Um es vorweg zu nehmen,
mein Grundschulalter war so lala.
Irgendwas musste ich ja machen nachdem Onkel Erdbeer mich aus seinen Fittichen entließ. Einige meiner ersten Schulkameraden kannte ich ja schon aus dem Kindergarten und wo die Schule war hatte mir mein großer Bruder gezeigt, den es zwei Jahre früher erwischte.
Eines der lustigen und wirklich unverständlichen Sachen geschah mit meiner Lehrerin. Ich hatte diese in den ersten vier Jahren in, so glaube ich, allen Unterrichtsfächern. Genauso lange brauchte sie, um sich selbst Techniken anzutrainieren, mich von meinem Zwilling zu unterscheiden. Ich weiß das Leben kann hart sein und weil wir halt Zwillinge waren, hatte sie auch das Recht uns zu verwechsel. Auch wenn es niemand andern in unserem Umfeld gab, der das tat. Zwischen uns beschränkten sich die Gemeinsamkeiten im Prinzip auch auf unseren Nachnamen. Er war deutlich größer, die Haare deutlich dunkler, er war nicht so spack wie ich und sein Naturell unterschied sich auch deutlich von meinem. Wir gewöhnten uns allseits an diesen scheinbar naturgegebenen Fakt der Verwechslung. In den Nachmittagsstunden gingen wir in den Hort oder besser gesagt, der Hort kam zu uns. Denn das was sich änderte war nicht der Ort oder die Form der Betreuung, es war die Person. Eine Frau, nahe der Rentengrenze, herzensgut und umsichtig, die immer da war, wenn man sie brauchte und nicht da war, wenn man es wollte. Wir wussten immer wo sie war aber wir konnten auf dem Schulhof prima vor ihr abtauchen, in Luft auflösen, dünne machen. Hauptsache zum durchzählen alle Stunde tauchte man wieder auf. Also eher der Omatyp. Nach dem normalerweise klar hierarchisch geordneten Vormittag, eine willkommene Abwechslung des Alltags. Einige löchrige Hosen, aufgeschlagene Knie einmal einen abgebrochenen Zahn und diverse Kratzer und blau Flecke holten wir uns beim Bolzen auf dem betonierten Fußballplatz auf dem Schulhof! Ansonsten verlief die Zeit schmerzfrei. Die Anforderungen der Schule erfüllte ich ungefähr mit dreiviertel meines Potenzials, reichte aber immer noch für ein mittelgutes Zeugnis.
Falls mal eine Krankheit, was bei vier Kindern wie ein Staffelstab weiter gereicht wurde, aufkam und ich schulunfähig aber nicht bettlägerig war, wurde ich kurzer Hand mit zur Arbeit meiner Eltern genommen. Beim Vater, im Rechenzentrum der Wasserversorgung, konnte ich mir dann mit langspielplattengroßen Rollen aus Lochstreifen und codierten Karteikarten die Zeit vertreiben. Was es da zu rechnen gab, blieb nebulös, vergrämte mir aber in keiner Weise den Krankentag. Ein bisschen Geheimagent oder Privatdetektiv ging immer. Bei Mama, Planungsabteilung eines Baukombinats, gab es Zeichenbretter, Papier in unvorstellbar großen Formaten und jede Menge Stifte aller Art, sowie Büromittel in allen nur erdenklichen Farben und Formen. Die Tage schwanden beim malen, zeichnen, krickeln und krakeln im nu vorbei. Schade eigentlich, dass ich eine grundsolide und gesunde Konstitution aufwies und so solche Tage Raritäten blieben.
An jedem zweiten Sonntag ging es um 8.00 Uhr mit dem Linienbus zur Vorortsfeuerwehr. Eine Lehrerin unserer Schule, war die Frau vom Chef der dortigen Freiwilligen Feuerwehr. Also, scheinbar war es auch in der DDR wichtig, die Frau von …, zu sein!
Diese bot eine Arbeitsgemeinschaft an, welche offiziell „Freiwillige Brandschutzhelfer“ hieß aber auch unter dem Namen, „Betreutes Kokeln“ geführt werden konnte. Neben den Grundlagen im Umgang mit Feuer, erste Erfahrungen im Feuerwehrsport und richtiges verhalten bei Feuerwehrfesten, lernten wir alles das, was vom Holzeinschlag mitten im Wald übrig blieb, an Ort und Stelle thermisch so umzuformen, dass nur ein relativ kleines Häufchen Asche übrig blieb. Das ging nicht ohne Schrammen, Blasen, Brandlöcher in den Klamotten und vor Qualm tränenden Augen ab. Auf dem Rückweg in die Stadt, gab es regelmäßig Wetten, dass der Busfahrer die mit Dreck verschmierten und nach Feuer stinkenden kleine Monster nicht mitnehmen würde. Nachdem wir uns dann am Abend in der Waschmaschine ausgezogen und ein Vollbad genommen hatten, konnten alle Teilnehmer zufrieden als Könige der Flammen in ihre Träume sinken.
Ach da gab es ja noch andere organisierte Freizeitgestaltung. Meinen Sport. Da an der Schule nach den obligatorischen Unterrichtsstunden als einzig Sinnvolles nur das Klassische Ringen angeboten wurde, nahmen alle Jungen der Klasse (daher kommt der Name aber nicht) auch am Nachmittag am Mattenrand platz. Auch wenn das normal übliche Trikot eines Ringers, auch heute noch in jeder schmuddelichen Rotlichtrevue als Grundausstattung seine Verwendung finden könnte, schien das damals weder Trainer, Schüler, Eltern oder Lehrer zu stören. Nach und nach trennte sich die Spreu und es blieben nur noch die dabei, die entweder nichts anderes fanden, mindesten mäßig erfolgreich waren und nix gegen Raufen nach Regeln einzuwenden hatten. Bei mir traf alles zu. Da ich immer in den untersten Gewichtsklassen unterwegs war, kannte ich bald bezirksweit meine immer gleichen potenziellen Gegner mit Stärken und Schwächen. Meine Trainer verzweifelten an meinen muskulären Voraussetzungen, brieften mich aber mit allen legalen und halblegalen Tricks, um dieses Manko mehr als nur teilweise auszugleichen. Auf der Trainingsmatte riefen sie „Meister Klingeldraht“ zu mir und bezogen sich da wohl auf meine langen dünnen Strippen, welche mir von meinen Schultern hingen und eigentlich meine Arme sein sollten. Ich konnte sie von dem Umstand überzeugen, dass auch durch dünne Adern Strom fliest, manchmal zumindest.
Falls es dann nach Schule, Sport und Betreutes-Kokeln noch Zeit für etwas anderes gab, fanden sich auch noch diverse andere Tätigkeiten. Bolzen mit den Nachbarsjungen, Bude bauen im nahe gelegenen Russenwäldchen, Mama helfen in Haushalt und Garten, Ernte-“Helfer“ in den anderen Kleingärten, Pioniernachmittage, Altstoffsammlungen, alles nur nicht stundenlang lernen und Hausaufgaben machen. Alles im allen, war noch ´ne Menge Luft in alle Richtungen.