Anders
Der dunkle Prinz starrte in die Flammen und spürte, wie sie seine Haut mit Wärme überzogen. Neben ihm saß Eyndor. Der Junge hatte sich zur Seite gelegt und den Kopf in seinen Schoß gebettet. Von dem Geheimnis, das sie beide verband, wusste er nichts.
Anders fuhr mit der Hand über das Haar des Jungen, ohne es zu berühren. Es war seltsam. So viele Jahre hatte er sich gefragt, wie es sich anfühlen würde, ihm so nahe zu sein und nun empfand er eine tiefe Verbundenheit zu dem fremden Kind, das sein eigen Fleisch und Blut war und es niemals erfahren durfte. Niemand durfte es. Vor allem nicht Eyndor und nicht Isay.
Und auch nicht Vesna. In Gedanken war er bei ihr und je länger sie fort war, desto tiefer trübten sich seine Gedanken ein. Sie vertraute ihm. Trotz all ihrer inneren Stärke würde sie sterben für sein Wort und er belog sie.
Den einzigen Menschen, dem er blind vertrauen konnte. Der Schmerz, den diese Wahrheit in ihm erzeugte, war intensiver, als erwartet. Er zermarterte ihn langsam, wie Wasser einen Felsen höhlte.
»Ich habe gewusst, dass du mich holen kommst«, flüsterte der Junge, während er verschlafen in die Flammen starrte. Aus dem Kamin drang das wohlige Knacken berstender Holzscheite. Er drehte den Kopf ein wenig, um über die Schulter zu dem Kerub hinaufzuspähen. Seine Schwingen waren ausgebreitet und lugten hinter ihm auf, wie erhobene Speere. »Immer schon. Unser Schicksal ist verworren, nicht wahr?«
Anders nickte. »Eines Tages wirst du mein Leben in den Händen halten. Durch dich siegt oder fällt meine Macht.«
»Auch wenn du mir meine Gabe genommen hast?«
»Auch dann. Prophezeiungen sind nicht immer freundlich. Ich habe mein ganzes Leben lang gekämpft, und am Ende ist jeder Sieg nutzlos, wenn du nicht an mich glaubst.«
»Das ist nicht richtig.«
Anders schmunzelte. »Nein. Aber es ist gnädig vom Schicksal. Du bist ein Ausweg. Du bist ein Funke Hoffnung für Andhera, wenn ich keiner sein kann.«
»Kann so etwas passieren?«
Wieder nickte der Kerub. »Ich habe sehr viele schreckliche Dinge getan. Mein Leben ist alt und ich hatte unzählige vor diesem. Dieses ist das Erste, in dem ich nicht auf ganzer Linie versagt habe. Deine Gabe war nie für dich gemacht. Und es war meine Schuld, dass du sie bekommen hast.«
»Weil du noch nicht bereit warst«, vermutete der Junge.
»Ich habe einen Grund gebraucht, edel zu sein und edel zu handeln.«
Dann senkte Anders die Hand und berührte tatsächlich das Haar des Jungen. Dieses fremden Kindes, das sein Sohn war. Verborgen vor den Augen einer ganzen Welt. Direkt unter den Sterblichen und so besonders, dass ihn alle ansahen und niemand erkannte. Dabei besaß Eyndor zwar Katerynas Augen, aber Anders rabenschwarzes Haar, seinen Körperbau, seine Seele.
Vesna hätte es bemerken müssen, aber auch sie war verblendet. Jemand wie er liebte nicht. Für jemanden wie ihn, war es unmöglich, eine Frau für sich zu gewinnen, ihr Herz zu erobern und mit ihr Leben zu erschaffen. Obwohl Vesna wusste, dass es Kateryna gegeben hatte. Er hatte ihr nie viel von dieser besonderen Frau erzählt. Aus einem einfachen Grund: Anders erzählte niemals viel aus seiner Vergangenheit. Sie war ein dunkler Ort, irgendwo in seinen Erinnerungen. Ein grauenhaftes Echo aus einer anderen Zeit und einem anderen Leben.
»Und Vesna?« Eyndor blinzelte schlaftrunken. »War sie kein Grund?«
»Sie hätte einer sein können. Aber unsere Zeit ist begrenzt, und ihr Weg ist nicht meiner.« Es grämte ihn, die Worte auszusprechen, aber sie zu verschweigen, war Verrat an ihr und dem, was sie ihm bedeutete. »Ich weiß nicht einmal, ob ich sie wiedersehe.«
Diesmal weckten seine Worte das Interesse des Jungen so weit, dass er sich aufsetzte und umdrehte. »Sie kommt doch wieder, oder?«
Ein zweiter Stich durchbohrte das Herz des Engels. Er hatte sich widerrechtlich einer gottauferlegten Strafe entzogen, als er Eyndors Gabe in sich aufgenommen hatte. Niemand wusste, auf welche Weise das Schicksal dafür zuschlagen würde und welchen Preis es ihm abverlangte. Und so wusste er auch nicht, ob Vesna wiederkommen würde. »Ich wünschte, es wäre so. Aber in ihrem Schicksal ist kein Platz für mich. Sie konnte meine Zukunft niemals sehen. Und auch ihre eigene nicht. Das Schicksal will nicht, dass seine Fäden uns beeinflussen. Wüssten wir, sie wäre bis zu ihrem Tode an meiner Seite, hätte ich sie nicht mit dem Seher schicken können. Und deshalb weiß ich auch nicht, ob sie wiederkommen wird.«
»Aber sie wird es.«
»Wir werden sehen.«
Über das Gesicht des Jungen hinweg ließ der Kerub seine Gedanken in die Flammen wandern. Seit er Vesna fortgeschickt hatte, spürte er ihren Verlust. Ihre Abwesenheit ließ den Platz in seiner Brust, der für alle Zeiten ihren Namen tragen sollte, leer und einsam zurück. Und dies war das sicherste Anzeichen dafür, dass sie nicht zurückkommen würde.
*Sorry, ich musste in den letzten 3 Kapiteln etwas ändern. Hoffe, sie hatte noch keiner gelesen. :-/