Endspurt
Neunte und zehnte Klasse in Marzahn. Was sich anhört, wie ein schlimmer Traum, war gar nicht so furchtbar. Denn eins war klar, nach der zehnten Klasse ist dann Schluss mit Schule.
Ich gehörte dann doch zu der Mehrheit der Schüler, die keine sehr guten schulischen Leistungen oder andere besondere Qualitäten (verwandtschaftliche Beziehungen zur Hierarchie in der DDR) hatten und somit qualifiziert waren zu der Gruppe der Auserwählten, die die Abiturplätze ergatterten.Vorzugsweise war man entweder eine von drei Mädels, die Lehrerinnen oder Frau Doktor werden wollten oder andererseits einer von zwei Buben mit der Verpflichtung, beruflich bei irgendeinem bewaffneten Organ der DDR zu dienen. Und ich wollte nicht mit Schulterstücken studieren. Deshalb und aus vielen anderen ungerechten Gründen war damit klar, akademische Weihen wird es für mich nicht geben. Darum lief die Schule wie sie lief, mäßig gut ohne auch nur mehr als das Nötigste zu tun. Selbst mit lauter Einsen, hätte ich ja "nur" meinen Platz im Arbeitsleben, im sozialistischem Blaumann gefunden. Meine Berufswahl war aus heutiger Sicht, ein für mich nicht unglückliches Lottospiel. Irgendwas handwerkliches mit Baustellenhintergrund stand zur Wahl und irgendwie fällt der 15jägrige eine mehr oder weniger richtige Entscheidung. Ich will nicht meckern und das hat auch nichts mit dem System zu tun, aber woher soll man mit 15 wissen, was man die nächsten ca. 40 Jahre machen möchte. So wie ich, wissen jetzt die meisten Leser die auch mal 15 Jahre alt waren, was die meisten 15jährigen machen wollen und das ausschließlich rund um die Uhr und möglichst 40 Jahre lang! Die meisten dieser Heranwachsenden, verwechseln Beruf mit Berufung oder Wunsch mit Realität! Aber das Gott sei Dank, sind nicht alle beratungsresistent und sehen dann mehr oder weniger schnell ein, dass das erwachsen werden nicht immer nur sexy sein kann. Einige 15 jährige sind zudem auch nicht von Natur aus für alles sonderlich talentiert, sind irgendwelche Computernerds, Sportskanonen, Revoluzzer, Punks, Penner, Glatzen, Depesche Mode Fans, Mauerblümchen, oder Spätzünder. Sie sind unsicher und wollen oder können sich nicht festlegen, so doll sie auch gedrängt werden. Sie müssen sich ausprobieren auch und grade mit der Chance auf Scheitern. Jugend forscht, in alle Richtungen und das ist gut so! Das ganze Leben wird wohl immer Lotto bleiben. Ich könnte heute sagen, da mir der akademische Weg nach oben verwehrt war, habe ich den physischen Weg nach oben gewählt. Stimmt zwar, ist jedoch Zufall und von mir nicht planmäßig betrieben worden. Bewerbung als Dachdecker. Vorausgesetzt die zehnte Klasse wird geschafft. Meine beiden letzten Schuljahre waren ziemlich ok. Ich hatte ein lockeres Mundwerk und so wurde ich zufällig in der Mitte des Klassenzimmers sitzend, schnell in alle Diskussionen während des Unterrichts zwischen Schülern und Lehrern und zwischen den Schülern, welche nicht immer mit dem Stoff der Unterrichtsstunde zu tun hatte, einbezogen. Die Lehrer bauten mir Brücken wo sie nur konnten, um meine ausgeprägten Schwächen nicht kollabieren zu lassen. Sie wollten wohl so kurz vor Schulende kein neuen Problemfall in der Klasse haben. Ich revanchierte mich indem ich sie nicht mit meinen ausgeprägten Stärken übergebühr nervte. Alles war im Fluss, mittelmäßiger Zweierkurs, bis auf die Französischsituation. Da war alles beim Alten und ich bekam den einen oder anderen Verspätungseintrag, weil ich es nicht schaffte von der Schule in der der Unterricht in der Nullten Stunde stattfand, innerhalb von fünf Minuten, Simsalabim, 2 Kilometer in mein Klassenzimmer der ersten Stunde (Staatsbürgerkunde) zu hetzen. Da der Klügere nachgab, verzichtete ich öfter auf die nullte Stunde und erfüllte pünktlich meine staatsbürgerlichen Pflichten mit der Teilnahme am Unterricht. Trotz diverser mir gänzlich unverständlicher Fehlstunden, bekam ich in Französisch auf meinem Abschlusszeugnis dann eine fast geschmeichelte vier. Meine einzige und wenn auch nur knapp schlechter als russisch im übrigen.
In der vormilitärischen Ausbildung die für alle obligatorisch war, wurde uns mitgeteilt wie wir die Betten zu „bauen „hatten, Schuhe richtig geputzt wurden, wie junge Nachwuchssoldaten ordentlich marschieren, in welcher Zeit über ein militärischen Parkour(Sturmbahn) zu flitzen ist und wie man sich wenn irgendwas nicht geklappt hat, vor versammelter Mannschaft anschreien lassen muss und kleinlaut irgendwelche Strafarbeiten auszuführen hatte. Sofort stellte sich mir wieder meine verhängnisvolle Sinnfrage ( W A R U M ?) Da ich trotz mehrstündigen Überlegungen, zu keiner für mich befriedigenden Antwort kam, fand ich einen Ausweg aus dieser wirklich abschreckenden Erfahrung. So wurde ich aus Krankheitsgründen nach Hause geschickt, was mir natürlich sehr weh tat. Die Erfahrung mit dem Uniformwesen war für mich so sehr nachhaltig, dass ich beschloss nicht zur Armee zu gehen.
Es brach die Mopedzeit an. Georg überall. Baden fahren an den Kaula. Eisessen, wann immer die Sonne schien. Bei Kumpels die brandneue Billy Idol Platte rauf und runter hören, erste Gartenpartys bei Leuten deren Eltern im Urlaub waren, Frühpubertärer Quatsch rund um die Uhr. Nach den Prüfungen, der längste Sommer überhaupt. Alle waren froh, das sie die eine Etappe auf dem Weg zur Menschwerdung mehr oder minder erfolgreich überstanden haben. Jeder lebte nur diesen Moment. Keiner dachte daran was da kommen mag. Es war komplett unwichtig, mit welcher Durchschnittsnote die Prüfungen bewältigt wurden. Die Ausbildung folgte nach dem Sommer, so oder so! Von Ostsee bis Erzgebirge war nix und niemand vor uns sicher. Das Wort – unbeschwert - trifft wohl das Gefühl am besten.