Am Morgen nach der Trauung brach Diotima mit Fulco, seinen Reitknechten und den Soldaten ihres Vaters zu ihrem neuen Heim auf. Fulco hatte ihr vorgeschlagen, sich einen Ruhetag zu gönnen, doch davon hatte Ima nichts wissen wollen. Für sie gab es keinen Grund, die Abreise zu verzögern. Ohnehin schien es ihr, als sei Fulcos Zögern eher in seiner Vorliebe für die üppigen Mahlzeiten auf Morra begründet, als in der Sorge um ihr Wohlbefinden.
Ima war nicht bereit gewesen, nachzugeben. Noch vor den Laudes hatte sie eine Runde durch die Burg gemacht, um sich zu verabschieden: von der Köchin, dem Falkner, dem Stallmeister und dem zotteligen Hofhund, ihrem Freund aus Kindertagen.
Den Abschied von ihren Eltern und den Schwestern hielt sie bewusst kurz. Ihr Vater schien damit zufrieden. Ihre Mutter dagegen wirkte verärgert. »Deine Abreise scheint dich ja nicht sonderlich zu betrüben. Nun denn. Ich bin überzeugt, dir wird es noch leidtun, nicht auf uns gehört zu haben.«
»Wohl kaum«, murmelte Ima. »Ihr habt Euch nie die Mühe gemacht, Eure Töchter so zu akzeptieren, wie sie nun einmal sind, weder bei Roana, noch bei mir. Jetzt lebt mit den Konsequenzen.« Das war ein hässlicher Schlag, aber Ima konnte kein Bedauern aufbringen.
»Du stürzt dich sehenden Auges ins Unglück«, erwiderte Judith missfällig. »Man sieht ja, wozu es bei deiner Schwester geführt hat. Zur Ehe mit einem Meuchelmörder!«
»Ein Meuchelmörder. Oh, Mutter. Wenn ich Rafael anschaue, sehe ich einen Mann, der meiner Schwester den Mond und die Sterne zu Füßen legt. Sagt, was Ihr wollt, aber Roana ist glücklich.«
Und genau das will ich auch. Koste es, was es wolle.
Ima wandte sich ab und ließ sich von Fulco in den Kobelwagen helfen. Der Kutschführer saß auf dem Rücken des rechten Zugpferdes und wartete auf das Zeichen zum Aufbruch. Ima machte es sich neben ihre Zofe Bianca im vorderen Teil des Wagens bequem. Unter Peitschenknallen und den Rufen der Knechte setzten sich die Fahrzeuge knirschend in Bewegung.
Fulco hatte für die Gepäckwagen vier Reisetage veranschlagt, eine Aussicht, die Ima wechselweise mit Ungeduld oder Unruhe erfüllte. Sie wäre lieber geritten, doch der Preis, den sie für diese Eitelkeit zu zahlen haben würde, war nicht akzeptabel. Sie hatte nicht vor, ihrem Gemahl als zitterndes, hilfloses Bündel unter die Augen zu kommen, das vor Schmerzen nur halb bei Verstand war. Fulco schien ihr Dilemma zu erahnen, denn er ließ seine Stute neben dem Wagen kantern und gab sich redlich Mühe, sie mit lustigen Geschichten und Anekdoten aus ihrer trüben Stimmung zu reißen.
Dennoch war es eine eintönige Reise. Ima beneidete ihre Zofe Bianca, die aussteigen und eine Weile zu Fuß gehen konnte, um dem endlosen Geschaukel des Wagens zu entkommen. Ima blieb nichts anderes übrig, als die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. In Gedanken formulierte sie einen Bericht an Roana.
Tag zwei.
Ich versuche, nicht allzu oft daran zu denken, dass ich bald meinen Ehemann gegenüberstehen werde. Eigentlich sollte das ja kein Grund sein, sich schlecht zu fühlen, oder? Du warst schließlich kein bisschen aufgeregt, als du Rafael geheiratet hast, nicht wahr? Na gut, du kanntest ihn ja schon vorher. Ich dagegen habe meinen Ehemann noch nie gesehen. Gott. Welcher Teufel hat mir ins Ohr geflüstert, mich auf diesen Irrsinn einzulassen?
Mir ist speiübel, Roana. Ich bekomme kaum einen Bissen hinunter und wenn, dann liegt er mir wie ein Mühlstein im Magen. Was für ein exzellenter Gewinn für jeden Mann ich doch bin. Frau mit Krückstock und einem verdrehten Gehirn, die besser mit Pfeil und Bogen umgehen kann, als mit der Sticknadel. Und dann gibt es da noch etwas, was ich bisher keiner Menschenseele anvertraut habe. Da war dieses Stelldichein mit Raoul. Wir haben ... na ja, du weißt schon. Es war schnell vorbei und ziemlich ernüchternd, dabei wollte ich doch zu gerne wissen, wie es ist, über die Sonne zu fliegen. Nun ja, Pech für mich. Es gibt wohl noch ein paar törichte Mädchenträume, die ich versäumt habe abzulegen.
Jetzt schau nicht so sorgenvoll.
Du bist nicht besorgt? Doch, doch, gib es zu. Ich kenne dich, liebste Schwester. Ich komme schon zurecht. Glaube ich jedenfalls. Vielleicht aber auch nicht. Ich denke an Francesco und mein Magen macht einen Salto. Und das nicht aus freudiger Erregung. Noch zwei Tage, sagt Fulco, bis wir ankommen.
Zur Mittagszeit des vierten Reisetages überschritten sie die Grenze zum Landbesitz ihres Gemahls und näherten sich dem Valle del Tasso mit dem befestigten Landgut der Adelardi. Ima saß an der offenen Vorderseite des Wagens, um einen besseren Ausblick zu haben. Vergnügt lächelnd zeigte Fulco auf die Weinberge, die sich rechts des Weges erstreckten, und die jetzt Anfang August voller rotvioletter Trauben hingen.
Das Tal empfing sie mit milchweißem Himmel über dunstig verhangenen Bergen. An einer Stelle schien der silbrige Schleier ein wenig dunkler. Fulco richtete sich in den Steigbügeln auf und reckte den Hals.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Ima.
Fulco winkte ab. »Einen Augenblick lang dachte ich, ich sähe aus dem Tal Rauch aufsteigen. Vermutlich nur eine Wolke, die mir ein Trugbild vorgegaukelt hat.«
Ima blickte ihn an. »Sagt, sollten wir nicht einen Boten vorausschicken, der unsere Ankunft meldet?«
»Das ist nicht nötig, Monna Diotima. Hinter dieser Anhöhe senkt sich der Pfad und geht in das Tal über. Dann sind es nur noch drei Meilen bis zum Haus.«
Einer der Soldaten zügelte plötzlich sein Pferd. »Es riecht hier tatsächlich nach Rauch, Messèr Fulco!«
Fulco spornte seine Stute an. Mit einem Satz war das Tier auf und davon und stürmte von seinem Reiter angetrieben den Hügel hinauf. Ima blickte mit offenem Mund auf den Soldaten und dann dem verschwindenden Fulco nach. Sie klopfte mit ihrem Gehstock gegen den Wagen, um die Aufmerksamkeit des Kutschführers zu erregen, und wies ihn an, Fulco zu folgen. Wenig später hielten Soldaten und Wagen in einer Staubwolke an Fulcos Seite auf der Hügelkuppe. Im Westen wellten sich Wiesen und Weinberge grünlich schimmernd dahin und senkten sich zu einer von Zinnen gekrönten Umfassungsmauer ab. Dahinter lagen die Casa Adelardi mit ihrem viereckigen Turm, die Wirtschaftsgebäude und Ställe.
Einen Augenblick lang war nichts zu sehen, und einer der Soldaten begann zu scherzen. »Ich hoffe, Eure neue Köchin ist nicht mit meiner Alten verwandt. Die hat nämlich drei Monate gebraucht, bis sie Bescheid wusste, wie man aus einem anständigen Stück Fleisch keine Stiefelsohlen macht.«
Der Wind strich ihnen um die Gesichter und schlug um. Eine große Säule, schwarz wie die Mitternacht, stieg am Ende des Tales auf und hing schwankend über dem Horizont.
Fulco galoppierte mit blitzartiger Schnelle den Hang hinab und die Soldaten hinter ihm drein, aus Leibeskräften brüllend. Die Knechte schlossen sich an und Ima und der Kutscher blieben sich selbst überlassen. Resigniert klammerte sie sich an eine Verstrebung und biss die Zähne aufeinander gegen das Rütteln und Schaukeln, mit dem der Wagen ins Tal hinunterrollte.