Stolze 15.300.000 Suchergebnisse spuckt Google innerhalb einer halben Sekunde aus und
verschafft somit Sonnenblume23, im echten Leben heißt er Tom, eine unübersichtliche Übersicht
über die Frage, ob das Internet die Demokratie fördert. Dem Nutzer konnte die digitale
Suchmaschine auf jeden Fall helfen, wenn auch die Trefferzahl einige Nullen zu viel aufweist. Diese
ungeheure Zahl dürfte für die heutigen Verhältnisse nicht unüblich sein, denn die digitale Welt ist
größer denn je. Von lustigen Memes oder süßen Katzenbildern bis hin zu kontroversen Twitter-
Meldungen und Forendiskussionen: Das World Wide Web ist voll davon und seine Rolle in der
Gesellschaft wächst stetig. Demnach ist die Suchanfrage von Sonnenblume23 nicht einfach so aus
der Luft gegriffen. Das Internet und die Demokratie – Freunde?
Schenken wir dem Kommunikationswissenschaftler Claus Eurich Gehör, so ist das Internet der
Erzfeind unserer Demokratie. Die unerschöpflichen Speicherkapazitäten der digitalen Welt habe
das Bewusstsein jeden Individuums gläsernd gemacht, denn das Internet vergibt und vergisst nicht.
Diese Transparenz bedrohe die Bereitschaft der Meinungsäußerung: Immer mehr Menschen
wagen sich nicht, ihre Meinung über kontroverse Themen publik zu machen. Eine Umfrage des
Allensbacher Instituts bestätigt Eurichs These: Ein Drittel der Befragten habe sich zu der
Flüchtlingsdebatte nicht frei äußern wollen. Und das sei für den Kommunikationswissenschaftler
ein großes Problem, denn der Wille für eine ungezwungene Meinungsäußerung und die
Partizipation am politischen Geschehen seien die Grundpfeiler der Demokratie. Doch wessen
Schuld ist es eigentlich, dass die Politik so vernachlässigt wird?
Über die Unattraktivität der heutigen Politik lässt sich streiten, doch eines ist unumstritten: Eine
große Mehrheit der Jugendlichen meidet das Thema Politik im echten Leben. Schuld seien die
Nutzer selbst, die sich laut Eurich zum „Masseneremiten“ entwickelt haben und nächtelang
gefesselt vor dem Bildschirm sitzen, ohne dabei auch nur eine Nuance an Interesse für den
Zusammenhalt der Gesellschaft zu zeigen.
Es scheint, als herrsche immer noch das Klischeebild der sozialkompetenzlosen Nerds, die ihre
Nächte sinnlos verdaddeln. Und genau dieses Vorurteil stimmt nicht ganz.
Hendrik Send ist nämlich anderer Meinung. Die Attraktivität des Internets lockt die junge
Wählerschaft an und macht das, was die Politik im echten Leben nicht geschafft hat: Sie bietet
jungen Menschen die Chance, am politischen Geschehen teilzunehmen und ihr Interesse zu
entfachen. Das Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft dokumentiert, dass junge
Menschen sich durch das Internet Zugang zu Informationen verschaffen, wenn es um politisches
Interesse geht. Demnach gehen sie lieber den digitalen Weg. Das Internet bietet der Zukunft von
morgen eine Tür zur Politik, die nicht ranzig, trocken und langweilig aussieht, sondern den
Gegenüberstehenden davon überzeugt, dass Politik keine stinknormale Wissenschaft, sondern die
Kunst des machbaren und möglichen ist. Sogar der liebe Herr Eurich dürfte das mittlerweile
begriffen haben, da er selbst die Vorteile der Digitalisierung ausnutzt. Noch heute schreibt der
Internetopponent regelmäßig auf seiner Homepage und seinem Blog. Ob er wohl auch nächtelang
vor dem Bildschirm sitzt und als Blogger tätig wird?
Doch genau das ist die Besonderheit, wovon Ronnie Grob spricht. Das Netz überwindet, ähnlich
wie ein Schwarzes Loch Raum und Zeit und verbindet Menschen unabhängig von Religion,
Herkunft oder Standort über große Distanzen hinweg. Jeder hat das Privileg, Eurichs geistreiche
Beiträge im Netz zu lesen, ohne ihn kennen zu müssen.
In all den Jahren haben wir vergessen, dass wir alle Pioniere sind, Erfinder von Ideen. Im echten
Leben geht dieses Potenzial meistens unter, doch in der virtuellen Welt haben wir die Möglichkeit,
uns zu entfalten, Ideen gemeinsam auszutauschen und somit den Wettbewerb zu erweitern.
Anders als den klassischen Medien, die Sender sind und die Leser oder Zuschauer nur Empfänger,
ist das Internet ein dialogisches Medium. Hier ist jeder Sender und jeder ist Empfänger.
Der Journalist James Surowiecki spricht daher von einer „Weisheit der Vielen“. Euphorisch schildert
der Autor in seinem Buch, wie die Mehrheit klüger entscheiden könne als den raffiniertesten
Meinungsführer.
Natürlich versuchen mächtige Wirtschaftsmonopole, aber auch Staaten und Regierungen das Netz
unter Kontrolle zu bekommen, jedoch wird ihnen das aufgrund der dezentralen Architektur des
Netzes und der technischen Raffinesse der vielen User nie gelingen. Doch nicht alle
Internetbenutzer sind smart.
Besonders bedrohlich sind die demokratiefeindlichen Ideen, die in einem gehässigen Vokabular
zum Vorschein treten und im Netz ihr Unwesen treiben. Durch die scheinbare Anonymität im
Internet verlieren die Nutzer ihre Hemmschwellen. Foren, in der rechtsextreme sowie linksextreme
Gemeinden sich gegenseitig austauschen und gegen die Regierung und Verfassung agieren, ist nun
mal Teil des Internets. Dagegen vorzugehen ist nicht so simpel, wie man denkt. Doch dieses
Schlupfloch bietet enorm viele Vorteile, besonders für nicht demokratische Länder.
Die Occupy Bewegung, die Proteste im Gezi Park, die Refugee Camps, all diese Widerstände
konnten nur dank des Internets verwirklicht werden. Wenn sich vor drei Jahren ein einzelner Iraner
auf den Straßen Teherans gestellt hätte und immer wieder „Nieder mit unserer korrupten
Regierung! Wir müssen rebellieren!“ gerufen hätte, dann wäre er binnen Sekunden festgenommen
worden, ohne was erreicht zu haben. Über Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken
können Aktien geplant und Menschenmassen mobilisiert werden. Das Internet gibt somit Bürgern
aus anderen Ländern Zugang zu Informationen, aber auch die Möglichkeit, sich mit anderen zu
vernetzen. Demnach erfüllt sie die Rolle eines Motors für demokratische Aufbrüche und Aufstände
in Osteuropa, Zentralasien, im Iran und den arabischen Ländern.
Solche Diskurse fallen oftmals in eine fruchtlose Rigidität: Die einen sind für das Internet, die
anderen total dagegen. Die einen sammeln nur Informationen dafür, was für ein demokratisches
Wunderland das Internet schafft, die anderen konzentrieren sich ausschließlich auf die
Schattenseiten. Man muss die eigene These bis zur ultimativen Radikalität zuspitzen, denn nur
dann gäbe es ein lebhaftes Pro und Contra, bei dem die Fetzen fliegen. Die reale Welt bleibt hierbei
immer wieder auf der Strecke.
Natürlich ist das Internet eine Technologie, die für demokratische Zwecke genutzt werden kann
und dagegen können selbst mächtige Konzerne nichts unternehmen, denn sie leben von ihren
Nutzern: YouTube oder Facebook profitieren ja nicht, wenn nicht ihre Nutzer selbst produzieren.
Die digitale Welt erschafft das, was früher nur große Parteien und Organisationen konnten: Eine
große Menge von Menschen mit ähnlichen Auffassungen zusammenzuhalten und für gemeinsame
Ziele zu mobilisieren. Gleichzeitig nutzen Menschen das Internet, um sich ihrer Nörgelei und ihren
Ressentiments hinzugeben und somit die unschönen Seiten des World Wide Web unterstreicht
werden, wenn der Mob 2.0 in Fahrt kommt.
Sonnenblume23 wird daher nicht unter den Abermillionen Ergebnissen eine Antwort finden, die
als Musterantwort gelten kann und mit der er vollstens zufrieden sein wird. Er wird aber
feststellen, dass in der wirklichen Welt weder alles weiß-weiß, noch schwarz-schwarz, sondern
eher weiß-schwarz mit vielen Grautönen ist und nach diesem Muster geht es auch in der digitalen
Welt zu.