Camilla und Jo erwachten ein paar Stunden später in einem Gefängnis. Ihre Hände waren vor dem Körper gefesselt, und lange, schwere Ketten fesselten ihre Knöchel an den Boden. Die Länge der Ketten reichte nicht aus, das kleine, vergitterte Fenster zu erreichen, noch die schwere Metalltür.
Sie saßen in der Mitte des Raumes auf einer weißen Liege und sahen sich in dem geduckten Raum um, dessen gräuliche Schatten von Spinnweben und Staub ausgefüllt waren.
Wortlos lehnten sie sich mit den Rücken aneinander. Jede Hoffnung hatten sie verloren. In Jos Augen standen dünne Tränen.
Über der Tür hing ein Schild, das ihnen in gut lesbaren Buchstaben mitteilte, dass sie in dieser Zelle auf ihre Hinrichtung warteten.
Jo zitterte.
Camilla spürte die tiefe Enttäuschung der verlorenen Hoffnung, und wie sie daran zu zerbrechen drohte.
„Es war alles nur eine Lüge!“, flüsterte sie ungläubig. „Die Wildnis ist eine Lüge gewesen!“
Jo nickte. „Es gibt kein Entkommen, oder?“
Camilla senkte den Kopf: „Wohin sollten wir denn fliehen, selbst wenn wir aus dieser Zelle entkommen könnten? Die Wildnis war der letzte Ort, an dem die Oberstädte noch nicht existierten.“
Jetzt liefen Jo tatsächlich die Tränen über die Wangen. „Das darf nicht sein!“, flüsterte das Mädchen.
Camilla antwortete nicht, aber mit ihren gefesselten Händen umfasste sie Jos zitternde Finger.
In diesem Moment näherten sich schwere Schritte, dann wurde die Tür aufgestoßen. Zwei humanoide Roboter standen in der Tür. Aus metallenen Augen musterten sie die Mädchen und schätzten deren potentielle Gefährlichkeit ein.
Camilla und Jo machten jedoch keine Anstalten, sich zu wehren, während die Roboter sie hochzogen, die Fußfesseln lösten und jeweils eine Handschelle mit eisernem Griff umfassten.
Sie zogen die Mädchen durch die Tür. Camilla und Jo stolperten eng beisammen durch weiße Gänge an tausenden von Türen vorbei.
Sie wurden in eine dunkle Kammer gebracht. Sie konnten nichts sehen, doch in dme Dämmerlicht hörten sie Stimmen reden. Sie schnappten ein paar Worte auf.
„Camilla. Sie nennt sich selbst die Flamme. Hat jenseits des Walls für viel Trubel gesorgt!“
„...eine Flüchtige aus der Elitetruppe. ...“
„Das gibt mal ein gewaltiges Kopfgeld! Prost, Freunde!“
Die Roboter schnallten Camilla und Jo an ein paar Bretter, aufrecht stehende Tragen. Die Tragen waren an einer Stange befestigt, an der sie hinauf und hinunter fahren konnten. Camilla wurde von der einen, Jo von der anderen Seite an die Trage geschnallt, sodass sie einander fast im Rücken hatten. Nur durch die Lücke, an der die Stange war, konnten sie einander noch sehen. Riemen und Bänder wurden ihnen um die Körper gebunden, bis ihnen das Atmen schwerfiel. Doch ihre Handschellen wurden gelöst und die Arme frei gelassen.
Ein Schatten trat auf sie zu. Vor einem Fenster wurden Rollläden weg gezogen. Helles Licht fiel auf Camilla und Jo in ihren Tragen. Der Schatten entpuppte sich als ein Mann, ein Polizist.
Camilla versteifte sich, als sie in dem mit Brandnarben entstelltem Gesicht den jungen Polizisten erkannte, der sie auf der Reise mit dem Silentkopter vor den anderen geschützt hatte.
Auch Jo schnappte nach Luft, obwohl sie den Hals verdrehen musste, um den Mann auf der anderen Seite ihrer Trage zu erkennen: „Paps!“
Der Polizist grinste breit: „Ihr beide habt mir ja ganz schön Probleme bereitet.“
Camilla starrte den Mann sprachlos an. Zaghafte Hoffnung keimte in ihr auf. Das hier war Jos Vater. Er würde doch nie im Leben seiner eigenen Tochter etwas antun.
Doch der Mann ging ungerührt und geschäftlich um sie beide herum: „Ich wurde tatsächlich zur Polizei gerufen, um bei der Ergreifung einer gefährlichen Flüchtigen zu helfen. Jetzt kann ich die Prämie für euch beide einstreichen. Jo, du weißt ja doch, wie man für seine Familie zu sorgen hat. Dieser Auftrag bringt uns allen ein Haus im Kaisersviertel ein.“
Der Mann hatte sie einmal umrundet. Camilla und Jo ignorierten ihn und sahen sie gegenseitig an. Schock stand in ihre Gesichter geschrieben.
Camilla streckte eine Hand aus und berührte Jos Wangen.
„Habt ihr noch irgendwelche letzten Worte?“, fragte der Polizist. Keines der Mädchen antwortete.
„Gut, dann gebt den Leuten da unten eine gute Show. Das sind alle die Polizisten, die euch so lange gejagt haben. Eure Hinrichtung soll doch eine Belohnung sein!“
Jos Vater zog sich wieder in den Schatten zurück, und dumpfe Schritte verließen den Raum. Langsam, ganz langsam, fuhren die Rollläden wieder nach oben und das Zimmer versank in Dunkelheit.
Camilla und Jo versuchten, einander einen letzten Kuss zu geben. Doch vergeblich, die Seile, in denen sie hingen, machten es ihnen unmöglich. Sie konnten nur mit einer Hand das Gesicht der anderen berühren und die heißen Tränen zählen.
„Ich habe Angst.“
„Ich auch, Jo.“