256.Sonnenkreis, Zyklus 1034
Görden, im Süden des Flussfürstenbundes
„Du musst der Lieferant sein von dem Vater gesprochen hat“, stellte sie mit fast quietschig hoher Stimme fest: „Komm, ich zeige dir, wo du die Waren abstellen kannst.“
Strammen Schrittes ging sie voran, während Marbos noch ein wenig überwältigt von dem Inneren der springenden Sau war: der gesamte hintere Bereich der Taverne bestand – abgesehen von der Decke – aus massivem Stein, auch wenn der Zustand in einigen Ecken beklagenswert war. Die Tochter des Wirts bemerkte seinen umherschweifenden Blick und begann zu erzählen: „Vater sagt, dass hier vor langer Zeit mal eine Zwergenfamilie gelebt hat, bis ein böser Riese kam und sie tötete. Als der Riese danach die Behausung zerstören wollte, weil er neidisch auf die Zwerge, die ein so schönes Heim hatten, schaffte er es nur das Dach wegzureißen. Mein Ur-Ur-Urgroßvater hat, als er hier ankam auf der Ruine dieses Wirtshaus gebaut, darum ist hier hinten auch die Decke niedriger als vorne im Schankraum, den er komplett selbst errichtet hat.“
„Das ist eine schöne Geschichte“, erwiderte Marbos freundlich und seine Führerin lächelte schief: „Wie heißt du eigentlich? Ich bin übrigens Marbos.“
„Sarah. Da wären wir dann auch schon, stell einfach alles hier drin ab. Wenn du fertig bist, gehst du den Gang hier gerade runter, dann kommst du in den Schankraum, wo mein Vater ist.“ Sie blieb stehen deutete erst auf eine lose in den Angeln hängende Holztür, danach den gemauerten Gang hinab.
„Ich muss jetzt wieder in die Küche, aber du bekommst das hier hin.“
Ohne eine Reaktion zu erwarten wirbelte Sarah um ihre eigene Achse und lief in die entgegengesetzte Richtung davon, das Knallen ihrer hölzernen Schuhe auf dem Steinboden begleitete Marbos noch eine kurze Weile bei seiner Arbeit, danach wurde es verhältnismäßig ruhig.
So viel scheint ja gar nicht los zu sein, wofür Willhelm mich wohl noch brauchen wird, fragte sich Marbos, während er den letzten Korb in die fensterlose Kammer schleppte. Anschließend schlenderte er den Gang hinunter, den ihm Sarah zuvor gezeigt hatte. Der Schankraum präsentierte sich als hölzernes Konstrukt, am Boden dämpfte eine dünne Schicht Stroh die Schritte von Gästen und Personal gleichermaßen. Willhelm stand hinter einer langen Theke, von wo aus er den gesamten Raum im Blick hatte. Von den zehn runden Tischen war im Moment nur einer belegt, und der Mann, der dort saß, schien nicht viel Wert auf Gesellschaft zu legen.
„Ah, sehr gut. Ich wollte eben sehen, wo du bleibst“, begrüßte ihn der Wirt: „Wir haben noch etwa zwei Stunden.“
„Und wofür haben wir zwei Stunden?“
„Bis die offizielle Gesandschaft der Baroness von Vedenz eintrifft. Du wirst für den Abend der Mundschenk sein. Ihr Neffe, der den Ganzen Tross begleitet, verweigert jegliche weibliche Bedienung. Du weißt wie du dich im Umgang mit Adligen verhalten musst?“
Marbos schüttelte den Kopf. Schwarfen war derart abgelegen, dass selbst einige kaiserliche Steuereintreiber den Weg in das kleine Grenzdorf nicht fanden.
„Das hatte ich bereits befürchtet...also gut.“ Willhelm seufzte laut, bevor er fortfuhr: „Wenn er dich etwas fragt, antwortest du immer ehrlich und höflich. Wenn du einen Befehl bekommst, und glaub mir wenn ich sage, dass die von da oben eher selten um etwas bitten, führst du den Befehl mit einem >>Ja Herr<< aus. Unter keinen Umständen sprichst du ungefragt und füll immer schön alle Becher nach. Sei einfach höflich, dann sollte nicht so viel schief gehen. Auf den Kopf gefallen scheinst du mir ja nicht zu sein.“
„Das bekomme ich hin“, antwortete Marbos und versuchte sich an einer etwas ungelenken Verbeugung.
Der Wirt grummelte zufrieden: „Ein guter Anfang. Folge mir, es gibt noch einiges vorzubereiten.“
Marbos folge dem Wirt schweigend in die Küche, wo Sarah zusammen mit einer kräftig gebauten Frau gerade dabei war, einen kleinen Berg verschiedener Knollen zu schälen schneiden und anschließend in scheinbarer Willkür auf drei monströse Töpfe aufzuteilen. In dem Raum herrschte eine drückende Hitze, so dass Marbos kurz taumelte, als er durch den Türstürz trat. Augenblicklich strömte ihm der Schweiß aus jeder Pore seines Körpers.
„Gut dass du schnell mit der Einweisung fertig geworden bist. Ich kann den Jungen hier gut gebrauchen.“ Die Frau wedelte unruhig mit ihrer schwieligen Hand: „Komm hier rüber und sieh zu, dass ja nichts anbrennt. Wie ist dein Name?“
„Marbos, und Ihr?“
„Ich bin Miriam, Sarah hast du ja bereits kennen gelernt. Spar dir deine übertriebene Höflichkeit aber besser für das noble Gesocks, das du heute Abend bedienst. Willhelm, Schatz; wenn du nichts zu tun hast darfst uns gerne helfen.“
Bei dieser Aufforderung hechtete der Wirt überstürzt zurück in den Schankraum. Miriam schüttelte enttäuscht den Kopf: „Elender Drückeberger. Aber gut, ich habe ihn ja schließlich freiwillig zum Ehemann genommen.“
Für eine ganze Weile erklang nur das Blubbern der gefüllten Töpfe sowie das unermüdliche Klappern der Messer. Langsam aber stetig begann der Raum sich mit den appetitanregenden Gerüchen von geschmortem Fleisch und gesottenem Gemüse zu füllen. Marbos schluckte immer häufiger, da ihm das Wasser im Mund zusammenlief, als er Miriam hörte: „So, das ist genug. Jetzt sollten wir damit selbst eine kleine Armee satt bekommen. Marbos, hole mal von hinten zwei Dutzend Äpfel. Und Sarah, ich brauche noch Mehl. Ohne Süßkram werden sich unsere reichen Affen nicht abspeisen lassen.“
„Schon unterwegs.“ Marbos, dem schon seit einer ganzen Weile der Schweiß in Sturzbächen den Rücken herunter lief, flitzte umgehend aus der Küche. Nahezu augenblicklich umfing ihn im schlecht beleuchteten Gang die modrige Kühle, welche alte Steinstrukturen mit sich bringen. In aller Seelenruhe suchte er die geforderten Zutaten zusammen, doch gerade als er sich auf den Rückweg machen wollte, hörte er aus dem Schankraum einen Tumult ausbrechen. Mit der Vermutung, dass er in der Küche nicht länger gebraucht werden würde, kehrte Marbos mit voll beladenen Armen in die drückende Hitze der Küche zurück. Seine Ahnung sollte direkt bestätigt werden, da Willhelm im gleichen Moment seinen Kopf zu ihnen hinein streckte. „Marbos, komm sofort zu mir nach vorn. Die rechte Hand des Gesandten ist eben hier eingetroffen.“ Damit war er auch schon wieder verschwunden und eine angeregte Unterhaltung drang an Marbos Ohren.
„...genau deshalb ist der Zustand dieser Taverne mehr als unzulänglich für seine Lordschaft“, näselte eine äußerst herablassende Stimme gerade, als er den Schankraum betrat. Auf der anderen Seite der hölzernen Theke stand ein schlanker junger Mann, dessen hochnäsiges Auftreten keine Zweifel an seinem sonstigen Umfeld aufkommen ließen. Gepaart mit seinen lächerlich bunten Kniebundhosen und der schief sitzenden Kappe auf seinem braungelockten Haupt machte sein Auftreten für jedermann deutlich, dass er deutlich besseres gewohnt war als eine mitten im Nichts gelegene Dörflerkneipe.
„Ah, da bist du ja“, rettete sich Willhelm aus der verbalen Schlinge, die ihm der Höfling geknotet hatte: „Sir, dies ist der Bedienstete, den ich euch für heute Abend zur Verfügung stelle. Sag Hallo, Marbos“
Marbos tat wie ihm geheißen und verbeugte sich vor dem merkwürdig anmutendem Fremden: „Guten Tag, Sir. Wie kann ich Ihnen zur Hand gehen?“ Innerlich spie er aus, da ihm der Unbekannte derart zuwider war, dass vor ihm zu Katzbuckeln das Letzte war, was Marbos tun wollte.
Naserümpfend betrachtete ihn der Höfling, bevor er über Marbos hinweg antwortete: „Nun ja, zumindest scheint er sich benehmen zu können. Auch wenn er mir ein wenig dreckig erscheint, aber daran können wir jetzt ohnehin nichts mehr ändern, wenn wir hier alles für meinen Herrn vorbereiten wollen.“ Sein Blick schweifte angeekelt über die Tische, bis sie den einzigen anwesenden Gast erfassten.
„Er wird gehen müssen“, befahl der Höfling unumwunden.
„Keine Sorge, ich werde mich darum kümmern“, sagte Willhelm und entfernte sich unter wiederholten Verbeugungen. Während er mit dem Gast eine Debatte begann, richtete sich der Blick des Höflings wieder auf Marbos: „Na immerhin.“ Er klatschte in die Hände: „Junge, diese Tische müssen zu zwei Tafeln zusammengeschoben werden, eine kleine und eine große. Anschließend fegst du hier durch und wischst alle Tische noch einmal gründlichst. Doch vorher besorgst du mir was zu trinken.“ Sobald er Marbos irritierten Blick bemerkte, wirbelte er um die eigene Achse, seine Augen bohrten sich geradezu in Willhelms Rücken, bevor er durch den Schankraum brüllte: „Wirt! Was könnt ihr mir bieten?“
Willhelm zuckte zusammen, geistesabwesend schob er den erzürnten Gast beiseite, und bugsierte ihn unter wüsten Beschimpfungen in Richtung der Tür, während er sprach: „Nun ja, wäret Ihr einige Wochen später hier vorbeigekommen, so hätte ich euch frisch destillierten Kartoffelschnaps anbieten können, so haben wir gerade nur Bier, Apfelmost und Wasser da.“
Kopfschüttelnd drehte sich der Höfling wieder zu Marbos um: „Also gut Junge, bring mir einen Humpen Bier. Und wenn du schon dabei bist, roll gleich das ganze Fass hier rein, du wirst im Laufe des Abends wohl viel einschenken.“
Widerstrebend verbeugte Marbos sich und blickte unsicher zu Willhelm herüber, der gerade den Tisch des unsanft entfernten Gastes reinigte. Mit einem Kopfnicken gab dieser ihm zu verstehen, dass die Fässer bei den Vorratskammern lagerten. „Sehr wohl, Sir.“
Während Marbos sich gemächlich entfernte , hörte den Höfling stöhnen: „Also in dem Tempo kann der Junge aber nicht den ganzen Abend arbeiten, sonst wird sich hier niemand dieses Drecksloch schön saufen können.“
„Reiß dich zusammen, es ist nur für diesen Abend, und die Bezahlung ist mehr als gut“, rief sich Marbos ins Gedächtnis, als die Wut über den arrogante Höfling ihn zu übermannen drohte. Wenig später kehrte er mit einem hölzernen Humpen voll Bier zurück und stellte es vor dem lässig am Tresen lehnenden Höfling ab. „Ihr Bier, Sir“, brachte er so höflich wie möglich hervor, bevor er sich anschickte ein Fass aus der Vorratskammer in den Schankraum zu rollen. Der Höfling würdigte ihn keines Blickes, aber Marbos bemerkte das amüsierte Grinsen auf dessen Zügen, während dieser Willhelm dabei beobachtete, wie sich der Wirt damit abmühte, die massiven Eichenholztische in die gewünschte Position zu bringen.
„Und wie ist der Neuankömmling so?“, erkundigte sich Sarah neugierig, nachdem sie Marbos von der Küche aus erspäht hatte.
„Hochnäsig und unfreundlich, aber lustig anzuschauen“, erwiderte Marbos knapp, da er gerade das Bierfass unter Aufbietung all seiner Kraft zum Schankraum schob.
Schweißüberströmt erreichte er den Schankraum im gleichen Moment, in dem auch die Gesandtschaft eintraf. Krachend flog die Tür auf, zwei Frauen in voller Rüstung betraten den Raum, gefolgt von einer Traube teuer gekleideter Männer sowie noch einmal vier Soldatinnen. In dem Zentrum der Gruppe bewegte sich ein älterer Mann, dessen Bauchumfang kurz davor stand nicht mehr durch die Türe zu passen. Nur sein eitel in die Luft gestrecktes Doppelkinn und die Art, auf die er den Raum betrat sorgten dafür, dass ihn ein trunkener Viehhirte nicht mit einem Schwein verwechselte.
„Stewart, müssen wir wirklich hier Rast machen? Gab es keine sauberere Bleibe?“, erkundigte sich der wandelnde Fleischberg bei dem Höfling, der nach wie vor am Tresen lehnte.
„Ihr wolltet eine Rast, da Euch das viele Reiten auf den Magen schlug. Und eine andere Gastwirtschaft gibt es in der Nähe nicht“, erfolgte die Antwort prompt.
„Sagt mir wenigstens, dass sie hier Wein für uns haben“, jammerte er weiter, wobei seine Stimme unnatürlich hoch klang: „Nüchtern halte ich das keine Minute aus.“
„Ich muss Ihre Lordschaft enttäuschen“, der Höfling am Tresen rollte mit den Augen: „aber das Bier ist akzeptabel.“
Aus dem Augenwinkel, bemerkte Marbos, wie sich Willhelms Miene bei den ersten wohlgesinnten Worten des Höflings aufhellte. Unterdessen hatte sich ein Großteil der Gesandtschaft bereits auf den Schemeln und Stühlen niedergelassen, nur die Soldatinnen standen nach wie vor in der Nähe der Tür, ihre Blicke schweiften argwöhnisch umher. „Und so soll ich mir hier entspannen, mit diesen finster drein blickenden Gestalten im Raum“, jammerte der Gesandte weiter, wobei sein ganzer Körper zu beben schien: „Setzt ihr euch wohl. Und Diener, bring mir ein Bier, aber dalli.“
Seufzend begann Marbos damit, Humpen um Humpen zu zapfen und an den Tisch zu bringen, während Willhelm das Essen aus der Küche brachte. Der fettleibige Adelsmann, wie Marbos nebenher von einem mitgereisten Bediensteten lernte, war ein äußerst verfressener Nichtsnutz, der lediglich ausgesandt worden war, damit er seiner Tante, der Baroness von Vedenz, nicht die gesamten Vorräte vernichtete. Und in der Tat verdrückte der Fleischberg nahezu die Hälfte der vorbereiteten Speisen allein, ebenso wie unzählige Humpen Bier. Die ganze Nacht schlemmte er ohne Pause, sodass Marbos, als er nach getaner Arbeit aus der Taverne trat den Sonnenaufgang beobachten konnte.
„Marbos, du hast etwas vergessen. Hier, die versprochene Bezahlung.“ Willhelm war an ihn herangetreten, nicht minder erschöpft. Er drückte ihm zehn silberne Münzen in die Hand: „Ich hätte nie erwartet, dass jemand so viel essen kann und meine Biervorräte sind auch fast aufgebraucht. Aber egal, du hast gute Arbeit geleistet. Komm gut nach Hause, und vielen Dank.“
Marbos nickte kraftlos, für eine richtige Antwort fehlte ihm schlichtweg die Kraft. Schlurfenden Schrittes, aber mit einem seligen Lächeln auf den Lippen begann er mit dem Karren im Schlepptau seinen Heimweg.