Tharin
Blitzschnell packte der Magier zu. Der Griff seiner spinnengleichen Finger war unerwartet fest und gnadenlos. Ich begegnete seinem Blick, während ich mit beiden Händen seinen Arm umklammerte und versuchte, mich loszureißen.
Aus den Augenwinkeln sah ich Vesna auf die Füße springen. Sie tastete nach ihrem Schwert, rannte los, und erstarrte mitten in der Bewegung, wie eingefroren. Goldgesichts linke Hand war in ihre Richtung erhoben und ein Zauber floss aus seinen Fingern und hielt die Kriegerin an Ort und Stelle fest. Gefangen, mitten im Sprung.
»Bleib, wo du bist«, befahl er ihr, und sie gehorchte, obgleich ihr der Widerwille deutlich anzusehen war. Aber der Zauber hielt und ermöglichte es dem Magier, sich gänzlich mir zuzuwenden.
»Ves-na«, keuchte ich, während er mir gnadenlos die Luft abschnürte.
Sein ruhiger Blick kreuzte meinen. Unter der Maske flammte ein Lächeln auf, das sich lediglich in seinen Augen zeigte. Triumphierend drückte er ein wenig stärker zu und Sterne begannen, vor meiner Netzhaut zu tanzen.
»Ich danke dir«, flüsterte er mir ins Gesicht. »Du ersparst mir sehr viel Arbeit, wenn du so freizügig mit deinen Gaben umspringst.«
Er schloss die Augen und murmelte abermals einen wortlosen Zauber. Die Hitze in mir, die Flammen auf meinen Fingern, brannten plötzlich. Unerträgliche Schmerzen kochten in mir hoch und wollten mir Schreie entlocken.
›Lass nicht zu, dass ihm die magische Flamme in die Hände fällt!‹, zischelten die Stimmen sorgenvoll durch meinen Verstand.
Aber es war längst zu spät. Unter einem Hagel taumelnder Sterne, die in meinem Verstand aufblitzten wie Feuerkäfer, sah ich die Flammen aus meiner Hand auf die des Magiers übergehen. Dort, wo meine Hand verzweifelt seinen Griff zu lockern versuchte, wechselten sie den Besitzer. Hitze, Feuer, Glut und Magie tauchte aus meinem Körper und verlor sich in so unsagbarer Ferne, dass ich sie nur noch wie ein Glimmen am anderen Ende des Kosmos ausmachen konnte. Schwäche und Taumel füllten die Leere zwischen den Feuerkäfern und tanzenden Sternen, die inzwischen meinen Kopf in Watte hüllten.
»Tharin!«
Eine Stimme durchdrang das dumpfe Pochen meiner sterbenden Gedanken. Vesnas Stimme. Vesna. Ich drängte die Sterne fort und konzentrierte mich. Irgendwo in mir musste noch ein Funke Kraft übrig sein. Nur ein Glutnest, das noch brannte.
Ich folgte ihm wie einem ausgelegten Faden, der mir den Weg weisen wollte, und fand es, tief in mir. Nur noch ein Funke, aber vielleicht stark genug, um am Leben zu bleiben. Verzweifelt griff ich danach und schnippte ihn an, wie ein Zündelholz. Der Funke schoss aus meiner Seele, direkt ins Auge des Magiers.
Er fuhr zusammen und lockerte für den Bruchteil eines Augenblicks seinen Griff und offenbar auch Vesnas Zauber. Sie riss sich los und stürmte mit erhobener Waffe auf ihn zu. Ich packte die Hand des Ungeheuers, schmetterte sie fort und wankte zurück.
Glück gehabt. Der Funke in mir verblasste. Ich taumelte und fiel ins Gras, während Vesna nach dem Magier hieb. Wie durch einen Schleier hindurch sah ich ihn brüllen vor Wut und verschwinden. Zusammen mit dem Licht, den Tönen und dem Leben.
Mein Kopf schlug auf feuchtes Gras. Der Geruch von Tau stieg mir in die Nase. Ich gewahr Hände, die an mir rüttelten, und kehrte langsam durch den Schleier zurück.
»Tharin!«, hörte ich Vesna rufen. Über mir erschien ihr blasses Gesicht, durchzogen von viel zu tiefen Sorgenfalten. »Hörst du mich?«
»Nein«, entgegnete ich mit grimmig verzogener Miene und blinzelte hinauf ins Licht, das viel zu grell in meine Augen stach. »Hat mich eine Kutsche überrollt?« Denn genauso fühlte ich mich. Jeder Muskel in meinem Leib schmerzte.
Vesnas Gesicht wurde von einem milden Lächeln überzogen. »Nicht ganz.«
»Ist er fort?«
»Der Magier?« Sie sah sich prüfend um. »Ja. Ich glaube, du hast ihn in die Flucht geschlagen? Bist du verletzt?«
»Ich würde gerne Nein sagen, aber mir tut alles weh.« Ich verkniff mir ein Grinsen und streckte ihr stattdessen die Hand entgegen, damit sie mir half, mich aufzusetzen. Mein Kopf schmerzte, als wäre ich vor eine Wand gelaufen. Ich hob die Hand, um mir die Schläfe zu reiben. »Was zur Hölle war das?«
»Was?« Sie stemmte ungehalten die Hände in die Hüften. »Der verrückte Zauberer oder dein unerwarteter Auftritt als Fackel?«
»Beides.«
»Sag du’s mir.«
Ich schüttelte den schmerzenden Kopf, bis mir schwindelig wurde. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
Sie nickte, als hätte sie verstanden, was mir noch immer schleierhaft war. »Wir sollten dich zu Anders bringen«, entschied sie, als das Lächeln verschwunden war.
Ich nickte benommen, hob die Hand und starrte auf meine Finger. Vesna starrte mich an.
»Isay«, murmelte ich schließlich. »Ich wette, dahinter steckt Isay.«
Doch Vesna schien unsicher. »Anders hat mir nie von einem so mächtigen Magier erzählt, der in Isays Diensten steht. Entweder ist ihr Bündnis neu, oder dahinter steckt jemand anders. Vielleicht auch nur der Magier selbst.« Sie zuckte die Achseln. »Kannst du aufstehen?«
»Ja.« Mit ihrer Hilfe erhob ich mich und ließ den Blick schweifen. »Wo sind die Pferde?«
»Sie sind davongelaufen, als wir angegriffen wurden. Aber sie kommen wieder. Anders Pferde sind treue Seelen. Sie lassen uns nicht im Stich.«
Behutsam streifte sie meinen Arm und zuckte zurück, als erwartete sie, Hitze auf der Haut zu spüren. Ihre Lippen wurden schmal. »Ist dir das zum ersten Mal passiert?«
»Ich stehe öfter in Flammen.« Spöttisch zuckte ich die Achseln. »Es war das erste Mal. Bis eben wusste ich nicht einmal, dass ich zu so etwas im Stande bin. Ich-«
Ein Raunen fuhr durch die Erde. Ich taumelte. Der Boden bebte. Hastig versuchte ich, den Arm auszustrecken, und nach Vesna zu greifen, als die Erde aufbrach und uns ein zog in die Tiefe riss und verschlang.