Kapitel 13
Die Luft schien elektrisch aufgeladen zu sein; man konnte fast schon die Spannung sehen, die im Raum herrschte. Meine Mutter ließ ihre Koffer theatralisch fallen, sie kippten zur Seite. Mein Vater sah ziemlich krank aus, doch ich wusste nicht, ob es daran lag, dass er vor Schock aschfahl geworden war. Selbst Evan schien für einige Momente die Fassung verloren zu haben, und dies war wirklich untypisch für ihn.
>>Wir sind zurück<<, hauchte meine Mutter und schluckte für alle gut hörbar.
>>Das sehe ich<<, sagte ich, denn ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Wenn ich nicht selber in der Situation gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich sogar noch drüber gelacht. Doch mir war nach alles andere als lachen zumute.
>>Wer ist das?<<, fragte mich meine Mutter, und zog ihre Augenbrauen hoch. Lügen brachte nichts. Aber wer ist Evan überhaupt? Wie stand er zu mir?
>>Ich...<<, begann ich, unterbrach mich aber selber, und hörte, wie Evan einmal leise ausatmete, sich dann aufraffte und dann mit gestreckter Hand auf meine Eltern zuging. Was zur Hölle hatte er denn jetzt vor? >>Mrs und Mr Wallace, ich bin Evan, der Freund ihrer Tochter<<. Mir blieb die Spucke weg. Wie selbstverständlich er dies tat, als hätten wir schon mal über das Thema gesprochen! Vielleicht war das ja wirklich die Antwort auf die Frage, die ich mir immer und immer wieder gestellt hatte. Mein Vater hüstelte angestrengt, als hätte er sich verschluckt.
Meine Mutter fasste sich als erstes wieder, und begrüßte ihn höflich.
>>Das ist überraschend, Evan, aber es freut uns natürlich, dich kennenzulernen.<< Ich merkte, dass sie nur eine Fassade aufgesetzt hatte. Ihre rechte Augenbraue zuckte verdächtig, was darauf hindeutete, dass sie sich beherrschen musste. Das konnte kein gutes Ende nehmen.
Mein Vater machte nur >>Hmhm<<, als könne er nicht richtig sprechen. Um das Thema wieder auf sie zu lenken, und wenigstens ein wenig von der Spannung zu nehmen, kam ich wieder auf sie zurück.
>>Was macht ihr hier? Habt ihr nicht gesagt, dass ihr erst nach Weihnachten heimkommt?<<, sagte ich; mir war klar, dass ich mich wie eine typische Teenagerin anhörte, die gerade von ihren Eltern erwischt wurde, und das vorzeitige Erscheinen von ihnen als Ausrede benutzte.
>>Wir haben gedacht wir überraschen dich...<< Sie ließ das Ende des Satzes offen, aber jeder im Raum konnte sich denken, wer die wirkliche Überraschung im Raum war. Mein Dad musterte Evan einmal von Kopf bis Fuß, und ich war merkwürdigerweise ziemlich nervös. Ich versuchte, nicht darauf einzugehen.
>>Das ist echt nett.<< Ich räusperte mich, und begann meinen nächsten Satz mit einem angestrengten Japsen. >>Ihr habt doch bestimmt Hunger oder?<< Meine Eltern nickten verhalten. >>Na dann ist ja gut. Evan hat nämlich ganz lecker gekocht.<< Fast hätte ich noch hinzugefügt >Und sein Essen selber erlegt<, aber ich schätzte, es war noch ein wenig zu früh für familiäre Scherze. Ich war Evan sehr dankbar, dass er von sich aus in die Küche ging, weitere Teller holte und sie auf den Esstisch stellte. Ich zog meinen Eltern die Jacken aus und hängte sie an die Garderobe im Flur; jetzt musste ich sie mit Samthandschuhen anfassen, ich wollte nämlich kein Drama riskieren. Dafür war mir der Heiligabend zu wichtig.
Nachdem Evan das Essen angerichtet hatte, setzten wir uns alle hin, er gegenüber von mir und meine Eltern neben dran.
Wir unterhielten uns eine kleine Weile über sichere Themen, doch man merkte, dass sie Kontakt mit Evan weitestgehend vermieden. Ich war kurz davor, meinen Löffel ins Essen zu schmeißen, und sie anzuschreien, was denn so schlimm an ihm ist. Ich schob es vorerst darauf, dass sie noch etwas geschockt waren, doch trotzdem waren meine Nerven zum Zerreißen angespannt. Evan nahm wieder seinen Mut zusammen, das sah ich ihm an, und ich betete, dass er nichts falsches sagte.
>>Wie war denn eigentlich Ihre Studienreise nach Irland?<<, fragte er, und täuschte dabei gekonnt sein Selbstbewusstsein vor. Ich konnte mir denken, dass er mindestens genau so angespannt war wie ich.
>>War gut<<, sagte mein Dad schlicht, und ich versuchte, ihm einen Tritt unter dem Tisch zu verpassen; erwischte dabei aber nur Evan. Er blickte mich fragend an, und nahm es anscheinend als Zeichen, dass ich wollte, dass er noch mehr Konversation mit ihm aufbaut. Bevor ich ihn stoppen konnte, fuhr er fort.
>>Was haben Sie dort alles gemacht?<<
>>Wir haben uns in spezielle Operationstechniken unterrichten lassen<<, sagte meine Mom, denn von meinem Dad konnte man kaum eine Antwort erwarten, die nicht mürrisch war. Sie fuhr fort, und ich wünschte, mein Dad hätte weiter geredet.
>>Wie alt sind Sie eigentlich?<<, fragte sie, ihn kritisch beäugend. Ich war kurz davor, das Gesicht in meinen Teller zu vergraben. Ich konnte verstehen, dass es sie wunderte, aber diese Frage aus dem nichts zu stellen war unverhohlen unhöflich. Zugegeben, ich wusste selbst nicht wie alt er war, da ich fand, dass es keine wirkliche Rolle spielte.
>>Ich bin 22 Jahre alt.<< Aha, gut zu wissen. Das hinderte mich aber nicht daran, das zu empfinden, was ich nun mal für ihn empfand. Außerdem waren es nur fünf Jahre, es gab auch Pärchen mit einem weitaus größeren Altersunterschied.
Die Augenbrauen meiner Eltern schossen in die Höhe. Ich würde alles dafür geben, um zu wissen, was genau in ihren Köpfen vorging.
Das restliche Essen verlief weitestgehend schweigend, und mir tat es leid für Evan, dass er sich solch eine Mühe für mich gemacht hatte, und sein Heiligabend jetzt komplett versaut war. Nachdem wir schweigend unser Essen fertig gegessen hatten, lud ich ihn nach oben in mein Zimmer ein. Ich musste ihm nämlich noch mein Geschenk geben, und ich war heilfroh, dass meine Eltern keinen Kommentar mehr fallen ließen.
Oben in meinem Zimmer angekommen merkte ich, wie Evans Blick neugierig umherschweifte. Zum Glück hatte mein Zimmer gerade eine Hochphase, normalerweise lagen überall Klamotten auf dem Boden, aber ich hatte heute morgen noch aufgeräumt. Und selbst wenn nicht, bei Evan war mir das auch so langsam egal, er hatte mir ja auch seine Wohnung gezeigt, obwohl sie ziemlich chaotisch war.
Ich schloss die Tür hinter mir und atmete einmal hörbar auf. Plötzlich war die ganze Anspannung von vorhin weg, jetzt, da ich wieder mit ihm alleine war. >>Evan, es tut mir so leid, dass dein Heiligabend jetzt vermasselt wurde<<, sagte ich, während er gleichzeitig ansetzte mit >>Schön hast du es hier.<< Wir lachten kurz, dann bedeutete ich ihm, sich auf mein Bett zu setzen. Er zog mich zwischen seine Beine, dabei hielt er meine Hände. Es fühlte sich schön an, ihm nahe zu sein, und ich merkte manchmal schon, dass seine Nähe mir fehlte, wenn er nicht bei mir war.
>>Du hast mein Heiligabend nicht vermasselt<<, sagte er. >>Eigentlich hast du es sogar schöner gemacht. Sei deinen Eltern nicht sauer<<, leichter gesagt als getan, >>sie möchten dich ja nur beschützen.<< Ich verdrehte die Augen.
>>Vor dir müssen sie mich nicht beschützen<<, hauchte ich, während unsere Gesichter sich näherten. Unsere Lippen bewegten sich im Einklang, und meine Hände legten sich wie ferngesteuert um seinen Hals. Er ließ sich nach Hinten gleiten und ich legte mich auf ihn drauf. Während seine Hände über meine Hüften strichen, konnte ich nur noch daran denken, dass ich mehr wollte. Durch seine Berührungen vergaß ich sogar immer für einige Augenblicke meine Sorgen.
Als seine Hände direkt auf meiner Haut lagen, war ich kurz davor, mir meinen Pullover auszuziehen, doch meine Narbe schlich sich wieder in mein Gedächtnis. Noch nicht, sagte ich mir. Ich brauchte noch ein wenig Zeit. Nur noch ein bisschen mehr Vertrauen musste ich in ihn haben, und meiner Sache vollkommen sicher sein. Damit ich mich nicht doch umentschied, löste ich mich von ihm, und griff zu meinem Nachttisch, da dort mein Geschenk an ihn lag.
Ich versteckte den Bilderrahmen hinter meinem Rücken, und grinste ihn an. Er guckte ein wenig bedröppelt, als hätte er gerade noch geschlafen. >>Ich hab was für dich<<, sagte ich. Er zog die Augenbrauen hoch und richtete sich auf.
>>Und was?<<, fragte er grinsend. Ich holte den Bilderrahmen hinter meinem Rücken hervor und legte ihn umgedreht vor ihm hin. >>Halt<<, sagte ich und holte mein Handy. Dann schaltete ich Jingle Bells an, um etwas mehr weihnachtliche Stimmung zu schaffen. Er schüttelt grinsend den Kopf, aber was sein musste, musste nun mal sein.
>>Darf ich jetzt?<<, bat er um Erlaubnis. Ich nickte und faltete meine Hände zusammen, da ich doch etwas aufgeregt vor seiner Reaktion war.
Er befreite den Bilderrahmen aus der Weihnachtsverpackung und schaute zuerst ihn, dann mich ungläubig an.
>>Ist das nicht...?<<, sagte er und ich konnte in seinem Gesicht ablesen, wie sehr er sich freute.
>>Ja ist es<< Er nahm mich in den Arm und drückte mich fest.
>>Ich habe mich schon gewundert wofür du das Bild gebraucht hast<<, sagte er. >>Danke, wirklich. Ich fühle mich schlecht weil ich dir kein Geschenk geholt habe<< Vehement schüttelte ich den Kopf und nahm sein Gesicht zwischen meine Hände. >>Das brauchst du nicht. Dass du hier bist, ist Geschenk genug<<.