Vater
Jem hatte jetzt das dringende Bedürfnis, Callum zu küssen, aber nachdem er seine Vergangenheit nun kannte, voller körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt, kam er ihm zerbrechlicher vor als je zuvor. „Darf ich dich küssen?“, fragte er darum erst. Der Junge war noch nie gefragt worden. Er blinzelte, was ein Ja bedeutete und lehnte sich vor, damit sich ihre Lippen treffen konnten. Er schloss die Augen, genau das hatte er noch nie getan. Gleich darauf legten sich Jems Lippen auf seine. Sie waren warm und ein bisschen rau. Callum öffnete seine ein wenig, woraufhin Jem begann, mit ihnen zu spielen. Cal spürte seinen ruhigen, warmen Atem, dann kam sanft die Zunge hinzu. Der Schwarzhaarige erwiderte den Kuss jetzt. Er legte dem Blonden eine Hand an die Schläfe, die andere in den Nacken und flüsterte „küss mich“. Jem gehorchte nur zu gern und intensivierte das Zungenspiel. Callum tat es ihm gleich und Jem beugte sich weiter vor, ohne zu drängen und ohne Eile. Wie lange der Kuss so andauerte war nicht zu sagen. Cal öffnete irgendwann die Augen und Jem sah ihn an. Dann hauchte er „Ich bin verliebt in dich, Callum Cupid Robinson“. Callum lächelte und raunte dann „und ich in dich“. Und wieder folgte ein langer, zärtlicher Kuss, so lange, bis das unerwartete Klingeln des Telefons die beiden störte. „Die Welt ruft“, murrte Jem.
„Lass‘ rufen“, fand Callum.
„Könnte die Polizei, könnte wichtig sein…“
„Mmrrrr…“
Callum ließ Jem, der immer so vernünftig war, ungern aufstehen, aber der hatte Recht gehabt. Es war die Polizei und er spitzte die Ohren, um zu hören, worum es ging. Mister J war verhört worden. Als es länger dauerte, stand Cal mürrisch vom Teppich auf. Er ging zu Jem, vielleicht könnte er am Hörer mithorchen. Er legte ihm von hinten die Arme um die Mitte und legte sein Kinn auf Jems Schulter. „Was würden Sie raten?“, fragte Jem. Die Antwort war nicht verständlich.
„Was ist los?“, fragte Cal.
„Mm mmmh, sei leise, ich versteh nicht, nein, nicht Sie, …“
Cal fand Gefallen daran, er leckte Jem am Ohr.
„Hey, schsch…“
Cal küsste ihn am Hals, da wo der in die Schulter überging. Dass Jem versuchte, sich nicht ablenken zu lassen, war zu interessant, um aufzuhören. Cal flüsterte in das andere Ohr. „Du bist so heiß, ich will dich…“
„Cupid, das ist kein Spaß… nein, nicht Sie …“
Cal rollte leicht genervt mit den Augen. Natürlich war das mit der Anzeige wichtig, aber welchen Unterschied sollte es machen? Jem schien es sehr ernst zu nehmen … Also riss sich Cal zusammen. Ein schneller Klaps auf Jems sexy Arsch und er ging Buster kraulen. Der Hund hatte in letzter Zeit zu wenig Aufmerksamkeit erhalten und genoss es jetzt umso mehr. „Hey Buz…“
Als der Blonde endlich zu ihnen kam, schaute Cal neugierig.
„Die haben den Typen von Euston verhört. Er behauptet, du seist mit der Lampe auf ihn losgegangen, weil du nicht bezahlen konntest. Er sei ohnmächtig geworden. Und als er gemerkt hat, dass du seine Taschen durchsuchst, hat er dir eins mit dem Hörer verpasst. Er hat versucht, dich festzuhalten, dabei bist du gestürzt und dann getürmt.“
„Verdammtes, verlogenes Schwein. Und die glauben natürlich ihm …“
„Das nicht. Die halten deine Aussage für glaubhaft, weil du zuerst zu ihnen gekommen bist und weil die Verletzungen an deiner Hüfte nach Vergewaltigung und nicht nach Sturz aussehen. Aber, du sollst dir einen Anwalt nehmen. Bei Aussage gegen Aussage kommt das zur Verhandlung.“
„Fuck, sowas kann ich doch nie bezahlen …“
„Mein Vater ist Anwalt.“ Das war für Jem überhaupt keine Frage, so würde es gehen.
„Oh nein, nein, nein. Glaubst du nicht, das ist 'n bisschen viel auf einmal?!“
„Das ist dann so.“
„Ach ja, wie soll das werden? Dad, würdest du meinen Süßen verteidigen? Ich stand schon immer auf Schwänze und den hab' ich auf der Straße gefunden und jetzt hat ihn 'n Ex-Freier misshandelt?!“
„Nein, nicht so. Ich möchte nicht, dass ihr euch so kennenlernt. Du bist mein Freund.“
„Was dann? Willst du meinetwegen lügen? Auf gar keinen Fall."
„Was ist mit der halben Wahrheit und dann irgendwann den Rest?“, schlug Jem nun vor.
„Das… klingt bescheuert. Wie, was soll das sein?“ Callum klang skeptisch. „Als Anwalt muss er doch alles wissen.“
Jem überlegte. „Er muss nicht wissen, jedenfalls nicht sofort, dass wir zusammen sind. Wir können sagen, dass du ein Freund von mir bist, der Hilfe braucht.“
„Klar, du hast ja auch obdachlose Freunde.“ Callum war nicht überzeugt.
„Hab‘ ich tatsächlich und mehr als das. Aber wer könntest du sein…?“ Jem grübelte.
„Wir sollten mit Buster eine Runde raus gehen, nachher kommt Roger zum Essen“, schlug Cal vor, um das Thema erstmal zu beenden. Buster hörte seinen Namen und kam an, um ihn an der Hand zu lecken. Da kam Jem die Idee. „Wie wär’s, wenn du ein Enkel oder so von Mrs. Pennygrin wärst? Die bleibt bestimmt lange genug weg und Buster und du, ihr seid echt überzeugend zusammen.“
„Du willst deinem Anwalts- Vater erzählen, dass ich Busters Frauchens abgefuckter Enkel bin…“
„Klingt plausibel. Er hilft bestimmt gern. Und er kann dich so richtig kennenlernen. Und bestimmt mag er dich dann.“
„Das klingt gar nicht mal sooo komplett bescheuert. Aber was wird aus uns?“
„Wie?“ Welchen Teil verstand er da jetzt nicht?
„Wir können deinem Vater schlecht vormachen, wir wären kein Paar, wenn wir kaum die Finger und so voneinander lassen können.“
„Fuck!“
„Du sagst es.“