Als ich nach Hause komme, steht in meinem Wohnzimmer ein Klavier. Genau da, wo ich auch gedacht hatte, dass es gut hinpassen würde. Leo strahlt über das ganze Gesicht, als hätte sie es gewusst. Ich bin sprachlos für eine ganze Weile.
„Das kann ich nicht annehmen“, sage ich.
Leo lacht.
„Und ob du das kannst!“, sagt sie, „Oma freut sich bestimmt, wenn es noch jemand gebrauchen kann. Du wirst nicht glauben, was das für eine Aktion war, das Ding die Treppen hochzubekommen! Und außerdem wäre es traurig, wenn niemand auf ihm spielen würde, also musst du es annehmen!“
Ich muss lachen, aber ihre Argumente sind natürlich sehr einleuchtend.
Bevor ich mich auf dem Hocker niederlassen kann, streicht Johanna um meine Beine und sagt ganz freundlich Miau. Glücklich hebe ich sie auf meinen Arm und schmiege mein Gesicht fest an ihr Fell. Sie schnurrt und reibt ihr Köpfchen an meinem Arm. Wir sind froh, dass wir uns wieder haben. Aber auf dem Sofa liegen können wir nicht, denn es gibt viel zu tun.
Wäsche müssen wir waschen, Tassen abspülen und die Wohnung saubermachen. Leo hilft dabei und fragt, was ich an Heiligabend mache. Ich muss lachen, weil es eine lustige Frage ist. Dann sage ich, dass ich an Heiligabend das machen werde, was ich jeden Tag mache und zwar atmen und Tassen abspülen und auf dem Sofa liegen. Vielleicht, sage ich aber dann, werde ich auch Klavier spielen, denn jetzt habe ich ja eins bei mir im Wohnzimmer. Dann frage ich Leo, was sie an Heiligabend macht und ob man eigentlich etwas anderes als sonst machen müsste. Sie lacht nicht, sondern sieht sehr traurig aus.
„Normalerweise war ich immer bei Oma“, sagt sie und hat Tränen in den Augen, „Wir sind zur Kirche gegangen und haben gesungen, sie hat Klavier gespielt. Aber ich glaube, darauf hat sie dieses Jahr keine Lust.“
Ich schlage vor, dass wir sie gemeinsam im Pflegeheim besuchen können und dann muss Leo weinen. Ganz fest nehme ich sie in den Arm, tröste sie und frage, ob sie Heiligabend mit Johanna und mir verbringen möchte. Sie nickt, kann aber nichts sagen. Ich verspreche ihr, dass wir auch Klavier spielen und singen werden. Und wenn sie mag, werden wir auch zur Kirche gehen.
„Ich danke dir“, sagt Leo und sieht dabei sehr ehrlich aus.
Es verwirrt mich, deswegen frage ich Wofür.
„Dafür, dass du einfach du bist“, sagt sie.
***
Als Leo an Heiligabend zu mir kommt, strahlt sie wie die Lichter draußen an den Bäumen und ihre Haare fallen ihr besonders schön über die rechte Schulter. Ich habe versucht, etwas für sie zu kochen, aber es ist ungenießbar geworden. Sie lacht und wir beginnen gemeinsam noch einmal von vorn mit allen Zutaten, die wir beide noch in unseren Küchen finden. Wir strengen uns an, aber wird wieder ungenießbar und dann müssen wir auch schon los zur Kirche. Für Johanna habe ich besonders feines Katzenfutter gekauft und statt des Gottesdienstes besuchen wir Leos Oma auf dem Friedhof neben der Kirche. Wir stehen an ihrem Grab und sagen eine Weile lang überhaupt nichts. Es fühlt sich friedlich an. Leo nimmt meine Hand und hält sie fest, dabei streichelt sie mir mit dem Daumen über den Handrücken. Als wir wieder zurück gehen, sagt sie mir, dass ihre Großmutter mich sicherlich gern gehabt hätte.
Ich frage, ob Leo den Namen von einem Stück oder einem Komponisten kennt, etwas von dem, was ihre Großmutter immer gern auf dem Klavier gespielt hat.
„Chopin“, sagt sie sofort, „Aber ich glaube, er hat keine Weihnachtslieder geschrieben.“
„Das macht nichts aus“, sage ich, setze mich ans Klavier und spiele Chopin.
Für Leo. Und für Leos Oma. Und auch ein bisschen für mich, weil ich Leo sehr gern habe und glaube, dass ich Leos Oma auch sehr gern gehabt hätte.
Danach fragt sie mich, ob ich auch Weihnachtslieder spielen kann. Ich spiele Klavier und wir singen Stille Nacht, dabei muss ich lachen, weil es gar nicht still ist. Die Dame aus dem Erdgeschoss klopft an der Tür und wir sind sofort leise. Eigentlich wollen wir uns entschuldigen, dass wir so laut sind, aber sie lächelt uns an, statt sich zu beschweren und lädt uns zum Essen ein. Johanna liegt auf dem Sofa und schläft immer noch, als wir vom Weihnachtsessen bei der Erdgeschossdame wieder nach oben kommen.
Wir stehen im Treppenhaus und Leo hält wieder meine Hand. Dann fragt sie mich, ob sie nochmal mit zu mir kommen kann, weil sie nicht an Heiligabend allein sein möchte. Ich sage ihr, dass ich auch an anderen Tagen nicht allein sein möchte.
Sie schaut mich ganz lange und ehrlich an und fast kommt es mir so vor, als lächeln diesmal ihre Augen statt ihrer Lippen. Aber in dem Moment klingelt das Telefon und wir laufen schnell in die Wohnung, um Onkel Hannes zumindest telefonisch Frohe Weihnachten zu wünschen. Er fragt, ob wir überhaupt etwas gegessen haben und wir müssen beide lachen.
Johanna beschwert sich kurz, weil wir sie beim Schlafen stören. Onkel Hannes wünscht uns Frohe Weihnachten. Ich überlege noch, ob wir Leos Bett in meine Wohnung holen sollen, damit wir nicht allein sind. Aber letzten Endes schlafen wir zusammen auf dem Sofa ein.
„Nächstes Jahr brauchen wir aber unbedingt einen Tannenbaum“, sagt Leo und kuschelt ihren Kopf an meine Schulter.
„Und an Silvester müssen wir uns beim Kochen besser anstrengen“, sage ich.
Sie lächelt und ich streichele über ihre Hand.
***