Wind
Jem kam es vollkommen sinnlos vor, seinen Liebsten noch mehr zu stressen, indem er ihn mit noch mehr Familie konfrontierte. „Du lernst die anderen noch früh genug kennen, wie wär’s, wenn wir einfach ein wenig spazieren gehen, vielleicht ein, zwei Pferde streicheln und wieder zu Alexander fahren?“
Callum schien direkt erleichtert zu sein und lächelte ihn an. „Find ich gut.“
Damit fuhr Jem nur noch ein kleines Stück, bis zu einer Stelle, wo der Wagen problemlos stehen konnte, wo sie ausstiegen und sich umsahen. „Da ganz hinten“, erklärte Jem und deutete mit ausgestreckten Arm auf einen bewaldeten Hügel, „da ist der Zufahrtsweg zum Haus. Da fließt ein Bach, den kannst du so nicht sehen. Ich schicke Mum eine Sms, dann weiß sie Bescheid.“ Callum schaute in die Ferne und sog die frische Luft ein. Gut möglich, dass er zum ersten Mal auf dem Land war, aber Jem wollte nicht gleich fragen. Buster hatten sie wegen der Pferde im Garten von seinem Dad gelassen, also gingen sie nur zu zweit an einer Weide mit Pferden entlang und einen mit wilden Blumen bewachsenen Hügel hinauf. Von dort sah man dann auch den Bach und schließlich irgendwann das Haus. „Bist du dort aufgewachsen?“, fragte Cal. Jem nickte und legte seinen Arm um Callum. „Ist superschön, nicht wahr? Als Teenager fand ich das dann aber öde. Ich wollte in die Stadt.“
„Wärst du geblieben, dann wären wir uns nie begegnet.“
„Wir sind uns nicht begegnet, Buster hat dich für mich aufgegabelt.“ Jem grinste.
„Stimmt nicht ganz. Ich finde Tee unwiderstehlich.“
„Das hätte ich fast vergessen.“
„Du bist unwiderstehlich“, fügte Cal hinzu und legte den Kopf an Jems Schulter. Diese Art von zärtlicher Geste war neu, wie der Blonde bemerkte, zumindest kam sie normalerweise nicht von Callum. Das bedeutete wohl, dass dieser wirklich nach und nach lernte und eine andere Art des Ausdrucks von Liebe und Zuneigung entdeckte als „nur“ reinen Sex. Jem strich ihm ein paar dunkle Strähnen aus dem Gesicht und blickte auf die Stelle an seiner Schläfe, wo die Wunde war. „Es verheilt“, flüsterte er dann und meinte nicht die Wunde allein. Und zum ersten Mal, seit Callum in sein Leben getreten war, kam es Jem so vor, als wäre alles genau so, wie es sein sollte. Er war mit einem jungen Mann zusammen, den er mit jedem Tag nur mehr liebte und selbst wenn er ins Gefängnis musste oder wenn ihre Zeit begrenzt wäre, dann würde Jem nichts bereuen und dankbar sein, für die Zeit, die sie hatten.
„Du hast Tränen in den Augen?“, bemerkte Cal, etwas ungläubig fragend.
„Das ist nur der Wind“, flunkerte Jem, aber er ahnte, dass der Lockenkopf das sofort durchschaute. Er konnte ihm nichts vormachen.
„Du weinst wegen mir. Das musst du nicht.“ Cals Stimme wurde ganz sanft und er hob den Kopf, sodass sich ihre Blicke trafen. Dann legte er eine Hand sachte an Jems Wange und zog ihn zu sich für einen zärtlichen Kuss. „Mir ging es nie so gut, wie hier bei dir“, flüsterte er dann, „und es ist kein bisschen öde.“
Jem lächelte über diese Worte, küsste nicht weniger zärtlich zurück und hielt Callum noch ein wenig fester im Arm. „Ich weine, Cupid, weil ich gerade realisiere, wie sehr ich dich liebe. Ich wünsche mir, dass wir zusammenbleiben und zusammen alt werden.“
„Das wünsche ich mir auch.“
„Gut, dann machen wir es so.“
Mit den letzten Worten nahm Jem Cal bei der Hand und gemeinsam gingen sie den Weg entlang der Weide zurück bis zu Jems Wagen. Sie sprachen kein Wort, denn es schien alles gesagt.