Vorhölle
Als die Nacht kam, kam auch der Turkey. Jem hatte das noch nie gesehen, aber jetzt verstand er den Namen. Seit ihrer Auseinandersetzung hatten Cal und er kein Wort gewechselt und der Schwarzhaarige hatte sich erschöpft und frustriert, mit Rücken zu dem Blonden, im Bett zusammengerollt. Als Jem in seinem Sessel jetzt von seinem Buch aufsah, weil Callum nicht mehr ruhig blieb und einen heftigen Schüttelfrost bekam, sah er, wie dessen Muskeln krampften und sich auf seiner Haut im Nacken eine Gänsehaut bildete. Es ging los. Jetzt so richtig. Der junge Mann trat besorgt ans Bett heran, aber Callum drehte sich krampfend und ächzend nur mehr zur Wand. Warmhalten, hatte Roger, der Arzt gesagt. Also holte Jem noch eine dicke Decke aus dem Wohnzimmer. Als er zurückkam, war das Bett leer. Aus dem Bad kamen eindeutige Geräusche. Cal übergab sich übelst. Als Jem zur Tür herein wollte, schlug Cal sie zu. Sie hielt jedoch nicht zu, weil sie zuvor eingetreten war. „Bleib mir weg, du Arsch!“ Dann wieder das Würgen und Spucken. Scheinbar endlos. Jem suchte frische Klamotten raus. Bestimmt waren Calllums Sachen nassgeschwitzt, beschmutzt und klamm. Irgendwann müsste er sich helfen lassen. Dann war es plötzlich verdächtig still. Darauf folgten seltsame, gedämpfte Schreie. Als Jem nachsah, lag Cal zuckend, mit Krämpfen vor dem Klo. „Hh...au…aa...bb!“, brachte er heraus. Etwas dagegen tun, dass Jem blieb, konnte er allerdings nicht. Der Blonde legte ihm erst trotz Gegenwehr ein Handtuch unter den Kopf, dann machte er einen Waschlappen mit warmem Wasser nass. Callum schüttelte abwehrend den Kopf, sodass Jem ihn kurzerhand zwischen die Armbeuge klemmte. Der Jüngere krampfte oder zappelte noch mehr. „Halt jetzt still, ich wasche dein Gesicht.“ Er tat es einfach. Cal wehrte sich noch immer, aber das war ihm egal. Er wusch eine Mischung aus Schweiß, Blut und Erbrochenem ab. Dann zerrte er den Lockenkopf mit sanfter Gewalt zurück zum Bett. Dort zog er ihm zumindest das Shirt aus und ein neues über. „Ich… hasse dich…“, spie der aus, aber Jem war nicht sicher, wer gemeint war. Er gab ihm mehr Schmerzmittel, wie bei einer Katze. Er nahm Callum wieder in den Schwitzkasten, drückte die Kiefer am Gelenk auseinander, schob blitzschnell die Tabletten rein, hielt Mund und Nase zu, bis er geschluckt hatte. Dann erst ließ er los. Gleich darauf schlug Callum nach ihm, traf aber nicht und fiel vornüber aus dem Bett. Er schrie vor Wut und Schmerz. „Wichser!!!“ Jem blieb völlig ruhig. Ihm war klar, dass sie das hier gegen den Willen des Bengels taten, aber vielleicht würde er es irgendwann einsehen, dass es der einzige Weg war. Callum rappelte sich hoch, griff, was er kriegen konnte und warf damit wutentbrannt nach Jem. Eine Wasserflasche, zum Glück PET. Das Buch, alle Schuhe aus Jems Kleiderschrank, die Sneaker, die guten Lederschuhe, die Wellies… Buster bellte im Wohnzimmer Sturm. „Ich bring den Köter um, wenn du mich nicht rauslässt…“, rief der Lockenkopf und eilte in die Richtung des Gebells. Die neue Taktik ließ Jem, der sich nur geduckt hatte, jetzt blitzschnell reagieren. Er sprang Callum regelrecht an und warf ihn zu Boden. Der ächzte laut und schmerzlich auf, aber der Blonde hielt ihn fest an der Taille umklammert. „Lass los!“ schnaubte Callum und griff brutal in Jems Haar. „Niemals!“, gab Jem zurück. Er war durch Gewicht und Fitness klar überlegen. Er hielt den Junkie unten und weil der wieder strampelte, hakte Jem mit einem Bein über die von Callum, dann zog er sich rittlings über ihn. Als sein Gewicht ihn sicher unten hielt, ergriff Jem seine Hände und hielt sie fest. „Lass mein Haar los, verdammt.“ Cal dachte gar nicht daran, doch endlich kam der Hund hinzu und völlig irritiert begann er noch heftiger zu bellen und aufgeregt am die beiden Männer am Boden zu kreisen. Das versetzte den Schwarzhaarigen in Panik. Er ließ Jems Haar los und schrie. Er wollte sich den Kopf schützen und Jem ließ ihn gewähren. „Aaagh, lass… hau ab…“, winselte Callum verzweifelt und hielt die Hände schützend über den Kopf. „Das ist nur Buster. Der tut nichts“, tröstete der Blonde, weil er merkte, dass Cal völlig neben sich war. „Buster?“
„Ja, du magst ihn.“
„Shit! Mir ist… schlecht.“
„Komm hoch, ins Bad…“
Jeremy half Callum hoch. Er musste ihm echt weh getan haben, denn er hinkte ins Bad. Dort übergab er sich wieder und wieder. Jem hielt ihm den Kopf, dann, als es nach einer gefühlten Ewigkeit vorbei war, wusch er ihm wieder das Gesicht, danach half er ihm ins Bett. Cal wirkte jetzt fast völlig erschöpft und ließ alles geschehen. Er nahm die Tabletten und weil Jem ihn dazu aufforderte, ließ er sich einen Marsriegel füttern. Er verzog das Gesicht, dann rollte er sich zusammen. Wieder Krämpfe, wieder Schüttelfrost und Jem überlegte, ob es das Beste sei, ihn im Bett zu fixieren…
Als nächstes war da ein Klopfen an der Tür und als der blonde junge Mann nachsah, lag da eine Notiz von Roger, dem Arzt, unter der Tür durchgeschoben mit einem Umschlag. Bin gerade rein. Wenn du mich brauchst, ruf kurz an. Gib ihm davon. Jem sah nach. Drei andere Tabletten. Er würde sein Glück versuchen. Zurück im Schlafzimmer räumte er seine Schuhe zurück und legte Callum die Decke über. Der wimmerte und stöhnte und man sah überdeutlich, wie seine Muskeln krampften. Jem versuchte, seinen Puls zu fühlen, was der Lockenkopf geschehen ließ. Der Puls raste. Kein Wunder. „Hier nimm, Cupid“, flüsterte Jem und gab ihm eine Tablette. Nach einer Weile schienen die Krämpfe besser, auch wenn der Schüttelfrost noch da war. Jem wusch mit einem warmen Waschlappen Cals Gesicht und strich ihm beruhigend durchs Haar. „Du blutest…“, flüsterte Callum. Das stimmte, als Jem da tastete, wo der andere ihn an den Haaren gezogen hatte, fand er Blut an den Fingern.
„Du kämpfst mit allen Mitteln“, bemerkte er halb im Scherz, „spar deine Kraft für das hier, nicht für mich.“
„Das ist … sinnlos. Wie soll ich… von dem Zeug… wegbleiben. Ich … brauche es…“
„Das glaubst du nur, das ist nicht so…“
„Doch, lass mich einfach gehen…“
„Du gehst nirgendwo hin.“
„Das ist … Zeitverschwendung, bitte…“
„Keine Chance. Bleib ruhig, ich helfe dir, ich will dir nicht wehtun.“
„Du bist ein… seltsamer Typ. Jemandem wie dir, … bin ich noch nie… begegnet.“
„Ist das gut oder schlecht?“
„Weiß‘ nicht“
Jeremy lächelte. Bestimmt war das gut, es musste gut sein.
„Da, da, was sind das für Viecher…!?“, schrie Callum plötzlich auf und starrte entsetzt in eine vollkommen leere Zimmerecke.