Date
Als Luke am späten Vormittag erwachte, schlief Gabriel immer noch mit dem Kopf auf seiner Brust und dicht an ihn geschmiegt. Die Kerze war vollständig herunter gebrannt und die Strahlen der Morgensonne fielen auf das rote Haar und ließen es aussehen, als sei es aus rotem Gold. Mit ihren Armen hielten sie sich noch immer umfangen und Luke zog die Bettdecke etwas höher über Gabriels Schultern, damit er weiterschlafen würde. Jetzt, wo er selbst wach war, dachte Luke über alles Mögliche nach. Wenn der Tänzer hier bei ihm lag, dann war er in Sicherheit. Das war natürlich das Allerwichtigste. Wenn dieser Patrick aus der Vergangenheit tatsächlich etwas mit den Morden zu tun hatte, dann würde es ihm nicht gelingen, sich an Gabriel zu vergreifen. Dafür würde Luke sorgen. Kein Wunder, dass der junge Ire so erschöpft und verstört war. Der Anblick von Andy und das Leid seiner Familie hatten ohne Zweifel die schlimmsten Erinnerungen in ihm getriggert. Was mochte er alles erlebt haben, auf der Straße? Wie fühlte es sich an, wenn Vater und Mutter, die eigenen Brüder und Schwestern einem ihre Liebe entzogen und man viel zu jung in die falschen Hände geriet?
Lukes eigene Familie war in Hinsicht auf seine Homosexualität wohl als völlig normal zu bezeichnen. Sie liebten ihn und darum akzeptierten sie wie er war. Trotzdem: Seine Mutter fand sich nicht gerade leicht damit ab, dass sie keine Enkelkinder von ihrem Sohn bekommen würde und sein Vater war nach wie vor stolz auf seinen Sohn, den Polizisten, einen der jüngsten Sergeanten beim Yard. Dass Luke mit einem Mann zusammen lebte, war allerdings kein Thema, das sein Vater von sich aus erwähnen würde. Luke hatte sich vorgestellt, dass sich das geben würde, wenn er mit Blake, dem erfolgreichen Anwalt, nachhause käme, um ihn vorzustellen. Wenn seine Eltern sehen, wie glücklich er mit seinem Partner ist. Aber Blake hatte das nicht gewollt, weil er sich bei seinen vornehmen Adoptiveltern noch nicht geoutet hatte und die seien sozusagen als Erste dran, vor Lukes Eltern. Seltsame Welt, denn dazu würde es nun nicht mehr kommen.
Es war höchste Zeit, seinem Freund zu sagen, dass es aus war. Ihre gemeinsame Zeit war schön, aber Luke könnte nicht mit ihm zusammen sein, wenn er seinen Job als Polizist nicht als ebenso wichtig nahm, wie seinen eigenen als Anwalt. Und es gefiel Luke ganz und gar nicht, dass sich Blake so versnobt über andere schwule Jungs geäußert hatte, die nicht mit einem silbernen Löffel gefüttert worden waren. Was war das mit ihm und Blake? Hatte Luke nur zu seinem Lifestyle dazu gehört? War er eine Art abgefahrenes Accessoire in Blakes teurer Wohnung? Hob sich Blake aus der Menge heraus, weil er einen schwulen Freund hatte und damit vor seinen „gewöhnlichen“ Anwaltskollegen angeben konnte? War das vielleicht ein Kink von ihm, dass er auf Bullen stand? Luke stand jedenfalls nicht auf Schnösel oder eben nicht mehr.
Der, auf den er stand, regte sich inzwischen ein wenig. Er winkelte ein Bein leicht an und bewegte den Kopf etwas aufwärts. Bestimmt würde er bald aufwachen. Luke blieb noch immer reglos, denn ihm gefiel es, einfach so mit Gabriel hier zu liegen, ohne irgendetwas tun zu müssen. Und wieder kreisten seine Gedanken um den Engel. Was genau waren eigentlich Sean und Oscar für ihn, abgesehen davon, dass sie seine Arbeitgeber waren? Vor ein paar Tagen hatte Luke noch geglaubt, Sean und Ginger hätten was miteinander gehabt, aber das war, bevor er sie kannte. Am ehesten war das Paar wohl so etwas wie eine Ersatzfamilie für ihn. In jedem Fall wäre das der passendere Vergleich, wenn sie ihn, wie Oscar sagte, von der Straße geholt hatten. Von der Straße, wiederholte Luke den Gedanken, den er bisher verdrängt hatte.
Er war lange genug beim Yard, um zu wissen, was das alles bedeuten konnte. Ein geprügelter, irischer Bengel, so hübsch wie Gabriel, der würde auffallen. Vielleicht hatte man ihn irgendwelche Jobs machen lassen, damit er ein wenig Geld bekam, vielleicht hatte er betteln müssen, vielleicht hatte er sich mit irgendwelchen Freiern eingelassen. Wie hatte er wohl das Tanzen gelernt? Sean hatte ihn tanzen sehen, hatte er gesagt …
Unwillkürlich hatte Luke angefangen, mit den Fingern in Gabriels Haar zu spielen. Sobald er aufwachte, würde Luke irgendetwas mit ihm unternehmen wollen. Irgendetwas Schönes, was ihn aufheiterte. Vielleicht ein Eis essen gehen oder sowas. Etwas völlig Normales eben. Es war Sonntag, also hätten sie heute einen freien Tag. Abgesehen davon, dass Luke dem Yard mailen musste. Sie könnten mit dem London Eye fahren. Luke fand das wunderschön und Gabriel hatte das ganz sicher noch nicht gemacht … Als er nach ihm schaute, stellte er jetzt fest, dass der Rothaarige blinzelte. Er war wach.
„Guten Morgen“, hauchte Luke ganz sachte.
„Mmmmh, jja, guten Morgen“, brummte Gabriel zurück.
„Bist du schon länger wach?“
„Mmmmh, keine Ahnung. Wie lange liegen wir hier schon?“
Luke grinste. „Oh, das geht schon seit heute Nacht um vier oder so.“
„Stimmt. Du hast von Liebe gesprochen.“
„Oh, das.“ Luke beugte sich Gabriel hinunter und küsste ihn auf die Stirn. „Ich hab‘ das auch so gemeint. Lass‘ uns heute was zusammen machen. Wir sind praktisch nicht im Dienst und ich möchte dich besser kennenlernen.“
„Du möchtest mich kennenlernen? Du meinst, wir haben sowas wie … ein Date?“
„Ja genau. Und sag jetzt nicht wieder, du weißt nicht, was das ist.“
„Ich weiß was das ist.“ Ginger musste sich jetzt leider etwas aus der Umarmung, in der er gelegen hatte befreien, damit er sich etwas aufsetzen und Luke direkt ansehen konnte. „Was hast du vor?“
„Was hältst du von Southbank? Mit Riesenrad und Eis und so.“
Gabriel schaute etwas kritisch. „Lieber nicht, das ist nicht so … meins.“
Luke verstand jetzt nur zu gut. Womöglich hatte sich der Rothaarige genau da herumgetrieben, als er auf der Straße lebte, sonst wäre es schon seins mit all den Straßenkünstlern und Musik. Also mussten sie woanders hin, wo es keine unschönen Erinnerungen gab. „Na schön. Hyde Park?“
Gabriel lächelte schon deutlicher. „Okay, ja. Hyde Park.“
Nach bergeweise Toast zum späten Frühstück und einer verspäteten E-Mail für den Yard, war zumindest Luke so weit, dass es losgehen konnte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er sich während seines Einsatzes im Elysium für irgendwen chic machen müsste, aber ein bisschen wollte er sich schon für das Date zurechtmachen. Zum Glück hatte er eine ganz knackige Jeans dabei und ein T-Shirt im Matrosen-Look mit blau-weißen Streifen. Das sagte eindeutig „schwul“, was gut war, aber es sagte nicht das gleiche wie die T-Shirts aus der China-Truhe. Gabriel schien es ebenso gegangen zu sein. Als er unten an der Leiter Lukes Namen rief, trug er ebenfalls Jeans und ein T-Shirt mit dem Ikarus Band-Logo von Led Zeppelin.
„Du stehst echt auf Flügelfiguren, oder?“, scherzte Luke und lächelte.
Gabriel lachte. „Ja, schon. Aber das hier war ein Geschenk von Oscar.“
Ja, das passte. „Guter Typ, dieser Oscar“, fand Luke und kam die Leiter herunter.
„Das kannst du laut sagen. Sean auch. Ich habe `ne Nachricht auf dem Handy, wo Sean uns heute Abend zuhause bei ihnen zum Essen einlädt. Er und Oscar haben mal so einen Kochkurs gemacht, irgendwas mit Erotic Food for Men Only.“
Luke musste grinsen. „Ja, da sollten wir dabei sein.“
Mit diesen Worten legte er dem Rothaarigen die Arme um die Mitte und zog ihn für einen spontanen Kuss zu sich. Gabriel stieg drauf ein und strahlte dann. „Wofür war der?“
Luke hatte keine Ahnung. „Nur so, du siehst halt zum Küssen aus. Kann’s losgehen?“
Gabiel küsste ihn direkt zurück. „Ja kann losgehen.“
Nach einer kurzen Fahrt mit der Tube hatten sie den Park erreicht und der empfing sie in all seiner frühsommerlichen Pracht. Gleich am Eingang huschten ein paar flinke Eichhörnchen zwischen alten, hohen Bäumen hin und her und eine Gruppe Kinder lachte und lief zu ihnen. Der Rhododendron blühte in allen Farben von Weißgelb bis Rotviolett und schon beim ersten Parkkiosk fand Luke, es wäre dringend an der Zeit, dass er für Gabriel und sich ein Eis kaufte.
„Jetzt sag schon, was magst du?“
Gabriel scherzte: „Dich.“
Luke lachte: „Und wenn’s um Eis geht?“
Gabriel schaute auf der Werbetafel hin und her, wie ein kleiner Junge, der sich nicht entscheiden konnte. „Möglichst viel Schokolade. Das da!“
Er zeigte zielsicher auf das größte Eis und Luke bestellte zwei davon. Mit dem Eis in der Hand schlenderten sie weiter in den Park hinein und Luke fragte sich, wann ihm das letzte Mal ein Eis so gut geschmeckt hatte. Gabriel schien es nicht anders zu gehen. Er lächelte Luke über das Eis hinweg an und der Blonde musste sogleich grinsen, weil Gabriel einen richtig süßen Schokoladenrand um den Mund hatte. Am liebsten wollte er den einfach nur wegküssen und kaum, dass ihm die Idee gekommen war, setzte er sie auch in die Tat um.
„Du hast da was, komm mal her“, lockte er und tatsächlich stieg der jung Ire voll darauf ein.
Luke zog ihn mit sich, dorthin, wo man sie vom Weg aus, hinter einem Rhododendron nicht sehen konnte, um ihn dort zu küssen.
Gabriel lachte. „Das kitzelt, du Spinner.“
Luke nickte, denn das war ihm sowas von klar.
Zurück auf dem Weg ließen sie sich Zeit und Luke nahm den Rothaarigen jetzt einfach bei der Hand. Das hier war ein Date, oder etwa nicht? Gabriel schaute zu ihm her, so als sei er kurz verunsichert, ob das wirklich eine gute Idee sei, aber Luke blinzelte nur als Versicherung, dass es sein voller Ernst war. So gingen sie weiter. Luke konnte sich gar nicht satt sehen, an der Unbeschwertheit, die nach und nach Besitz von Gabriel ergriff. Er freute sich, wenn er einen süßen Hund sah, er blieb stehen, um eine Entenfamilie, Mutter mit sechs Küken, zu beobachten, er hob einer älteren Dame ihre Tüte mit Entenfutter auf, er war einfach toll. Als sie an einem Ruderbootsverleih ankamen, war klar, dass sie das machen wollten.
„Ich kann gar nicht rudern“, wehrte sich Gabriel erfolglos.
„Dann lernst du es jetzt von mir.“
„Wo hast du eigentlich gelernt, so zu tanzen?“, fragte Luke, nachdem er sie ein kleines Stück auf die Serpentine gerudert hatte.
„Überall und nirgends“, antwortete Gabriel, während er eine Hand über dem Rand des Bootes lässig ins Wasser gleiten ließ, „ich habe das schon immer gemacht. Mit meinen Schwestern vor dem Fernseher, einfach irgendwelche Stars imitiert und so.“
„Mit deinen Schwestern?“
„Ja, ist voll Klischee, aber ich hatte nie Lust auf diese ganze Rauferei mit meinen Brüdern beim Hurling oder beim Dosenkicken. Die Mädels haben immer diese Boygroups oder die Spice Girls nachgetanzt.“
„Verstehe“, grinste Luke. „Du hast echt Talent.“
„Oh, ich weiß. Aber das ist nicht gerade das, was ich immer machen möchte. Go-go, meine ich. Was ist mit dir, wie bist du zur Polizei gekommen?“
Luke musste nicht überlegen. „Das war immer klar. Mein Dad ist auch Polizist und ich habe ihn immer bewundert. Hab‘ gedacht, wenn ich groß bin, will ich genau das machen. Die bösen Jungs fangen und hinter Gitter bringen, so wie Dad.“
„Das ist groß. Der ist bestimmt stolz auf dich.“
„Ja, sicher. Du solltest ihn kennenlernen. Und meine Mum auch.“
„Ich weiß nicht …“
„Das weiß ich für dich mit. Die werden dich richtig gern haben, weil sie merken, wie verliebt ich bin. Nicht alle sind so wie deine Eltern.“
„Du hast ihnen deinen Anwalt- Freund nicht vorgestellt, aber du würdest mich da mitnehmen?“
„Blake wollte das nicht, weil er sich bei seinen Eltern noch nicht geoutet hat. Das ist was völlig anderes. Und demnächst ist das auch Geschichte. Ich mach‘ Schluss. So richtig.“ Luke schaute auf Gabriels Reaktion, die in aus einem zögerlichen Lächeln bestand.
„Meinetwegen“, sagte er dann.
„Ja und nein. Das mit Blake und mir war nicht wirklich ehrlich. Und jetzt habe ich mich in dich verliebt. Und wie sieht’s aus? Lungerst du jetzt nur am Bordrand `rum oder lernst du auch rudern?“
Gabriel strahlte. „Na, was du kannst, will ich auch können. Geh da von der Bank und gib mir die Dinger.“
„Ruder heißen die.“
Damit tauschten sie die Plätze, was den kleinen Kahn ganz schön ins Wanken brachte und Luke sah sich an, wie Gabriel anschließend versuchte, sie Ruder gleichzeitig ins Wasser zu tauchen, um das kleine Boot vorwärts zu bewegen. Er lachte. „Für jemanden, der so ein Bewegungstalent ist wie du, müsste das eigentlich kein Problem sein.“ War es aber. Das Boot begann sich zu drehen.
„Oh, Shit!“, fand Gabriel.
Luke ließ ihn noch einen Moment leiden, dann beschloss er, dem Elend ein Ende zu bereiten. „Komm, wir machen das zusammen.“ Damit ging er vorsichtig um ihn herum und kniete sich hinter die Ruderbank. Von da legte er seine Hände mit an die Ruder, sodass er Gabriel praktisch von hinten mit den Armen umfing. So begannen sie unter Lukes Führung mit dem gemeinsamen Rudern.
„Oh, das gefällt mir“, kam es von Gabriel und er drehte sich zu Luke um, sodass sich ihre Gesichter nah genug kamen, für einen Kuss.
„Dann ruder‘ jetzt und guck nach vorn.“