Jedes Mal, wenn ich im Frühling den blühenden Kirschbaum sehe, muss ich an dich denken. Du warst so fein und zerbrechlich wie japanisches Porzellan. Dein blasses Gesicht sah einer Geisha ähnlich. Dein Lachen war wie der Frühlingswind, angenehm weich und wärmend. Ich kann mich an den kalten harten Winter erinnern; er zog so an deinen Kräften. Sehnsüchtig erwartetest du die ersten warmen Sonnenstrahlen. Diese ließen lange auf sich warten und ich bangte um dich. Jeden Tag, der grau, nass und kalt war, betete ich, dass du noch genügend Kräfte hättest, den Frühling zu sehen und zu spüren. Irgendwann wurden unsere Gebete erhört. Der erste warme Sonnenschein durchbrach das graue Wolkenband. Meine Hoffnung, dich zu retten, wuchs mit jedem Sonnenstrahl. Ich hoffte, dass wir wieder zusammen spazieren gehen, lachen und durch unseren grossen Garten toben konnten. Ich weiss noch wie du zu mir sagtest, als wir gemeinsam aus dem Fenster sahen und der Kirschbaum in unserem Garten zu blühen begann: "Mit der letzte Blüte dieses Kirschbaumes ist auch meine Zeit gekommen. Ich hab den Frühling noch mal erleben dürfen, mein Wunsch wurde erfüllt." "Nein! Nein! Du wirst sehen, jetzt wird wieder alles gut! Der Frühling ist der Neubeginn! Deiner! Meiner! Unser!" schrie ich schon fast verzweifelt. Ich konnte es nicht wahr haben. Ich glaubte, dass du dich täuschen würdest. Du senktest denn Blick und schwiegst. „Bitte, bitte nicht! Kämpfe weiter!“ flüsterte ich eindringlich. „Schatz, du wirst mich gehen lassen müssen. Bitte geniesse mit mir unsere letzte gemeinsame Zeit.“ Ich konnte nicht anders, ich nahm dich in den Arm weinte und versprach es dir. Ich wollte dir alle Wünsche von den Lippen ablesen.
Die Tage vergingen und es wurde immer wärmer und schöner. Auch du, du hattest wieder angefangen zu lachen. Deine Augen erstrahlten wieder mit Glanz, welcher in der Nacht mit dem Sternenhimmel konkurrieren konnte. Wieder wurden meine Hoffnungen geweckt, dass du es überstehen wirst. Deine Worte verschwanden immer mehr in meinem Kopf. Du hattest sogar wieder genügen Kraft, um mit mir im Garten zu frühstücken und kleinere Spaziergänge im Rollstuhl zu unternehmen. Wir waren schon lange nicht mehr so glücklich. Der Kirschbaum im Garten stand in seiner vollen Blütenpracht. Wir sassen zusammen unter dem Baum und unterhielten uns über Gott und die Welt, als die erste Blüte in deinen Schoss fiel. Schlagartig waren sie wieder präsent, deine Worte welche du mir zu Beginn des Frühlings offenbartest. Panik schoss in mir hoch. Deine zerbrechliche Hand ergriff meine. „Mach dir keine Sorgen um mich! Hab auch keine Angst! Bitte lass mich gehen! Es wird uns nichts nützen“, sprachst du mit leiser Stimme. Auf einmal wurdest du müde. Der mehr oder weniger unbeschwerte Tag war jäh zu Ende.
Mit den darauf folgenden Tagen ging es mit dir und deinen Kräften wieder bergab. Jeden Tag verlor der Baum Blüten. Am liebsten wäre ich verzweifelt in den Garten gerannt und hätte jede Blüte wieder an den Baum angeleimt. Aber es kam noch schlimmer! Es wurde in der Wettervorhersage ein Frühlingssturm prophezeit! Und er kam! Und wie! Es herrschte Weltuntergangsstimmung: rabenschwarze Wolken verdeckten den Himmel. Der Wind war so stark, dass er Bäume krümmte, Abfalltonnen flogen herum, Dachziegeln lösten sich. Und unser Kirschbaum? Der verlor viele Blüten. Gegen den Abend verschlechterte sich dein Zustand so rapide, dass ich dich ins Krankenhaus einliefern musste. Die Ärzte rannten hin und her und versuchten dir irgendwie zu helfen. Hilflos stand oder besser gesagt sass ich dort und wartete auf irgendeine Nachricht. Ich wusste ja wohin es führen würde doch da irgendwo im Herzen war noch Hoffnung und Vertrauen in die weissen Kittel. „Es tut mir leid! Wir können nichts mehr machen! Es bleibt nur zu hoffen.“ „Vielen Dank Herr Doktor! Ich weiss Ihre Mühe zu schätzen.“ Ich trat zu deinem Bett. Deine liebevollen Augen sahen mich an. Ich nahm deine Hand und drückte sie an mein Herz. „Schatz…“ deine Stimme war ganz matt, „…Jetzt ist es fast so weit. Das letzte Blütenblatt wird fallen. Bitte Schatz, werde auch ohne mich glücklich und leb dein Leben! Verschenke dein gutes Herz weiter an jemand anderen. Versprich mir das.“, flüstertest du. Tränen flossen nur so über meine Wangen. „Ich verspreche es dir! Auch werde ich jeden Frühling, wenn der Kirschbaum blüht, an dich denken.“ Ein kleines feines Lächeln huschte über dein Gesicht, danach schlossen deine Augen für immer. In diesem Moment fiel das letzte Kirschblütenblatt in unserem Garten.
Vier Tage später war deine Beerdigung. Mit einem zarten rosafarbenen Kleid übergaben wir dich der Erde und zuoberst auf dem Sarg, das letzte Kirschblütenblatt