Tea Time
Im allerersten Moment konnte es sich nur um einen schlechten Scherz handeln, doch dann fiel es Jem wie Schuppen von den Augen. Wenn Colin ein Stricher war, dann hatte er den Vorschlag, zu ihm nachhause zu gehen, natürlich vollkommen anders verstanden. Fuck! Alle Alarmglocken, die er zuvor nicht gehört hatte, läuteten jetzt gleichzeitig Sturm.
„Sollen wir’s hier machen?“, fragte Colin und stand auf, nur um sich gleich darauf rittlings auf Jems Schoß zu setzen.
Der erstarrte vor Überraschung und schaffte es gerade noch, Colins Hände zu nehmen, um ihn daran zu hindern, ihm die Hose zu öffnen.
„Hey, ho, stopp mal!“, brachte er endlich hervor.
Der Schwarzhaarige nahm das nicht wirklich ernst und lehnte sich vor, um ihm über das Kinn zu lecken.
„Hey, hörst du nicht?!“, stieß Jem aus und zog den Kopf zur Seite. Jetzt schien Colin zu versteinern.
„Was ist? Du hast gesagt, du findest mich nett…“
Jem nahm sich zusammen und schaute ihn an. „Ja, stimmt. Das heißt aber nicht, dass ich gleich Sex von dir will.“
„Was soll das alles dann?“, fragte der Junge jetzt mit einer Mischung aus Überraschung und Empörung. Was sollte das heißen, kein Sex?
Jem schüttelte den Kopf, wie um ihn klar zu kriegen und schaute Colin dann in die Augen. Da war noch etwas, fast so, als wäre er durch die Zurückweisung verletzt. „Hör, mal, es ist nicht so wie du denkst, aber es ist auch nicht so wie du jetzt denkst.“
„Was soll der Schwachsinn bedeuten?“
Der junge Mann startete einen zweiten Erklärungsversuch. „Okay, pass auf, ich habe dich zu mir eingeladen, weil du mir mit dem Hund `ne Hilfe warst. Und du hast ausgesehen, als könntest du `nen heißen Tee vertragen. Ich hab` nicht geschnallt, dass du gedacht hast, ich wollte dich abschleppen.“
„Abschleppen?!“
Jems Hirn kam ins Rasen. Wie nannte man das sonst? „Okay, okay, tut mir leid. Klar machen, freien, was immer das ist. Ich wollte nur nett sein.“
„Red keinen Mist, du hast mich gesehen da unter der Brücke. Und du hast ständig zu mir 'rübergeschaut. Was sollte das dann?“
„Ich hab überlegt, ob du mich gleich niederschlägst und ausraubst…“
„Waas?!“
„An Sex hab ich nicht gedacht. Echt nicht. Ich… hab’s noch nie mit `nem Typen getan. Ich…äh,… mag Frauen.“
„Was du nicht sagst. Was glaubst du, wie viele von den Typen da draußen auf Frauen stehen und trotzdem wollen, dass ich ihnen einen blase oder 'runterhole?!“
Jem schüttelte wieder den Kopf. Da war jetzt eine Bitterkeit in Colins Stimme, die eher noch schlimmer war, als seine Empörung.
„Bitte“, begann er erneut und versuchte beruhigend und sanft zu klingen, „jetzt sei nicht… sauer. Ich wollte dir helfen, das ist alles.“
„Du denkst, du hilfst mir mit Tee und Erdnussbutter?“
„Ja. Und du kannst die Klamotten behalten. Und du kannst hier übernachten, wenn du magst… also ich meine, übernachten, wie: nur schlafen. Allein.“
„Ich glaube, ich hab’s kapiert. Krieg ich meine Hände wieder?“
„Sicher.“
Colin stieß einen genervten Seufzer aus und stieg von Jem hinunter, als der ihn losließ.
„Stimmt übrigens nicht ganz“, bemerkte er dann.
„Was?“ Jem hatte schon wieder keinen Schimmer.
„Das mit den Frauen. Ich erkenne `ne Erektion, auch `ne halbe, wenn ich eine sehe,“ bemerkte Colin und zwinkerte in eine ganz bestimmte Richtung, „aber du willst ja meine Hilfe nicht.“
Jem wurde prompt heiß und kalt zugleich und er hoffte, er würde nicht auch noch knallrot. Der Typ hatte recht. Es war klar zu sehen. „Hat nichts mit dir zu tun“, log er. Es gab keine andere Erklärung, aber zugeben wollte er es auch nicht. Er setzte sich so aufrecht hin, wie es ging und nahm sich mehr Tee.
„Du auch?“, fragte er Colin, der sich inzwischen wieder anständig an den Tisch gesetzt und zu den Schoko-Caramel- Hobnobs gegriffen hatte.
„Was hast du immer mit deinem Tee?“, fragte er und hielt Buster auch einen Keks hin. Der Hund merkte sofort, dass er gemeint war und kam zum Tisch und schnappte sich das Teil.
„Keine Ahnung. Willst du überhaupt welchen? Willst du dem Hund welchen geben?“ Jem klang jetzt halb resigniert. Gerade wusste er nicht, was er tun oder sagen sollte. Keks war bestimmt nicht gesund für Buster…
„Dem Hund? Du bist lustig!“, fand Colin und lachte tatsächlich. Zum ersten Mal, wie Jem bemerkte. Und wie er zuvor geahnt hatte, stand ihm das wirklich gut. Fuck! Er erwischte sich dabei, wie er dem Burschen auf die Lippen schaute, mit denen der eben noch was ganz Bestimmtes vorgehabt hatte.
„Ich, geh dann auch mal ins Bad“, murmelte Jem und ließ Colin mit Buster in der Küche zurück. Was war das jetzt? Wo hatte er sich da hinein geritten? Im Bad tat er einen Blick in den Spiegel. Er sah aus wie immer, nur ein wenig rot. Also doch. Und was jetzt? Er könnte eine kalte Dusche nehmen, um sich abzuregen oder er könnte sich selbst einen 'runterholen. Er entschied sich für Letzteres, wobei er zunächst versuchte, sich die rothaarige Irin vom Pub am Camden Lock vorzustellen. Die war heißer als der Kaffee dort. Das war sowas von klar. Und auf gar keinen Fall würde er sich zu der sexuellen Ausbeutung eines womöglich noch Minderjährigen hinreißen lassen…nein… nein… der, wer weiß was… alles tat… für, wer weiß… wen…der spielte in der Küche…lachte mit dem Hund… FUCK! Jem kam, noch bevor ihm die Kaffee-Irin wieder einfiel. Dann kühlte er sich das Gesicht mit Wasser ab. Colin würde die Couch im Wohnzimmer kriegen und morgens würde er wieder gehen. Und Jem könnte ihm etwas Geld geben… Dumm nur, dass es im Leben selten so kommt, wie man es plant.