Fish 'n Chips
Callum war wie vom Donner gerührt. Was, wenn diese fremden Leute in der Jury ihn wirklich so sehen würden, wie dieser Higgins ihn beschrieben hatte. Was dann? Würde man ihn einsperren, von Jeremy wegsperren, weil er diesen Schlüssel gestohlen hatte? Das stimmte ja. Das hatte er. Würde man das tun?
Er saß nur da, während die Anwesenden den Saal räumten, bis er Jems Hand sanft auf seiner Schulter spürte. „Komm, Cupid, wir werden hier nicht warten.“
Callum stand auf, aber er realisierte kaum, dass sein Freund ihn in den Arm nahm.
„Du bist ganz kalt“, flüsterte Jem an seinem Ohr.
„Was?“
„Komm, wir gehen irgendwohin, wo dir warm wird.“
Rory legte seinem Bruder spontan seine Jacke um und schaute zu Alexander, der wohl am ehesten Rat wüsste.
„Gibt’s hier irgendwo was Ordentliches zu essen?“
„Ich will nirgends hin“, brachte Callum heraus. Da waren schon zu viele Leute im Saal gewesen und das Letzte, was er jetzt wollte, wäre, noch mehr Leute zu treffen.
„Schräg gegenüber ist ein Pub. Die kennen mich und packen uns bestimmt was ein“, erklärte Jems Dad. „Geht ihr in den Hof von vorhin. Ich hole was. Roger, kommst du mit?“
„Ja, sicher.“ Roger wäre froh, wenn er helfen konnte. Er warf noch einen Blick auf Cal und wandte sich dann an Jem.
„Sein Kreislauf ist runter. Sieh zu, dass er einen von diesen scheußlichen Kaffees kriegt und gib ihm was Süßes.“
Jem nickte. Das würde sich machen lassen.
„Redet nicht über mich, als wär' ich nicht da …“, murrte Callum. Okay, es ging ihm gerade mies, aber das war noch lange kein Grund.
Der Blonde warf Rory einen vielsagenden Blick zu. Sogleich eilte der los zu diesem Kaffeeautomaten, während Jem mit Callum zu dem kleinen Hof ging, in den hoffentlich noch immer die Sonne herein schien.
„Es haben genug Leute über dich geredet, Cupid, ich weiß …“
In der Sonne wurde es tatsächlich gleich viel besser. Sie hatten sich wieder auf die kleine Mauer gesetzt, ganz dicht beieinander und Cal lehnte an Jems starker Schulter. Er hatte keine Ahnung, ob das in so einem Gebäude okay war oder ob das einen Unterschied machen würde, wenn jemand die beiden so sah, aber dann wiederum hatte er offenbar sowieso keine Ahnung von dem, was andere Menschen dachten oder sich ausdachten.
„Jem?“
„Ja?“
„Was denkst du?“
„Ich denke, dass ich dich liebe.“
Cal lächelte jetzt. „Das ist schön, aber das meinte ich nicht.“
„Okay, ich denke, du machst dir zu viel Sorgen. Da müssten lauter Idioten in der Jury sitzen, wenn Johnson mit der Nummer durchkommen soll.“
Cal legte eine Hand an Jems Wange, damit er ihn für einen Kuss zu sich drehen konnte. Oh, wie hatte er das gebraucht. Es war nicht mehr als federleicht, aber es bedeutete so viel.
„Ich würde durchdrehen, ohne dich.“
„Würdest du nicht. Du bist der stärkste und tapferste Typ, den es gibt.“
Jem kraulte jetzt Cals Nacken ein wenig. Dann kam auch schon Rory mit Kaffee und Schokolade.
„Snickers war alle“, sagte er nur und setzte sich zu ihnen. „Johnson und seine bleiche Brut haben sich auch was geholt.“
Callum nickte. „Ist dir das auch aufgefallen?“
Rory wusste nicht gleich, was er meinte.
"Die werden noch viel blasser, wenn ich dem Alten eine reinhaue. Das passiert noch, wenn der dich reinreißt, das kannst du wetten."
"Das meinte ich nicht. Die sehen verängstigt aus."
„Ja ... stimmt“, bestätigte Rory zwischen zwei Schlucken, „wenn jemand weiß, wie sowas aussieht, dann du und ich, Cal.“
Bei Jem war der Groschen noch nicht ganz gefallen. „Wovon redet ihr?“
„Von den Johnson Kids. Und der Frau gleich mit“, begann Rory. „Der schlägt sie, jede Wette.“
„Oder Schlimmeres“, fügte Cal hinzu. Er setzte sich etwas auf, um den Kaffee zu trinken.
„Ist das euer Ernst? Da müssen wir doch was unternehmen?!“
Cal schnaubte etwas hilflos. „Ja sicher, aber was?“
Rory sah das genauso. „Kannst du dir vorstellen, was die erleben, wenn wir jetzt irgendwas unternehmen und der Typ dann heute Abend mit denen nachhause geht?“
„Oh, fuck.“
„Wir sollten abwarten, was die Jury entscheidet“, schlug Rory vor.
„Wenn sie ihn verknacken und nicht mich, dann kann ihnen erstmal nichts passieren“, dachte Cal laut nach.
„Aber was können wir tun? Das Jugendamt einscha …“ Jem brach ab, als ihn die Blicke von Cal und Rory trafen. Nein. Das war wohl so ziemlich die schlechteste Idee.
„Wir fragen Alexander, wenn er zurück ist.“
„Ich bin zurück, was gibt’s?“ Alexander und Roger kamen jetzt mit Papiertüten voller Essen in den Hof.
„Ich hoffe, ihr steht auf Fisch`n Chips?“ Roger begann gleich damit, die in Papier gewickelten Portionen zu verteilen.
„Wie auf kaum was anderes auf der Welt“, kam es von Rory.
„Na, sehr gut. Dann sollten wir essen und danach fragt ihr mich, was ihr wissen wollt.“ Alexander verteilte die kleinen Päckchen mit Brown Sauce, die es dazu gab.
Cal blinzelte. Okay, sie würden jetzt was essen, aber danach würde er nicht wieder vergessen, was ihm schon in der ersten Verhandlungspause aufgefallen war. Er riss ein Stück von seiner Papiertüte ab. „Hat mal wer 'n Kuli für mich?“
„Sicher, hier“, Alexander hielt ihm einen hin. Er hatte immer einen griffbereit in der Gesäßtasche.
„Danke.“