Die gegen die Mauer aufgetürmte Reisigbündel flammten lichterloh, als Santiagos Trupp auf das Hauptgebäude zustürmte. Sie rissen die Reisighaufen weg, brachen mit Äxten durch das Haupttor und dann durch die Tür zur Halle. Dort fanden sie die weiblichen Bediensteten des Hauses vor, die sich schreckensstarr aneinanderklammerten. Santiago überließ sie der Obhut seiner Männer und begab sich mit Leone nach draußen, um die restlichen Gebäude der Hofanlage in Augenschein zu nehmen. Kaum hatten sie jedoch eine Hausecke umrundet, blieben sie abrupt stehen. Sie tauschten einen Blick, ein paar knappe Handzeichen und gingen lautlos auf das Getrampel und Geschrei zu, das von der Straße her deutlich zu hören war. Über den Lärm hinweg ertönte die Stimme von Belladonna laut und aufgebracht. Ein schallendes Gelächter folgte. Santiago und Leone überquerten den Wassergraben, schlugen sich in die Büsche und hatten einen Augenblick später ihre heiteren Kameraden eingeholt.
Es war ein erstaunlicher Anblick. Die meisten Skorpione waren vom Pferd gestiegen und hielten ein Kontingent fremder Soldaten in Schach. Die Straße war vollgestopft mit behelmten Köpfen, allesamt lautstark streitend, von denen sich jedoch keiner dem Reisewagen näherte, der wie eine Insel aus dem freien Raum um ihn herum aufragte. Den meisten Lärm machte Belladonna. Er stand allein mitten auf der Straße, das Gesicht seinen Männern zugekehrt und protestierte vehement gegen eine Armbrust, deren Bolzen auf seinen Magen gerichtet war, ohne zu wanken. Die Waffe hielt eine junge Frau, die nicht älter als achtzehn Sommer sein konnte. Der Anblick war selbst aus dem Dickicht heraus, in dem Santiago und Leone standen, aufsehenerregend. Das Sonnenlicht fiel auf safrangoldenes Haar, das von der glatten Stirn bis zur Hälfte ihres Rückens reichte, und ihr Gesicht wühlte die Sinne auf wie der Klang aufeinanderprallender Schwerter. Sie sah aufgebracht aus.
Ein ersticktes Geräusch stieg aus Leones Kehle auf, ohne dass er es merkte. Santiagos Geste brachte ihn zum Verstummen.
»Reiß dich zusammen. Eine hübsche Blume, da bin ich ganz deiner Meinung, aber ein wenig zu giftig, um sie abzupflücken.« Er nahm die Hand weg und verschmolz mit der Umgebung.
Leone trat einen Schritt vor, dann einen zurück; und dann blieb er, wo er war, die linke Hand zur Faust geballt, die Nägel in die Handfläche gebohrt.
Inzwischen hatte sich der Lärm noch verstärkt. Während er dem Getümmel lauschte, begriff Leone bald, was geschehen war. Die junge Frau und ihre Eskorte hatten den Rauch gesehen und eine Gruppe bewaffneter Fremder vorgefunden. Dass die Frau den Fremden die Schuld an dem Feuer gab, war nur natürlich. Während die Skorpione sich mit ihren Begleitern beschäftigten, hatte sie Belladonna geschickt isoliert und eine Armbrust in Anschlag gebracht.
Jeder aus Santiagos Truppe hätte sie überwältigen können, selbst auf die Gefahr hin, dass sie tatsächlich geschossen hätte. Belladonna hatte genug Tricks auf Lager, um einem Treffer zu entgehen. Doch nach der rüde unterbrochenen Nachtruhe hatten die Männer vermutlich das Gefühl, sich ein wenig Spaß verdient zu haben.
»Habt Erbarmen, Monna«, schrie einer der Bogenschützen. »Er ist der einzige Ernährer seiner alten Mutter und seiner zehn vaterlosen Vettern!«
Und Belladonna keifte zurück: »Wir haben das Haus nicht angesteckt, wir haben den Brand gelöscht! Nehmt um Himmels willen die Waffe herunter. Mit Verlaub, Monna, Ihr könntet aus Versehen den Abzug berühren. Wir sind keine Wegelagerer, wir gehören zur Compagnia der Skorpione - könnt ihr verdammten Mistkerle jetzt wohl das Maul halten?«
Leone machte einen hastigen Schritt nach vorne und blieb gleich wieder stehen, denn Santiago hatte ein Stück hinter der Frau den Weg betreten. Vermutlich konnte ihn nur ein Teil seiner Männer sehen, denn das Geschrei endete nicht abrupt, sondern erstarb nach und nach. Die Frau, die Belladonna weiterhin mit der Armbrust bedrohte, bemerkte nichts.
»Kompanie der Skorpione? Ich sehe keinen Unterschied zu einem Trupp Wegelagerer«, gab sie bissig zurück. »Männer wie Euer verlotterter Haufen haben gewiss keine Skrupel ein Haus anzuzünden, nachdem sie es ausgeplündert haben.«
»In diesem Fall schon«, erklang Santiagos kalte Stimme. »Es wäre schließlich ziemlich dumm, sich das eigene Dach über dem Kopf abzubrennen, findet Ihr nicht?«
Wie üblich hatte er sich mit der Lautlosigkeit einer Raubkatze herangepirscht. Er wirkte vollkommen sorglos; mit den Händen im Schwertgurt erweckte er den Eindruck, er gehe spazieren. Seine Männer hatten nach einem kurzen, verwirrten Schweigen pflichtschuldig weitergebrüllt, wenn auch merklich harmloser, bis er schließlich knapp ein Dutzend Schritte von der jungen Frau entfernt stehen blieb.
Leone erwartete, dass sie herumfahren würde, doch zu seiner Verblüffung tat sie es nicht.
»Ihr da, hinter mir. Keinen Schritt näher, oder Euer Mann fängt sich einen Bolzen ins Gemächt«, drohte sie.
Santiago stürzte sich mit der Schnelligkeit eines Jagdgeparden auf die Frau. Leone preschte aus seiner Deckung und sah den Bolzen harmlos gen Himmel sausen. Santiago riss der Frau die Armbrust aus den Händen und warf sie Leone zu. »Hab ich es nicht gesagt? Unsere Blume ist giftig«, bemerkte er in zuckersüßem Ton.
Leone warf einen Blick auf die Frau, die mit züchtig gesenkten Lidern dastand und sich in ihr Schicksal ergeben zu haben schien. Doch im nächsten Moment fuhr sie herum und verpasste dem Capitano mit ihrem Krückstock einen Stoß in den Unterleib, der ihn umwarf.
»Lügner«, sagte die Frau mit klarer Stimme. »Dieses Haus gehört Messèr Francesco Adelardi. Und somit mir. Ich bin seine Ehefrau.«
»Bringt sie ins Haus und sperrt sie ein«, stieß Santiago keuchend hervor. »Aber keiner rührt sie an, bevor ich zurückkomme, verstanden? Ich habe noch etwas zu erledigen.«
In kurzen Stößen atmend, das Gesicht kalkweiß, rappelte er sich auf und ging davon. Im ersten Moment ließ Leone sich täuschen, doch dann fiel sein Blick auf die sich entfernende Gestalt Santiagos. Er sah die seltsam abgehackten Bewegungen und begriff, dass er seinem Anführer bei einem heimlichen Rückzugsgefecht zusah.
Eilig übergab er die Frau an zwei Soldaten und sprintete hinter Santiago her.
Er fand ihn zusammengekrümmt im Dickicht neben der Straße. Selbst Leone, der schon stürmische Zeiten erlebt hatte, hatte noch nie einen Mann so qualvoll erbrechen sehen. Schwer atmend ließ er sich neben Santiago auf die Knie nieder und stützte ihn, bis es vorüber war. Dann half er ihm mit sanfter Gewalt auf die Füße und führte ihn auf den Weg zurück.
»So, so. Das Gut gehörte Francesco Adelardi. So langsam geht mir ein Licht auf«, bemerkte Leone.
»Und?«
»Was hat es mit diesem Hauskauf auf sich? Ist der Vertrag echt?«
»Ist er.«
»Möchte ich wissen, wie die ganze Sache zustande gekommen ist?«
Santiago schnaubte. »Nein, Leone, das möchtest du gewiss nicht.«
»Aber du hast bei Francescos Niedergang die Satansrolle übernommen, nicht wahr? Du hast ihm deine Freunde, die Hure und den Wucherer geschickt, die ihn auf Abwege geführt haben.«
Santiago zeigte ein kurzes Aufblitzen weißer Zähne. »Leone, Leone, was denkst du von uns? Ein wenig subtiler waren wir schon.«
Leone starrte ihn sprachlos an und schüttelte den Kopf. »Glaubst du, das Mädchen sagt die Wahrheit?«, fragte er schließlich.
Santiago befreite sich behutsam, aber nachdrücklich aus seinem Griff. »Vermutlich. Ich sehe keinen Grund, warum sie lügen sollte.«
»Francesco, der eingefleischte Hagestolz. Kommt dir der Zeitpunkt der Heirat nicht ein wenig zu passend vor?«
Santiago zuckte die Schultern. »Ich wette, unsere Blume verfügt über eine Mitgift, die ihre Dornen vergessen lässt.«
»Du denkst, er hat sie geheiratet, um an ihr Geld zu kommen? Armes Mädchen.«
Santiago warf ihm einen eisigen Blick zu. »Spar dir dein Mitgefühl. Du hast sie doch gehört. Wir sind gewöhnliche, grobschlächtige Kämpfer, keine gottesfürchtigen Betschwestern, die sich Sorgen um gefährdete Jungfrauen machen müssen.«
Bei den unbekümmerten Worten biss Leone die Zähne zusammen. »Was hast du jetzt vor?«, fragte er knapp.
»Ich? Mir ein Bett suchen und schlafen.«