Tiara:
Die Sonne war bereits aufgegangen und ihre Koffer waren in der zweite Kutsche untergebracht. Selena und Tiara hatten sich bequeme Klamotten angezogen. Obwohl, Tiara trug wie sonst auch immer ein Kleid, aber dieses fiel ganz locker bis zu ihren Knöcheln. Es ähnelte einem Nachthemd. Sie stieg in die Kutsche. Selena hingegen trug eine schwarze Leggings und eine weiße Tunika, die bis zu ihren Oberschenkeln reichte. Ihre Haare hatte sie hochgebunden. Selena stieg zu Tiara in die Kutsche. In die dritte Kutsche stiegen Mila und Coilin ein. Damian und Alic würden nebenher reiten, sowie noch fünf weitere Wachen. Was Tiara schon übertrieben fand. Sie waren alle erfahrene Kämpfer. Coilin und Mila hatten Anton besiegt. Alic, Damian, Selena und sie hatten Alekto besiegt. Aber sie wusste auch, dass es sich so gehörte. „An was denkst du?“, fragte Selena und holte sie aus ihren Gedanken. „Nichts. Du warst lange nicht mehr bei uns.“ Sie versuchte das Thema zu wechseln. Und zu ihrem Glück, machte ihre beste Freundin mit. „Ja, es ist sehr lange her. Die kleinen Monster sind jetzt älter.“ Als kleine Monster bezeichneten Tiara und Selena, ihre jüngeren Zwillingsbrüder. Levi und Linus. Tiara sah aus dem Fenster. Es würde jetzt seltsam werden, wieder zuhause zu sein. Ohne Killian. Er war wie ihr Schatten gewesen. Überall im Anwesen gab es Erinnerungen. Das war auch einer der Gründe gewesen, wieso sie so lange bei Selena geblieben war. Tiara spürte Selenas besorgte Blick auf sich, aber ignorierte es. Ihr war nicht entgangen, wie sich jeder um sie sorgte. Aber sie gab sich solche Mühe, es niemanden zu zeigen. Ihre Gefühle zu unterdrücken, war nie ihre Stärke gewesen. Sie musste unbedingt mit Thea sprechen. Sie hatte ihre Gefühle immer im Griff. In manchen Situationen setzte sie eine unsichtbare Maske auf, und niemand konnte in ihr lesen. Die Kutschte setzte sich in Bewegung. Bis zu ihr nachhause dauerte es ein Tagesritt. Theoretisch könnten sie aber auch durch ein Portal gehen, aber Mila öffnete nur in Notfällen Portale. Es könnte zu gefährlich werden. Tiara wusste nicht wieso, aber immerhin war Mila die Portalöffnerin. „Tiara?“, fragte Selena vorsichtig. „Hm?“ Ihre beste Freundin sah sie ernst an. „Wir sind jetzt unter uns. Rede mit mir. Wir haben doch immer miteinander geredet.“ Sie hatte recht. Tiara hörte Sel immer zu und gemeinsam lösten sie das Problem, aber für ihr Problem gab es keine Lösung. „Vertraust du mir nicht?“, fragte Selena nach einer Weile und Tiara merkte, dass sie zulange mit ihrer Antwort gebraucht hatte. „Natürlich vertraue ich dir. Du bist meine beste Freundin.“ „Wieso redest du dann nicht mit mir?“ „Es gibt nichts zu bereden.“ „Das glaubst du doch selbst nicht. Ich sehe doch, dass du ihn vermisst. Aber…“ Tiara unterbrach ihre Freundin. „Es gibt kein Aber. Killian ist nicht mehr hier. Also gibt es auch nichts zu bereden.“ Ihre Stimme klang gereizter, als beabsichtigt. Selena nickte bloß und lehnte sich zurück. Super, jetzt hatte sie auch noch ihre beste Freundin verletzt. Sie sah sie nicht mal mehr an. Tiara wollte sich entschuldigen, als sie plötzlich Selenas Mundwinkel in die Höhe wanderten. Tiara sah aus dem Fenster. Damian ritt direkt neben der Kutsche. Tiara wusste, dass Selena nicht viel mit Damian unternahm. Und das aus Rücksicht auf sie. Selena konnte nie richtig glücklich sein, wenn Menschen, die sie gern hatte, unglücklich waren. „Du hast recht“, flüsterte Tiara und Selenas Blick wanderte zu ihr. „Ich will nicht darüber reden, weil es dann wahr wird. Ich akzeptiere es dann und das traue ich mich nicht“, gab sie zu und sah auf ihre verschränkten Hände. Selena schwieg und hörte zu. „Ich vermisse ihn. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemanden so sehr vermissen könnte.“ Eine Träne tropfte ihr auf den Handrücken. Selena zog die Vorhänge zu und rutschte auf den Sitz neben Tiara und umarmte sie. „Sel, ich kann ihn einfach nicht vergessen. Egal was ich tue, er schwirrt mir ständig durch den Kopf“, schluchzte sie. Selena drückte sie noch fester an sich. „Einerseits weiß ich auch, dass er nicht mehr kommen wird und ich nach vorne schauen muss, aber andererseits fühlt es sich falsch an.“ „Es tut mir wahnsinnig leid“, murmelte Selena. „Ich habe nichts, was mich an ihn erinnern könnte.“ „Du hast deine Erinnerungen.“ „Die werden irgendwann verblassen“, schoss sie zurück. Nach drei langen Wochen, sprach Tiara alles aus, was ihr auf dem Herzen lag. Selena gab ihr ein Taschentuch, da die Kutsche immer langsamer wurde. Sobald Tiara sich wieder gerichtet hatte, öffnete Selena die Vorhänge. Es war bereits dunkel. „Anscheinend schlagen wir hier unser Lager auf“, murmelte Selena. Die Kutsche hielt an und ohne abzuwarten, öffnete Selena die Tür und stieg runter, genau im selben Moment trat Damian vor die Kutschentür. „Eigentlich wartet man da drin, bis jemand die Tür öffnet“, sagte er an seine Freundin gewandt. „Eigentlich solltest du inzwischen wissen, dass ich sowas nicht leiden kann“, antwortete sie zuckersüß. Selena sah sich um. „Wie lange wird es noch dauern?“, fragte sie schließlich. „Wir reiten morgen früh weiter.“ Tiara kletterte hinter Selena aus der Kutsche. Sie sah sich um und sah nur Bäume. Die Wachen stellten bereits die Zelte auf. Mila und Coilin waren auch aus ihrer Kutsche ausgestiegen. Coilin unterhielt sich mit den Wachen und seine Frau streckte sich. Während ihrer letzten, großen Reise, war Killian bei ihr gewesen. Er hatte ihr Gesellschaft geleistet. Auch wenn er sehr schweigsam gewesen war. Sie dachte wieder an ihn. Würde das denn nie aufhören?