Maik wachte mitten in der Nacht auf. Er schaute auf das Ziffernblatt seines Weckers und sah, dass es genau 2.00 Uhr war. Als er bemerkte, dass er nicht einschlafen konnte, verspürte er den unaufhörlichen Drang nach draußen in die Dunkelheit zu gehen. Er stand auf und zog sich die Kleidung des gestrigen Tages über.
In der ganzen Wohnung war es still. Er versuchte keine unnötigen Geräusche zu machen, um seine Mutter nicht zu wecken. Als er sein Gebäude verließ zog es ihn in Richtung der Innenstadt. Er lief die große Häuserallee entlang, an seiner Schule vorbei und über die Brücke, welche seinen Stadtteil von der Innenstadt trennte.
Auf den Straßen fuhren keine Autos und auch keine Menschen liefen auf den Bürgersteigen. Es herrschte eine Stille, welche den Klang der Schritte Maiks verstärkte. Maik wusste nicht, warum er weiterlief, eigentlich hatte er das Bedürfnis umzukehren, doch dies funktionierte nicht. Immer wenn er zurückblickte, auf den Weg, den er gelaufen war, konnte diesen zwar sehen, aber nicht begehen. Es ist, als ob eine unsichtbare Sphäre ihn aufhalten würde. Er wusste nicht warum es so ist, er wusste nur, dass es so ist.
Maik betrat die Altstadt. Dies war der innerste Kern seines Heimatortes. Die Gebäude entsprangen hier der Gründerzeit, dem Barock und sogar der Gotik.
Er lief auf den Straßenbahnschienen. Vor ihm stand ein alter Glockenturm, welcher, in jeder der Himmelsrichtungen, eine Uhr an seiner Spitze trug. Maik schaute genauer auf ihr Ziffernblatt.
Die Zeiger dieser bewegten sich schneller als sonst. Der Minutenzeiger bewegte sich im Sekundentakt, danach fing der Stundenzeiger an, dies ebenfalls zu tun.
Plötzlich brach durch das Ziffernblatt der Turmuhr des Fürstens Dampflok. Mit der Genauigkeit eines Katzensprunges landete sie auf ihrem Gestell.
Vor Maik stand nun genau der letzte und vierte Waggon des Zuges. Es war ein edles Abteil, es schien aus Marmor zu bestehen, welcher in Pastellfarben gefärbt und mit goldenen Verzierungen versehen war.
Maik holte tief Luft. Er wusste, dass es das letzte Mal sein würde, dass er diesen Zug betrete. Er stieg in den Waggon.
In seinem inneren, war es ebenfalls Edel ausschauend. Die Wände waren an manchen Stellen in Gänze golden und die Sitze und der Boden waren mit einem roten Samt bezogen. Obgleich das Dach des Waggons relativ flach war, sah es im inneren aus, als sei es eine bemalte Kuppel. Das Gemälde, was die Decke zierte, zeigte einen großen, antiken Saal in dem mehrere Menschen in Gewändern standen und ihren Geschäften nachzugehen schienen. In der Mitte des Gemäldes waren stachen zwei Personen hervor, welche von Licht der gemalten Sonne umhüllt waren. Dies war definitiv der Waggon eines Edlen.
Maik setzte sich erneut in die erste Sitzreihe. Der Zug begann seine Fahrt. Maik konnte nicht erkennen, was außerhalb des Zugs passierte, da die Fenster nur ein schwarzes Bild zeigen. Einige Zeit lang war nur das Geräusch des Gefährts zu hören.
Dann zuckten außerhalb Blitze und ein Donnergrollen war zu hören. Die Lichter im Waggon flackerten, bis sie schlussendlich komplett erloschen.
Eine undurchdringliche Dunkelheit erfüllte den Raum. Kälte kroch Maik durch die Glieder und sein Atem nahm Form an. Nur das Licht der regelmäßig aufscheinenden Blitze ließ einen Blick gewähren.
Maik meinte, zu einem Moment des Lichtes, Nebel im Wagen zu erkennen, oder war dies nur sein Atem, welcher vor seinen Augen kristallisierte? Es schien seinem Gesichte zu entspringen, doch nahm die Dunstwolke eine Silhouette an.
Der kurze Moment des Lichtes ebbte ab und die Dunkelheit kroch zurück. Auch kein Ton war zu hören. Maik vernahm nur das Schlagen seines Herzens und das Fauchen seines Atems, wobei es ihn fast erschreckte, wie laut diese vorkamen.
Erneut blitzte es.
Im Lichte sah Maik weiterhin die Silhouette. Bekam sie nun Glieder? Er meinte, dass dieser Nebel nun unwiderruflich Gestalt annahm. Als die Dunkelheit zurückkehrte, bekam er Panik. Was für eine Situation soll dies hier sein?
Wieder ein Blitz.
Maiks Panik nahm zu. Hatte diese Nebelgestalt es etwa geschafft sich zu bewegen? Er meinte, sogar detaillierte Konturen zu erkennen. Maik fing an zu zittern. Im Unlicht drang Geflüster an sein Ohr, wobei es in seinen Gehörgang einzudringen schien. Es war ein Geflüster der Erwartung, wie das Getuschel der Zuschauer, bevor der Magier etwas aus einem Hut zieht.
Ein Blitz.
Dieses Mal schaffte es die Dunkelheit jedoch nicht den Raum zu überfluten. Vor Maik erhob sich aufrecht eine leuchtende, schemenhafte Gestalt, welche einige Köpfe über ihn herausragte. Die Gestalt war in eine lange, festliche, aber dennoch mitgenommene Robe, deren Länge bis zum Boden reichte, weswegen die Beine, wie auch die Füße der Gestalt verdeckt waren. An den Seiten aus den Ärmeln der Robe erwuchsen zwei dürre und hautlose Hände. Den Kopf schmückte eine barocke Perücke, welche jedoch an manchen Stellen zerfranst und schmutzig war, wobei das Gesicht am schrecklichsten war. Dort, wo es nämlich stehen sollte, war nur ein nebelhafter Wirbel. Um die Silhouette herum zirkulierte ein Dunst, aus welchem heraus verschiedene, menschliche Visagen zu erkennen waren. Manche von ihnen waren verzerrt in Angst, manche in Unsicherheit, manche gar in Entsetzten und andere wiederum krümmten sich in tiefster Trauer.
Die Gestalt rückte näher. Mit jedem Schritte, wobei sie eher über den Boden glitt, auf Maik zu verformte sich der Wirbel am Kopfe. Er nahm die Gestalt von verschiedenen, bekannten Anblicken an. Erst Maiks Gesicht, dann das seiner Mutter, Lunas, Atieno‘, selbst Maiks Lehrer formte sich aus dem wirbelten Nebel. Nun, als dieses Ding vor Maik stand hatte es das Gesicht Auroras angenommen. Doch waren dort nicht ihre glänzenden, ausdrucksstarken Augen, welche Maik so schätzte, sondern tiefe, schwarze Höhlen.
Die Gestalt beugte sich zu Maik und schaute ihm in die Augen. Als der Kopf des Wesens nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war, schwand der Schein und das Gesicht Auroras war fort. Was nun an dessen Stelle trat war blass, faltig und abgemagert, nur die leeren Augenhöhlen blieben.
Eine Weile passierte nichts. Nur das Rattern des Zuges war zu hören.
„Wer … Wer bist du?“, versuchte Maik diese Stille zu durchbrechen.
Die Silhouette streckte die Hand aus und hielt etwas in ihrer geballten Faust. Sogleich ließ er, als er die Faust öffnete, ein zerknülltes Papier fallen. Maik öffnete es und laß:
„Ernennung zum Marquis durch seine Unfehlbarkeit dem Fürsten – Möge er das Ungeschehene zeichnen“.
„Du bist also auch vom Fürsten geschickt“, stellte Maik fest, wobei ihm dies schwer fiel. Irgendwas unterschied diesen Marquis von den anderen Begleitern.
Das Wesen antwortete nicht, stattdessen neigte es seinen Kopf und schaute aus dem Fenster des Zuges. Maik zögerte kurz und tat es ihm schließlich nach.
Die Lok fuhr durch einen Tunnel, dessen Wände aus schwarzem Stein bestanden, sodass sie kaum zu erkennen waren. Zu seinen Seiten befanden sich mehrere Abzweigungen der Schienen, welche in Nebenarme des Tunnels führten. Manche von ihnen waren dunkel, aus manch anderen schien ein Licht. Doch Maik konnte nie erblicken, was sich genau in ihrem inneren befand, da sie viel zu schnell an diesen vorbeirasten. Nichts würde ihn mehr interessieren als die Geschehnisse, die ihnen beim Durchqueren der Tunnelarme passieren würden.
Die Geschwindigkeit erhöhte sich. Maik bemerkte, dass all diese Abzweigungen nach einer Weile wieder zusammenführten.
„Wohin genau führt dieses Gleis?“, fragte er den Marquis. Dieser gab jedoch keinen Ton von sich, sondern erhob nun die Hand und zeigte auf das Fenster des Wagons. Im selben Moment öffnete sich dieses von selbst. Maik beugte sich heraus und erkannte, dass das Gleis in eine Wand führte. Erschrocken stellte er fest: Dieser Tunnel war eine Sackgasse!
„Werden wir anhalten oder durchbrechen?“, fragte er, wobei sein befragter Begleiter keine Antwort gab, sondern ihn kurz ansah und sich danach in Luft auflöste.
Maik klammerte sich in seinen Sitz. Er zitterte, obgleich er sich beständig fragte, wovor er denn Angst habe. Das Ende des Tunnels war unausweichlich, und wenn etwas unausweichlich ist, dann kann es doch nicht schlimm sein. Wenn er sich vor dem Ende zu sehr fürchtete, verdirbt er sich doch das Vergnügen der Zugfahrt.
Welch merkwürdiger Gedankengang. Wie könnte eine Zugfahrt vergnüglich sein? Ist es denn überhaupt der Sinn einer solchen Fahrt Vergnügen zu bereiten oder ist sie doch nur der beschwerliche Weg zu ihrem angenehmen Ende hin.
Die Mauer kam näher. Maik schloss die Augen; soll doch geschehen, was geschehen muss!
…
Der Wind fauchte und die Scheiben und Fensterbänke klapperten in seinem Zuge. Maik öffnete die Augen. Der Zug hatte angehalten, doch er befand sich nicht in einem Tunnel. Er erhob sich von seinem Sitz und zuckte kurz zusammen, als er die Gestalt des Marquis sah. Er stand neben der Waggontür. Seine Blicke richteten sich auf Maik, wobei er, nachdem er erblickt wurde, sich zur Tür drehte und den Wagen verließ.
Maik folgte ihm und trat aus dem Zuge. Vor sich sah er einen Pfad, welcher durch einen französischen Garten zu einem Palast führte. Ein prachtvoller Palast war dies; seine Fassade war komplett aus vergoldetem Marmor. Der Garten, welcher vor dem Gebäude ausgebreitet lag, wurde umzäunt von einer massiven Mauer. Nur an einer Stelle hatte sie ein geöffnetes Gittertor, vor dem Maik und der Marquis nun standen.
Als er losging und den Garten betrat, war der Marquis stets an seiner Seite. Auf der Hälfte des Weges trafen sie auf eine Marmorstatue. Sie hatte die Form einer Taube, welche mit den Flügeln einen Kreis bildete und damit etwas umhüllte. Spärlich konnte Maik erkennen, was es war, auch, wenn dies schon genügte. Es handelte sich um eine mannshohe Puppe, deren Anblick grausam war. Sie bildete ein Mädchen ab, wobei dieses in der Mitte ihres Leibes ein klaffendes Loch besaß. Ihre Augenhöhlen waren verwaist und schwarz. Das Mädchen lächelte, wobei dieses Lächeln anstrengend und freudlos schien.
Maik schüttelte es. Er wollte dieses Bildnis nicht länger sehen und begab sich zum Eingang des Palastes. An der edlen Tür hing ein schwerer Haken zum Klopfen. Der Marquis schritt weiter und verschwand in der Tür.
Maik klopfte. Eine Weile passierte nichts. Dann waren Schritte aus dem Inneren des Gebäudes zu hören. Langsam öffnete sich das Tor und es trat eine verhasste Gestalt heraus. Der Wächter; der Dorfschulze; der Mentor stand nun vor Maik. Dieses Mal trug er jedoch einen sauberen Frack und eine schwere Eisenkette wurde mit einem Ring um seinen Hals gehangen.
„Womit kann ich dienen?“, fragte dieser in einer höflichen Weise.
Maik wusste nicht, was er sagen sollte, weswegen er zu stottern begann.
„Wollte Ihr zum Herr des Hauses?“, wurde Maik erneut gefragt. „Ich kann Euch zu ihm geleiten“.
„Ja!“, sagte Maik zaghaft. Der Angekettete deutete an, dass er ihm folgen solle und lief anschließend voraus.
Der Palast war enttäuschend leer. Zwar sah er im Inneren genau so Edel aus, jedoch fehlte jegliches Mobiliar.
Im Zentrum eines großen Saales stand ein Sessel vor einem Kamin, in dem ein Feuer brannte. Der Dienende lief um den Sessel herum.
„Der Herr, es ist Besuch für Euch da“.
Als Maik ebenfalls um den Sessel herumtrat, erkannte er, dass es sich bei dem Herren des Hauses um den kleinen, blonden Jungen handelte.
„Ah, guten Tag, Maik, schön dich wiederzusehen“, sagte er, wobei dabei stetig in das Feuer starrte und ab und zu es mit einem Holzscheit fütterte. Dabei flammte das Feuer auf und der Raum schien noch edler und prunkvoller als zuvor.
Der Diener trat ab und ließ die beiden allein. Nach einer Weile kehrte er zurück und brachte einen weiteren Sessel, mit der Bitte an Maik sich zu setzten, danach entschwand er erneut. Der Junge drehte seinen Sessel, damit er ihn ansah
„Ist diese Flamme nicht wundervoll?“, fragte der Kleine. „Ihr Antlitz fasziniert mich immer wieder und ihre Wärme ist einfach wohlwollend. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun soll“.
„Ist in diesem Palast nur das Feuer?“, erkundigte sich Maik.
„Natürlich, ich brauche nichts anderes, um glücklich zu sein“.
„Gehört der gesamte Palast dir?“
„Oh ja!“, antwortete der Junge. „Es war hart, aber schlussendlich habe ich es geschafft ihn einzurichten. Wie lange habe ich gehofft, so ein Haus zu besitzen“.
„Und du hast sogar einen Diener“, fing Maik an. „Wie hast du den bekommen?“.
„Ach, nachdem er soviel Unheil angerichtet hatte, habe ich es geschafft ihn zu besiegen und ihn seiner eigentlichen Aufgabe zugeordnet. Ich habe ihn sozusagen gezähmt“.
„Hast du keine Angst, dass er irgendetwas anrichten könnte?“, gab er zu bedenken.
Der Junge schüttelte den Kopf: „Ich glaube nicht , was sollte er in diesem Zustand schon tun?“
Als der Junge den Satz beendete, ertönte ein knarrendes und krachendes Geräusch. Deckenpfeiler fielen von oben herab und knallten auf den Boden.
„Oh nein!“, schrie der Junge. Maik bemerkte plötzlich, dass der Saal in keinster Weise mehr edel aussah. Er trug nun eine simple Holzfassade, welche an einigen Stellen vermodert war.
„Mein geliebtes Feuer!“, ertönte es von dem Kleinen. Die Flamme des Kaminfeuers war erheblich geschrumpft.
„Ihr müsst es nähren, mein Herr“, sagte der Diener, welcher ebenfalls in den Raum gekommen war und sich seiner Kette offenbar entledigt hatte. „Nehmt dieses Holz!“.
Er deutete auf ein, auf dem Boden liegender Holzscheit. Der Junge rannte sofort und nahm ihn, wobei er direkt zum Feuer lief. Was er nicht erkannte, war der Marquis, welcher an der Stelle des Holzes erschienen war. Er blickte erst zu Maik und dann nach oben, an die Decke. Maik folgte seinem Blick und sah, dass Wasser von der Decke auf die Stelle, auf der das Holz lag, tropfte. Ihm stockte der Atem.
„Warte!“, schrie er zum Jungen. „Das Holz ist na-...“.
Der Kleine war das Holz in die Flamme, wobei diese dunklen, stickigen Qualm ausbrach. Immer mehr Teile des ehemaligen Palastes fielen zusammen. Maik erblickte erneut den Marquis. Dieser erhob seine Hand und deutete mit dem Finger aus einem Fenster des Gebäudes. Maik schaute aus diesem heraus und hatte Sicht auf die Taubenstatue im Garten. Diese öffnete ihre Flügel und gab die Puppe frei, welche ihren Kopf in Richtung des Gebäudes wand.
Maik wollte nach dem Jungen rufen, doch dieser war zu sehr beschäftigt, die Holzscheite auszutauschen und das Feuer am Leben zu erhalten.
Diese unmenschliche Marionette bewegte in einer unnatürlichen Weise ihre Glieder und lief auf den Palast zu. In der rechten Hand hielt sie ein Seil, welches zu einer Schlaufe gebunden war.
„Wir sollten den Rauch verziehen lassen“, sagte der Diener und öffnete die Tür des Hauses. Die Puppe lief genau auf den Eingang zu.
„Schließ sofort die Tür!“, rief Maik.
„Wollt ihr, dass der Herr erstickt?“, eine Empörung stieg aus der Stimme des Dieners.
„Die Puppe darf nicht in dieses Gebäude“.
Ein Streit entstand zwischen ihm und dem Diener. Maik versuchte die Tür zuzuhalten, jedoch kam er nicht gegen den anderen an.
„Halt!“, ertönte es plötzlich aus der Richtung des Jungen. Dieser hockte vor dem Kamin und blickte erfreut auf die Flamme, welche langsam wieder zu wachsen begann. Er legte noch einige Holzscheite nach und das Feuer nahm endlich wieder seine alte Größe an. Sofort reparierten sich alle Brüche im Gebäude und der Saal nahm seine gewohnte Verzierung an.
Der Junge fiel seufzend in seinen Sessel.
„Eine Minute unaufmerksam!“, jammerte er. „Wie soll ich nur in ständiger Angst vor dem Aus weiterleben?“.
„Gibt es keine Möglichkeit, das Feuer dauerhaft zu nähren?“, fragte Maik.
Der Junge schaute auf: „Ich hörte, es gibt solch ein Mittel in den tiefen dieses Gebäudes“, er deutete auf eine Tür. „Aber es soll unsicher, wenn nicht gar gefährlich sein“.
Der Diener, welcher nun wieder an seiner Kette hing, nickte: „Es ist keine gute Idee, für so einen kleinen, schwachen Herren. Außerdem, wer soll sich denn um das Feuer kümmern“.
Maik sah, dass der Marquis durch die Tür verschwand.
„Du hast das Feuer doch jetzt gut genährt, eine kurze Zeit ohne dich wird es aushalten“, Maik grübelte. „Ich komme mit dir mit, dann ist es sicherer“.
Der Junge schaute erst zu Maik, dann auf den Diener, wobei sein Blick sich in eine unangenehme Herabwürdigung verwandelte, und dann wieder zu Maik.
„Du hast recht“, sagte er. „Lass uns gehen!“.
Ohne weitere Worte zu wechseln und ohne sich weiterhin die Worte des Dieners anzuhören gingen beide zur Tür, durch die der Marquis wandelte.
Dahinter war ein weiterer, rundlicher Saal. Gegenüber dem Eintritt sahen sie erneut eine Tür. Maiks Aufmerksamkeit galt jedoch dem Zentrum des Raumes. Dort stand ein Tisch, an dem, links und rechts, zwei Damen saßen. Er konnte erkennen, dass es sich um Klassenkameraden von ihm handelte, jedoch schienen sie gealtert. Sie führten ein angeregtes Gespräch:
„Ich weiß nicht, wie es ihm ging. Ich weiß nicht, wie er lebte. Ich weiß nur, dass er tot ist“, sagte die eine.
„Unglaublich! Ist es bekannt, warum er gestorben ist?“, fragte die andere.
„Ich habe mich noch nicht, darüber informiert, aber es ist schon ein merkwürdiges Gefühl. Ich meine, er ist einfach fort“, entgegnete die erstere.
„Naja, es war klar, dass es irgendwann so passieren musste. schwächlich und sensibel, wie er war“, spottete die letztere.
„Nun, sei nicht so hart mit ihm. Er hatte schon einen noblen Charakter, etwas eigentümlich, aber gutwillig“, erkannte die linke.
„Nervig ist ein besseres Wort. Ich bin jedenfalls nicht traurig, dass es geschehen ist.“, behauptete die rechte. „Nun, sag aber, war er eigentlich alleinstehend?“.
Mit einem Male bewegten sich die beiden Frauen nicht mehr, als seien sie eingefroren.
„Was soll das?“, fragte der Junge.
„Ich weiß es nicht“, sagte Maik. „Komm, wir sollten weiter gehen“.
Als sie die nächste Tür passierten, gelangten sie in einen Raum, welcher die gleiche Form hatte. Diesmal, jedoch, standen in der Mitte zwei andere Personen. Die eine konnte Maik als seine Mutter identifizieren, die andere war ihm jedoch unbekannt. Sie führten ebenfalls ein Gespräch:
„Ist sie nicht ein tolles Mädchen? Ich bin schon etwas stolz“, begann Maiks Mutter.
„Auf jeden Fall, so wie du sie beschreibst, ist sie etwas ganz besonderes. Kein Wunder, dass dein Sohn im siebten Himmel schwebt“, entgegnete die Unbekannte.
„Ja, und ich muss sagen, mir würde sie als Schwiegertochter durchaus gefallen“, fuhr seine Mutter fort.
„Kann ich mir vorstellen, das würde sich sehen lassen!“, sprach die andere. „Und? Wie lange glaubst du, bleiben sie zusammen?“.
Wieder brach die Bewegung der Person ab. Verwirrt winkten der Junge und Maik dieses Gespräch ab und gingen durch die nächste Tür.
Der Raum wiederholte sich. In der Mitte standen nun zwei junge Herren, welche Maik beide nicht kannte.
„Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Schande eigentlich, er war ein guter Mensch“, sagte einer von beiden.
„Das war er, aber es ist erstaunlich, wie weit er wegzieht, nur für sein Studium“, wurde ihm entgegnet.
„Es ist aber der geeignete Ort für ihn und seinen Studienfach“, sagte ersterer.
„Ja, es war auch klar, dass er seine Heimatstadt irgendwann verlassen würde“, fuhr der zweite fort. „Aber, weißt du, ob er in dort alleine wohnt?“.
Das Gespräch endete auch hier. Maik und der Junge gingen sofort durch die nächste Tür. Jetzt standen sie jedoch nicht in seinem runden Saal, sondern in einem länglichen Gang. Am Ende des Ganges lag eine weitere Tür, hinter welcher der Marquis verschwand.
„Hinter der Tür sollte es sein“, sagte Maik und deutete zu ihr hin.
„Bist du dir sicher?“, fragte der Junge. „Diese Räume machen mir Angst“.
„Ja, ich bin sicher“.
„Gut, dann beeilen wir uns, ich will zurück zu meinem Feuer“, der Junge lief vor zum Ende des Ganges und legte seine Hand an den Türknauf. Plötzlich fror auch er in seiner Bewegung ein.
„Hallo?“, rief Maik, doch der Junge rührte sich nicht.
Es ertönte ein Fauchen, gleich eines Windes, welcher im Sturm durch die Ritzen von Gebäuden wehte. Mit einem Male löste sich alles auf. Der Gang, die Tür, der kleine Junge; alles verwehte im Wind, wie der Sand in der Wüste.
Maik wusste nicht, was das bedeuten solle. Hatte er seine Aufgabe erfüllt? Er fand sich der pechschwarzen Ebene wieder, welche er schon einmal betreten hatte.
„Hallo?“, rief er erneut, doch bis auf sein Echo antwortete ihn niemand. Oder doch? In der Ferne meinte Maik ein Flüstern zu hören. Es wurde immer lauter. Zu laut. Maik hielt sich die Ohren zu, doch es brachte nichts. Das Flüstern schien in seinen Kopf eingedrungen zu ein.
„Das Handeln dem Handelnden“, sprach es aus der einen Ecke.
„Das Denken dem Denkenden“, zischte es aus der anderen Ecke.
„Das Leben dem Erlebenden“, hallte es in Maiks Kopf.
„Das Leben dem Erlebenden“, wiederholte er leise. Kurz darauf rüttelte der Boden. Maik konnte kaum noch stehen und er erschrak, als er erkannte, dass sich Risse im Grunde bildeten. Er wollte wegrennen, doch die Risse erweiterten sich zu Schluchten. Maik wusste nicht, wohin er sollte. Die Schluchten umgaben ihn, wobei er nur noch auf einem kleinen Stücke stand. Doch auch dieser Boden schien nachzugeben. Mit einem Schrei stürzte Maik in die unendliche Tiefe.