Kapitel 10
>>Soll ich dich wohin bringen?<<, fragte er, nachdem er kurz einmal laut ein und aus geatmet hatte.
>>Wohin?<<, ich drehte mich um damit ich ihm in sein Gesicht schauen konnte.
>>Das bleibt eine Überraschung<<, meinte er nur und grinste breit, was seine Augen zum strahlen brachte. Ich malte ihm mit dem Finger Kreise über seine weiche Handfläche. Ob er Handcremes benutzte, dass seine Hände so weich blieben? Das fragte ich ihn natürlich nicht.
>>Hmm, ich weiß nicht, ich will schon sicher sein können, dass du mich nicht an irgendeinen gefährlichen Ort verschleppst<<, sagte ich süffisant, dabei war uns beiden klar, dass ich das nicht ernst meinte.
>>Okay, dann pinky swear darauf, dass ich dich nicht an einen gefährlichen Ort verschleppe<<, sagte er und hielt mir seinen kleinen Finger hin. Ich tat es ihm gleich, und wir grinsten uns kurz an, bevor er mir einen Kuss gab und wir uns aufrichteten.
>>Muss ich mich erst hübsch machen oder kann ich so gehen?<<
>>Du bist doch schon hübsch<<, sagte er, während er seine Schuhe anzog. Wohlig flatterte es mir in der Brust. Ich liebte es, wenn er mir solche Komplimente machte.
>>Du weißt doch was ich meine<<, sagte ich und deutete auf mein Outfit. Ein weißer Pullover, der etwas oversized war und eine schwarze Leggings, um etwas Schickes zu tragen, hatte ich heute keine Motivation.
>>Du kannst gerne so bleiben<<, bedeutete er, also holte ich meine Schlüssel, verabschiedete mich mit einer kleinen Streicheleinlage von Tommy und zog mir meine Schuhe an.
Wohin Evan mich wohl bringen wollte? Während wir in sein Auto einstiegen, gingen mir die ganze Zeit Fragen durch den Kopf. Ein kleiner Teil von mir war sich unsicher, ob es die richtige Idee war, ihm blindlings zu folgen, doch er hatte mir ja bis jetzt noch keinen Grund gegeben, ihm nicht zu vertrauen, oder? Ich versuchte, meine Zweifel abzustellen, doch es fiel mir schwer, auch wenn er sie nicht verdient hatte.
Er fuhr gemäßigt, nicht zu schnell aber auch nicht zu langsam. In seinem Auto roch es nach Wassermelone durch den Dufterfrischer. Wir fuhren aus meinem Viertel raus, durch die Stadtmitte, vorbei an den Geschäften und Cafes. Wir fuhren auch am Coffee Plaza vorbei, und ich erwähnte beiläufig, dass ich dort arbeite.
>>Echt? Das wusste ich noch gar nicht. Jetzt weiß ich wenigstens, wo ich mir ab jetzt meinen Kaffee holen muss<<, sagte er mit einem Augenzwinkern, und ich musste bei der Vorstellung, ihm etwas zu servieren, lächeln. Vermutlich würden wir aus Spaß tun, als wären wir Fremde, und dabei mit unterschwelligen Bemerkungen miteinander flirten. Auch dachte ich an das letzte Mal zurück, als ich arbeiten war, meine peinliche Eskapade oder wie ich es nannte Der große Fall der Lilly Wallace. Ich konnte von Glück reden, dass die Mädchen, die dort waren, nichts in der Schule rumerzählt hatten.
Evan stellte auf einmal das Radio etwas lauter, als ein Song von einer Rockband lief.
>>Du kannst das Handschuhfach öffnen und nach einer CD gucken, die du hören willst, aber wir sind gleich da<<, sagte er und ich tat wie gehießen. Während eines Gitarrensolos verzerrte er das Gesicht und summte es nach, und ich musste mich wirklich beherrschen, nicht zu lachen. Es sah einfach zu süß aus, wie er die Musik fühlte. >>Ich merk's mir für die Rückfahrt<<, sagte ich.
Er fuhr in ein Parkhaus runter, welches sich ziemlich in der Nähe von ein paar Hochhäusern befand. Ich war ein wenig skeptisch, ein Parkhaus war ja nicht wirklich die Kirsche auf einem Eisbecher der Romantik.
>>Evan, wir haben den pinky swear gemacht, also wenn das hier kein gefährlicher Ort ist, dann weiß ich auch nicht<<, witzelte ich, während wir ausstiegen und aus dem Parkhaus liefen.
>>Tja, leider habe ich die Finger der anderen Hand überkreuzt, also gilt der Schwur nicht<<, konterte er und ich prustete los.
Im Parkhaus war es wirklich kalt, und es wurde noch kälter, als wir an die frische Luft kamen. Vor lauter Aufregung hatte ich einfach meine Jacke daheim liegen lassen. Ich gab aber nicht zu, dass mir kalt war, denn dann würde er mir seine Jacke anbieten, und das wollte ich nicht. Wenigstens hatte ich ein paar warme Winterstiefel an.
Es lag eine Schneedecke auf dem Gehweg, auf dem einige Fußstapfen zu erkennen waren. Ich wusste es war kindisch, aber ich versuchte, immer in die Fußstapfen zu treten.
Nach einigen Schritten tat Evan es mir nach, was für ihn aber einfacher war als für mich; er hatte längere Beine und die Fußstapfen waren in großen Abständen zueinander verteilt. Einmal waren die Fußstapfen soweit von einander entfernt, dass ich einen kleinen Sprung machen musste – was aber eine miserable Idee war. Prompt rutschte ich aus, versuchte mich an Evan festzuhalten, was ihn aber unerwartet traf. Bevor ich mich versah, landeten wir beide nebeneinander im Schnee. Er umgab uns, und für wenige Sekunden war ich unfähig aufzustehen. >>Ist alles in Ordnung?<<, erkundigte er sich, beugte sich über mich und musterte besorgt mein Gesicht. >>J-Ja, ja, alles super<<, antwortete ich perplex und wusste nicht, wie ich sonst auf die Situation reagieren sollte. Das war dann wohl Der große Fall der Lilly Wallace die Zweite. Dass ich ihn mitgezogen hatte, war mir noch unangenehmer, als die Tatsache, dass es mich vor seinen Augen hingelegt hatte.
>>Und bei dir?<<, fragte ich, und wagte kaum, ihn anzuschauen.
>>Ja also mir geht’s gut<<, meinte er, als wäre es selbstverständlich. >>Aber ich bin glaube ich derjenige, der Angst haben sollte, dass du mich umbringst, nicht andersrum<<, sagte er, woraufhin ich gluckste. Er stand auf und half mir dann, dabei legte Evan seine Hände auf meine Taille und hievte mich dann hoch. >>Danke<<, sagte ich und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. >>Kein Ding. Ich halte lieber deine Hand, dass so etwas nicht noch mal passiert<<, sagte er mit einem schelmischen Unterton.
>>Bist du sicher, dass du meine Hand nur aus diesem Grund halten möchtest?<<, neckte ich ihn, dabei nahm ich seine Hand. Unsere Hände waren beide eiskalt.
>>Nein<<, sagte er schlicht und einfach, konnte sich aber kein Grinsen verkneifen. Ich rollte die Augen.
Wir liefen keine zwei Minuten mehr, dann blieben wir vor einem der Hochhäuser stehen und traten dann ein. Ich war mir sicher, dass er mir jetzt zeigen würde, wo er wohnte. Ich hatte mir ehrlich gesagt noch gar keine Gedanken gemacht, wie sein zu Hause aussah.
Von der Lobby aus gab es die Möglichkeit entweder mit dem Aufzug oder mit der Treppe nach oben zu gelangen. Evan steuerte direkt auf den Aufzug zu, was ein klares Indiz dafür war, dass er in einem der oberen Stockwerke wohnte.
Auf einmal kamen mir Zweifel. Er sollte sich nicht genötigt fühlen, mir sein Zuhause zu zeigen, und was waren wir überhaupt? Zusammen konnten wir ja nicht sein, er hatte mich ja noch gar nicht gefragt. Konnte man mit jemandem zusammen sein, ohne offiziell die Frage gestellt zu haben? Würde es ihm etwas ausmachen, wenn ich mich mit Jungs verabreden würde? Dummer Gedanke Lilly, schalt ich mich, ich und Verabredungen mit Jungs, das glaubst du wohl selber nicht. Tatsächlich war Evan einer der wenigen Jungs, abgesehen von meinem Arbeitskollegen Andrew, mit dem ich geredet hatte im letzten Jahr.
Die wichtigere Frage demnach wäre also eher, ob es mir was ausmachen würde, wenn er was mit anderen Frauen machen würde.
Ein kleines Brennen in meiner Brust bei der Vorstellung beantwortete mir die Frage. Verdammt, so weit wollte ich es doch eigentlich nicht kommen lassen.
Aber jetzt war es wohl zu spät für mich. Ich war bereits auf dem Weg nach oben zu seiner Wohnung, jetzt konnte ich schlecht einen Rückzieher machen. Und irgendwie wollte ich das auch gar nicht.
Wir waren während der gesamten Aufzugfahrt still, bis sich die Türen öffneten. Meine Vermutung hatte sich bestätigt, Evan wohnte wirklich ziemlich weit oben im 12. Stockwerk.
>>Kannst du dir jetzt denken, wohin wir gehen?<<, fragte er, während wir einen Korridor entlangliefen.
>>In den Wald, schätze ich mal<<, sagte ich ironisch, und grinste ihn an.
Er schüttelte schmunzelnd den Kopf, kramte in seiner Hosentasche nach seinem Schlüssel und hielt dann schließlich vor der Tür mit der Nummer 12.
Nachdem er sie aufgeschlossen hatte, stieß er sie dramatisch auf und bedeutete mir mit einer nicht weniger dramatischen Geste, seine Wohnung zu betreten.
Die Wohnung war sehr hell, da die Wand neben dem Sofa komplett aus Fenstern bestand. Das erste, was auffiel, war wie unordentlich seine Wohnung war. Nicht im Sinne von Messi-unordentlich sondern eher chaotisch. Man kam direkt ins Wohnzimmer, welches aus einem grauen großen Ecksofa, einem farblich dazu passenden Tisch und einem an der Wand hängenden Fernseher bestand. Auf dem Couchtisch waren mehrere Notizbücher und Stifte verteilt, sowie lose Papiere und eine Brille.
Das nächste Auffällige waren seine Zimmerpflanzen.
Direkt neben dem Fernseher stand eine eingetopfte Bambuspflanze, an der Wand hing künstlicher Efeu und am Anfang des Ganges rechts vom Wohnzimmer stand noch eine hohe Pflanze, deren Namen ich aber nicht kannte. Über dem Fernseher war ein Regal angebracht, auf dem sich Bücher in keiner ersichtlichen Ordnung stapelten.
Abgesehen davon war die Wohnung, zumindest das, was ich bis jetzt von ihr gesehen hatte, eher altmodisch eingerichtet, was mir sehr gefiel. Es war diese Art von Wohnung, die man auf Pinterest sehen konnte.
Ich bemerkte, dass ich einige Sekunden lang das Zimmer stumm gemustert hatte, ohne etwas zu sagen.
>>Schön hast du es hier<<, sagte ich, was mir ausgesprochen dann doch etwas plump erschien.
>>Danke<<, sagte er und hängte seine Jacke an seiner Garderobe auf.
Ein wenig später zeigte er mir die Inhalte der verschiedenen Notizbücher, was ich erstaunlich fand.
In einem von ihnen zeichnete er, in anderen wiederum schrieb er Texte. Die Texte die ich lesen durfte waren wirklich berührend. Sie handelten von Schmerz und Verlust, Trauer und inneren Kämpfen. Ich blätterte durch die Notizbücher und las mir die Texte durch, währenddessen trank er seinen Kaffee und beobachtete mich. In seinem Blick konnte ich erkennen, dass er neugierig eine Reaktion von mir abwartete.
Sie zogen mich vollkommen in ihren Bann und ich hatte das Gefühl, hinter die Fassade des jungen Mannes mit den braunen Augen blicken zu können.
Er war eigentlich so gut wie immer lustig drauf, machte oft Scherze oder flirtete, doch dies war eine komplett andere Seite von ihm, eine Seite, die verletzlich und gleichzeitig stark wirkte. Ein Text von ihm berührte mich besonders, in dem es um Verlust ging. Während ich ihn las, sammelten sich Tränen in meinen Augen, und ich ließ meine Haare ins Gesicht fallen, dass er sie nicht sehen konnte
Bevor ich wusste, wie mir geschah, fiel ich in ein schwarzes Nichts. Über, unter, neben, um mich herum war nichts außer einer alles Licht um sich herum verschlingende Schwärze. Ich fiel, und fiel, und fiel. Keiner meiner Sinne reagierte auf meine Umgebung, ich konnte nichts riechen, nichts schmecken, nichts sehen, nichts hören, nur einen eigenartig kalten Wind an meinen Klamotten spüren, die durch ihn nach oben flatterten. Was für Klamotten trug ich überhaupt?
Ich konnte mich an nichts mehr erinnern, nicht einmal daran, wer ich war. Wie einen Papierstapel durchsuchte ich mein Gehirn, darauf erpicht, auch nur eine einzige Erinnerung zu finden.Wo fiel ich überhaupt hin?
Ich versuchte mich zu drehen und zu wenden, doch ich spürte nicht die geringste Veränderung. Jeden Moment könnte ich auf einen harten Steinboden auftreffen. Würde ich nicht schon die ganze Zeit fallen, hätte es sich so angefühlt, als würde die Angst davor mir den Boden von den Füßen ziehen. Mein Körper verkrampfte sich unwillkürlich bei der Vorstellung, auf einen Boden aufzukommen und zermatscht zu werden wie ein Käfer. Auch war mir jegliches Gefühl von Zeit abhanden gekommen. Ob Tage oder nur Sekunden vergingen, ich hatte keinen blassen Schimmer. Es fühlte sich an, als wäre ich in einer endlosen Zeitschleife des Fallens stecken geblieben, bis ich plötzlich, ganz plötzlich, etwas roch.
Der Geruch kam mir komischerweise bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Der Wind legte sich, und ich schwebte, so fühlte es sich zumindest an, waagerecht hin und her wie eine Feder. Ich vernahm ein regelmäßiges beruhigendes Rauschen, welches beinahe schon einschläfernd war. Das erste Mal, seit ich bei Bewusstsein war, fühlte ich mich besänftigt; ja, es war sogar eigenartig still in meinem Kopf. Ich hatte keine Sorgen mehr; machte mir um nichts in der Welt Gedanken. Am liebsten würde ich die ganze Zeit so verweilen, nicht einmal die Ungewissheit, wer, was und wo ich war, quälte mich nunmehr.
Ich wünschte, ich könnte für immer in diesem Zustand bleiben, doch auf einmal umhüllte mich etwas kaltes, nasses. Instinktiv, ich wusste nicht weshalb, war mir klar, dass es Wasser war.
Als ich meine Augen aufriss, fingen sie sofort an zu brennen, und ich sah weiterhin nichts außer Schwärze. Wild mit den Armen rudernd versuchte ich, mich irgendwie über Wasser zu halten.
Mein ganzer Körper brannte durch die Eiseskälte, als wäre er eine einzige große Schürfwunde, auf die Salz gestreut wurde. Panisch schnappte ich nach Luft, doch verschluckte mich dabei. Tausende kleiner Splitter sammelten sich in meiner Lunge, die sie bei jedem Atemzug mehr und mehr zerfetzten.
Ich wollte nicht mehr weitermachen. Es erschien mir als die einzige Option, ja, es war sogar leicht, loszulassen. Den Schmerz, ohne dagegen anzukämpfen, auf mich einprasseln zu lassen. Mich ihm zu ergeben, und ihn zu begrüßen. Nach einer Weile durfte ich mich auch schon wieder von ihm verabschieden. Ich trieb regungslos im Wasser und fühlte mich voll und ganz taub, sowohl von innen, als auch von außen. Natürlich wusste ich, dass das kein gutes Zeichen war. Ich hatte eine wage Vorahnung, dass ich mich meinem Ende näherte.
Plötzlich sehnte ich die Schmerzen herbei, um wenigstens etwas zu fühlen, egal was. Wenn ich jetzt nicht kämpfte, würde mein gerade begonnenes Leben enden, das wusste ich instinktiv. Ich wollte um jeden Preis wissen, wer ich war und was das Leben noch für mich bereit hielt. Als ich spürte, dass mein Bewusstsein zu verschwinden begann, fing ich an zu paddeln.
Da ich meine Augen nicht aufmachen konnte, und selbst wenn, nur schwarz sehen würde, musste ich mich auf meinen Orientierungssinn verlassen. Ich musste mich wieder mit meiner Umgebung bekannt machen, um den Weg nach oben zu finden. Abrupt wechselte ich die Richtung, schwamm einige Meter, und spürte, wie sich der Druck auf meinen Kopf verstärkte.
Dadurch wusste ich, dass ich in die falsche Richtung schwamm. Mit allem was ich hatte unterdrückte ich den Drang, Luft zu holen. Mir wurde schwindelig, mein Kopf pochte und meine Lungen waren mit Wasser gefüllt. Wegen der Kälte fiel es mir mit jeder Sekunde schwerer, meine Arme und Beine koordiniert zu bewegen. Doch ich kämpfte und kämpfte, solange ich noch kämpfen konnte. Dann, endlich, spürte ich die Meeresluft um mich herum, und hörte das Kreischen der Möwen. Ich öffnete meine Augen...
Es war ein wundervoller Text über Verlust und die Orientierungslosigkeit, die daraufhin folgte. Als ich ihn fertig gelesen hatte, führte ich einen inneren Kampf aus, ob ich ihn danach fragen sollte, doch meine Neugierde gewann.
>>Wow, der Text war wirklich mitreißend<<, sagte ich und schaute Evan an, nachdem ich erfolgreich die Tränen weggeblinzelt hatte.
>>Fandest du echt?<<, freute er sich und grinste mich an. Sein Grinsen war ein starker Kontrast zu der Geschichte, die ich gerade gelesen hatte, und machte mich nur noch neugieriger.
>>Ja, auf jeden Fall. Ich hätte nicht gedacht, dass du so außerordentlich gut schreiben kannst.<< Eine kleine Röte senkte sich auf seine Wangen, das war das erste Mal. Mich freute es ungemein, dass mein Kompliment ihm so viel bedeutete, da das hieß, dass er wirklich wert auf meine Meinung legte. Das gab mir das Gefühl, etwas besonderes für ihn zu sein. >>Darf ich vielleicht wissen, was dich dazu veranlasst hat, das zu schreiben?<<, fragte ich, meine Worte sorgsam gewählt.
>>Na ja, meistens schreibe ich einfach aus einem Impuls heraus das auf, was ich fühle.<< Evan schluckte und schaute kurz durch den Raum, bevor sein Blick sich auf mich richtete. Er zupfte an seinem Pullover, und ich hatte das unangenehme Gefühl, etwas zu weit oder zu schnell mit meinen Fragen gegangen zu sein. >>Den Text habe ich verfasst, kurz nachdem mein Vater bei einem Autounfall gestorben ist. Da war ich 16, es war der erste, den ich geschrieben habe. Ich habe gemerkt, dass Gefühle auf Papier zu bringen mich entlastet, also habe ich weitergemacht.<< Ich hatte schon wieder Tränen in den Augen und kam mir dabei ziemlich dumm vor. In meinem Kopf erschien die Vorstellung
>>Das mit deinem Vater tut mir wirklich leid.<< Ich wusste nicht, was ich sonst noch sagen sollte, also nahm ich stumm seine Hand und streichelte ihm mit dem Daumen über den Handrücken. Dabei schenkte ich ihm ein aufmunterndes Lächeln, welches er erwiderte. >>Danke, dass du dich mir anvertraut hast. Das bedeutet mir sehr viel.<<
Den Rest des Tages verbrachten wir mit weniger ernsten Themen. Wir zappten auch mal kurz durch seine Kanäle, und er zeigte mir den Rest seiner Wohnung, welcher nicht weniger unordentlich aber dennoch schön war. Wir küssten uns nicht mehr, oder kuschelten, aber ich fühlte mich auf mentaler Ebene viel verbundener mit ihm, was mir inzwischen fast gar keine Angst mehr machte... wäre da nur nicht meine Narbe. Als es dunkel wurde, fuhr er mich heim, und ich bat ihn, mir das Bild von der Nachtwanderung zu schicken, das ich mit seiner Kamera gemacht hatte. Da ich mir nicht ganz sicher war, ob wir uns etwas zu Weihnachten – was schon in 2 Tagen war – schenkten, kam mir die ganz simple Idee in den Kopf, ihm das eingerahmte Bild von der Stadt unter dem Mondlicht zu schenken.
Er erwiderte, dass er es mir schicken würde, wenn er daheim wäre. Danach erinnerte er mich daran, dass ich seine CDs durchschauten durfte. Ich nahm vorsichtig eine nach der anderen aus dem Handschuhfach. Wir unterschieden uns in unserem Musikgeschmack völlig, während er Rocksongs und Bands wie Guns N' Roses mochte, hörte ich am liebsten Popmusik. Ich hatte seinem Musikgeschmack aber noch nie eine Chance gegeben, also war jetzt Zeit dafür, mich auch mal auf etwas Neues einzulassen, in jeder Hinsicht.