sich vertragen
“Warum machst du so ein Geheimnis daraus? Der Name passt zu dir.“ Viel besser sogar, fand Luke.
„Mach‘ ich gar nicht. Du hast nicht gefragt. Außer dir und Sean finden alle Ginger passender. Klingt mehr nach 'nem Typen, der in 'nem Club arbeitet. Und es bringt mehr Geld.“
Ginger sagte das auf eine Art, als wäre da überhaupt nichts dabei, aber Luke konnte das nicht so ohne Weiteres glauben. Der andere Mann war auf eine Weise geheimnisvoll, die er noch nicht so recht fassen konnte und bevor Luke glaubte, dass er seinen Spitznamen vorzog, weil der besser zu einem Barkeeper und Tänzer passte, hatte er eher das Gefühl, dass der junge Ire zusammen mit seinem Namen und dem Tattoo einen Teil von sich selbst schützte, vielleicht, weil dieser Teil vollkommen anders war als Ginger oder weil Gabriel sich nicht jedem zeigen wollte. Und wenn es so war, war es dann Gabriel gewesen, der Luke geküsst hatte? „Wie soll ich dich nennen?“, fragte Luke dann schlicht. „Wie immer: Ginger.“ Sein Blick verriet, dass er wusste, worauf Lukes Frage abzielte. „Es ist … leichter, wenn du mich weiter Ginger nennst“, setzte er mit einer Stimme hinzu, die sanft aber auch bittend klang. Luke nickte. Dann sollte es so sein. Sie würden tun, als sei alles wie gehabt und Gingers Geheimnis blieb vorerst noch ein solches, auch wenn Luke etwas darum geben würde, sich das Vertrauen von Gabriel zu verdienen. „Luke“, ließ Ginger seinen Namen regelrecht auf der Zunge zergehen, „zwei Dinge solltest du wissen. Ich denke, du bist weniger ehrlich zu dir selbst als zu mir und ich bilde mir gar nicht ein, dass ein Typ wie ich gut genug ist für einen Typen wie dich, aber solange das hier dauert, könnte ich… gut zu dir sein.“ Sein Blick prüfte Lukes Reaktion ganz genau, aber der war nicht sicher, was Ginger da gerade gesagt hatte. „Was… meinst du?“, hakte er nach, aber da war der Moment schon vorbei, in dem ein einfaches Ja oder Nein genügt hätte. „Vergiss es. Danke für die Salbe.“ Mit diesen Worten ging der Rothaarige nach oben, um sich für den Abend fertig zu machen. Luke kam sich vor wie ein Idiot.
Der Freitagabend im Elysium war für Luke abermals eine neue Herausforderung. Es gab eine Live- Band und so waren zusätzlich zum normalen Publikum zahlreiche Fans gekommen, die die Stimmung im Club um ein Vielfaches steigerte. Es wurde mehr getrunken, mehr getanzt und mehr geflirtet. Ginger und die anderen Jungs an der Bar hatten alle Hände voll zu tun, während Luke und die anderen Kellner sich im Eiltempo durch die Tische und Lounges schieben mussten. Es war mehr Volk im Laden als an den Tagen zuvor und sie tanzten wilder und achtloser, sodass Luke zweimal sein komplettes Tablett verlor, weil er nicht so geübt im Hakenschlagen war, wie die anderen. Wenn er dann wieder zur Bar kam, um sich neue Drinks zu holen, wurde dies in aller Eile erledigt, aber in keiner Weise kommentiert. Offenbar waren solche Zusammenstöße nichts Besonderes. Nur einmal erntete Luke einen etwas besorgten Blick von Ginger und die Frage, ob er nicht lieber eine Pause machen wolle. Luke lehnte ab. Wäre es nur um die Drinks gegangen, dann hätte er das Angebot angenommen, doch er wollte an so einem Abend nicht riskieren, dass ihm irgendwas entginge, was die Ermittlungen weiterbrächte. Also zog er seine Bahnen und sondierte vor allem solche Situationen, wo sich ein blonder oder rothaariger junger Mann im Flirt, Tanz oder Gespräch mit einem Mann befand, auf den das Täterprofil passte, soweit man das beim Hinsehen erkennen konnte. Einige von denen wirkten so vertraut, dass es sich wohl um ein Paar handelte, bei anderen wiederum achtete Luke dann ganz besonders auf ihre Drinks und darauf, dass die nicht unbeaufsichtigt herumstanden. Am Eingang kam es zu verschiedenen Auseinandersetzungen mit den Bouncern, die irgendwann begannen, nur noch typische Clubbesucher und weniger offensichtliche Touristen hineinzulassen. Es wurde sonst zu voll und auf Neugierige konnte man an so einem Abend gut und gern verzichten.
Als Luke dann um kurz nach zehn auf den Hof ging, um sich im wahrsten Sinne des Wortes abzukühlen, empfand er die frische Luft und den gedämpften Lärmpegel als eine echte Erleichterung. Er zückte gleich sein Handy und ließ Sean wissen, dass die Hölle los war, es aber bisher keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben hatte. Abermals versprach er, auf alle Babes, vor allem sich selbst und Ginger aufzupassen, als der auch schon auf den Hof heraustrat und sich zu ihm gesellte. Er lächelte, weil er natürlich wusste, mit wem Luke da telefonierte. Luke beendete das Gespräch und holte tief Luft.
„Sean lässt dich grüßen“, sagte er.
Ginger nickte nur und zündete sich eine Zigarette an oder bei genauerem Hinsehen einen Joint. „Willst du auch `n Zug? Ist nicht stark, ist nur wegen…“
„… du hast Schmerzen, richtig?!“
Ginger schaute nur. Also ja. „Geht schon. Deine Salbe und das hier…“, er nahm einen Zug, „helfen.“
Luke verdrehte die Augen, dann angelte er nach dem Joint und nahm auch einen Zug. Einer würde seine Wachsamkeit wahrscheinlich eher steigern als beeinträchtigen.
„Wie läuft’s mit deinem Freund?“, wechselte Ginger das Thema. „Vermisst er dich?“
Luke zögerte mit der Antwort. Ginger konnte nicht wissen, dass er und Blake sich heute und gestern getroffen hatten und dass sie ihre Meinungsverschiedenheiten hatten. „Es fällt ihm nicht leicht, mich mit all dem hier“, er machte eine Geste, die den gesamten Club umschloss, „zu teilen.“
„Und vermisst du ihn?“
Luke wollte nicht wieder ausweichen. „Ja schon. Vor drei Tagen dachte ich noch alles sei in Ordnung und jetzt, seit ich hier bin, führt er sich auf wie ein Arsch, als wäre das hier nicht wichtig. Ich wünschte, er wäre wieder wie vorher.“
„Menschen verändern sich, manchmal, ohne dass man’s merkt.“ Aus dem Mund eines anderen hätte das wie ein Allgemeinplatz geklungen, aber Ginger schien sich damit auszukennen und mehr noch, es fiel ihm nicht leicht, das zu sagen.
„Woher weißt du das?“
„Luke- Babe, einer von uns beiden hier hat wirklich eine schwere Trennung hinter sich.“
„Das… tut mir leid.“
„Mir nicht mehr.“
Ginger zog ein letztes Mal am Joint, dann trat er ihn aus, stupste den Rest in einen Gullideckel und ging zurück in den Club. Luke folgte ihm.
In den fünfzehn Minuten, die Luke und Ginger auf dem Hof gewesen waren, hatte sie Lautstärke und das Gewimmel um Club erneut angezogen, so als hätte jemand an irgendeinem Regler gedreht. Es dauerte keine weiteren zehn Minuten, da hatte Luke ein weiteres eindeutiges Angebot erhalten, wenn er mit dem Typen, mittelgroß, kräftige Statur, Anfang vierzig, teure Markenkleidung, Oxford-Englisch, kurz mal „in den Wagen verschwinden“ würde. Luke lehnte ab mit den Worten, er sei in festen Händen. Der Typ erhöhte das Angebot, Luke lehnte wieder ab, dann war das erledigt und er kellnerte weiter, bis er von einem anderen am Handgelenk gepackt wurde.
Luke traute seinen Augen nicht. „Was machst du denn hier? Du hast echt Nerven, hier aufzutauchen!“ Blake saß in einer Lounge und grinste. „Komm setzt dich erst mal. Ich hab’s zuhause nicht ausgehalten.“ Er deutete auf einen Platz neben sich. Luke schob sein Tablett auf den Tisch und ließ sich auf einem der violetten Polstersitze nieder. Er schaute kurz um sich, um sicher zu gehen, dass man ihnen keine Aufmerksamkeit schenkte, dann wandte er sich aufgebracht an seinen Freund. „Was willst du? Das ist nicht gerade hilfreich, was du hier machst.“ Damit war Luke noch nett. Blake gefährdete die Ermittlungen gerade ernsthaft. Warum sollte Luke hier kellnern und im Loft wohnen, wenn er einen festen Freund hatte? „Ich wollte dich sehen. Der Streit heute Mittag tut mir leid.“ Blake sah tatsächlich angefressen aus. Was sollte Luke da nur tun? „Mir tut’s auch leid, aber du machst es schon wieder! Du kommst hierher und lenkst mich ab und bringst mich völlig durcheinander.“ Er war selbst erstaunt, wie genervt er war. „Das wollte ich nicht. Komm, gehen wir irgendwohin, wo wir reden und uns vertragen können. Ich halte das nicht aus, ohne dich.“ Blake schaute wie ein junger Hund. Luke fasste es nicht. So viel wusste er, dass sich vertragen auf Sex hinauslaufen würde. Und er war jung genug, um das genau so oft und gern zu brauchen wie Blake, aber nicht jetzt und hier. Er war im Dienst, verdammt! „Blake, Schatz, wenn du nicht aushältst, dass wir gestritten haben und wenn du etwas für mich tun willst, dann lass uns nicht noch einmal streiten und lass mich arbeiten. Jetzt. Hier. Morgen komme ich zu dir, okay?!!“ Luke schenkte ihm einen eindringlichen Blick und hoffte, er hätte verstanden. Aber das war wohl nicht der Fall. Blakes Hundeblick wurde hart, dann erhob er sich, schob einen Geldschein herüber und verzog sich mit einem ätzenden „Der Rest ist für dich, Süßer“. Luke kam sich vor wie erstarrt. Hatte Ginger Recht und Menschen veränderten sich? Oder gab es da eine Seite an Blake, die er jetzt erst mehr und mehr zeigte? Fuck off. Luke nahm den zwanzig Pfund Schein, steckte ihn ein und machte weiter mit dem Job.