Veränderung. Ein Glück, aber bei einem Leben als Elternteil ist das doch sowieso nicht anders möglich, lernte ich in den nächsten Jahren. Irgendwas ist immer. Mal ist beruflich viel los und der Kleine hat Fieber, mal ist alles super entspannt.
Die Sanierungswelle, die das ganze Wohngebiet seit Jahren fest im Griff hat, schwappt mit Vorläufern auch über unser Haus. Zwei mal in drei Jahren verkauft, spekulativer Leerstand in manchen Wohnungen, angefangene unkoordinierte Umbauten mit Müllbergen im Hof und zunehmender Verwahrlosung. Da diese Masche bekannt war, wir über ein zweite Hüpferlein nachdachten(natürlich nur nachdachten) und ich zunehmend der Meinung war, dass ich nach einem hartem Arbeitstag nicht mehr als erste Handlung in den Keller zum Kohlen hohlen gehen wollte (im 21. Jahrhundert wohlgemerkt), war es nun wirklich wiedermal Zeit für neue, diesmal wirklich eigenen vier Wände!
Auf der Suche nach interessanten Angeboten, stieß ich ungefähr nach einer viertel Stunde auf eine Vierzimmerwohnung in Pankow. Preislich akzeptabel, vereinbarte ich einen Besichtigungstermin per Telefon. Bei diesem Termin war irgendwie schnell klar, dass die bisherigen Eigentümer diese nur an uns verkaufen werden. Sie waren sehr froh, dass ich ein wahrer Interessent war und kein Makler oder Spekulant. Ihre Anzeige war zwei Tage Online und ich war der erste Anrufer der auch zur Besichtigung kam. Ich schrie laut „BINGO“ in mich rein. Die Formalitäten gingen dann schnell und so zogen wir noch vor der Abschaffung der Eigenheimzulage nach Pankow. Der Buby erhielt ein Zimmer und das zweite Kinderzimmer wurde zum provisorischem Arbeitszimmer. Ein Wechsel in eine wohnortnahe KITA wurde vollzogen und wir lebten uns in Thule ein. Ein knappes Jahr nach Einzug, kam dann das Brüderchen und der Windelwahnsinn begann von vorn. Einschulung vom Großen, Kitabegin vom Kleinen und der Kampf gegen den Gebührenwettlauf hatte begonnen.
Die kleinen und großen Sorgen mit dem Nachwuchs verdoppelten sich, aber auch die Freuden. Die Weihnachtsfeste kamen und gingen, die Kalender wechselten ab, die Kinderklamotten wurden ausgetauscht und weitergegeben. Ich nannte das immer Tütenparty, weil kein sonntägliches Kaffeetrinken bei Freunden ohne die Weitergabe ganzer Schrankinhalte perfekt war.
Leider sind Kinderschuhe nie mit dabei gewesen. Die musste man immer selber kaufen. Eine wahre Hasstätigkeit von mir. Ich habe nie gelernt, wie man dem zweieinvierteljährigen mit Spaß das siebente Paar Schuhe anziehen soll ohne das er auf den blöden Fernseher starrt in dem die Teletabbies oder was weiß ich für Zeug zu sehen ist. Und wenn man fragt ob die Schuhe drücken oder schlackern, erhält man höchstens die Antwort, dass sie doof aussehen oder die falsche Farbe haben, Schnürsenkel oder Reißverschlüsse überhaupt gar nicht gehen. Wenn man sich dann durchgerungen hat, ein Paar, auch gegen den erklärten Willen des Nachwuchses, zu kaufen von denen man überzeugt ist, dass sie dem Kind nicht schaden, bekommt man spätestens an der Kasse Schnappatmung. In meinem nächsten Leben werde ich auch Kinderschuhproduzent, das schwöre ich!
Sport für Kleinkinder gibt es viel, es soll ja soooo wichtig sein, hört und liest man überall. Nur findet es zum Beispiel Donnerstag von zwei bis vier im Gewerbegebiet an der Umgehungsstraße statt. Ich möchte mal wissen, wie die Zielgruppe dorthin kommen soll. Viele Angebote sind völlig überlaufen oder kosten für zwei Stunden 90 Euro. Nein Danke! Wir suchten dann Eltern-Kind-Judo raus. Das war Samstagvormittag und der Beitrag war sehr moderat. Gymnastikkuscheln hätten die Mattenübungen auch heißen können. Die Kids wurden zum rumkugeln, hüpfen und strampeln angeleitet. Die Strecke fuhr ich gern mit dem Kleinen, jeder auf seinem Fahrrad. Ja ich fuhr sie gern, der Kleine…, dass er nicht aufgrund fehlender Geschwindigkeit zu einer Seite umkippte ist mir heute noch unerklärlich. Für viele Kinder war das der Beginn einer Mitgliedschaft in einem Judoverein. Da ja Männer auch nur große Kinder sind, so auch für mich. Denn es gab ja auch ein Angebot für Erwachsene Einsteiger. Welch Wahnsinn, was Hänschen nicht lernt…! Aber es war den Versuch locker wert. Für das Körpergefühl, für die Fitness und als Selbsterfahrung. Die Erwärmungen hätten mir als Sport völlig gereicht. Nach der halben Stunde war mein Anzug zum auswringen. Nur das man danach auf der Matte dem anderen, sie nannten es Partner, realer wäre Gegner, weh tun sollte, fand ich verstörend. Schlimmer war noch die Tatsache, dass wenn du ihm nicht irgendwie deinen Willen aufgezwungen hast, tat er das mit dir. Keine besonders schönen Aussichten, wenn man am nächsten morgen wieder zur Arbeit gehen wollte oder musste. Nach einigen kleineren Verletzungen hängte ich den Judoanzug dann endgültig an den Haken. Ich verlegte mich dann aufs Badminton. Auch da bin ich nicht immer der Held, aber es macht mir Spaß und dem Körper werden auch mal andere Sachen abverlangt, als Schleppen, Klettern oder Hinknien. Olympische Weihen werde ich wohl nicht mehr bekommen, aber die paar Jahre, die für diesen Sport bei meinen körperlichen Voraussetzungen noch denkbar sind, wird es mir Freude bringen. Jeder Schritt runter vom Sofa zählt schließlich und sei es nur einmal in der Woche.
Nun ist es Zeit Danke an den Zufall zu sagen. All das und noch vieles mehr war nur möglich, da ich auf der Nordhalbkugel geboren wurde. Demut macht sich breit in mir!
Ich lebe in einem Land und in einer Gesellschaft, in dem nahezu alle die hier leben wirklich privilegiert sind. Wir gehören zu den einstelligen Prozenten der Weltbevölkerung, die es als ernsthaftes Problem sehen, länger als zehn Minuten auf den Bus zu warten, den Luxus haben, jeden Morgen mit Trinkwasser duschen zu können und genau zu wissen, wo sie am Abend ins Bettchen steigen werden. Glück gehabt! Weiter so! Ich freue mich drauf!