick zu. Gott sei Dank, sie hatte es nicht gehört. »Ja habe ich. Du bist der einzige, den dieser Unterricht interessiert.«, schnaubte ich, legte meinen Kopf wieder auf den Tisch und schloss die Augen. Ich war schon dabei, abzudriften, als Mike mich erneut an der Schulter rüttelte. »Maan ich hab keinen Bock die ganze Arbeit alleine zu machen.«, quengelte er und ich seufzte. »Wirst du aber.« Mike wusste das genauso gut wie ich. Ich würde die ganze Zeit faulenzen und er würde die Aufgabenstellung erledigen. So war das in Französisch nunmal. Es war wie eine geheime Abmachung zwischen uns. »Und jetzt lass mich schlafen.« Ich hatte eh schon viel zu viel Zeit heute mit reden vergeudet. Ich spürte Mike förmlich den Kopf schütteln, aber wusste, dass er nun mit den Aufgaben anfangen würde.
Endlich war diese Französischstunde vorbei. Letztendlich hatte sie sich trotz des Schlafes noch gezogen, wie ein altes klebriges Kaugummi unter den Tischen im Chemieraum. »Wir sehen uns morgen.«, verabschiedete ich mich von Mike und setzte meine Kopfhörer auf. Endlich. Musik. Mit leicht wippenden Schultern ging ich zur Bushaltestelle, nur um festzustellen, dass ich den Bus gerade verpasst hatte. Frustriert ließ ich mich auf eine Bank fallen. Dieser Tag war der schlimmste seit langem. Den Kopf auf den Knien saß ich dort, zusammengekauert und ignorierte die Außenwelt komplett. Ich wollte einfach tief in meiner Welt aus Tönen und Akkorden versinken und nie wieder auftauchen. Die Musik war wie ein endlos tiefer See, auf dessen Grund ich tauchen wollte, aber es aus Luftmangel nie schaffte. Doch ich versuchte es immer wieder.
Plötzlich riss mir jemand die Kopfhörer vom Kopf. Ich schnellte blitzschnell nach oben, nach Luft schnappend, um dem, der dies gewagt hatte ordentlich eine zu verpassen. Doch ich ließ meine Hände, die bereit waren, in das Gesicht meines Gegenübers zu schlagen, sinken. Es war Kai. »Alles okay?«, fragte er, ein besorgter Ausdruck hatte sich in seinem Gesicht ausgebreitet. Noch immer ein wenig zornig und und auch ein wenig panisch tastete ich nach meinen Kopfhörern und krampfte meine Hände erleichtert um sie, kaum, dass ich sie gefunden hatte. »W-was willst du?«, stotterte ich. »Naja« Er kratzte sich verlegen am Nacken. »du saßt da so zusammengekauert...ich hab mir Sorgen gemacht, dass dir vielleicht etwas passiert ist.« Ich wurde rot. »Ich habe nur Musik gehört.«, sage ich leise. »Ja...das habe ich gesehen.«, grinste er und ich wurde noch röter als ohnehin schon. »Was hörst du denn?«, fragte er dann neugierig. Mein Gesicht wurde heiß und ich fragte mich, ob die Situation noch peinlicher werden konnte. Doch dann nahm Kai sich einfach meine Kopfhörer und setzte sie auf. »H-hey!«, protestierte ich, doch er ignorierte mich und hörte mit geschlossenen Augen der Musik zu. Ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen auf und er wog sich leicht im Takt der Musik. »Wie heißt das Lied?«, fragte er. »Empiphany«, erwiderte ich. Mein Gesicht hatte mittlerweile wieder eine normale Farbe angenommen und ich nahm ihm meine Kopfhörer wieder ab. »Warte, wir können meine benutzen, dann können wir zusammen hören.«, sagte er und zeigte auf seine Ohrstöpsel. Ich nickte und packte meine wieder ein. Er gab mir die eine Seite und seine warmen Finger berührten kurz meine. Der Hauch einer Röte erschien erneut auf meinen Wangen und ich steckte den Ohrstöpsel schnell in mein Ohr ohne Kai in die Augen zu schauen.