Kapitel 15
Es klingelte drei mal, bevor er dran ging. Ich wusste, es war nicht gerade die feine Art, am ersten Weihnachtsfeiertag übers Telefon Schluss zu machen, doch wenn ich ihm in die Augen schauen musste, war die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich mein Vorhaben nicht durchzog. Ich stand in meinem Zimmer, da ich viel zu nervös war, um mich hinzusetzen, geschweige denn mich hinzulegen.
>>Guten Morgen<<, sagte er fröhlich, und mir graute es davor, ihm den Tag zu vermiesen.
>>Hey<<, sagte ich, und versuchte so distanziert wie möglich zu klingeln.
>>Ist alles in Ordnung?<< Ich konnte förmlich sein Stirnrunzeln hören.
>>Ja. Nein.<< Komm schon, Lilly, jetzt musst du es auch durchziehen. Ich nahm meine ganze Stärke zusammen, um die nächsten paar Sätze auszusprechen. >>Nein. Ähm... ich wollte sagen, dass das mit uns nichts wird.<< Stille. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Die Zeit, in der er nichts sagte, kam mir unendlich vor.
>>Ist es wegen deinen Eltern? Soll ich noch mal mit ihnen reden?<<, sagte er ruhig, und es gab keinen Anschein davon, dass ich ihn verletzt haben könnte. Das Dumme war nur, dass er jetzt dachte, dass meine Eltern mir nicht erlaubten mit ihm zusammen zu sein. Das war immerhin ein triftiger Grund, dann musste ich keine neue Lüge mehr erfinden.
>>Ja, es ist wegen meinen Eltern und nein, lieber nicht. Ich will keinen Streit mit ihnen.<< Er blies laut die Luft aus seinem Mund, und mir war klar, dass er aufgegeben hatte.
>>Das war's dann also?<<, fragte er, und ich war kurz davor, ihm zu sagen, dass es nur ein kleiner Scherz war.
>>Ja.<< Jetzt gab es kein Zurück mehr. Tränen stiegen in mir auf, und ich versuchte nicht mehr, sie zurück zu halten. Jetzt erlaubte ich es mir, zu weinen.
>>Okay.<< Ich konnte kaum die Emotionen aus seiner Stimme raus hören, was bedeutete, dass er sich verschlossen hatte. Jede Sekunde länger, die wir am Telefon waren, tat umso mehr weh. Zu wissen, dass er an der anderen Seite der Leitung war, aber nicht mehr zu mir gehörte, brannte, als würde mein Herz in Feuer stehen. Ich wusste, dass ich ihn jetzt verloren hatte.
>>Okay<<, sagte ich, und da mir keine Verabschiedung einfiel, entschied ich mich kurzerhand dazu, aufzulegen. Ich legte mein Handy auf meinen Schreibtisch, der unordentlich wie immer aussah. Dann setzte ich mich auf mein Bett und starrte Löcher in die Luft, während die Tränen fast durchgehend meine Blicke verschleierten. Zuerst verging eine Minute, dann zwei, und dann drei, und irgendwann versiegten meine Tränen, auch wenn es noch höllisch wehtat, Evan verloren zu haben. Das hatte ich doch so gewollt, oder?
Es waren schon ein paar Tage vergangen, seitdem ich den Kontakt mit Evan abgebrochen hatte. Die Weihnachtsfeiertage waren vorbei, und ich musste wieder im Coffee-Plaza arbeiten.
Ich nahm gerade die Bestellung eines Pärchens auf, generell waren fast ausschließlich welche hier. Ich verspürte immer einen Stich, wenn ich die glücklichen Paaren sah, und ich versuchte, nicht bitter zu sein. Dies scheiterte leider genau so wie meine hilflosen Versuche, Evan aus meinem Kopf fernzuhalten, doch er schlich sich nichtsdestotrotz immer rein. Das war ein weiterer Grund, weshalb ich mich in die Arbeit stürzte, die letzten drei Tage hatte ich nämlich fast gänzlich durchgearbeitet, um ihn aus meinen Gedanken zu bekommen.
Stephanie missverstand diese Arbeitswut als reinen Fleiß, dabei war das die einzige Möglichkeit, wie ich mich einigermaßen ablenken konnte. Auch meine Eltern hatten nicht die geringste Ahnung, was in mir vorging. Ich hatte ihnen noch nicht erzählt, dass Evan und ich nicht zusammen waren, generell hatte ich das Thema noch nicht angeschnitten. Im Hause taten wir so, als hätte es ihn nicht gegeben, worüber ich ganz froh war. Es würde zu sehr wehtun, über ihn zu reden. Celeste war die Einzige, der ich es erzählt hatte, aber ich hatte ihr von Anfang an klar gemacht, dass ich nicht darüber reden wollte.
Als ich in den Angestelltenraum ging, um meine Schürze zu wechseln, die mir eine Kundin ausversehen mit Kaffee überschüttet hatte, traf ich auf Stephanie. Sie aß gerade ein Stück Kuchen, und fütterte hin und wieder ihre Tochter Isabelle, die mit einem Bein im Gips auf dem Stuhl neben ihr saß.
>>Arbeitest du schon wieder? Du musst dir auch mal eine Auszeit gönnen<<, sagte sie. Stephanie schaute mich nicht richtig an, sie war zu beschäftigt. Ihre Tochter Isabelle nickte jedoch unterstützend, als hätte sie eine Ahnung, von was wir redeten. Sie war ja erst sechs Jahre alt.
>>Glaub mir, Stephanie, das ist für mich eine Auszeit<<, lachte ich kurz auf, doch nahm schnell Notiz davon, wie gequält sich dieses Lachen angehört hatte. Jetzt schaute sie mich an, und an ihren zusammengezogenen Augenbrauen erkannte ich, dass sie besorgt war.
Sie legte die Gabel auf den Teller, und richtete sich nun auch mit dem Körper zu mir.
>>Was ist los? Möchtest du darüber reden?<<, fragte sie, während ich mich darauf konzentrierte, die Schürze richtig umzubinden. Meine Augen brannten erneut. Ich zwang mich, ruhig zu atmen.
>>Nein, alles gut<<, sagte ich, und schaffte es endlich, einen sauberen Knoten zu binden. Ihren besorgten Blick spürte ich immer noch auf mir liegen, und ich entschuldigte mich schnell mit der Ausrede, dass ich draußen Kunden hätte. Was aber nur zum Teil stimmte, denn es waren so wenige, dass sich Andrew ohne Probleme um sie hätte kümmern können.
>>Was ist denn mit dir los, du siehst aus, als hättest du was gekifft<<, bemerkte er wenig hilfreich, und ich gab ihm einen Klaps auf die Schulter. Wir standen nebeneinander an der Theke, und ich ordnete die Muffins neu, um mich beschäftigt zu halten.
>>Ne, jetzt mal ehrlich, irgendwie wirkst du in den letzten Tagen anders als sonst<<, sagte er. Andrew gestikulierte einen dramatischen Kreis um mich, >>Deine Aura wirkt angespannt.<< Mit dieser Bemerkung brachte er mich doch tatsächlich zum lachen, das erste Mal ehrlich. >>Siehst du, das machst du in letzter Zeit eher selten. Ich wurde sofort wieder still. Ich musste mich echt zusammen reißen, ich konnte nämlich nicht auf Dauer so ein Wrack sein. Mit größter Anstrengung zwang ich mir ein Lächeln ins Gesicht, und sagte:
>>Es ist alles gut<< Er verdrehte die Augen, und wollte wahrscheinlich zu etwas Sarkastischem ansetzen, doch da kam Celeste rein, ein wahrer Sonnenschein. Sie hatte sich letztens ihre Haare hellblond gefärbt, was sie noch mehr strahlen ließ. Celeste grinste, und winkte uns zu, dann setzte sie sich an einen freien Tisch in unserer Nähe. Andrew zeigte auf sie, und nickte in ihre Richtung.
>>DAS ist eine positive Aura, meine Liebe.<< Er pausierte kurz, um seine Beanie zurechtzurücken, die ihm verrutscht war. Darunter konnte man sein blondes Haar erkennen, das auf allen Seiten rausschaute.
>>Deine Aura, im Gegensatz dazu...erscheint mir sehr stumpf.<< Dies bekam man auch nicht alle Tage zu hören, dass die eigene Aura stumpf war. Ich versuchte ja wirklich gut gelaunt zu sein, aber es ging nicht. Zumindest noch nicht im Moment.
>>Meine Aura ist stumpf?<<, wiederholte ich, nur weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Er nickte eifrig, und klopfte mir auf die Schultern. >>Sie sieht ein bisschen grau aus. Aber das wird schon, was auch immer es ist, das deine Aura so runterzieht.<< Nachdem Celeste ihren Laptop ausgepackt hatte, kam sie zu uns.
>>Na<<, sagte sie, legte ihre Arme auf die Glasvitrine und stützte ihren Kopf darauf ab. Ihre grünen Augen strahlten und gaben etwas von ihrem Leuchten an mich ab, so fühlte es sich zumindest an. Sie war der einzige Mensch, bei dem es mir vergleichsweise gut ging. Und Andrew hatte Recht, ihre Aura strahlte wirklich, im Gegensatz zu meiner.
>>Wie geht’s meiner besten Freundin?<<, erkundigte sie sich, und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.
>>Mir geht’s gut, danke<<, sagte Andrew, was uns allen drei ein Lachen entlockte.
>>Hast du zufällig Lust, nachher mit mir shoppen zu gehen? Ich bräuchte ein neues Kleid<<, fragte sie mich. Mein erster Instinkt war es, nein zu sagen, denn ich wollte eigentlich alleine sein. Doch mir war klar, dass ich mich nicht ewig in meinem Selbstmitleid suhlen konnte -
>>Klaro<<, sagte Andrew, und ich schlug ihn wieder auf die Schulter, grinste ihn aber an.
>>Von mir aus gerne<<, sagte ich, und sie guckte mich erstaunt an.
>>Echt jetzt?<<, sie grinste noch breiter, wenn das überhaupt noch möglich war, und ich war froh, dass ich zugestimmt hatte.
>>Ja klar.<< Tatsächlich war die Aussicht darauf, mein Kummer mit ein paar neuen Klamotten zu behandeln eine verlockende Aussicht.
>>Cool ich freue mich. Wie lange geht deine Schicht noch?<<, fragte sie. Ich checkte meine Armbanduhr. Ich hörte, wie Andrew Luft holte, vermutlich um Celeste zu sagen, wann seine Schicht endete, doch ich bedeutete ihm schnell mit einer Geste, dass er es lassen sollte.
>>Deine Aura wird ganz schön schwarz, meine Liebe<<, sagte Andrew, >>und Celestes Aura genauso.<<
>>Für was steht denn eine schwarze Aura?<<, fragte Celeste, und tat erschrocken. Andrew wusste augenblicklich, dass sie ihn nicht ernst nahm.
>>Für Hass<<, sagte er schlicht, drehte sich um, um ins Angestelltenzimmer zu gehen. >>Dank euch wird meine jetzt auch schwarz<<, sagte er, und ich konnte mir vorstellen, wie er sich jetzt eine Runde auf den Stuhl setzte, um zu schlafen, damit seine Aura bereinigt wurde. Celeste und ich schüttelten grinsend den Kopf, und ich antwortete auf ihre vorhin gestellte Frage.
>>Ich bin in ungefähr einer halben Stunde startklar.<<
>>Okay, dann setze ich mich noch ein wenig an meinen Laptop, bis du fertig bist.<< Ich zeigte ihr den Daumen nach oben, woraufhin sie wieder zu ihrem Tisch ging, sich Kopfhörer aufzog und mit dem Bein im Takt zur Musik wippte. So wie ich sie kannte, musste sie sich zurückhalten, um nicht komplett zu ihrer Musik abzugehen, genau wie ich auch, wenn ich Musik hörte.
Ich freute mich schon auf das Shoppen gehen, und hoffte, dass ich später etwas schönes ergattern konnte.
Dann kamen Kunden und ich musste mich wieder auf meine Arbeit konzentrieren.
>>Oh, guck mal da gibt’s einen Urban Outfitters<<, sagte ich, wobei ich nicht erwartet hätte, dass Celeste mich abrupt und mit einer Stärke, die man ihr nicht zutrauen würde, in die Richtung des Ladens ziehen würde.
>>Wir. Müssen. Da. Unbedingt. Rein.<< Wir gingen rein und sofort umfing uns diese Atmosphäre, die alle Teenager und Junge Erwachsene wie ein Magnet anzuziehen schien. Es lief Popmusik in einer angenehmen Lautstärke. Zwischen den aneinandergereihten Kleiderständer tummelten sich ein paar Jugendliche, aber nicht so viele, dass man hätte sagen können, dass der Laden überfüllt war. Da Celeste und ich fast den selben Kleidungsstil hatten, suchten wir uns auch die selben Teile aus.
Ich hatte eine Menge Spaß, und bemerkte, dass es mir wirklich gefehlt hatte, ganz normale Aktivitäten wie Shoppen mit ihr zu unternehmen. Noch dazu hatte ich ganz vergessen, dass es mir eigentlich schlecht ging wegen Evan, doch wenn ich mit Celeste Zeit verbrachte, waren alle meine Sorgen nicht von Bedeutung.
Zumindest vorerst. Mir graute allerdings vor dem Moment, an dem ich wieder alleine in meinem Zimmer saß und die schlechten Gedanken mich überfielen.
Celeste und ich teilten uns eine Umkleide, und zogen das selbe schlichte Top an, welches uns vorzüglich stand. Bevor wir uns an die Kasse stellten, um die Tops zu bezahlen, tummelten wir uns noch ein wenig im Laden herum, da wir den Flair einfach liebten, genauso wie andere junge Erwachsene in unserem Alter. Celeste wurde erneut fündig; probierte einen rosa Rock, welcher entlang der Mitte mit Knöpfen genäht war, an. Er stand ihr sehr gut, und auch zu dem Top, das wir uns beide kaufen wollten, passte es sehr gut.
>>Ich darf den Rock doch bestimmt mal ausleihen, oder?<<, scherzte ich zwinkernd.
>>Nope, meiner<<, sagte sie, doch uns beiden war bewusst, dass sie ebenfalls nur scherzte. Wir kauften die Sachen, nachdem wir einige Minuten an der Kasse anstehen mussten. Es war für gewöhnlich nicht meine Art, mir neue Klamotten zu kaufen, doch besondere Situationen erforderten nun mal besondere Maßnahmen.
Danach pendelten wir direkt zum nächsten Shop, denn Celeste hatte sich noch immer kein Kleid gekauft.
>>Für was brauchst du eigentlich ein Kleid?<<, fragte ich, als wir das nächste Geschäft betraten. Sie zuckte nur mit den Schultern und grinste mich frech an.
>>Eine Frau kann nie genug Kleider haben. Und für dich finden wir bestimmt auch was richtig schönes.<< Ich schüttelte nur den Kopf, denn ich wollte es andernfalls nicht übertreiben mit dem Einkaufen.
>>Nein ach was, wir gucken jetzt erst einmal nur nach einem schönen Kleid für dich.<< Sie grinste mich weiterhin an, als wüsste sie etwas, was ich nicht wüsste.
>>Na das werden wir ja noch sehen.<<
Wir waren in einem Geschäft, welches überwiegend Abendkleider verkaufte. Mein Herz sprang ein wenig, bei dem Gedanken, eines dieser schönen Kleider zu tragen. Ich streifte durch die Gänge, nahm ein Kleid nach dem anderen von der Stange und begutachtete es, doch es kam noch nicht das Kleid, bei welchem ich mir dachte, dass ich es unbedingt haben musste. Celeste befand sich im Gang neben mir und holte sich ein Kleid nach dem anderen von der Stange. Da sie Schwierigkeiten hatte, die Menge an Kleider zu tragen, packte ich mit an.
>>Warte, ich helf dir<<, sagte ich, und nahm ihr ungefähr die Hälfte ab.
>>Oh danke<<, sagte sie, wischte sich dramatisch den imaginären Schweiß von der Stirn und atmete laut erleichtert auf. Ich half ihr mit den Kleidern in die Umkleidekabine, und hängte sie alle nacheinander auf.
>>Zeig mir jedes Kleid, das du anprobierst, ich will alle sehen<<, forderte ich sie auf. Sie nickte. >>Das musst du mir nicht zweimal sagen.<< Sie zog den Vorhang zu und ich drehte mich um. Dann zog ein bestimmtes Kleid meinen Blick auf sich. Es hing bei den zurückgegebenen Kleidern. Es war von einem dunkelgrauen Pastellton, von welchem ich wusste, dass es gut mit meinen graustichigen Augen harmonieren würde. >>Ähm... Celeste?<<, sagte ich, und musste mein Grinsen verstecken. Sie seufzte laut auf.
>>Probier es einfach mal an<<, meinte Celeste, da sie genau wusste, dass ich mein Kleid gefunden hatte.
Ich ging in die Umkleidekabine neben ihr. Ein Kribbeln machte sich in meiner Magengegend breit. Ich konnte kaum erwarten, es anzuprobieren, also schlüpfte ich schnell aber sorgsam rein. Ich wollte es ja nicht kaputt machen.
Das Unterteil bestand aus mehreren Schichten, welche wie ein Nebel über einem Feld an einem Herbstmorgen zum Boden hin flossen. Das war auch das Hauptmerkmal, weshalb ich mich so in das Kleid verliebt hatte. Es war unauffällig und doch auffällig gleichzeitig. Und ich hatte Recht behalten; das Kleid brachte wirklich meine grauen Augen zum Strahlen.
Der obere Part des Kleides bestand aus Spitze, welche sich vertikal über meine Brust zog, die größtenteils verdeckt war. Das Kleid war hochgeschlossen, sodass man meine Narbe nicht sehen konnte, also perfekt.
>>Lilly? Kann ich reinkommen?<<, fragte Celeste, als sie direkt vor meiner Umkleidekabine stand.
>>Ja na klar<<, sagte ich, und betrachtete mich weiterhin im Spiegel. Das war wirklich das erste Mal, dass ich mich als schön ansah. Ein Gedanke schoss mir in den Kopf, den ich am liebsten gleich vergessen hätte. Der Wunsch, dass Evan mich so sehen könnte. Auf einmal bekam die ganze Situation eine bittersüße Note. Tränen schossen in meine Augen, als Celeste den Vorhang beiseiteschob.
>>Hey Lillymaus, was ist denn los? Wieso weinst du, du siehst doch so schön aus<<, fragte sie, nachdem sie den Vorhang wieder zugezogen hatte und mich dann in den Arm nahm. Bei der Erwähnung meines Spitznamens huschte mir ein kleines Lächeln übers Gesicht, so hatte sie mich früher immer genannt.
>>Nicht weinen, shhhh.<< Sie streichelte mir über meine Arme, während ich mein Gesicht an ihrer Schulter vergrub und ein kleines Schluchzen unterdrücken musste. Für die Verkäuferinnen, die an der Umkleidekabine vorbeiliefen, musste sich die Szene ganz schön komisch anhören, schließlich war es ziemlich unüblich, dass man bei einem Blick in den Spiegel in Tränen ausbrach. Celeste und ich ließen uns auf den Boden gleiten, wobei sie mich weiterhin im Arm hielt.
>>Alles gut<<, versuchte ich sie zu beruhigen, doch meine Stimme brach.
Ich wusste auch nicht, was mit mir los war, aber mich in einem so schönen Kleid zu sehen gab mir den Rest.
Ich hatte mich schon ewig nicht mehr wirklich für schön empfunden, und hatte aufgrund meiner Unsicherheiten sogar mit Evan Schluss gemacht. Ein Kleid anzuhaben, was mir wirklich ausgezeichnet stand, und in dem ich mich schön fand, ließ mich seltsam fühlen. Wahrscheinlich überdramatisierte ich von neuem ohnehin die ganze Situation, aufgrunddessen war ich erpicht darauf, mich wieder zu beruhigen. >>Ich habs gleich<<, sagte ich mit immer noch brüchiger Stimme, um ihr zu signalisieren, dass sie sich leider noch ein wenig gedulden musste.
>>Lass dir so viel Zeit wie du brauchst<<, sagte sie verständnisvoll, und fuhr damit fort, mir über die Arme zu streichen. Was für eine Ironie, dass Celeste noch vor ein paar Wochen war, die sich in meinen Armen ausgeweint hatte, und jetzt ich an ihrer Stelle war. Wie sich das Blatt gewendet hat. Im Gegensatz zu mir konnte sie jetzt wieder wie der Sonnenschein strahlen, der sie war.
Nach einer kurzen Zeit versiegten die Tränen, und ich schilderte ihr meine aktuelle Gefühlslage, obwohl ich stark davon ausging, dass ich einen ziemlichen Müll von mir gab.
Nichtsdestotrotz war Celeste extrem verständnisvoll, was einer der Gründe war, dass es mir bei ihr nichts ausmachte, wenn ich mal dummes Zeug von mir gab.
>>Es ist okay, dass du so fühlst. Und es ist klar, dass irgendwann auch mal alles raus muss. Du kannst nicht immer alles in dich rein fressen, auch wenn es dich noch so sehr belastet. Denk an das mit Finn, da hast du auch erst mal einen Monat kein Wort über ihn verloren, und dann ist alles aus dir rausgebrochen. Und jetzt sind deine Gefühle für Evan auch echt, also ist es nur selbstverständlich, dass auch du mal einen Punkt erreichst, an dem du sagen kannst, dass du nicht mehr weiterkannst.<<
Ich nickte, denn sie hatte natürlich Recht. Ich fraß echt immer alles in mich rein, und redete so gut wie nie über meine wahren Gefühle und Gedanken. Das war natürlich nicht gesund, und dessen war ich mir auch bewusst. Nur tat es extrem weh, über Sachen zu reden, die ich nicht ändern konnte.
Celeste wischte mir mit den Daumen die Überbleibsel der Tränen von den Wangen, und fragte mich dann, ob es wieder ging. Ich bejahte.
>>Willst du jetzt drüber reden?<<, fragte sie, und ich dachte kurz darüber nach, doch entschied mich dagegen.
>>Nachher vielleicht. Darüber zu reden bringt mir in meiner Situation nicht wirklich was.<< Sie seufzte, da ich genau gegen ihren Ratschlag handelte und nicht auf sie hörte. Celeste setzte zu einer Antwort an, doch ich unterbrach sie mit einem schlichten: >>Nachher. Bitte.<< Sie willigte mit einem Nicken ein.
>>Okay, dann nachher. So jetzt kommen wir zur wichtigen eine-Million-Dollar-Frage.<< Ich runzelte die Stirn. >>Kaufst du dir das Kleid? Es sieht nämlich echt bombe aus!<< Über ihre Wortwahl musste ich schmunzeln.
>>Ich denke schon.<< Sie klatschte erfreut in die Hände, erhob sich energetisch, und half mir ebenso auf die Beine. Dann erst bemerkte ich das Kleid, das sie anhatte. Es war lavendelfarben und ging ihr bis zu den Knien, war am Oberkörper eng, und raffte sich ab der Taille auf. Sie sah darin aus wie eine kleine Elfe.
>>Kaufst du das Kleid?<<, fragte ich, doch sie verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.
>>Nah<<, sagte sie nur, drehte sich daraufhin um und verschwand in ihre Garderobe. Ich fragte mich weshalb sie das Kleid nicht kaufte, denn erstens, sah sie wirklich bezaubernd damit aus, zweitens war sie doch so erpicht darauf, sich ein Neues zu kaufen.
Ich zog meine Alltagsklamotten an, und fühlte mich wieder durchsichtig. Am liebsten hätte ich das Kleid anbehalten, und das war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ich es mir kaufen sollte. Bevor ich mich endgültig entschieden hatte, wagte ich einen Blick auf das Preisschild. 150 Dollar. Klar war es eine Menge Geld, aber dadurch, dass ich die letzten paar Tage durch geschuftet hatte, hatte ich mir das redlich verdient.
Ich fragte mich nicht einmal, bei welcher Gelegenheit ich das Kleid anziehen konnte, denn irgendwas würde sich schon finden. Vielleicht gab es demnächst mal einen Schultanz, zu dem ich mit Ev... zu dem ich hingehen könnte. Oder mit Celeste. Ja genau, falls es demnächst mal eine derartige Veranstaltung gab, wäre Celeste an meiner Seite.
>>Bist du dir sicher, dass du es dir kaufen willst?<<, fragte Celeste, während wir an der Kasse auf die Dame mittleren Alters vor uns warteten, die Probleme mit ihrer Kreditkarte hatte.
>>Ja, hundertprozentig.<<
Schlussendlich musste die Dame ihre Klamotten zurückgeben, da sie kein Bargeld dabei hatte, und ihre Kreditkarte abgelehnt worden war. Danach kam ich dran, und ich bezahlte stolz die 150 Dollar. Ich hätte gedacht, dass es sich wie verschwendetes Geld anfühlen würde, doch dies war nicht der Fall. Nachdem die Kassiererin mein Kleid eingetütet hatte, wünschte sie uns noch einen schönen Tag. Dann verließen Celeste und ich den Laden. Trotz meines Ausrutschers fühlte es sich auch wie ein schöner Tag an. Und jetzt, da alle Tränen draußen waren, fühlte es sich nicht mehr so an, als würde ein Druck auf mir lasten.
Da wir beide nicht mehr viel Bedarf hatten, zu shoppen, verließen wir die Mall. Celeste blickte mit zusammengekniffenen Augen zum Himmel, und machte einen kleinen Freudentanz. Gerade, als ich auch hochschaute, landete ein Tropfen Wasser auf meiner Stirn.
>>So gern ich jetzt noch draußen bleiben würde mit dir und wieder im Regen tanzen, müssen wir auf dein neues Kleid aufpassen.<< Celeste und ich waren schon seit Kindheitstagen beste Freundinnen, und immer, wenn es früher geregnet hatte, sind wir rausgegangen und haben uns getroffen um einen Regentanz durchzuführen. Bei der Erinnerung musste ich lächeln. Es war einfach zu süß, wie wir früher gedacht hatten, dass wir so groß waren, wo wir so klein und nicht-wissend waren.
>>Was das Kleid angeht, hast du aber so was von Recht. Obwohl ich jetzt auch einen kleine Tanzeinlage gebrauchen könnte<<, sagte ich, und schmollte. Es wäre wirklich lustig, wenn sie jetzt tatsächlich im Regen tanzen würde. Sie verdrehte nur die Augen und grinste breit.
>>Wir können schnell zu mir, du kannst deine Sachen ablegen und dann gehen wir in den Garten, machen uns Musik an und tanzen.<< Ich stimmte lachend ihrem Vorschlag zu. Ich brauchte das Kindisch sein mit meiner besten Freundin einfach mal wieder. In letzter Zeit hatte ich mich nämlich mit zu vielen Erwachsenenproblemen herum schlagen müssen.
Wir liefen in schnellem Tempo zu ihr nach Hause, wurden etwas nass, konnte mein Kleid aber dennoch vor möglichen Schäden beschützen.
Bei ihr daheim angekommen redete ich kurz mit Celestes Bruder, während sie uns etwas neues zum Anziehen raus suchte. Er präsentierte mit vor Stolz glänzenden Augen seine neuen Ballettschuhe, und mein Herz erwärmte sich bei dem Anblick. Gideon wusste, dass er es nur mir zeigen durfte, und ich erstaunte, was für eine Auffassung er bereits für sein junges Alter hatte. Auch wuchs mein Respekt für die zwei Geschwister, denn es war ein eindeutiger Akt der Auflehnung gegenüber ihrer Mom, und das war echt mutig. So wie ich Susanne einschätzte, würde sie dieses Verhalten gar nicht gutheißen, weder das von Gideon noch das von Celeste.
Nachdem Celeste Sachen gerichtet hatte, die wir nach unserer Tanzeinlage im Regen anziehen konnten, nahmen wir eine Musikbox mit nach draußen, und schalteten unsere Playlist auf Spotify an, die wir immer neu aktualisierten mit unseren Lieblingshits. Dann tanzten wir uns die Seele aus dem Leib, und wir konnten von Glück reden, dass um den Garten herum hohe Büsche angepflanzt waren, sodass Passanten uns nicht sehen konnten.
Für einige Zeit wünschte ich mir sogar, dass ich für immer in diesen besonderen Momenten verweilen konnte, denn ich war wirklich glücklich. Auch ohne Evan.