Prolog:
Faszinierend wie die glücklichsten Menschen, denen es augenscheinlich an nichts fehlt, die in materieller Hinsicht nahezu alles besitzen was sie sich wünschen, manchmal das Gefühl haben, sie wären die unglücklichsten Kreaturen auf der ganzen Mutter Erde.
Das ist der traurige Beweis dafür das wahres Glück nicht ausschließlich durch die Befriedigung der Grundbedürfnisse, Nahrung und Unterschlupf entsteht …
Das klingt schon nahezu wissenschaftlich, aber das ganze Gefasel stammt nicht aus der Feder eines alten griechischen Philosophen…
Es entstand vielmehr durch hartnäckiges Hacken auf den Tasten eines alten Laps und der Schreiberling ist auch kein alter bärtiger Philosoph im weißen Gewand, sondern eine kleine blonde Dame mit blauen Augen und der dümmlichen Angewohnheit ständig das Gefühl zu haben zu diesen armen traurigen Geschöpfen zu gehören die trotz ununterbrochener Nahrungsaufnahme (am liebsten Twinkys oder Zwiebelringe) und eines luxuriösen Schlafgemachs (Bettchen mit Teddybär) in dem Glauben leben, noch nie die Bekanntschaft mit dem puren Gefühl emotionaler Leichtigkeit gemacht zu haben…
Jetzt könnte man sich doch eigentlich fragen wieso dieses verwöhnte dumme Gör es auch nur wagt, die große äh *hust* eher kleine Unglückliche zu spielen…
Nun ja, wen es nicht interessiert der sollte ab jetzt eher aufhören zu lesen----
Falls kein Interesse besteht kann man sich das ganze doch sowieso sparen oder?
Das würden wohl die Pessimisten unter uns sagen und zugegeben dazu gehört auch das kleine blonde Gift, das den Großteil ihrer Freizeit nun damit verbringt sich selbst zu bemitleiden und am innerlichen Rumheulen ist.
Aber eigentlich solltet ihr euch mal trauen und weiterlesen ;)
Ich mein ja nur…was habt ihr zu verlieren außer ein paar Minuten eurer wertvollen Lebenszeit, die euch niemand mehr zurückgeben wird und … die manche unter euch vielleicht nur mit unnötiger Deckenstarrerei verbringen würden?
Bevor ihr noch die ganzen Spinnenweben an eurer Decke entdeckt oder Tarantula persönlich euch in die Äuglein blickt, empfehle ich euch lieber weiterzulesen und die „Show“ zu genießen d(^-^)b ...und euch damit erfolgreich vom Staubwedeln abzuhalten...
---------PRoLoG---------
Kapitel 1 - Das Problemkind
Die Geschichte muss ja irgendwie beginnen…in den meisten Fällen widmet man sich zuerst der Hauptperson: eine kurze Vorstellung der Interessengebiete, moralischen Überzeugungen und wenn vorhanden gewissen Eigenheiten, die sich im Kontakt mit dem sozialen Umfeld deutlich zeigen.
Aber gut, schwimmen wir mal gegen den Strom und packen die Sache etwas anders an…
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Eine Mutter zu sein ist schwer.
Die alleinerziehende Mutter dreier Kinder zu sein ist noch schwerer.
Und wenn eines davon gerade Liebeskummer hat, bereichert sich der sowieso schon von harter Arbeit gezeichnete Alltag um eine weitere Herausforderung…
Neben dem Kochen, Putzen, Kinder Herumkutschieren und momentan auch Windeln wechseln, darf sich die Frau für alles nun auch darum kümmern, die gerade ziemlich in Mitleidenschaft gezogene Lebensfreude ihrer 16-jährigen Tochter wieder aufzubauen.
Doch was tut man, wenn alle herkömmlichen Mittel der Aufmunterung und jedes liebe Wort genauso am eigenen Kind vorbei zu gleiten scheinen wie die sanfte, aber dennoch bestimmte Aufforderung den Müll hinaus zu bringen oder den Abwasch zu tätigen?
Wie soll man sich verhalten, wenn Geduld, heiße Schokolade mit Sahne und auch der Standardspruch: „Alles wird wieder gut, wir sind immer für dich da“, dieselbe Wirkung erzielen wie ein zaghafter Hammerschlag auf einen mächtigen Panzer?
Da gibt es nur eins: Man fragt die beste Freundin bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen um Rat…
Und so kommt es zu der Szene, die sich nun in einem schnuckeligen Café in der Innenstadt Münchens vor eurem geistigen Auge ereignen wird….
Kapitel 2 - Die Zuspätkommerin
Es war ein kalter, windiger und vor allem nasser Samstagnachmittag, den sich die überarbeitete und müde Frau Mama für ein hoffentlich aufschlussreiches Gespräch mit ihrer besten Freundin ausgesucht hatte.
Als sich Linda auf den Weg zu ihrem kleinen Skoda machte, peitschte ihr ein Windchen mit "gefühlten" 100 km/h ins Gesicht und zerrte an ihren langen, dunklen Haaren.
"Wäre es nur wenigstens ein trockenes Lüftchen", dachte sich die zerzauste, kleine Frau, während sie wenig erfolgreich versuchte den Regen daran zu hindern ihre Maskara zu verwischen.
Als sie das kleine Auto erreichte, war sie bereits so durchnässt, als wäre sie mal eben spontan in ihren Kleidern baden gegangen.
Missmutig setzte sich Linda ans Steuer und ließ die Tür lauter als sonst zuknallen. Und das konnte was heißen. Sie war noch nie besonders gut darin gewesen ihren Unmut zu kaschieren.
Weil sie bereits ahnte, dass ihr eine unausgeschlafene und nun auch mit verschmierten Augen gesegnete Bestie entgegen starren würde, beschloss sie missmutig keinen Blick in den Spiegel zu verschwenden.
Suchend ließ sie eine Hand in ihre Tasche gleiten und fischte nach langwierigem Herumgeraschel eine Packung Taschentücher heraus.
Schnell wischte die verunstaltete Dame das größte Übel von ihrem Gesicht und sah hektisch auf ihre Armbanduhr.
Schon wieder viel zu spät. Fluchend rammte Linda den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor laut aufheulen.
Sie hasste zu spät kommen...
Das kleine Café Alberello befand sich mitten in der Altstadt Münchens.
Für das ungeübte Auge mutete die kleine Kaffeestube einer alten heruntergekommenen Kneipe an.
Trübe Fenster, der verblasste, ausgewaschene Schriftzug "Alberello", den man kaum noch erkennen konnte, die enge Treppe, die zum Eingang hinunter führte, sowie der dichte dunkelgrüne Efeu der sich langsam durch den Putz des Altbaus fraß und an einigen Stellen schon das Gemäuer freilegte, erweckten freilich keinen gepflegten Eindruck und erzeugten eine eher unheilvolle Atmosphäre.
Dass sich das Gebäude in einer verwinkelten, düsteren Gasse befand, trug nicht wesentlich zu einer Besserung der ominösen Grundstimmung bei.
Die meisten Menschen, die sich in das kleine Gässchen verirrten, bekroch schnell ein ungutes Gefühl, dass sich zuerst in der Magengegend bemerkbar machte, einem dann die Kehle zuschnürte und schließlich alle Nackenhaare aufstellen ließ.
Der unheilsschwangere Hauch von Gefahr, der wie ein wabbernder Schleier über dem ganzen Sträßchen lag und der Gedanke "Ich wäre gerade lieber ganz woanders", ließ die wenigen Menschen, die sich in diese Gegend verloren, dieselbige auch schnell wieder verlassen.
Aber für Kenner bot das kleine heruntergekommen aussehende Café einen gemütlichen und abgeschiedenen Rückzugsort, der sich hervorragend dafür eignete Gespräche der etwas privateren Sorte zu führen.
So war es auch kaum verwunderlich, dass sich Linda dazu entschloss ihren Nachmittagsplausch in den kleinen Kaffeekeller zu verlegen...
Die Türglocken bimmelten laut, als Linda die schwere Holztür gerade weit genug öffnete um hindurch schlüpfen zu können.
Den Sprint vom Parktplatz bis zur Rittergasse konnte man mit einer nasskalten Dusche vergleichen, die durch eine gehörige Portion Wind noch um einiges verschlimmert wurde.
Der Wind machte es ihr unmöglich einen Regenschirm zu benutzen, also krallte sich die zierliche Dame ihre Handtasche und rannte mit tief eingezogener Kapuze - ihre Wertsachen fest an sich gepresst- in einem für ihr Alter recht beachtlichem Tempo zum vereinbarten Treffpunkt.
Keine Überraschung also, dass nun eine klatschnasse, frierende und ziemlich außer Atem geratene Linda in der Tür stand und laut mit den Zähnen klapperte.
"Naja", versuchte sie optimistisch zu denken, "jetzt ist wenigstens mein Gesicht sauber..."
Der vertraute Geruch von gemahlenem Kaffee und die Wärme ließen sie die Anstrengung und Kälte wenigstens etwas vergessen.
Noch bevor sie Ausschau nach ihrer Freundin halten konnte, wurde sie herumgewirbelt und ein Paar schokoladenbrauner Augen bohrten sich in ihre
Ganz verdattert starrte sie in das Gesicht des Besitzers, Emilio Alberello, der ihren rechten Unterarm sanft mit seiner großen Hand umschlossen hielt.
Wie immer, wenn sie ihn ansah, verlor sich ihr Blick für einige Sekunden in den dunklen Augen des Ladenbesitzers.
So war es auch jetzt und Linda wurde sich erst nach ein paar Sekunden bewusst, dass sie dem Italiener gerade ziemlich dümmlich angrinste.
Etwas verlegen versuchte sie nun die Kontrolle über ihre Gesichtsmuskeln wieder an sich zu reißen und brachte ein einigermaßen normales Lächeln zu Stande.
Zumindest hoffte sie das...
Zu ihrer Verteidigung musste man anmerken, dass Emilio nicht gerade schlecht aussah. Um ehrlich zu sein, sogar unverschämt gut.
Als sie vor ein paar Monaten das erste Mal mit ihrer Freundin in das Café Alberello gegangen war und der nette Italiener sie nach ihrer Bestellung fragte, war sie ausnahmsweise einmal sprachlos gewesen.
Sie war "ein bisschen" abgelenkt von den schönen dunkelbraunen Augen, die sie -von dichten schwarzen Wimpern umrahmt- anblickten und vor allem von den vollen Lippen, die sich aufgrund ihres offenen Mundes zu einem ämüsierten Grinsen verzogen.
So wie auch jetzt, nur dass sie es diesmal zum Glück geschafft hatte, ihren Mund geschlossen zu halten.
"Ciao Bella", sagte eine tiefe, melodische Stimme, "du bist ja ganz nass. Warte ich helfe dir."
Geschickt befreite der junge Mann Linda aus ihrem nassen dunkelblauen Mantel und hängte ihn an die Garderobe.
Halb enttäuscht davon, dass er ihren Arm losgelassen hatte und zum gleichen Teil von seiner Fürsorglichkeit gerührt, sah sie dem gut gebauten Mann dabei zu wie er das nasse Stück Stoff an den Haken hängte.
"Sie werden schon sehnsüchtig erwartet Signora."
Der Italiener wandt ihr immer noch den Rücken zu und sie begriff schlagartig, dass er wohl wusste welch schöne Aussicht sie gerade genoss.
Mit leicht geröteten Wangen und etwas peinlich berührt, ließ sie nun ihren Blick durch das kleine Café schweifen und hielt Ausschau nach einer kleinen rundlichen Frau mit auffallender Kleidung und großen blauen Augen.
Es war gerade nicht viel los in der guten Stube. Außer einem alten Mann mit Bart, Pferdeschwanz und Sonnenbrille (was Linda bei dem heute sowieso schon düsteren, wolkenverhangenem Tag ein wenig irritierte), der gerade seine Zeitung las, waren nur zwei weitere Personen anwesend.
Eine große, stark gebaute Frau mit männlichen Gesichtszügen und muskulösen Schultern rührte überraschend langsam und bedächtig mit einem kleinen zerbrechlichen Löffel in ihrer Tasse Tee und tippte mit ihrer anderen Hand wie hypnotisiert auf ihrem silbernen Smartphone herum.
Unwillkürlich musste Linda an einen Riesen mit Zahnstocher und Handspiegel denken. Sie versuchte ein Grinsen zu unterdrücken und setzte die Suche nach ihrer Freundin fort.
Sie ging vorbei an dem zwielichtig aussehenden Mann mit Anzug und Sonnenbrille und an der handysüchtigen Frau mit Muskeln, auf die jeder Mann neidisch gewesen wäre.
Kapitel 3 - Die Frau im Katzenpulli
In der hintersten Ecke saß eine winzige, niedliche und etwas beleibtere Dame in pinker Leggins, einem schwarzen Rock und einem übergroßen lila Pulli mit der Aufschrift "Der frühe Vogel kann mich mal", darunter eine breit grinsenden Katze aus Strasssteinchen, deren Maul eindeutig voll war.
Das Outfit wurde "abgerundet" von einer silbernen Kette an der ein Totenkopf baumelte und einem Lippenstift in einer "etwas" gewöhnungsbedürftigen Farbe, die man - so war sich Linda sicher - bestimmt auch noch vom Mars aus sehen könnte.
Wie immer, wenn sie ihre Freundin sah, musste Linda ein wenig schmunzeln. Der Kleidungsstil der kleinen Frau war etwas gewöhnungsbedürftig, um nicht zu sagen sonderbar.
Aber mit der Zeit hatte Linda gelernt die ungewöhnlichen Outfits ihrer Freundin zu akzeptieren und war (so wie jetzt auch) nicht einmal mehr überrascht über die "kreative" Zusammenstellung von Kleidungsstücken und Accessoires, bei der jeder normale Mensch die Stirn gerunzelt, dann weggesehen, sich die Augen gerieben und wieder hingesehen hätte um sich zu vergewissern nicht tagsüber geträumt zu haben.
Jeder stilbewusste Schnösel hätte dabei noch höhnisch, eingebildet und abfällig gelacht, während er sich die sowieso schon perfekt sitzende Krawatte zurecht gerückt oder die Hand mit den farblich auf die Gesamtkomposition abgestimmten, lackierten Fingernägeln in Richtung Sonnenbrille (von Gucchi) bewegt hätte um besagtes Schmuckstück leicht anzuheben und mit gespieltem Entsetzen in Richtung modischer "Vergewaltigung" zu blicken, nur um sich sogleich wieder die getönten Gläser vor die Augen gleiten zu lassen und in den viel zu teuren Schuhen davon zu stolzieren (wahrscheinlich zum bemitleidenswerten Friseur, der sich diese unerhörliche Begebenheit nun in allen Einzelheiten beschrieben bildlich vorstellen durfte).
Jeder Modedesigner wäre vermutlich nur still dagesessen und hätte angefangen zu weinen.
Doch Linda schmunzelte nur ein wenig und räusperte sich hörbar um ihre Freundin auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen.
Besagte junge Dame legte lässig den rosanen Hellokitty-Stift beiseite und sah von ihrer anspruchsvollen Tätigkeit (Sudoku spielen) auf.
Zwei große hellblaue Augen - halb verdeckt von einem wuscheligen dunkelblonden Pony - richteten sich auf den Neuankömmling und blickten diesen ein wenig vorwurfsvoll an.
Mit einem demonstrativen Blick auf die alte, verstaubte Standuhr links neben ihnen (bei deren Anblick Linda immer das Wort "antik" durch den Kopf schoss), einem gespielten entrüsteten Seufzen und einem anklagenden "Du hast lange auf dich warten lassen meine Liebe...", wurde die immer noch ein wenig atemlose Zuspätkommerin auf ihr Vergehen hingewiesen.
Um nicht unnötig Energie zu verschwenden (sie hatte heute schon viel zu viel davon verbraucht) und weil ihre Zuspätkommerei leider chronischer Normalzustand war, überging Linda die offensichtliche Provokation und verzichtete auf eine Rechtfertigung für die späte Ankunft.
Stattdessen ließ sie ihre noch immer feuchte Handtasche neben dem Tisch auf den Holzboden plumpsen und sich selbst ihrer Freundin gegenüber auf die weiche, bepolsterte Eckbank.
"Ich freue mich auch dich zu sehen Annie. Wie geht es dir? Bevor du mir dieselbe Frage stellst: mein Tag war furchtbar."
"Naja, bis vor ein paar Minuten zumindest", fügte sie hinzu und schielte unauffällig nach vorne zur Theke, wo Emilio gerade eine Tasse mit heißem Kaffee füllte.
Schnell sah sie wieder in Richtung Annie, die mit mäßigem Interesse ihre schwarz lackierten Nägel beäugte.
"Och", antwortete die kleine blonde Frau im Katzenpulli verschlafen, "eigentlich ist alles so wie immer. Weder gut noch besonders schlecht, einfach nur etwas monoton und langweilig..."
Sie lehnte sich ein bisschen nach hinten, reckte die Arme hinter ihrem Kopf in die Höhe und streckte ihren Rücken lang.
Dabei schloss die 29-jährige die Augen, seufzte genüsslich und sah aus wie ein kleines Kätzchen, das sich vor dem Schlafengehen noch einmal gemütlich reckt.
Nach einem weiteren Seufzen und dem Geräusch vieler knackender Knochen, fuhr ihre Freundin fort.
"Mein Schatz hat sich schon wieder einen neuen Rechner gekauft. Und zwar diesmal mit der Begründung, dass der alte ihm zu langsam wurde. Noch vor zwei Tagen saß ich davor und alles lief tiptop."
Genervt fuhr sie sich durch ihre blonden Zotteln.
"Ich glaube wirklich seine Liebe zur Technik artet langsam zu einer Sucht aus... Naja, wenigstens ein Gutes hat sein "Hobby". In letzter Zeit ruft meine Mutter ständig an, weil sie ihr neues Handy nicht versteht und ich geb sie dann einfach an mein kleines Technikgenie weiter. Das Ganze ist wirklich überaus praktisch... Was mich betrifft...."
Sie machte eine kleine Kunstpause.
"...ich war gestern wieder einmal viel zu lange wach und bin dementsprechend eeecht müde."
Sie untermalte ihre Behauptung mit einem lang gezogenen Gähnen.
Linda betrachtete ihre Freundin mitleidig. Sie konnte sich gut vorstellen, was Annie des Nachts wach gehalten hatte. Oder besser gesagt wer...
Kapitel 4 - Das Eklat
45 Kilo mit braunen Locken und großen Rehaugen schienen es sich zur Aufgabe gemacht haben, "Ann" jeden Abend über die Arbeit an der Grundschule in Würzburg und die neue Vertretung Herrn Meyer zu informieren. Wie es das Schicksal wollte, war besagter Lehrer nicht nur single, sondern auch noch gutaussehend, was natürlich für zusätzlichen Gesprächsstoff sorgte.
Linda war sich sicher, dass ihre Freundin unter dem sorgfältig mit Makeup bedeckten Gesicht ein Paar sehenswerter Augenringe versteckte.
"Was hat sie denn nun schon wieder gewusst?" Sie sah ihre Freundin mit einem wissenden Blick an.
Annie fuhr sich durchs Haar. "Die bessere Frage wäre gewesen was nicht. Sagen wir es so, sie kommt noch immer nicht mit den Kleinen klar. Außerdem gab es ein kleines "Eklat", was die Sache nicht unbedingt besser gemacht hat."
"Warum hat sie sich denn überhaupt dazu entschlossen Lehrerin zu werden, wenn sie nicht mit Kindern zu Recht kommt? Nach allem, was du mir schon erzählt hast, stellt sie sich an wie eine Katze auf Skiern. Erzähl mir doch von diesem "Eklat", dann erzähle ich dir auch von meinem, das gerade zu Hause im Bett liegt und Trübsal bläst..."
„Oh, na das klingt ja spannend!“ Der Katzenpulli bebte leicht, als Annie ihr glockenhelles Lachen lachte. „Ich bin schon neugierig. Was die chronische Berufsverfehlung betrifft, kann ich nur sagen, sie ist selbst schuld. Schon damals habe ich ihr davon abgeraten Lehramt zu studieren, aber sie wollte ja nicht hören. Meinte, sie wolle sich was beweisen, über sich hinaus wachsen….Du kennst das ja. Am Anfang steckt man sich hohe Ziele und ist optimistisch, aber wenn es dann ans Eingemachte geht, sieht die Situation oft ganz anders aus als erwartet. Und…“ Sie kicherte. „…im Falle des „Eklats war die Aussicht besonders verheerend, zumindest für unser kleines Irmlein.“
„Nun hast du mich auch neugierig gemacht!“ Linda sah ihre Freundin mit einem wissbegierigen Funkeln in den Augen an. „Was ist denn geschehen?!“
„Der Klassenteufel Kevin war wieder am Werk.“ Annie zwinkerte.
„Was? War das nicht der, der sie letztes Mal…?!“
„Ja, genau der. Diesmal hat er sich noch abscheulicher verhalten als sonst. Ich habe sogar fast ein wenig Mitleid mit ihr. Er hat ihr ein ganz besonderes Geschenk in die Handtasche gelegt…“ Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen.
„Also bisher hört sich das Ganze ja recht harmlos an.“
„Noch. Als Irmi ihre Handtasche geöffnet hat, war es das nicht mehr.“
„Nun sprich schon!“ Linda bewunderte ihre Freundin wirklich dafür, dass sie so spannend erzählen konnte. Aber im Moment, saß sie wie auf Kohlen.
„Okay, okay, ich mach ja schon!“ Annie musste ein wenig über die Ungeduld ihrer Freundin schmunzeln. Die meiste Zeit über verhielt sich Linda eigentlich recht vernünftig und ihres Alters entsprechend reif. Wenn es jedoch um den neusten Klatsch ging, war ihre Neugier mit der eines kleinen Kindes zu vergleichen. Wie auch jetzt. „Weißt du noch, als ich dir davon erzählt habe, wie ich die kleine Irmi kennen gelernt habe?“
„War das nicht vor der Eisdiele?“ Linda runzelte die Stirn, legte ihre kleinen Hände an die Schläfe und machte langsame Kreisbewegungen mit den Fingern, wie immer wenn sie angestrengt nachdachte. Nach einigen weiteren Augenblicken und intensiver Kopfmassage, fiel der Groschen, zwei kleine Fäuste knallten auf die Tischplatte und ein wenig lauter als beabsichtigt, gab Linda die Früchte ihrer Überlegungen preis: „Die Wespe!!!“
Der unheimliche Mann und das Muskelwunder sahen kurz von ihren Getränken auf und in Richtung Schreihals. „Hatte sie nicht diese Ente….Enter….Entar…“ Linda versuchte verzweifelt sich an das Wort zu erinnern. „Entor?“
„Entomophobie, die Angst vor so ziemlich jedem Lebewesen mit mehr als vier Beinen!“ Annie beschloss der aussichtslosen Raterei ein Ende zu setzen.
„Ja genau, beinahe hätte ich es gehabt!“
„Aber sicher doch, Lin.“
„Du hast ihr damals das Leben gerettet, nicht wahr?“
„Ach, naja. Ich habe nur das getan, was wohl jeder in dem Moment getan hätte.“
„Sei doch nicht so bescheiden. Es hätte schlimm ausgehen können.“ Linda machte ein ernstes Gesicht. „Für euch beide“, fügte sie hinzu.
„Zugegeben, es war ganz schön knapp. Aber… Wie soll ich sagen? Als ich sie so gesehen habe, musste ich an meine kleine Schwester denken. Nenn es, wie du willst, Beschützerinstinkt oder Kurzschlussreaktion, aber wenn ich ihr nicht geholfen hätte, würde ich es heute bereuen.“
Linda wusste nicht, ob sie in diesem Moment dasselbe getan hätte. Um ehrlich zu sein, war sie sich sogar ziemlich sicher, dass ihr das Risiko zu hoch gewesen wäre. Sie liebte ihre Kinder über alles und mochte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie ohne ihre Mutter aufwachsen würden. Außerdem sollte „Er“ sie niemals bekommen.
All das ging Linda gerade durch den Kopf, aber anstatt es laut auszusprechen, widmete sie sich weiter der Heldentat ihrer Freundin. „Und deshalb bist du vor den Jeep gerannt und hast die Kleine zur Seite gestoßen. Ich finde deinen Mut wirklich bewundernswert.“
„Es war eigentlich mehr impulsiv als mutig.“ Verlegen strich sich Annie eine Strähne ihres blonden Haars zurück.
„Komplimente sind nicht giftig, Ann…“
„Also schön, ich nehme es an. Nun zufrieden?“
„Ja, sehr sogar.“ Linda zwinkerte ihrer Freundin zu. „Und das alles nur wegen dieses einen kleinen Insekts. Mit so einer Phobie lebt es sich wirklich gefährlich.“
„Oh ja, vor allem mit einer Tüte Eis in der Hand. Die Wespe schien wie verrückt auf Erdbeereis zu sein.“
„Warum hat sie es damals nicht einfach weggeworfen? Und woher weißt du, dass es Erdbeereis war?“
„Vermutlich war sie so in Panik, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Wärst du damals dabei gewesen, hättest du ihre lauten Schreie gehört und gesehen wie sie verzweifelt mit der eisfreien Hand in der Luft gewedelt hat. Sie war wohl zu beschäftigt zum denken. Das mit dem Erdbeereis weiß ich, weil bei der Rettungsaktion das gesamte klebrige Zeug in meinen Haaren gelandet ist. Ich habe mich kurzzeitig gefühlt wie Paulchen Panda, nur dass ich zum Glück nicht komplett bekleckert war.“
"Ach Annie, was ist schon eine verklebte Frisur gegen einen tödlichen Unfall?", meinte Linda grinsend. "Aber ich wundere mich doch, dass sie es bis zu eurem ersten Zusammentreffen so heil durchs Leben geschafft hat. Es ist fast schon mutig von ihr, in diesem Zustand überhaupt das Haus zu verlassen. Ich würde ihr dringend raten eine Therapie zu beginnen."
"Oh, sie ist bereits seit 3 Jahren in Theraphie. Ihr "Fast-Unfall" hat ihr die Augen geöffnet.", entgegnete Annie. "Aber..." Sie spielte mit ihrer blonden Schmalzlocke. "...wenn ich mir so anhöre, wie sie letzte Woche in der Grundschule abgegangen ist, würde ich an ihrer Stelle unbedingt den Therapeuten wechseln.", fügte sie mit einem wissenden Lächeln hinzu und erinnerte Linda damit wieder an das "Eklat".
"Also los! Erzähl doch endlich, was passiert ist! Wenn du so lange um den heißen Brei herumredest, muss es ja wirklich spannend sein!" Linda lehnte sich lächelnd nach vorne. "Ich höre."
"Na gut, du hast es so gewollt. Wo waren wir? Ach ja, genau. Kevin hat ihr diesmal übel zugesetzt. Das eine Mal davor waren es noch Regenwürmer, die er ihr in die Handtasche gekippt hat. Und im Falle des Eklats handelte es sich um Kriechtiere... Viele kleine Spinnen und Käfer."
"Oje... Arme Irmi!" Linda machte ein betroffenes Gesicht.
Annie säufzte. "Ich denke, du kannst dir vorstellten, was ungefähr passiert ist. Falls du Einzelheiten willst, frag ruhig nach. Ich weiß alles...seit letzter Nacht." Sie gähnte laut und warf einen müden Blick zur gegenüberliegenden Tischseite. "Ähm...Lin?"
Linda konnte gerade nicht antworten. Sie war zu sehr damit beschäftigt diskret in Richtung Theke zu schauen und strich sich dabei eine widerspenstige, dunkle Sträne hinter ihr kleines Ohr. Annie folgte dem verträumten Blick ihrer Freundin und sah gerade noch den muskulösen, männlichen Rücken, der einen Moment später in der Küche verschwand. Sie konnte sich das Grinsen kaum verkneifen, bemühte sich dann jedoch um einen ernsteren Gesichtsausdruck, als sie ihre Freundin kurz mit dem schwarzlackierten Nagel ihres Zeigefingers in den Unterarm piekste.
"Linda, du sabberst!!!"
"Hm, was?"
"Eine riesige Speichelpfütze hat sich auf deinem Tischende gebildet und es sieht so aus, als würde sie noch größer werden...", raunte Annie ihrer Freundin ins Ohr.
"Was?!"
Mit einem Sprung war Linda wieder in der Realität angekommen und wischte sich über den Mund.