Manchmal denke ich, ich sollte mir einen Job suchen.
Eine ganz normale Arbeitsstelle in einem ganz normalen Betrieb. Vielleicht so etwas wie ein Supermarkt oder ein Möbelhaus. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob man dafür nicht doch auf irgendeine Art und Weise qualifiziert sein muss. Sicher braucht man dort aber auch Hilfsarbeiter, für all die kleinen Arbeitsschritte, die den qualifizierten Menschen zu eintönig sind.
So etwas könnte ich mir vorstellen.
Vielleicht sollte ich lernen, wie man eine Bewerbung schreibt und sie beim Supermarkt gegenüber einreichen. Oder beim Möbelhaus um die Ecke. Vielleicht sucht sogar das kleine Café neben mir jemanden, der die Tassen abspült.
Dafür wäre ich qualifiziert, denn das mache ich ja schließlich auch zuhause. Aber am Ende braucht man dafür auch einen Schulabschluss und ein Zertifikat, das einem bescheinigt, dass man dazu in der Lage ist.
So wie das kleine Kärtchen in meinem Geldbeutel, das mir bestätigt, dass ich gar nicht alle Tassen im Schrank habe, obwohl ich sie immer fleißig abspüle. Dabei ist mir wohl entgangen, dass einige abhanden gekommen sind. Es ist halb so wild, denn ich habe ja noch ein paar andere übrig, aus denen ich morgens meinen Kaffee trinken kann.
Normalerweise würde ich sagen: Es ist schon in Ordnung.
Aber Onkel Hannes sagt, dass gerade dieser Satz mich oft in Schwierigkeiten gebracht hat. Andererseits sagte Onkel Hannes aber auch an einem Tag, dass ich ihn bald dazu bringe, sich alle Haare einzeln auszureißen. Und am nächsten sagte er, dass er meinetwegen bald schon graue Haare bekommen würde. Doch er hat bis heute einen vollen Schopf tiefschwarzer Haare, weswegen ich mir eigentlich sicher bin, dass es so schlimm gar nicht sein kann.
Letzten Endes macht man sich nur zu viele Gedanken und alles bleibt wie es schon immer war: Eigentlich ist es in Ordnung.
***
Manchmal sitze ich auf meinem Sofa und höre zu, wie die Zeit verstreicht.
Tick. Tock. Tick. Tock.
Es ist gar nicht die Zeit, sondern die Uhr an meiner Wand, aber es fühlt sich beruhigend an. Seitdem ich hier bin, sitzt mir die Zeit nicht mehr im Nacken wie eine Drohung, sondern fließt ohne böse Absicht einfach nur beobachtend an mir vorbei.
Tick. Tock. Tick. Tock.
Sie erinnert mich daran, dass alles weitergeht, auch wenn ich selbst gerade nichts tue. Viel tun möchte ich manchmal auch gar nicht, außer vielleicht ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Ich gehe einkaufen, auch wenn ich gerade kein Geld verdiene. Rücklagen habe ich kaum, aber wenn man nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, bekommt man von der Krankenkasse ein bisschen Geld. Solange, bis es einem wieder besser geht. Es reicht gerade so.
Tick. Tock. Miau.
Das ist nicht die Uhr, sondern Johanna. Sie ist eine Katze und möchte, dass ich eine Dose Katzenfutter öffne.
Tick. Tock. Ich stehe auf, um ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Vor einigen Wochen ist sie der Dame im Erdgeschoss zugelaufen, doch die meinte, sie hätte keine Zeit für ein Haustier. Seitdem lebt Johanna bei mir, denn ich habe trotz meiner Uhr alle Zeit der Welt. Die Erdgeschossdame meinte auch, ich solle sie vorsichtshalber zum Tierarzt bringen. Dort waren wir, es geht ihr gut. Keine Würmer, keine Flöhe, nur etwas ausgehungert, was wir aber mit spezieller Nahrung in den Griff bekommen würden. Ich kaufte die Nahrungsergänzungsmittel für Johanna in der Apotheke neben dem Drogeriemarkt und gab etwa die Hälfte meines Monatseinkommens dafür aus.
Johanna frisst dankbar das Dosenfutter und beschwert sich nicht über die etwas streng riechende Spezialnahrung als Zusatz. Sie ist eine gütige Katze, denn sie beschwert sich nicht einmal darüber, dass ich mich bei der Wahl ihres Namens etwas geirrt habe. Als ich sie ihm vorstellte, meinte der Tierarzt, sie sei ein Kater. Aber es macht ihr nichts aus, dass ich sie Johanna nenne, solange ich ihr immer pünktlich etwas zu Fressen gebe.
Tick. Tock. Miau. Tick. Tock. Miau.
Ich höre zu, wie die Zeit verstreicht und Johanna streicht um mein Bein. Wir sitzen ab jetzt gemeinsam auf dem Sofa. Sie kuschelt sich an meine Schulter, während sie auf meinem Arm liegt. Ihr Fell ist weich und warm. Sie ist eine freundliche Katze, ich habe sie gern. Wir werden uns sicherlich immer gut verstehen, denn wir sind beide genügsam. Sie beschwert sich nicht. Und ich beschwere mich auch nicht.
Vielleicht wird es knapp mit dem Geld, aber das ist schon in Ordnung. Johannas Wohlbefinden liegt mir mehr am Herzen als bedrucktes Papier und geprägte Münzen. Wenn ich selbst Hunger bekomme, muss ich mir etwas einfallen lassen. Aber man kann ja auch Nudeln trocken essen und beim Abendbrot den Käse weglassen. Johannas Gesellschaft liegt mir mehr am Herzen als Tomatensoße und Camembert.
Johanna beschwert sich nicht, als ich mein Gesicht vorsichtig an ihr Fell schmiege. Aber sie antwortet auch nicht, als ich ihr sage, dass ich sie gern habe.
***