Die Tage zogen ins Land und der späte Winter verwandelte sich in einen frühen Sommer. Das Ende des Schuljahres war angebrochen. Die Sonne hatte ihren Lauf erst begonnen und ein übersichtlicher Morgennebel prägte die Szenerie. Eine sanfte Kühle lag in der Luft. Maik war, zu gewohnt früher Stunde, auf dem Weg zu der bekannten Bildungsstätte, doch heute lief er mit einer gewissen Aufregung, denn heute könnte ein Tag sein, an dem sich alles ändert. So, glaubte Maik jedenfalls. Da zwischen dem Gespräch und dem heutigen Tage der Kontakt zu Aurora eher sperrig ausfiel, konnte er keine sichere Aussage machen.
Auf einem Parkplatz, gleich neben dem Schulgebäude, standen die Klassenmitglieder Maiks, sowie Schüler aus den Parallelklassen und stiegen in einen klobigen Reisebus ein. Maik überschaute die Menge; Aurora war nicht anwesend. Auch er stieg in den Bus ein und suchte sich einen Platz im vorderen, rechten Teil des Fahrzeugs. Maik stellte seinen Rucksack auf seinen Nachbarsitz, sodass sich niemand neben ihn setzten könne. Auf der anderen, linken Sitzbank saß Luna, welche Maik eine Weile ansah und dann zu ihm Sprach: „Du wirkst so aufgeregt, ist es wegen dem Freizeitpark?“
„Äh, ja genau, ich freue mich halt“, sagte Maik, wobei er seinen Blick durch das Busfenster nicht abwendete.
„Ich mich auch, auch wenn ich schon einmal dort war“, sagte sie gähnend. „Gehst du heute nicht mit Atieno und den anderen?“.
„Nein“, antwortete Maik. „Wahrscheinlich nicht“.
Er wurde nervös, was ist wenn Aurora seine Frage über die Zeit vergessen hatte? Nein, dass konnte nicht sein, sie war kein Tor. Doch, wenn sie dachte, er habe sein Interesse verloren?
„Glaub mir, es ist besser, dass du nicht mit den Junges unternimmst“, durchbrach Luna seinen Gedankengang.
„Genau“, faselte Maik abwesend. Er schaute genauer hin und tatsächlich erblickte er Aurora außerhalb des Fensters, gerade auf den Bus zugehend. Er stellte sofort den Rucksack zu Boden. Ein leichtes Gefühl der Nervosität umgab ihn, als sie den Bus betrat. Luna sprach weiter auf ihn ein, jedoch galt Maiks Konzentration nicht ihr.
Sie ging den Gang entlang und erblickte ihn, ein freundliches „Morgen!“ entfloh aus ihren Lippen und sie setzte sich in einer galanten Bewegung neben ihn. Maik bemerkte, wie Luna ihren Monolog stoppte und die beiden nun misstrauisch anblickte, obgleich sie Auroras Morgenswünsche erwiderte.
Der Bus setzte seine Reise an, wobei Maik und Aurora in ein gemütliches Gespräch kamen. Er erfuhr etwas über ihre Familie, ihre Hobbys und ihre Tätigkeiten außerhalb der Schule, welche man wohlgemut als Zahlreich bezeichnen konnte. Maik dachte nach und erkannte, dass er nichts dergleichen tat, seine Freizeit bestand bis jetzt daraus, nach Hause zu gehen und mit Furcht das Kommen des nächsten Tages zu erwarten. Eine Unsicherheit durchflutete ihn, was solle er erzählen, wenn sie fragte. Diese Unsicherheit wurde stärker, wodurch das Gespräch kippte. Maik wusste nicht mehr, was er sagen könne, ohne diesen Ramschhaufen seines Lebens zu offenbaren. Ein Schweigen durchdrang diese Atmosphäre und die Gespräche der anderen wurden im Kontrast lauter.
Aurora fing an in ihrem Rucksack zu kramen und holte ein Buch hervor. Maik schaute auf die im Bus angebrachte Digitaluhr, nach ihr war erst die Hälfte der Reise bestritten. Er fiel zurück auf seinen Sitz und schaute aus dem Fenster. Hilf mir doch, erst führst du mich zu ihr und jetzt lässt du mich verhungern, dachte er in Gedenken an den Kronenträger.
Der Rest der Fahrt zog sich und nur spärlich ließen sich Bruchteile eines Gesprächs aufbauen, wobei Maik immer wieder anfing zu stottern. Selbst in den angelegten Pausen, blieb er im Bus und begleitete Aurora nicht nach draußen.
Als sie gegen Vormittag am Freizeitpark ankamen, war Maik erleichtert, vielleicht lockerte sich jetzt die Situation.
Alle Schüler im Bus versammelten sich vor den Toren des Parks, wobei diese nur einen Bruchteil der Menschenmenge darstellten, welche sich hier anhäufte. Maik blieb dicht bei Aurora, damit er sie in den Gesichterfluten nicht aus den Augen verlor. Er bemerkte jedoch, dass Luna mit ihm dasselbe tat, doch warum lief sie mit ihnen mit?
„Krass, ist das voll hier“, sagte sie.
„Ja“, sagte Maik abwegig. „Ich freue mich trotzdem, wenn es so wird wie letztes Jahr“.
„Ich glaube sogar, es wird besser“, hakte Aurora ein. „Bei dem anderen war ich schon, so oft gewesen“.
Eine gefühlte Ewigkeit standen sie an. Die Sonne strahlte mitten auf ihre Häupter und die Wärme stieg in ihren Leibern. In Maik stieg eine unglaubliche Freude auf. Er dachte an das vergangene Schuljahr und an die Fahrten mit Aurora, obgleich er sich damals nicht auf manche Geschäfte traute, trotz ihren Drängen. Aber dieses Mal wird es anders, er will sich ihren Wünschen in Gänze hingeben. Als nun endlich eintreten konnten und der Tutor seine Standpauke zu den unermesslichen Gefahren des Parks hielt, wurden sie freigelassen und die drei gingen begonnen ihren Weg.
„Könnt ihr kurz warten, ich müsste noch mal auf‘s Klo“, fragte Luna und deutete auf die öffentlichen Toiletten.
„Nun...können wir machen“, antwortete Maik und schaute im Augenwinkel zu Aurora, um ihre Antwort abzuwarten. Diese setzte sich wortlos auf eine der Bänke und nickte. Luna verschwand in einer langen Reihe von Menschen. Maik setzte sich neben Aurora. Die Zeit verstrich und er bemerkte, auch wenn sie es zu verbergen versuchte, die Ungeduld in Auroras Gemüt.
„Ich hoffe sie ist bald zurück“, sagte er und schaute sich nervös um.
„Das hoffe ich auch“, sagte Aurora. „Wir haben leider nur begrenzt Zeit“.
Sie warteten noch eine Weile bis sie plötzlich aufstand und zu Maik sprach: „Schau, ich werde schon vorgehen und ihr kommt nach“
Maik spürte, wie sich gerade ein Messer im Rücken seiner Seele steckte.
„Ähm…ja...das könnte gehe“, stotterte er, obgleich ihm diese Idee die, wahrscheinlich, missfallenste seines Lebens war.
Aurora nickte und machte sich auf in die Tiefen dieses Parks, wobei sie von einem Augenblicke zum anderen in der Menschenmasse verschwand. Maik saß noch einige Zeit auf der Bank, bis schließlich das erwartete Mädchen kam.
„So, bin da“, sie schaute sich um. „Ist Aurora schon weitergegangen?“.
„Ja“, brummte Maik. Oh Luna, du verfluchte Närrin!
Im Laufe des Tages, trafen sie Maiks Angebetete nicht wieder, was ihm diesen Tag, nahezu versaute. Gedankenversunken trottete er hinter Luna hinterher, selbst die Fahrgeschäfte, mögen sie noch so schrecklich sein, ließen ihn kalt. Er überlegte sich, wie er diesen Tag nachholen könne und kam zum Entschluss, Aurora zu fragen, ob sie sich mit ihm am Wochenende treffen wolle. Er seufzte, was für ein Reinfall.
Am Ende des Tages, als die Schüler sich wieder zusammenfanden, traf er auch Aurora wieder.
„Wie war es“, fragte er sie.
„Fantastisch!“, antwortete sich rasch. „Hat es dir gefallen?“
„Super.“, antwortete Maik in einer abgrundtief widerlichen Heuchelei. „Es war tatsächlich besser, als der Park im letzten Jahr.“
Sie gingen zum Bus und setzten sich auf die selben Plätze, auf denen sie zur Anreise saßen.
„Bist mit allem Gefahren?“, fragte sie ihn.
„Nein, nicht allem, dazu reichte die Zeit nicht“
„Ja, bei mir auch nicht“
Maik dachte daran, dass es seine Schuld war, da er sie dazu brachte auf Luna zu warten. Oh Luna! Wie sauer er nur auf sie war!
Die Rückfahrt gestaltete sich besser und offener, mit dem Park hatten sie ein Thema über das sie sprechen konnten.
Gegen Ende, als sie bald ihren Heimatort erreichten, wandte sich Maik an Aurora:
„Aurora, wollen wir uns vielleicht am Samstag treffen“, erklangen die Worte in seiner zaghaften Stimme.
Sie überlegte. „Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich dann Zeit habe, aber wenn, dann gerne“. Erneut zierte dieses Lächeln ihr Gesicht. Maik sah es zwar erst zum dritten Male, aber er wusste, dass er sich daran nicht sattsehen konnte.
Als der Bus am Ausgangsorte ankam und die meisten diesen schon verlassen hatten, wandte sie sich zu ihm: „Wir schreiben definitiv nochmal, ob es klappt“
Maik nickte.
„Ich hoffe doch, dass es klappt“, sagte er und versuchte ein ähnliches Lächeln darzustellen, wobei er sich nicht sicher war, ob er scheiterte.
Aurora verließ den Bus und war so schnell wieder verschwunden, wie sie am Anfang des Tages erschienen war.
...
Auroras Nachricht erreichte Maik und zu seinem Glücke, fiel sie zu seinen Gunsten aus. Am erwähnten Samstag stand er vor einem Geschäft, in direkter Nähe zu seiner Schule und wartete, dass Aurora erschien. Er war aufgeregt. Doch nicht in einer ängstlichen und nervösen, sondern in einer vorfreudigen Weise. Er lehnte sich an der Wand des Geschäftes an und ließ sich, mit geschlossenen Augen, die Sonne in das Gesicht scheinen. Sie strahlte heute in ungehemmter Potenz durch einen offenen, blauen Himmel und keine Wolke wagte es, diese Perfektion zu zerstören. Sachte öffnete er die Augen, vor ihm war ein Parkplatz und er erblickte rennende und spielende Kinder und die dazugehörigen Eltern, Jungen und Mädchen, welche Hand haltend und turtelnd durch eine fremde Welt wanderten und allerhand weitere Menschen, welche den Tag zu genießen pflegten. Ja, heute war ein wundervoller Tag.
Im Weiten erblickte er seine erwartete Begleiterin. Er bemerkte, wie er, bei ihrem Anblick, automatisch zu lächeln begann. Sie trug einen himmelblauen Rock und eine weiße, ärmellose Bluse, welche durch eine schwarze Schnalle um ihrer Hüfte zusammengehalten wurde. Eine Sonnenbrille steckte in ihrem Haar. Mit einer sanften Handbewegung, winkte sie ihm zu, er stellte sich auf und ging ein Stück auf sie zu.
Nach einer kurzen, aber freundlichen Begrüßung und der gegenseitigen Nachfrage beider Gemüter, fragte sie: „Was wollen wir machen?“
„Ich weiß nicht, lass uns spontan sein“, antwortete er.
„Hast du nichts überlegt?“, fragte sie. Maik biss sich auf die Lippen. Nein, dass hatte er nicht.
„Weißt du, gehen wir Eis essen?“, bot er ja.
„Ja, los gehen wir“, sagte sie und beide machten sich los. Die Gespräche auf dem Weg zum Eiscafé blieben flüssig, so hatte Maik sich am Tage davor, verschiedene Gesprächsratgeber angesehen. Sie unterhielten sich über Gott und die Welt, zumeist über Klassenkameraden oder Lehrer, die sie ausstehen oder eben nicht ausstehen konnten.
Am Eiscafé angekommen, bestellten beide ein einfaches Eis aus zwei Kugeln. Maik bezahlte und aus Höflichkeit verneinte er das Angebot Auroras, ihm dies zurückzugeben. Er wusste nicht, warum, aber er hoffte sie hielte diese Tat für nobel.
Die weiteren Gespräche verliefen im kleinen Kreise. Sie befragten sich zu ihren Lieblingsfilmen, wobei sie beide, zu Maiks Erstaunen, die selben zu haben schienen, zu ihren Lieblingsbüchern und zu weiteren Vorlieben.
„Was für Musik hörst du“, interessierte sie sich.
„Ach, von jedem ein bisschen“, antwortete er. Auch, wenn dies gelogen war, so hatte Maik einen sehr spezifischen Musikgeschmack. All die Lieder, die er hörte waren in die Jahre gekommen, von Barock und Klassik, über gewisse Stammtischliedern, bis hin zu alten Rockgesängen, und die Moderne ließ zu wünschen übrig, weswegen ihn Atieno und die anderen oft aufzogen.
„Und du?“, fügte er hinzu.
„Ich mag auch verschiedenes, egal ob neu oder alt“, sagte sie. Maiks Interesse wuchs.
„Auch, alte Musik?“, hakte er nach.
„Ja, ich mag zum Beispiel, Chorgesänge und Orchestermusik“, sagte sie. Maik freute das.
„Auch Orgelmusik?“, er liebte Orgelmusik. „Ich finde sie wundervoll“.
„Oh, ich auch“, entgegnete Aurora im aufgeweckten Ton. „Weißt du, manchmal setzte ich mich auch in Kirchen, um dem Organist zuzuhören“.
Maik lächelte. Ja, er liebte so etwas auch und auch dafür war er oft Opfer des Spottes seiner Schulkameraden, doch jetzt, wurde es mit Freude aufgenommen.
„Spielst du ein Instrument?“, fragte sie plötzlich.
Maik negierte. Tatsächlich war er komplett unmusikalisch, zwar hatte er zu Grundschulzeiten in einem Kinderchor gesungen, aber dies würde er sie nie wieder trauen.
„Spielst du eins?“, Respekt erfüllte seine Stimme.
Sie erzählte ihm, dass sie Klavier spiele und Maik wurde etwas baff. Er wusste zwar, dass sie begabt war, so hatte sie einen unglaublichen Notendurchschnitt, aber dies erstaunte ihn tatsächlich, auch, dass sie in zwei Chören sang.
Dann wandte sich dieses Erstaunen in Zweifel, was konnte er? Er hatte keine Talente, die er vorzeigen könnte. Doch, was wird passieren, wenn Aurora von dieser Tatenlosigkeit erfuhr?
Nach einer Weile schaute Aurora auf ihre Uhr.
„Ich glaube, ich sollte jetzt zurück“, sagte sie in sachter Stimme.
„Schon?“, erkundigte Maik sich, hatte er was falsch gemacht?
„Ja, ich hab noch einiges zu tun“, antwortete sie.
Maik brachte sie noch zu ihrem Wohnblock, wobei er erfuhr, dass sie in den Ferien zu ihrer auswärtigen Familie fuhr, und deswegen noch packen müsse. Er prägte sich ihren Wohnort genau ein, insgeheim hoffte er sie noch einige Male hier her bringen zu müssen. Als sie vor ihrer Tür standen, drehte Aurora sich zu Maik um.
„Er war sehr schön heute“,sagte sie. „Danke“
„Ich...fand‘s auch schön“ entgegnete Maik, leicht irritiert von der Danksage.
Sie machte Andeutungen einer Umarmung. Maik wurde nervös, darauf war er nicht vorbereitet. In einer steifen und unkonventionellen Bewegung führte er die Geste fort. Er bemerkte, wie er rot anlief.
„Wir sehen uns erst nach den Ferien“, sagte Maik, nach dem sich diese freundschaftliche Umarmung löste, wobei er überlegte, ob dies nicht zu anhänglich klang.
„Genau“, sagte sie und lächelte dabei, in dem sanften Lächeln, welche Maik, so mochte. „Bis dann!“
„Bis dann“, sagte Maik und Aurora begab sich zu ihrer Tür. Als er ging schaute er ihr noch eine Weile hinterher bis sie in ihrem Wohnblock verschwand.
Mit einem tiefen Seufzer, welcher sowohl Schwermut, als auch Erleichterung beinhielt, lief er los, mit jedem Schritte in Richtung Sommerferien.