Maik erwachte. Jedoch nicht in seinem Bett, sondern auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer. Er erhob seinen Kopf und versuchte den Raum zu überschauen. Er erblickte seine Mutter, welche gerade den betrat.
„Bist du wieder wach?“, fragte sie. „Du bist einfach auf der Couch eingeschlafen, als du wieder gekommen bist“.
„Wie lange bin ich schon hier?“, entgegnet Maik schläfrig.
„Seit zwei-drei Stunden.“, sagte sie und setzte sich ebenfalls auf das Sofa. Maik blickte erschrocken zur Wanduhr. Tatsächlich war es schon Abend, dennoch schien die Sonne wie am Tage.
„Denk daran, morgen fliegst du zu deiner Schwester“, führte sie fort. „Du solltest noch packen“.
Maik sprang auf. Natürlich, dachte er. Seine Schwester wohnte in einem Land, welches südlich des Heimatlandes lag und sie hatte ihn für eine gewisse Zeit eingeladen.
Maik freute sich. Er liebte es zu reisen, auch wenn er nur selten die Gelegenheit dazu bekam. Besonders, da es sich um ein fremdes Land handelte, schien es ein Erlebnis zu werden.
Gegen Abend hatte Maik alle seine Koffer gepackt. Als er nun in seinem Bett lag, den Kopf auf die Zimmerwand gerichtet, dachte er über seine Begegnung mit dem Baron nach. Wieso sollte er herausfinden, wer er war? Maik war sich sicherlich bewusst, wer er war, so dachte er jedenfalls. Doch, wie solle er etwas neues über sich herausfinden, was er vorher noch nicht über sich wusste?
Maik drehte sich und schaute auf die Uhr seines Weckers. Die Zeit näherte sich allmählich der Mitternacht. Er sollte nun endlich einschlagen. Maik schloss seine Augen und fiel in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
…
Am nächsten Morgen war Maik früh auf. Mit einer große, Anzahl an kleineren Taschen und Rucksäcken, eine Reisetasche besaß er nicht, ging er mit seiner Mutter zur Straßenbahnhaltestelle. Sie begleitete Maik, auf seinem Vorschlag, zum Flughafen. Seine Mutter hatte ihm zwar vorgeschlagen, dass er allein fahren könne, doch Maik wollte in Begleitung aufbrechen. Auf dem Wege zur Haltestelle erblickte Maik noch einmal die Blockbauten seines Heimatortes. In der frühen Stunde, trotz der Tatsache, dass es sich um einen Sommertag handelte, stand die Sonne noch relativ niedrig, weswegen sie von den Gebäuden verdeckt wurde. Dennoch war es nicht dunkel. Einige Sonnenstrahlen konnten den erbauten Hindernissen ausweichen und trafen dabei auf Fenster oder Metallfassaden. Das reflektierte Licht ließ die Wohnblöcke erstrahlen und tatsächlich ansehnlich werden. Auf dem Boden zeichnete sich durch diese Reflexionen eine farblose, dennoch genaue, Parallelwelt ab, welche bei erhöhtem Sonnenstand zu schwinden drohte.
Maik und seine Mutter stiegen in die Straßenbahn ein. Ihr erstes Ziel war jedoch nicht der Flughafen, sondern der städtische Bahnhof. In der Bahn herrschte eine bedrückende Schwüle. Auch, wenn kaum Leute in ihr saßen, war die Luft verbraucht und stickig.
Die Bahn fuhr los. Maik schüttelte es etwas, als er an die Situation auf den Schienen dachte, wobei er sich nicht sicher war, ob dies wirklich geschehen war.
Mit der Straßenbahn fuhren sie durch Maiks Wohnort. Die Blockallee zog in hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Als die Bahn eine Brücke überquerte, welche über einen gemäßigten Fluss führte, betraten sie die Altstadt von Maiks Heimat. Jetzt zum ersten Male, bemerkte Maik, wie schön dieser alte Stadtteil doch war. Sobald sie die Brücke überquert hatten, wichen die Plattenbauten einer Reihe an Häusern im Biedermeierstile. Sie standen alle eng beieinander, nur ab und zu wurden sie von winzigen Gassen geteilt, welche meist in ein Netz aus diesen führten. Besonders fiel Maik jedoch die Willkür ihrer Platzierung auf. So, standen sie nicht, wie in Maiks Heimatviertel in einer Allee, sondern waren hier und da errichtet. Maik gefiel das. Er liebte so ein altes Ambiente und er liebte kunstvoll errichtete Architektur.
Die Fahrt war von relativ kurzer Dauer und sie erreichten den Bahnhof. Es war ein großes, braun-graues Steingebäude, dem einige moderne Elemente beigefügt wurden. Diese Kombination war abscheulich.
Im Bahnhofsgebäude herrschte ein riesiger Andrang an, mal mehr und mal weniger eiligen Menschen. Es bestand aus einer großen Halle, von der aus mehrere Gänge zu den Bahnsteigen führten. Im ganzen Hause schallten die Schritte und die Stimmen der Leute, woraus sich eine unerträgliche Geräuschkulisse ergab.
Maik und seine Mutter schauten auf die riesige, überall in der Halle ersichtliche Tafel, auf der sämtliche Abfahrten und Ankünfte standen. Die meisten Züge hatten eine Verspätung.
Als sie den Bahnsteig betraten, war auch ihrer noch nicht angekommen. Der Bahnsteig war von einem gar schrecklichen Anblick. Leere Papierhülsen, halbvolle Becher und einige Zigarettenstummel waren hier und da verteilt
„Ich hoffe, dass er nicht ausfällt“, sagte seine Mutter und schaute auf die Anzeigetafel, welche die Verspätung anzeigte.
„Und wir das Flugzeug nicht verpassen“, führte Maik fort. So, waren er und seine Mutter bei einer anderen Reise kurz davor.
Eine Nervosität durchfuhr ihn. Er erwartete, dass das Dampfross in wenigen Sekunden um die Ecke schießen und ihn mitnehmen würde. Doch, dies sollte nicht so sein.
Unschuldig schob sich alsbald der Zug, der sie zum Flughafen bringen soll, in den Bahnhof. Es war ein weiß-roter Hochgeschwindigkeitszug und jeder Winkel an ihm schien futuristisch. Dennoch zitterte Maik leicht, als er das Fahrzeug betrat.
Er und seine Mutter setzten sich auf ein Sitzquartett, wobei sie sich auf den Fensterplätzen gegenüber saßen.
Geräuschlos, sanft und fast schwebend setze der Zug sich in Bewegung. Das Fenster, an dem er saß gewährte Maik den Blick auf Backsteingebäude, welche jedoch seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt wurden, was unschwer an den zerschlagenen Scheiben und teilweise eingestürzten Dächern zu erkennen war. Nach einer Weile verließ der Zug das Bahnhofsgelände.
Sie fuhren nun auf gerader Strecke durch, Maik wenig bekanntere, Stadtteile. Biedermeier- und Bauhausgebäude huschten an ihrem Fenster vorbei bis sie einen Plattenbaudschungel durchquerten. Maik erkannte jedoch, dass es sich nicht um sein Viertel handelte.
Mit einem Male endeten die Gebäudeblöcke und sie fuhren durch eine dörfliche Gegend. Maik geriet ins Staunen. Dort lagen weite Ebenen, in denen ab und zu ein Haus oder manchmal gar eine Ansammlung von Häusern zu sehen war. Oft waren dies farbige Würfel, auf denen ein Spitzdach gesetzt wurde. Sie waren außerdem Umgeben von kleinen Gärten, in denen man Blumenbeete und Terrassen erkennen konnte.
Maik erkundigte sich bei seiner Mutter und erfuhr, dass es sich hierbei immer noch um ein Teil seiner Heimatstadt handelte. Dennoch war es einer, den er in seinem ganzen Leben, das er in dieser Stadt verbrachte, noch nie betreten hatte.
Nach einer Weile erzählte ihm seine Mutter, dass sie das Stadtgebiet bald verlassen würden. Tatsächlich sah Maik eine Reihe von Bäumen und Büschen, welche einem Grenzwall ähnelten. Nur auf der Höhe der Gleise war eine Lücke, die sie durchquerten.
Die Landschaft dahinter war noch offener. Weite Wiesen, Felder und Äcker breiteten sich vor ihnen aus. Zwischendurch zogen sich kleine Feldwege und Feldstraßen durch Baum- und Häuserreihen, auf denen einzelne Menschen spazieren gingen, sowie kleine Bäche in denen Tier und Mensch eine Abkühlung fanden.
Fast parallel zu den Gleisen lag eine Autobahn, welche mal mehr, mal minder befahren war.
Willkürlich verteilt fuhren sie an einigen Straßen-, Reihen- und Haufendörfern vorbei und dahinter im Schleier der Ferne ragten Windräder aus dem Boden, wovon sich jedoch nur wenige drehten.
Ab und zu, und aus einem unerklärlichen Grunde, standen irgendwelche Betonbauten in der Landschaft. Die Funktion schien sich nicht zu offenbaren und ihre Benutzung lag wahrscheinlich einige Zeit zurück.
Maik liebte diesen Anblick. Der Raum schien in die Unendlichkeit ausgedehnt, das erdrückende Gefühl, welches Maik begleitete war fort, obgleich er hinter der Glasscheibe des Zugfensters stand und diese Außenwelt nicht betreten konnte.
Nach einiger Zeit sahen Maik und seine Mutter den Flughafen und der Zug fuhr in einen kleinen, einseitigen Hof ein. Beide nahmen das schwere, unhandliche Gepäck und liefen in die gigantische Halle des Flughafengebäudes. Die kleine Verspätung des Zuges verursachte eine große Verspätung ihrer Ankunft und sie rannten zum Schalter. Kurz davor drehte sich Maiks Mutter zu ihm um.
„Hast du alles bei dir?“, fragte sie sorgenvoll und in Hektik. „Nicht, dass du etwas auf den Weg verloren hast“.
„Dann wäre es jetzt auch zu spät“, antwortete Maik. „Ich muss sofort zum Flieger“.
Maiks Mutter seufzte.
„Du hast recht, du solltest dich beeilen“, sagte sie.
Sie umarmten sich.
„Ich wünsche dir viel Spaß, schreib mir, wenn du angekommen bist“, sagte seine Mutter.
„Mach ich“, entgegnete Maik mit einem Nicken. „Sofort, wenn ich aus dem Flugzeug steige“.
Maik lief zur Gepäckkontrolle. Er konnte erkennen, dass seine Mutter noch wartete, bis er in Flugzeug gestiegen ist.
…
Das Flugzeug war eng und stickig. Nur schwer konnte Maik sich durch den Gang nach vorne bahnen und den für ihn vorgesehenen Sitz finden. Er saß zum Glück am Fenster, so konnte er sich die kommende halbe Stunde ablenken. Ein weiteres Glück war, dass niemand neben ihm zu sitzen schien. Er hätte keine Lust gehabt, die schnell verbrauchte und warme Luft mit einem Nachbarn zu teilen.
Es sollte bald losgehen. Eine der Stewardessen führte gerade ihren einstudierten Tanz zur Stimme des Kapitäns, der die Sicherheitsanweisungen herunter ratterte. Kurz danach ertönte das hohe Surren der Turbinen und das Flugzeug rollte auf die Landebahn. Nachdem es sich ausgerichtet hatte, wurde das Surren lauter und der Flieger fing an zu vibrieren. Mit einem Male raste es über die Landebahn. Maik wurde leicht in den Sitz gedrückt und fühlte sich etwas unwohl. Das Flugzeug ratterte und die Turbinen drehten durch. Nach wenigen Sekunden erhob sich der eiserne Vogel in die Lüfte und sämtlicher Druck wich von Maiks Körper. Eine angenehme Leichtigkeit ersetzte das Unwohlsein. Maik schaute aus dem kleinen, mit winzigen Eissternen besetzten Panzerglasfenster. Der Himmel war komplett frei, weswegen er sehen konnte, wie sich der Erdboden von ihm entfernte. Es war als könne er sämtliche Wiesen, sämtliche Felder und sämtliche Dörfer überblicken.
Jede Person, die sich außerhalb des Flugzeuges befand war verschwunden. Nur noch Flüsse, Wälder und einige Straßen waren zu sehen. Maik bemerkte, wie die Landschaft unter ihnen immer unebener wurde und aus den flachen Landen erhoben sich Hügel und Berge. Er überflog auch einige Großstädte, von denen er nur erahnen konnte, um welche es sich handelte.
Der Anblick einer Stadt, die sie überflogen, gefiel Maik besonders. Man konnte erkennen, dass sie einen Palast in der Mitte beherbergte, von dem alle ihre Häuser in Form von Sonnenstrahlen abgingen.
Maik lehnte sich in seinem Sitz zurück. Er dachte gerade daran, dass Aurora ebenfalls reiste und wahrscheinlich auch ebenfalls gerade im Flugzeug saß. Plötzlich wurde ihm bange. Ob sie ihn in den sechs Wochen Ferien vergessen würde? Ob er den Mut haben würde, sie wieder anzusprechen? Ob er deswegen nicht von Atieno und den anderen fertiggemacht werden würde?
Sein Blick wanderte wieder zum Fenster. Draußen erhob sich nun ein schneebedecktes Hochgebirge und Bergspitzen stachen den Himmel, wobei dieser sich unter ihm befand. Zwischen den Gipfeln waren grüne Täler und Maik meinte einzelne Hütten auf den Hängen zu erkennen. Und erkannte auch, dass der Boden näher kam. Ein Leuchten über seinem Sitz zeigte an, dass er sich anschnallen sollte. Das Flugzeug begann seinen Sinkflug.
...
Das Flugzeug setzte auf dem Boden auf. Ein Ruck ging durch dessen Korpus, der die Passagiere schaukeln ließ. Als der Flieger einige Runden auf dem Gelände gezogen und dann endlich die geeignete Halteposition gefunden hatte, sprangen alle Mitfliegenden auf und quetschten sich in den Gang.
Maik beobachtete dieses Treiben und entschloss sich sitzen zu bleiben bis einige ausgestiegen sind. Es dauerte sehr lange bis die Leute begriffen, dass das schmale Flugzeug nicht alle Passagiere in den Gängen fassen konnte. So stießen sie, schubsten sie und meckerten sie, wobei jeder stets das Opfer der Dummheit des Anderen war. Als der Gang sich leerte, stand er auf und sah, dass andere ebenfalls seiner Idee folgten. Er nahm seinen Rucksack aus der Ablage und ging den länglich-schmalen Korridor zwischen den Flugzeugsitzen entlang. Die Tür des Flugzeuges war geöffnet und offenbarte, wie dunkel und stickig es im Flieger gewesen ist. Er ging vorbei an der hübschen Stewardess, welche ihn auf Englisch mit französischem Akzent verabschiedete und einen schönen Aufenthalt wünschte und verließ das Flugzeug.
Sofort spürte er das warme Sonnenlicht auf der Haut und atmete die frische Luft der Außenwelt. Eine aufgestellte Treppe führte zu einem kleinen Bus, welcher ihn zum Gebäude des Flughafens bringen sollte. Maik stieg in den Bus ein. Er war schon relativ leer, da er die vorhergehenden Passagiere schon transportiert hatte, sodass nur er und weitere Nachzügler einstiegen. Die Fahrt lief relativ schnell ab. Im Gebäude holte er sein restliches Gepäck ab und betrat die große Halle des Flughafens. Weiterhin tummelte sich hier eine Menge von Leuten, welche im raschen zu ihrem Flieger liefen.
Zwischen all diesen Menschen saß Maiks Schwester. Sie sah Maik relativ ähnlich, hatte langes, schwarzes Haar, welches sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Ihre Augen glichen Maiks in Gänze und auch der Rest ihres Gesichtes war ähnlich.
Als sie Maik erblickte, lächelte sie und stand auf. Maik lächelte ebenfalls. Sie begrüßten sich mit einer Umarmung.
„Hattest du einen guten Flug?“, fragte sie, nachdem beide ihre Begrüßung beendet hatten und losgingen.
„Oh, der Flug war super! Es waren kaum Wolken da; ich konnte somit alle Orte sehen, die wir überflogen haben“, antwortete Maik.
„Da hattest du Glück; Meine Flüge waren total schrecklich“, entgegnete sie. „Ich saß auch immer neben irgendwelchen Vollidioten“.
Während die beiden liefen unterhielten sie sich über die Arten von Menschen, neben denen sie nicht sitzen wöllten. Sie verließen den Flughafen und schritten durch ein Parkhaus auf ein schmales, längliches Auto zu. Die Lichter des Wagens schienen kurz auf, als Maiks Schwester den Schalter einer kleinen Bedienung, die an ihrem Schlüsselbund hing, betätigte. Sie stiegen ein und fuhren los.
Als sie das Gebäude verließen, erblickte Maik die wundervolle Stadt, die es umgab. Sie bestand aus einer Vielzahl von barocken und klassizistischen Gebäuden, hinter welchen ferne Berglandschaften herausragten.
„Sie ist wundervoll“, dachte Maik laut und fing an zu lächeln.
„Naja, irgendwann gewöhnt man sich daran“, erklärte ihm seine Schwester in ihrer typischen polemischen Art. „Aber, jedes Mal, wenn jemand aus der Heimat mich besuchen kommt, fangen sie an zu Schwärmen“.
Sie lächelte und schaute kurz zu Maik.
„Warte erst, bis wir im Dorf sind“, sagte sie.
Seine Schwester hatte recht. Als sie Stadt verließen und auf den Landstraßen fuhren, sah Maik die Berge aus der Nähe. An ihren Füßen waren sie von Wiesen und Bäumen, manchmal gar von ganzen Wäldern bedeckt. Die Begrünung nahm zu ihren Gipfeln hin ab. So, schwanden mit ansteigender Höhe die Bäume und die Wiesen, sodass nun der graue Fels hervorschimmerte. Schließlich waren ihre Gipfel von einer dicken Schneedecke überzogen. Ab und zu konnte Maik, auf den wiesenbedeckten Hängen einzelne Hütten sehen. Sie bestanden aus Holz, wobei sie zur unteren Hälfte dunkel und zur oberen Hälfte hell waren und ein Spitzdach auf dem Haupt trugen.
Maik fand Gefallen an dieser Art des Wohnens, es schien ihm das genaue Gegenteil zu seiner Behausung zu sein.
„Wie läuft es in der Schule?“, unterbrach seine Schwester den Gedankenfluss.
„Ähm...ja...ganz gut“, sagte er aus dem Stegreif.
„Gut? Wirklich?“, fragte ihn seine Schwester beäugend.
Maik bejahte stumm mit einem hastigen Kopfnicken. Er hasste diese Frage, weswegen er immer die gleiche Antwort gab, auch wenn diese gelogen war. In diesem Jahre hatte sich seine schulische Leistung erneut verschlechtert, wie sie es schon tat, seit er dreizehn gewesen war. Dennoch hatte es jedes Mal ausgereicht, um versetzt zu werden. Nur dieses Jahr war es sehr knapp, so hatte er ein Schreiben bekommen, dass er versetzungsgefährdet sei, er konnte sich jedoch gerade so retten.
„Gut, du solltest dich anstrengen“, sagte sie, wobei Maik etwas verdutzt war, so eine Predigt sah ihr gar nicht ähnlich.
„Du bist ein kluger Mensch und hast unglaubliches Potential“, fuhr sie fort. „Solche Leute, wie dich braucht diese Welt“.
„Okay“, brachte Maik einzig hervor. Sie übertrieb, dachte sich Maik. Er hielt sich zwar für etwas Klüger, als gewisse Leute in seiner Umgebung, aber dennoch war er im Durchschnitt. So fand er, dass einige in seiner Klasse klüger waren als er.
Sie kamen im Wohnort seiner Schwester an. Sie wohnte in einem Miethaus, ähnlich, wie es Maik tat, dennoch war ihr Gebäude kein Kasten, sondern ein echtes Haus.
Als beide die Wohnung betraten, umkam Maik ein wohlig-warmes Gefühl. Ihre Wohnung war gar größer, als die, die Maik seit Ewigkeiten bewohnte. Die Größe, die Einrichtung, die Dekoration: Alles gefiel Maik, wesentlich besser, als sein Zuhause, weswegen er sich, von Anfang an, unglaublich wohl fühlte. Vielleicht wohler, als in seinem eigenen Lande.
…
Sie waren eigentlich jeden Tag unterwegs. Ob sie nur einen Spaziergang durch einen Park in einer nahegelegten Stadt oder gar in die andere Ecke des Landes fuhren, überall war es gleichsam schön. Die Ferien könnten perfekt sein, wenn Maik nicht etwas beschäftigen würde. Ihm war es immer noch nicht schlüssig, was er zu Schulbeginn tun soll. Er hatte Angst, dass alles ist, wie im letzten Jahr und, dass er und Aurora erneut keine Blicke wechseln werden. Er hatte schiere Furcht vor dem neuen Schuljahr, bis zu einem Ereignis:
Die Ferien waren zur Hälfte um und Maik und seine Schwester wanderten auf gerade auf einen der Berge, die dieses Land umgaben und füllten. Sie hatten bei ihrer Tätigkeit an enormer Höhe gewonnen und konnten auf das Dorf und die weite Landschaft drumherum herabblicken.
Plötzlich bemerkte er, dass sein Telefon in seiner Tasche ertönte. Jemand rief ihn an. Er hob ab und fragte verwirrt in den Hörer.
„Hallo?“, hörte er eine sanfte, vertraute Stimme. Maik bemerkte plötzlich, wie sein Gesicht warm wurde.
„Aurora?“, war seine zitternde Gegenfrage.
„Ja, hallo! Wie geht‘s dir?“, fragte die Stimme im Höhrer erfreut.
„Oh...ja...sehr gut und dir?“, er setzte sich auf einen Felsvorsprung.
„Großartig, der Urlaub ist wundervoll!“, sagte Aurora. „Wie ist es bei deiner Schwester?“.
„Mir gefällt es sehr hier“, gab Maik zu wissen. „Hier ist alles, wie in einem Dorf und egal wo man ist, man ist umgeben von Berggipfeln“.
„Oh, das klingt wundervoll!“, entgegnete sie und man konnte in ihrer Stimme ein Lächeln wahrnehmen.
Maik und Aurora erzählten sich, was sie in den letzten Ferientagen getan hatten und wie ihnen ihre Urlaubsorte gefielen. Über die Schule sprachen sie jedoch nicht. Als sie das Telefonat beendeten und sich verabschiedeten hielt Maik kurz inne. Sie hat an ihn gedacht. Dies stimmte ihn weitaus optimistischer.
Eine einzige Angst hatte er jedoch noch: Atieno und die anderen würden seine Entscheidung nicht billigen. Dies könne ihm zwar egal sein, jedoch werden sie ihn sicher fertigmachen. Er wusste, er müsse lernen für seine Entscheidungen zu stehen, dennoch konnte er seine Gedanken vor solchen Konsequenzen verstecken.
„Maik, bist du fertig?“, hörte er seine Schwester rufen, wobei diese seine Versunkenheit bemerkte. „Komm‘ mal her!“.
„Äh...ja; ich komme!“, antwortete er und folgte den rufen.
„Dir gefallen doch die Berge so, schau dir das an!“, sagte seine Schwester und deutete auf die Landschaft, die sich vor ihnen auftat. Es war wie eine Zusammenfassung von dem, was er auf seiner Reise hierher und in den letzten verbrachten Tagen betrachtet hatte. Ein gigantisches Tal, umringt von schneebedeckten Gipfeln. Dieses Tal bestand aus weiten Wiesen, durchdrungen von einzelnen Bächen und kleinen Hainen und Forsten. Ab und zu entdeckte man einige Haufendörfer, mit nicht mehr als zehn bis zwanzig Häusern.
„Gefällt es dir?“, fragte Maiks Schwester.
„Ja, sogar sehr“, antwortete er. „Es ist einfach wundervoll!“.
„Weißt du, ich hasse unser Heimatland...“, begann seine Schwester. „…deswegen wollte ich auch so schnell, wie möglich von dort weg und bin hier her gezogen.“
Sie schaute zu Maik: „Wenn du auch hier her ziehen willst, werde ich dich dabei unterstützten, okay?“.
Maik nickte und versank sogleich wieder in Gedanken. Er hatte nie darüber nachgedacht, wo genau er nach seiner Schule hingehen könne. Zwar wollte er gerne studieren gehen, aber seine Noten machten es ihm schwer dies zu realisieren. Die Möglichkeit in diesem Land zu leben und zu arbeiten, hatte er ebenfalls nie beachtet, dennoch gefiel ihm die Idee. Er müsse nur die nächsten drei Jahre bestehen und dann könne er neu beginnen. Fernab von allen Leuten, die ihn das Leben erschwerten.
Fernab.