Alles ist anders als vorher. Es macht mich verrückt. Die Leute sagen, aller Anfang ist schwer. Warum dann überhaupt neu anfangen, wenn es vorher auch in Ordnung war. Onkel Hannes sagt, das war es nicht. Ich sage, es ist schon in Ordnung. Es war in Ordnung und jetzt ist gar nichts mehr in Ordnung, nicht einmal meine neue Wohnung.
Ich liege auf dem Sofa und schaffe es nicht mehr, meine Tassen abzuspülen. Nur wenn Johanna etwas zu Fressen will, stehe ich auf und öffne eine Dose. Wenn das Katzenfutter alle ist, gehe ich neues kaufen und Kaffeepulver. Zum Drogeriemarkt muss ich auch noch, denn bei der Apotheke dort gibt es den Nahrungszusatz. Ich koche keine Nudeln und das Toastbrot habe ich vergessen.
Johanna liegt auf meinem Bauch und schnurrt. Sie kuschelt sich an meinen Arm und ich schaffe es nicht, etwas zu ihr zu sagen. Antworten wird sie ja doch nichts weiter als Miau.
Mein Telefon klingelt nicht. Ich glaube, außer Onkel Hannes kennt auch niemand diese Nummer. Außer vielleicht die Leute, die das Telefon angeschlossen haben und mittlerweile sehr viel Geld von mir haben möchten, weil ich vergessen habe, die Rechnungen und Mahnungen zu öffnen.
Manchmal frage ich mich, woher die Dinge kommen. Die Mahnung kommt von der Rechnung und die Rechnung kommt von der Telefongesellschaft. Dort wurde sie aus einem Computer herausgedruckt, woher die Tinte kommt, weiß ich nicht. Das Papier kommt von einem Baum und der Baum wächst aus einem Samen in der Erde. Damit sind wir bei Adam und Eva angekommen.
Manchmal frage ich mich auch, woher ich komme. Jetzt bin ich in der neuen Wohnung, vorher war ich in einer anderen. Zusammen mit Kristian, aber woher er gekommen ist, weiß ich nicht. Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe dieser Stadt und eigentlich auch von Vater und Mutter, die beiden kommen wiederum von ihrem Vater und ihrer Mutter. Damit sind wir wieder bei Adam und Eva angekommen.
Vielleicht hat Onkel Hannes recht, denn das Denken tut mir weh und mein Kopf fühlt sich zerbrochen an. Aber wenn die Zeit unendlich ist und die Tage so lang wie Jahre, was soll man anderes tun als sich selbst und die ganze Welt zu zerdenken.
Die Dame im Erdgeschoss hat mich zum Kaffee eingeladen. Das ist freundlich von ihr und heute sollte ich zu ihr gehen. Aber ich habe aus Versehen schon mein eigenes Kaffeepulver gekauft.
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Alles neu macht der April. Ich putze die ganze Wohnung und vermisse mein Klavier an der Wand. Dabei stand es noch nie hier, trotzdem fehlt es. Ich musste es verkaufen, um mir diese Wohnung leisten zu können. Ganz genau wüsste ich, an welche Wand ich es stellen würde, aber es ist nicht mehr da. Jetzt spielt jemand anderes darauf und ich hoffe, derjenige ist gut zu ihm.
Die Uhr habe ich abgehängt und in die unterste Schublade vom Küchenregal eingesperrt. Das ständige Tick Tack hat mich verrückt gemacht. Jetzt spüle ich saubere Tassen ab, damit ich auch wirklich alles abhaken kann auf meiner imaginären Liste.
Onkel Hannes hat angerufen. Er sagte, ich solle an die frische Luft gehen. Dabei habe ich das Fenster offen und die Luft hier drin ist sehr frisch und kühl. Johanna sitzt am Fenster und schaut Vögeln hinterher. Vielleicht ist sie diejenige, die mal an die frische Luft sollte. Immerhin sind viele Katzen nicht glücklich in einer einsamen Wohnung bei einem einsamen Menschen. Ich hoffe nur, Johanna ist nicht einsam. Hoffe, dass meine Einsamkeit sie nicht genauso schnell auffrisst, wie sie immer ihren Futternapf leer hat.
Kristian hat nicht angerufen. Aber ich habe auch eine neuer Nummer, die ich ihm nicht verraten habe. Vielleicht ruft er gerade meine alte Nummer an und wundert sich, ob mich der Erdboden verschluckt hat. Ich habe ein Telefonbuch, aber es sind keine Telefone darin, sondern Nummern. Die Seite, auf der Kristians Nummer stand, hat Onkel Hannes herausgerissen und selbst behalten. Weil ich mir keine Zahlen merken kann, weiß ich die Nummer jetzt nicht mehr. Manchmal glaube ich, Onkel Hannes hat das mit Absicht gemacht.
Johanna streicht um meine Beine und sagt Miau. Onkel Hannes hat Kristian nie leiden mögen. Vor zwei Wochen habe ich in den Spiegel gesehen und mich erschreckt. Statt Onkel Hannes bin ich es, der ein paar graue Haare hat. Ich habe sie mir einzeln ausgerissen, aber ich weiß nicht mehr, ob es drei oder vier waren.
Eigentlich ist es schade drum, denn sie können ja auch nichts dafür. Ich musste nur an das denken, was Onkel Hannes gesagt hat. Manchmal muss ich auch an das denken, was Kristian immer gesagt hat. Und wenn ich es in meinem Kopf nicht mehr hören möchte, denke ich daran, was Johanna immer sagt.
Miau. Miau. Miau.
So geht es dann in meinem Kopf. Kein Wunder, dass graue Haare daraus wachsen. Draußen wird es langsam wieder freundlicher. Es ist zwar noch kühl, aber auf dem Weg zum Supermarkt haben sie Blumen am Straßenrand gepflanzt. In der Stadt muss man das selbst machen, nur auf dem Land wachsen sie von allein. Männer in bunten Jacken sind dafür zuständig, dass es in der Stadt auch ein bisschen Natur gibt.
Ich brauche keine frische Luft. Ich brauche nur mein Klavier zurück. Oder Kristian, aber das Klavier war immer gütig zu mir. Es war geduldig und wurde nicht wütend, wenn ich einen falschen Ton spielte. Vielleicht hätte ich gar ein ganzes Stück um einen Halbton versetzt spielen können und das Klavier hätte sich nicht beschwert.
Morgen werde ich fragen, ob sie im Café einen Menschen für die Tassen brauchen, aber ich rechne mir keine hohen Chancen aus. Immerhin verstehe ich nichts von Mathematik und ich bin mir sicher, dass sie dort keine ihrer Tassen verlieren möchten.
Die Wohnung neben mir steht leer. Es würde sich also niemand beschweren, wenn ich Klavier spielen würde. Die Menschen nebenan haben sich nie beschwert, auch nicht als Kristian laut wurde. Sie haben sich nicht einmal beschwert, wenn ich geweint habe, aber vielleicht haben sie es auch gar nicht gehört.
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