Ausbildung
Anfang September war es dann soweit. Ausbildungsbeginn in Frankfurt/Oder. Zurück in die Stadt meiner Kindheit. Merkwürdig vertraut und trotzdem nicht zu Hause. Genächtigt wird nun im Lehrlingswohnheim, wobei nur der erste und der letzte Wortteil zutrafen. In einem Fünfmännchenzimmer sollten sich die zukünftigen heldenhaften Bauschaffenden der DDR auf das Arbeitsleben vorbereiten. Über den Zustand der gemeinschaftlich zu nutzenden Sanitäranlagen, verliere ich kein Wort. Naja, vieles blieb den persönlichen Vorlieben der Gleichaltrigen überlassen. Die meisten anderen Jungs waren Landeier. Ganz ok, soweit das für Landeier eine signifikante Beschreibung ist. In der ersten Unterrichtsstunde an der Berufsschule wurden wir willkommen geheißen und nach diesem und nach jenem gefragt. Unter anderem wurde jeder nach seiner schulischen Vorbildung, nach der persönlichen Motivation und nach seinen Zielen gefragt. Nun, ich möchte hier keinem zu nahe treten, aber ich hatte nach der Stunde den Verdacht, dass meine Lehrstelle eine Leerstelle sein wird. Es war auch von einer Reise für den Besten die Rede und über den Namen dieses Lehrlings, konnte es nach der ersten Unterrichtsstunde keine zwei Meinungen mehr geben. Nach der ersten Woche war ich sicher, dass meine Annahme über die Wertigkeit der nächsten zwei Jahre, gar nicht so daneben gelegen hatte. Denn in der Zwischenzeit hatte ich das Niveau der theoretischen Ausbildung und den Lehrkörper der praktischen Ausbildung kennen gelernt. Unseren Fachunterricht verantwortete eine gefühlt einmetersechzig große Frau in meist weißem Kittel. Probleme sich bei den doch meist überdurchschnittlich lernunwilligen oder teilweise unfähigen Probanden Gehör zu verschaffen, hatte sie nicht. Autorität hängt weder von Geschlecht, noch von körperlichen Gegebenheiten ab. Das war das erste, was ich wirklich in der Berufsschule gelernt hatte. Von dieser Person hätten sich einige dort Arbeitende, eine dicke Scheibe abschneiden sollen.
Das problematischste Unterrichtsfach, dass am ehestens mit Mathe zu beschreiben war, gestaltete sich als grober Unfug. Wohl gemerkt, es sollten größtenteils Flächeninhalte, Volumen und Gewichte berechnet und umgewandelt werden. Es war wahrscheinlich für viele auch deshalb so schwierig, weil es Stoff der siebenten Klasse war und das ja nun schon über drei Jahre zurück lag. Es gab meisten zwei Arbeitsgruppen. Eine um den Lehrertisch und eine um meinen Sitzplatz. Die größte Kunst für mich bestand darin, die Aufgaben die uns gestellt wurden, nicht allein schnell und richtig zu lösen. Ich musste lernen, diese von denen die um mich herum saßen lösen zu lassen. Dabei musste ich aufpassen, dass das Ziel nicht aus den Augen verloren wurde und nicht all zu „kreative“ Lösungsansätze zum tragen kamen sowie ein jeder zum Schluss die gesamte Rechnung im Hefter stehen hatte. Die Frau Weißkittel gab das Tempo vor und ich gab mein Bestes, sie nicht mit Frau Kollegin an zureden.
Abseits vom Matheähnlichem gab es auch andere prägende Dinge. So wurde ich von meinem Lehrfacharbeiter zum „ Nach Feierabend Arbeiten“ mit genommen. Es war immer noch September und von fachlicher Kompetenz war selbst bei mir noch wirklich nicht die Rede. Das da so etwas möglich war, wusste jeder in der DDR, aber das das so schnell geht, hat mich schon überrascht. Und dann war es auch noch pseudooffiziell. Wir sollten Löcher in der Abdichtung eines Hauses schließen, in dem sich die Planungsabteilung meines Lehrbetriebes befand. Das war dann doch zu viel für meinen Kopf. Eine Kapitulation des Systems. Ein Baubetrieb schafft es nicht in der offiziellen Arbeitszeit, seine eigenen Gebäude zu erhalten. Spätestens jetzt wusste ich, dass das mit diesem Land nicht mehr lange gehen wird. Es war mir nach kurzer Gänsehaut völlig egal und ich nahm Arbeit und das für einen dreiwöchigen Lehrling anständige Geld entgegen.
Auf meinem durch normale Schulleistungen „verdienten“ Urlaub in Bulgarien fühlte ich mich auch sehr wohl . Wir, je ein Lehrling aus einem anderen Beruf, wurden eine Woche über die Baustellen des Partnerbetriebes in Bulgarien geschickt. Ich bin ganz froh dass ich nicht dort leben und arbeiten musste. Waren doch einige Arbeitstechnologien in der Heimat schon fragwürdig, so mutete die Arbeitsweise in Bulgarien schon manchmal mittelalterlich an. In der zweiten Woche fuhren wir dann erst durch das Land und dann zu den touristischen Hotspots an der Schwarzmeerküste. Mit Sonnenbrand, Durchfall und vom Salzwasser ausgebleichten Haaren flogen die Teilnehmer der Reisegruppe erholt und um viele Eindrücke bereichert zurück in geliebte Heimat.
Im Wohnheim erlebte ich alles was man erleben kann, wenn man halbwüchsige gelangweilte Männchen zusammen pfercht. Einiges war lustig, manches stumpfsinnig traurig, vieles sehr ekelig, alles aushaltbar aber das meiste war verzichtbar. Ich hatte ja den Luxus, erstens mich in der Stadt auszukennen, zweitens mit einem Moped mobil zu sein und drittens für anstehende nicht mehr länger aufschiebbare Toilettengänge 25 Kilometer in den elterlichen Sommersitz fahren zu können. So konnte ich vielen ernsthaften Problemen, Schwachsinnigkeiten und Langeweile ausweichen. Im zweiten Lahr der Ausbildung tingelte ich durch den gesamten Bezirk Frankfurt / Oder. Insgesamt war es keine schlechte Ausbildung. Man konnte Input bekommen, wenn man nur wollte. In der Berufsschule war es dann das erste mal, dass nicht alle Nieten mitgezogen wurden. Ich meine mich zu erinnern, dass zwei von 26 Lehrlingen, durch die Theoretischen Prüfungen flogen, weiß der Henker wie das geschafft haben. Nur die Spitzenförderung hat nicht stattgefunden. Egal ob mit 1,0 oder 4,3 bestanden wurde, jeder hat als Jungfacharbeiter einen Job bekommen und sehr ähnlich viel verdient. Motivation zu Höchstleistungen????Fehlanzeige!!!!!