Let`s talk about
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In den Siebzigern, als wir Kinder waren, spielten wir oft einfach vor der Haustür im großen Hof in Sicht- und vor allem Hörweite der elterlichen Wohnung. Die meisten hatten zwar Armbanduhren und wussten wann sie „oben“ zu sein hatten. Aber es gab eben auch die, die von ihren Eltern gerufen wurden. Ein doch sehr zweifelhaftes Vergnügen, wenn eine Frau ihren mit Lockenwicklern verunzierten Kopf aus dem Fenster in der vierten Etage hält und lauthals den Namen ihres Sprösslings brüllt. Dieses wiederholt sich dann solange, bis der genervte Gesuchte sich irgendwie bemerkbar macht und am besten zurück schreit, dass er schon auf dem Heimweg ist. Da der unfolgsame Bengel von gegenüber Mario hieß, hieß die Mutter für uns nur Frau MA-RIO. Aus der gleichen Zeit stammt mein Schwur, falls ich mal Kinder haben werde, dass diese auf keinen Fall einsilbige Namen erhalten werden. Jeder der sich jetzt fragt, wie das kommt, den bitte ich genau jetzt vom Sofa aufzustehen, das Fenster zu öffnen und laut und anhaltend -Dirk- oder -Bea- oder von mir aus auch -Gerd- zu rufen. Die Versuchsergebnisse, dürften für sich selbst „sprechen“!
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Jeder aus meiner Familie weiß oder zu mindesten wusste er es früher einmal, ganz genau, was er am 02. Dezember 1977 getan hat. Es war nicht der Weltraumflug von Sigmund Jähn (das folgte erst ca. 8 Monate später), kein Lottogewinn, Krankheit oder irgendein gesellschaftliches Ereignis. Ich war grade in der zweiten Klasse und werde das Datum wohl nie mehr vergessen. Eigentlich war es ein Juxs, aber eine kleine Kerze und ein Ständchen gab es dann doch für unser Telefon. Denn, es hatte Geburtstag. Die Telefonnummer war 21277, also: zwo, zwölf, siebenundsiebzig! Da die DDR ein MODERNES Land war, war unser Familienmitglied nicht mehr aus Bakelit. Es war aus grauem Plaste (heute Kunststoff), rundlich mit Wählscheibe und einer Telefonschnur, um zwei Wörter zu benutzen, die vom aussterben bedroht sind. Jeder der nicht weiß was das ist, hat die Gnade der spähten Geburt.
Irgendwie hatte man in den siebzigern ein etwas anderes Verhältnis zum Telefon, falls man schon wusste, dass es so etwas auch in der DDR gab. Irgendwann bekamen wir einen neuen Apparat , eckig und mit Tasten und in orange. Zeitgeschmack á la realexistentem Fortschrittsglauben. Das war dann auch kein Fernsprecher mehr sondern nur noch ein schnödes Telefon.
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In den frühen Achtzigern gab es auch bei manchen Menschen die mich betreuten, einen sagen wir mal, eigenartigen Weg der Kommunikation. Beim Training auf der Matte zwischen allen anderen schwitzenden Jungen die fleißig ihr Übungen machten, flog der eine oder andere Schlüsselbund in die Richtung von Jungs, die ihre Übungen nur unzureichend oder sagen wir nicht so wie der Trainer sich das vorstellte, machten. Unser Trainer hätte auch ausgebildeter Schlüsselwerfer sein können. Sein Ziel verfehlte er selten und dieser schwere Metallklotz hinterließ bei keinem offenen Wunden am Körper. Ob es Wunden an der Seele gab kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Jeder verstand umgehend, was er zu verstehen hatte. Motivation aus Angst vor fliegenden Metall funktioniert wunderbar.
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Die Kommunikationsmöglichkeiten waren ja auch Ende der Achziger noch sehr begrenzt. Einen Telefonanschluss gab es maximal in der elterlichen Wohnung, der man grade entwachsen zu sein schien. Ein normaler junger Mensch hatte folglich natürlich nicht einen Anschluss an die Welt und das sollte wohl auch so bleiben. Ein besorgniserregend leichtfertigen Umgang mit persönlichen Daten pflegte jeder, der sich irgendwie verabreden wollte. Wenn man jemand besuchen wollte, der auch keinen Telefonanschluss hatte, gab es keine andere Möglichkeit, als es auch zu machen. Kein Messengerdienst, kein Mobilephone, keine Email, konnte einen vorher anmelden. Falls derjenige nicht zufällig zu Hause war, hinterließ man einfach eine Nachricht auf der Kassenrolle, welche mit stets gespitztem Bleistift an der Tür des Desjenigen hing. Sozusagen eine Mailbox aus der Steinzeit. Man hinterließ in der Regel wer man war, was man wollte und wann man es wieder versuchen würde, mit einem Besuch. Manchmal wurden noch Wünsche oder Hoffnungen hinterlassen, Liebesgeständnisse oder Trennungsabsichten für alle Nachbarn und für die Genossen vom MfS sichtbar an der Tür. Facebook hat dieses Datenposten nicht erfunden, die haben es nur Digital gemacht. Mir ist es in dieser Zeit mehrfach passiert, dass ich mit dem den ich besuchen wollte über Monate nur über die Kassenrollen an unseren Tür kommuniziert hatte. Der Vorteil ist, dass man sich auf das wesentliche beschränkt. Gott sei Dank , wohnten wir nicht so weit von einander entfernt.
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Spätestens in den Nuller Jahren des anbrechenden Jahrtausend gab es die Mobilen Endgeräte dann wirklich bei jedem in der Hosentasche. Manche Zeitgenossen mussten ersteinmal den vernünftigen Umgang mit der neuen Technik lernen. Alle Welt schien zu glauben, jeder sei nun jederzeit erreichbar. Ich erinnere mich an Diskussionen, dass Selbstständigkeit eben auch jederzeit anrufbar bedeutet. Ein klares -Nein-! Wenn man nicht innerhalb von fünf Minuten die Emailanfrage bearbeitet hatte, war man ein Mensch zweiter Klasse. Auch ich musste mich selber erziehen, dass wenn ich zum Beispiel mit einer etwa 25 Kilogramm schweren geschulterten Rolle Bitumenbahn auf einer Leiter ca. sieben Höhenmeter überwand und zufällig genau in diesem Moment das Telefon in meiner Hosentasche klingelt, war es Anfangs sehr schwer für mich dem Reflex zu widerstehen, mit einer gekonnten flüssigen Bewegung Telefon aus der Tasche zu zaubern und das Gespräch freudestrahlend an zu nehmen.
Und die Verlockungen der mobilen Telekommunikation werden immer Größer. Bitte macht nur sinnvolles Zeug und lasst euch nicht von den wesentlichen Dingen ablenken.