Kapitel 2
Deutschland, Berlin 2019
Callie kam mit zwei Einkaufstüten nachhause. Sie schloss die Tür auf und stolperte in ihre Wohnung. Eigentlich in die Wohnung von ihrem Verlobten. Aber es gab kein Meins Deins in einer Beziehung, sondern Unseres. Sie lief in die Küche und als sie die Tüten abgestellt hatte, klingelte das Telefon. Callie seufzte und pustete eine Strähne aus ihrem Gesicht. Wenn jemand im Stress war wurde man nur noch stressiger. Sie lief zum Telefon, welches im Flur auf einer Kommode stand. Die Wohnung war eigentlich ganz schlicht. Es hatte einen langen Flur, rechts und links jeweils zwei Türen und ganz am Ende des Flurs war links das Wohnzimmer, von dem man auch gleich in die Küche gelangen konnte. Im Wohnzimmer standen eine große und eine kleine Couch. Gegenüber von der großen Couch stand der Fernseher. Die Wände waren weiß gestrichen. Der Couchtisch war aus Glas. Callie hatte sich am Anfang sehr daran gewöhnen müssen. Für eine Halbschottin die lange in einer Burg gelebt hatte und später auch in Deutschland in einem Haus, welches wie eine Burg eingerichtet war, war es eine richtige Umstellung gewesen. „Hallo?“ „Hallo, Schwesterherz.“ Callie musste einfach lächeln. „Connor?“ „Genau der! Wie geht es dir?“ „Nachdem ich deine Stimme gehört habe, besser.“ „Jetzt fühle ich mich geschmeichelt. Du klingst außer Atem, bist du gerade einen Marathon gelaufen?“ „Wie witzig. Nein ich war einkaufen.“ „Und wo ist dein Verlobter?“ „Nicht das schon wieder.“ Seufzte Callie. Ihr war bewusst, dass Connor ihren Verlobten Alec nicht leiden konnte. Wieso das so war wusste sie nicht. Sie hatte Alec auf einer Konferenz kennengelernt. Sie hatten sich einpaar Mal getroffen. Und nach drei Monaten hatten sie sich verlobt. Ihre Eltern konnten Alec ebenso wenig leiden wie Connor aber sie versuchten im Gegensatz zu ihm es ihr nicht anmerken zu lassen. „Sag mir doch einfach wo.“ „Arbeiten. Zufrieden?!“ Das Lächeln war ihr vergangen. „Und wo warst du bevor du einkaufen gegangen bist?“ „Was ist das jetzt für eine Frage?“ „Callie antworte nicht mit Gegenfragen!“ „Ich war auch arbeiten.“ Er schwieg. „Callie…“ „Connor ich weiß was du sagen willst aber kannst du nicht akzeptieren, dass ich glücklich bin?“ Sie bemerkte wie müde sie war. Sie hatte die ganze Nacht über gearbeitet. Callie hatte einen Auftrag bekommen, eine Vase aus dem dreizehnten Jahrhundert zu restaurieren. Sie arbeitete für ein Museum und die meisten Aufträge bekamen sie und ihr Team. Ihr Fachgebiet lag auf allen Historischen Gegenständen aus dem dreizehnten Jahrhundert in Schottland. Jace, ihr Assistent hatte vor zwei Monaten seine Ausbildung bei ihr abgeschlossen und er restaurierte Dolche, Schwerter und alle anderen Waffen aus dem dreizehnten Jahrhundert. Und ihre Auszubildende restaurierte Griechische Artefakte und verfasste Protokolle für sie. Außerdem war sie für die Buchhaltung verantwortlich. Aus Nina würde eine hervorragende Historikerin werden. „Du hast recht Callie. Es tut mir leid.“ Hörte sie ihren Bruder sagen. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. „Ich weiß, dass du nur mein Bestes willst, aber das ist mein Leben.“ Eine Weile kam kein Ton mehr und sie dachte er hätte aufgelegt oder die Verbindung wäre abgebrochen worden. Das war nicht selten. Ihr Bruder war wieder nach Schottland gezogen. Seit einem Jahr lebte er mit seiner Frau Laila in Edinburgh in einem großen Haus. Er hatte viel gearbeitet für dieses Haus. Als er sich verlobt hatte, hatte er sich mächtig ins Zeug gelegt um sich und seiner zukünftigen Frau ein Heim zu bauen. Das Haus hatte er für sehr billig gekauft aber dafür musste er sehr viel arbeiten. Callie war sogar für eine Woche nach Schottland gereist um ihm zu helfen. Es war ja ihr Fachgebiet. Sie mochte Laila, auch wenn sie sie selten sah. „Da hast du wieder Recht.“ Die Leitung war doch nicht Tod. „Wie geht es Laila?“ Wechselte sie das Thema. „Ach ihr geht es mal gut und mal wieder nicht.“ „Wie meinst du das?“ Callie runzelte die Stirn. „Warte ich gebe sie dir.“ „Okay.“ Die Falten auf Callie’s Stirn wurden tiefer. Was hatte er damit gemeint? „Hallo Callie!“ „Hallo Laila, wie geht es dir?“ „Wundervoll! Ich könnte die ganze Welt umarmen.“ „Okay.“ Sagte Callie zögernd. „Aber gleichzeitig tut mir mein Rücken weh.“ „Laila?“ „Callie du wirst Tante!“ Callie’s Mund klappte auf. Tante? Dann hieß das… „Du bist schwanger?“ Brachte Callie raus. „Ja. Wir sind schwanger! Kannst du das glauben? Ich werde Mutter!“ „Bei dir kann ich das glauben aber dass mein Bruder Vater wird…“ Sie sprach ihren Satz nicht zu ende. „Ach was Connor wird ein toller Vater.“ Verteidigte sie ihren Mann. Callie konnte das aber nicht glauben. „Wisst ihr schon was es wird?“ „Nein dafür ist es noch zu früh.“ „Ich freu mich so für euch!“ Sagte sie aber trotzdem beneidete sie ihren Bruder ein wenig. Er hatte eine glückliche Familie und nun erwartete er Besuch. „Ich muss jetzt auflegen. Ich muss noch kochen und an einem neuen Auftrag weiter arbeiten.“ „Oh, na dann halte ich dich nicht auf. Pass auf dich auf.“ „Das sagt genau die Richtige. Du bist schwanger du musst auf dich und dein Baby aufpassen.“ Sie hörte Laila lachen. „Ich gebe dir dein Bruder.“ „Tschüss.“ „Schwesterherz?“ „Pass gut auf sie auf, verstanden?“ „Natürlich.“ „Ich glaub’s nicht, dass du Vater wirst!“ Die Betonung lag auf *Du*. „Traust du mir das nicht zu?“ „Naja…“ Callie hörte ein Schnauben am anderen Ende der Leitung. „Ich mache doch nur Scherze. Also dann mach’s gut.“ „Connor!!!!“ Hörte sie Laila schreien. „Tschüss. Was ist…“ Die Leitung brach ab. Lächelnd ging Callie wieder auf ihren Einkauf zu.
„Liebling?“ Alec kam nachhause und warf seine Tasche auf die Seite und hängte sein Jackett auf die Garderobe. Seine Verlobte kam aus der Küche. „Hallo Schatz.“ Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Wasch deine Hände und komm dann essen. Ich habe dein Lieblingsessen gekocht.“ Sie ging zurück in die Küche. Alec ging ins Badezimmer. Er hatte eine wunderschöne Verlobte. Aber er schätzte nur die Äußeren Werte. Nachdem er sich frisch gemacht hatte ging er zu seiner Verlobten in die Küche. „Das riecht lecker.“ „Ich hoffe es schmeckt auch so.“ Sagte sie lächelnd. „Ich habe Neuigkeiten.“ „Ich auch.“ „Sag du zuerst.“ „Nein Schatz du zuerst.“ Alec lächelte Callie an. „Na gut. Meine Schwägerin ist schwanger. Kannst du glauben, dass mein Bruder Vater wird?“ Callie’s Augen funkelten als sie das sagte. „Kaum zu glauben.“ Murmelte Alec aber Callie fiel das nicht auf. „Was wolltest du sagen?“ „Ich muss für zwei Wochen gehen.“ „Wohin?“ Callie setzte sich ihm gegenüber. „Nach China. Natürlich geschäftlich.“ „Oh.“ „Ich weiß dass das länger ist als gewöhnlich aber…“ „Nein ist schon gut.“ Alec war froh so eine Verständnisvolle Verlobte zu haben. Eine andere würde ihm so etwas nie erlauben. „Und wann musst du gehen?“ „Morgen.“ „Geht das auch genauer?“ „Vormittags.“ „Okay.“ „Ich bin satt danke für das leckere Essen. Aber ich gehe jetzt schlafen.“ „Bitte. Okay gute Nacht.“ Alec küsste ihre Stirn und ging aus der Küche. Erleichtert atmete er aus. Sie hatte kein Verdacht geschöpft. Callie war blind vor Liebe.
Callie’s gute Laune war verschwunden. Für ihren Geschmack war Alec zu oft auf Geschäftsreisen. Konnte denn kein anderer mal gehen? Sie räumte den Tisch auf als es an der Tür klingelte. Sie sah auf die Uhr. Zwanzig Uhr fünfunddreißig. Callie trocknete ihre Hände und ging um zu öffnen. „Guten Abend. Sind Sie Caledonia MacAdams?“ Vor ihr stand ein Postbote. Welche Firma lieferte denn um diese Uhrzeit noch? „Ja die bin ich.“ „Ein Paket für Sie.“ Der Mann reichte ihr einen kleinen Paket. „Sie müssten hier noch unterschreiben.“ Callie klemmte das Paket unter ihren linken Arm und unterschrieb. „Danke und schönen Abend noch.“ Der Postbote verschwand. Verblüfft ging Callie zurück in die Wohnung. Merkwürdig. Sehr Merkwürdig. Wer um Himmelswillen lieferte noch so spät? Das hätte sie den Postboten fragen sollen. Sie ging mit dem Päckchen ins Wohnzimmer. Als sie es öffnen wollte klingelte das Telefon. Und wer war das jetzt? Sie nahm ab. „Hallo?“ „Hallo Liebes.“ Sagte eine alte Stimme auf Gälisch. „Oma?“ „Ja. Wie geht es dir?“ „Gut und dir?“ „Ach wie immer.“ Callie war froh ihr Gälisch nicht verlernt zu haben. „Und wie geht es Opa?“ „Ihm geht es blendend.“ „Das freut mich. Aber sag mal, was führt dich dazu noch so spät anzurufen?“ „Habe ich dich geweckt?“ „Oh, nein ich war noch wach.“ Sagte sie schnell. „Oh gut.“ „Also?“ „Ach ja. Ich wollte dich fragen ob du schon dein Paket bekommen hast.“ Callie verdrehte die Augen. Sie hätte sich das denken müssen. „Oma was machst du den für Sachen?“ Ihre Oma lachte. „Und was meinst du Caledonia. Wie findest du es?“ „Ich habe es noch nicht ausgepackt.“ „Dann pack es schnell auf!“ „Oma?“ Sagte sie langsam. „Was ist in diesem Paket drin?“ Ihre Großmutter schwieg. „Pack es einfach aus.“ Die Leitung war tot. Was war das denn? Callie runzelte die Stirn. Wenn sie so weiter machte würde ihre Stirn ganz viele Falten haben. In den letzten sechs Jahren hatte ihre Großmutter ganz verschiedene Sachen geschickt. Von teuren Ketten bis hin zu seltsamen Gegenständen. Kopfschüttelnd ging sie wieder zu dem Päckchen. Mal sehen was nun auf sie wartete. Sie packte es aus und sah nur ein Pergament. Sie nahm es vorsichtig raus, da es sehr alt war. Vielleicht achthundert Jahre alt. Vorsichtig faltete sie es auseinander. Sie überflog es kurz. Was war das denn? Schon wieder so eine eigenartige Geschichte. Sie faltete es wieder zusammen und legte es mit dem Karton auf das oberste Regal. Morgen würde sie sich das genauer ansehen. Sie ging zurück in die Küche und räumte schnell noch auf und ging dann auch schlafen. In dieser Nacht träumte sie seit langem wieder von Schottland. Sie hatte sich eigentlich vorgenommen zurück nach Schottland zu ziehen aber dann hatte sie Alec kennengelernt und ihre Arbeit lief dann auch noch gut. Deshalb war sie hier geblieben. Sie vermisste die Highlands, aber sie konnte nicht alles liegen und stehen lassen. Als sie hier her gekommen waren, hatte sie versucht mehr über ihre Familie zu erfahren aber da gab es einfach nichts! Sie hatte sogar die ganzen Bücher von ihrer Mutter gelesen in der Hoffnung, dass da vielleicht irgendwelche hinweise gab aber sie hatte nichts gefunden. Entweder hatte ihre Mutter nichts in ihren Büchern erwähnt oder die Hinweise waren gut versteckt. Nach einer Weile, um genau zu sein nach einem Jahr hatte sie aufgegeben. Mehr hatte sie nicht tun können. Sie hatte im Internet gesucht. In den Bibliotheken. Einfach überall! Jede Nacht war sie erschöpft eingeschlafen. Wenn sie etwas erfahren würde, dann in Schottland. Das Buch was ihr Großvater ihr zum Abschied gegeben hatte, lag gut verstaut in einem Karton. Geschützt vor Kälte oder Wärme. Das Buch was ihre Mutter geschrieben hatte als sie aus Schottland nach Deutschland gezogen waren, war ein Bestseller geworden aber das war ja kein Wunder. Ihr Bruder hatte sein Studium hier weiter gesetzt und wurde dann schließlich Anwalt. Nun besaß er auch noch eine eigene Kanzlei in Edinburgh. Ja Connor hatte alles erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Ihre Eltern reisten um die Welt. Gerade waren sie in Ägypten bei den Pyramiden von Gizeh. Nur Callie war in Deutschland geblieben. Sie hatte mal Alec darauf angesprochen wie es wäre in Schottland zu leben aber er hatte gemeint er könne es sich nicht vorstellen. Callie war daraufhin nicht mehr auf ihn eingegangen. Sie würde hier bleiben.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte war Alec nicht da. Sie stand ruckartig auf. War er schon weg? Sie ging aus dem Schlafzimmer. „Alec?“ „Ich bin hier.“ Er kam mit einer Tasse Kaffee aus der Küche. „Ich dachte schon du wärst fort.“ „Das Taxi kommt in zehn Minuten.“ „Wolltest du ohne dich zu verabschieden gehen?“ „Ach was nein ich wollte dich noch wecken.“ Wich er ihr aus. Das wollte er ganz und gar nicht. Aber das konnte er ihr ja nicht sagen. Sie ging auf ihn zu. „Wie lange wirst du noch mal weg sein?“ Sie legte ihre Arme um seinen Nacken. „Das weiß ich nicht genau, aber es wird auf jeden fall länger sein als die normalen Geschäftsreisen.“ „Hm.“ „Callie höre bitte auf deine Stirn immer in Falten zulegen! Irgendwann bleibt da eine gigantische Falte!“ Sie lächelte und ihre Stirn glättete sich. „Okay du hast Recht. Aber…“ Ein Hupen von draußen unterbrach sie. „Das Taxi ist da ich muss los.“ Er küsste Callie kurz und nahm dann sein Koffer. „Warte!“ Sie eilte ihm hinterher. „Auf wiedersehen!“ Schrie sie ihm hinterher. Das Taxi fuhr weg und Callie ging zurück in die Wohnung. Sie lief direkt in die Küche und machte sich Kaffee. Nachdem sie gefrühstückt hatte ging sie duschen. Sie musste die Vase bis nächste Woche fertig bekommen. Wie sollte sie das bloß in der kurzen Zeit schaffen? Sie kam aus der Dusche und zog sich eine hellblaue Jeans an und darüber eine weiße Bluse. Ihre Haare band sie zu einem festen Zopf. Nachdem sie nachgesehen hatte ob alle Fenster geschlossen waren und auch der Herd aus war, ging sie zur Tür und zog sich ihre schwarzen Stiefel an. Als sie aus dem Haus gehen wollte klingelte das Telefon. Callie überlegte ob sie ran gehen sollte oder es einfach klingeln lassen sollte. Seufzend nahm sie ab. „Hallo?“ „Hallo Caledonia Liebes. Wie geht es dir?“ „Oma?“ „Ja.“ „Mir geht es gut aber was ist los?“ Callie runzelte ihre Stirn. Ihre Großmutter hatte noch nie aufeinander angerufen. „Nichts Großes. Hast du mein Paket aufgemacht?“ Callie’s Stirn glättete sich. Das Paket. „Ja ich habe es geöffnet.“ „Und wie ist er?“ „Er? Oma wen meinst du?“ „Hast du es denn nicht gelesen?“ „Oma ich habe es überflogen aber du weißt doch was ich über so etwas halte.“ Sagte Callie seufzend. „Aber Callie, du musst es laut lesen!“ „Oma…“ „Versprich es mir!“ Ihre Großmutter klang sehr ernst. „Wieso ist dir das so wichtig?“ „Caledonia MacAdams! Versprich mir das du es so bald wie möglich laut lesen wirst!“ „Na gut ich verspreche es dir.“ „Gut.“ „Oma ich muss auflegen sonst komme ich zu spät zur Arbeit.“ „Und wann wirst du es lesen?“ „Heute Abend, versprochen.“ „Ich nehme dich bei Wort. Pass gut auf dich auf Liebes.“ „Auf Wiederhören Oma.“ Sie legte auf. Was war das denn? Sie hatte ihre Oma noch nie so ernst gehört. Irgendetwas stimmte mit diesem Pergament nicht. Achselzuckend ging sie aus dem Haus. Sie setzte sich in ihr Auto und fuhr in ihr Atelier.