Eine kurze Rückmeldung, wie ihr das Kapitel fandet, wäre nicht schlecht :)
Kapitel 12
Das penetrante Klingeln meines Handys ließ mich aus einem traumlosen Schlaf fahren. Draußen war es stockdunkel, nur der schwache Schein meines Handys ließ mich die Umrisse des Wohnzimmers erkennen. Weshalb klingelte denn das dumme Teil? Bevor es noch Tommy aufweckte und er anfing zu bellen und damit die ganze Nachbarschaft in Rage brachte, wischte ich schnell über das Display und ließ mich dann wieder auf das Sofa fallen. Ich drehte mich um und versuchte mich wieder in den Schlaf gleiten zu lassen, als ich plötzlich ein >>Hallo? Lily?<< vernahm. Ich setzte mich auf, verwirrt blickte ich mich im Raum um, doch es war niemand da. Zum Glück nicht.
>>Ja?<<, nuschelte ich, da ich nicht recht wusste, wem ich antwortete.
>>Bist du wach?<<, fragte die Stimme, die ich jetzt als Evan identifizieren konnte. Ich gähnte. Wie viel Uhr war es? Ich konnte mich für einige Momente nicht mehr daran erinnern, wann ich eingeschlafen war, so benommen fühlte ich mich.
>>Jetzt schon<<. Er lachte leise ins Telefon.
>>Sorry. Aber welche Person verschläft bitte schön Heiligabend?<< Mit knacksendem Rücken richtete ich mich auf. Die Digitaluhr neben meinem Bett zeigte an, dass es bereits sechs Uhr war. Ich erinnerte mich daran, dass ich mich vor einer Stunde hingelegt hatte, um ein kleines Mittagsschläfchen zu machen.
>>Eine Person, die mit niemandem außer ihrem Hund Heiligabend verbringen kann<<, sagte ich mit einem ironischen Unterton, während ich zu Tommy ging, der gemütlich in seinem Korb lag und mich aus seinen treudoofen Hundeaugen anblickte. Ich kraulte ihm über den Kopf, was er liebte.
>>Sei dir da mal lieber nicht so sicher<< Er pausierte kurz und es hörte sich an, als würde er tief Luft holen. >>Öffne deine Tür.<< Oh mein Gott. Nein, nein, nein! Das war doch nicht sein Ernst, oder? Ich hastete, mit dem Handy immer noch an meinem Ohr, zur Tür und stieß sie auf. Mir bot sich ein Anblick, der mir das Herz erwärmte. Evan, angezogen in einem bordeauxroten Pullover und einer schwarzen Jeans. In seinen, von Küchenhandschuhen geschützten, Händen hielt er einen großen Topf, aus dem Dampf emporstieg. >>Was machst du hier?<,
hauchte ich, mit
den Händen aus Überraschung vor meinem Mund. Ich konnte es kaum glauben.
>>Das sieht man doch oder?<<, sagte er, schelmisch grinsend.
>>Komm doch rein<<, sagte ich, und noch etwas überrumpelt bedeutete ich ihm, mir zu folgen. Ich führte ihn zur Küche, wo er den Kochtopf abstellte. Evan umarmte mich innig, und da ich relativ klein war, konnte ich seinen ruhigen Herzschlag an meinem Kopf spüren. Ich drückte ihn noch fester an mich, und wollte ihn gar nicht mehr loslassen.
>>Danke<<, nuschelte ich an seiner Schulter, woraufhin er mir über den Rücken strich. Bevor wir uns von einander lösten, gab er mir einen Kuss auf die Stirn. Jetzt, wo ich einen weiteren Teil seiner Geschichte kannte, fühlte ich mich ihm viel näher. Dass er mir so sehr vertraute, bedeutete mir wirklich viel. Es wäre nur angebracht, dass ich ihm auch mein Vertrauen schenkte.
Ein wenig später saßen wir gemeinsam am Esstisch, und verzehrten mit einigen >>Mmmhs<<, und >>Aaahss<< seine selbst gekochte Gans.
>>Sie ist nicht nur selbst gekocht, sondern auch selbst erlegt<<, sagte er, nachdem ich ihn aufgrund seiner Kochkünste lobte. Ich verschluckte mich an meinem Bissen woraufhin ich husten musste.
Zwei Vorstellungen davon, wie Evan eine Gans erlegte erschienen in meinem Kopf. Eine davon war, wie er mit Pfeil und Bogen in höchster Katniss-Everdeen-Manier eine Gans fixierte – und sie dann abschoss. Diese fand ich sogar einigermaßen lustig.
Meine andere Vorstellung von ihm war, wie er mit einem Jagdgewehr auf eine Gans zielte und ohne zu zögern schoss. Diese Vorstellung war weniger lustig und durchaus wahrscheinlicher. Tommy eilte aufgeregt mit wedelndem Schwanz von seinem Korb auf mich zu. Zugegeben, ich kannte Evan noch nicht so gut, aber dass Tiere erlegen eines seiner Hobbies war, musste ich erst einmal verdauen.
Evan verkniff sich ein Grinsen, während er mir ein Glas Wasser reichte und zu meiner Seite des Tisches kam, um mir über den Rücken zu streicheln.
>>Kleiner Scherz am Rande<<, meinte er entschuldigend. Ich widerstand dem Drang, vor Erleichterung laut aufzuatmen. Als das Wasser meine Hustattacke beruhigte, fand ich die Situation auch urkomisch, und wir hielten uns eine Weile vor Lachen die Bäuche. Am Ende musste ich mir die Lachtränen von den Augenwinkeln abwischen. Dabei stand er immer noch hinter mir, und als uns das Lachen verging, wurden wir ganz still und schauten uns in die Augen. Seine waren dunkelbraun, und zogen mich mit ihrem immerwährenden Hundeblick in den Bann. Mein Blick wanderte wie von selbst zu seinen Lippen und verweilten dort. Bevor ich wusste wie mir geschah, hatte er seine Hände behutsam an meinem Hals, und küsste mich innig. Ich stöhnte leise auf, erhob mich dabei von meinem Stuhl und drückte Evan, ihn immer noch küssend, sanft an die Wand.
Seit ich Evan kannte, hatte ich es aufgegeben, meine Mauern, die ich mir so sorgsam errichtet hatte, beschützen zu wollen. Er brauchte mich nur anzuschauen mit seinen braunen Hundeaugen, und jede Verteidigung war nutzlos. Seine warmen Hände verweilten an meiner Hüfte, strichen dort sanft auf und ab, bis sie mir unter meinen Pullover griffen und meine Haut liebkosten.
Mir gefiel, dass er mich zu nichts drängte, und ich selber bestimmen durfte, wie weit wir gingen. Dass ich ihm meine Narbe zeigte, konnte aber noch lange dauern. Ich hatte Finn mit allem, was ich hatte, vertraut, und trotzdem verließ er mich beim Anblick meiner Narbe. Schnell verdrängte ich die Gedanken an ihn, und obwohl es gar nicht mehr weh tat, über ihn nachzudenken, wollte ich mit meinen Gedanken nirgends sonst sein als bei Evan. Nein, am besten sollte ich das Nachdenken komplett abstellen. Gesagt, getan.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis mich ein Geräusch aus meiner Gedankenlosigkeit riss. Ein Schlüssel. Ich stoppte kürzer, als dass es Evan hätte auffallen können. Bestimmt hatte Tommy sich nur meinen Schlüssel zum Spielen geschnappt hatte. Dann hörte ich rascheln. Schritte. Ich löste mich hastig von Evan, und plötzlich kam mir alles wie in Zeitlupe vor. Ich sah in Evans geschockten Augen die Spiegelung meiner selbst, und erkannte, dass ich mindestens genauso geschockt aussah.
Mein erster Gedanke war >>Einbrecher!<<. Doch dann fiel mir ein, dass Einbrecher nicht mit einem Schlüssel einbrachen. Bevor ich auch nur einen weiteren Gedanken fassen konnte, standen meine Eltern, samt Koffer, im Raum. Und ich stand an einen fremden Mann gepresst, die Haare komplett zersaust und das Tshirt verrutscht. Auweia.