The Enderdragon's Song
Teil 2) Die Söhne der Hirschkuh
Kapitel 1: A warning to the people
Nach einer derart aufwühlenden Nacht fiel Takjin völlig erschöpft in sein Bett im kleinen Zimmer der Strandhütte.
Er erwachte mittags. Draußen sangen die Vögel, von dem Sturm des letzten Tages war keine Spur geblieben. Für einige kostbare Momente konnte er die Ereignisse der Nacht als einen Traum abstempeln.
Doch schon, als er sich aufrichtete, wurde die Illusion durchbrochen, denn er trug noch immer seine Rüstung, war mit völlig durchnässter Kleidung eingeschlafen. Eine verwaschene Blutspur zeigte sich auf den Schulterplatten der Krokodillederrüstung.
Takjin stand auf und trat aus dem Zimmerchen. Die Luft im Wohnzimmer war stickig. Es war der Geruch von vielen Menschen, die sich einen kleinen Raum teilen mussten.
Auf dem Holzsofa, das an die Wand gerückt worden war, lag Junea ausgestreckt. Auch sie trug noch ihre Rüstung. Offenbar war sie im Sitzen eingenickt und dann auf die Holzbank gesunken. Als Takjin eintrat, blinzelte sie und öffnete dann die Augen.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“ Takjin suchte sich vorsichtig seinen Weg zwischen den auf dem Boden liegenden Fremden hindurch zu ihr. Sie machte ihm schweigend Platz und streckte sich.
„Alles gut“, sagte sie dann ebenso leise wie Takjin. „Ich sollte mich vielleicht in ein richtiges Bett legen, statt auf einer Holzplanke zu schlafen.“
„Ich kann jetzt übernehmen“, bot Takjin an. Junea war gestern noch wach gewesen, als er ins Bett gestolpert war, und hatte sich um die drei Verletzten gekümmert. „Wie geht es ihnen?“
Junea folgte Takjins Blick zu den dreien, die sie mit Schnitten am Hals geborgen hatten: Zwei von ihnen waren von untersetzter, kräftiger Statur, der Dritte war nicht viel größer, aber schlanker und scheinbar jünger. Ihre Hälse waren mit Tüchern verbunden worden.
Ein blonder, bärtiger Mann in Kettenhemd und einfachem Wams. Eine Frau mit kurzen, braunen Haaren und einem sportlichen, gestählten Körper. Der Junge sah aus, als wäre er vielleicht 17, mit längerem, rotblondem Haar und einem auffälligen, roten Mantel. Was ihnen wohl zugestoßen war?
„Sie bluten nicht mehr“, berichtete Junea leise. „Die Schnitte waren nicht sehr tief, trotzdem machen sie mir Sorgen. Es sieht aus, als hätte jemand sie töten und dann durch ein Portal entsorgen wollen.“
Takjin schluckte. Auf den Gedanken war er ebenfalls gekommen. Die Menschen, die zu solchen Taten fähig waren, wollte er lieber nicht kennenlernen. Doch noch eine Frage war wichtig:
„Woher wussten sie von dem Portal?“
„Vielleicht sind es Diener von Garabath“, sagte Junea und bestätigte damit Takjins unausgesprochene Befürchtungen. „Oder sie haben das Portal nur durch Zufall entdeckt und wussten nicht, dass es nach Soregrat führt. Denn wieso hätten sie riskieren sollen, dass wir sie aus dem Meer ziehen, so unwahrscheinlich das auch war?“
Takjin zuckte mit den Schultern.
Junea unterdrückte ein Gähnen. „Die Ankunft dieser Leute bedeutet nichts Gutes. Ich werd' mich mal aufs Ohr hauen. Falls sie aufwachen, versuch, etwas über sie zu erfahren. Du musst auf jeden Fall misstrauisch bleiben, Takjin.“
Er nickte. Junea war genauso misstrauisch gewesen, nachdem er seinerseits auf der anderen Seite des rätselhaften Portals in Meer gestürzt war. Ob die Fremden auch aus seiner Heimat stammten?
Junea balancierte über den schmalen Platz zwischen den Liegenden nach draußen. In der Tür drehte sie sich noch einmal um: „Takjin? Wo ist der Enderstab?“
Takjin fuhr zusammen. Den Stab hatte er völlig vergessen, dabei hatte Junea ihm eindringlich erklärt, wie wichtig das magische Artefakt für Soregrat und das Gleichgewicht zwischen den Welten war. Er dachte zurück. Als der schreckliche Sturm losgebrochen war, hatte er den Stab mit zu Junea nehmen wollen, doch sich dann anders entschieden.
„Er muss noch im Flur liegen“, murmelte Takjin.
Junea nickte und zog die Tür hinter sich zu. Wenig später sah Takjin ihren schwarzen Zopf – etwas zerzaust von der anstrengenden Nacht – am unteren Rand der hochgelegenen Fenster vorbeihüpfen. Dann blieb der Zopf stehen und eine Hand reckte sich, die den grün-schwarzen, purpurn schimmernden Stab in die Luft hielt. Takjin nickte unwillkürlich, obwohl Junea die Geste natürlich nicht sehen konnte. Wenig später ging die Drachenreiterin in Richtung ihrer Hütte am Leuchtturm und nahm den kostbaren Stab mit.
Einige Stunden später regte sich plötzlich einer der Liegenden. Es war ein junges Mädchen mit schwarzen, zu drei Zöpfen gebundenen Haaren, das sich schließlich aufsetzte und im Raum umsah. Takjin rührte sich nicht, sondern beobachtete die Fremde. Obwohl sie sorglos erschien, war ihre Haltung wachsam und angespannt.
Sie bemerkte seinen Blick und lächelte breit. „Morgen! Wo … bin ich?“
„Du bist auf Soregrat“, sagte Takjin ruhig. „Wer bist du?“
Er gab sich alle Mühe, nicht zu freundlich und auch nicht zu bedrohlich zu sein. Das Mädchen wirkte nett, doch Juneas Warnung ging ihm nicht aus dem Kopf.
„Soregrat? Noch nie gehört.“ Sie stand auf und schüttelte ihre Beine aus. Takjin merkte, dass sie ruckartige Bewegungen vermied. „Ich heiße Peki Teador. Gehört ihr zu diesem Typen, Garabath?“
Takjin fuhr wie elektrisiert auf und zückte sein Schwert. Peki schielte auf die Holzspitze, die zitternd auf ihre Nase deutete.
„Schön, ich auch nicht“, meinte sie. Ihr Tonfall war immer noch fröhlich, doch ihre Stimme zitterte. Takjin konnte ihr direkt in die Augen sehen, Peki war genauso groß wie er. Und in ihren Augen sah er wie in einem Spiegel sich selbst, als er damals auf Soregrat angekommen war.
„Du … dienst ihm nicht?“, fragte er und ließ die Waffe sinken.
Peki schlang die Arme um den Oberkörper und schlotterte. „Mein Vater hat ihm geholfen. Aber ich hab meinen Dad verraten und jetzt ist er tot.“ Peki sah mit einem Mal verloren aus.
Takjin steckte sein Schwert weg und ergriff einem plötzlichen Impuls folgend Pekis Hand, um sie aus dem Zimmerchen zu ziehen. Wortlos führte er sie durch den Flur und nach draußen in den Garten.
Mit großen Augen sah Peki auf das Meer hinaus. „Wo sind wir hier?“
„Auf Soregrat“, wiederholte Takjin und setzte sich auf eine Bank. „Eine Insel im Meer.“
„Das gleiche Meer, das an Telion grenzt?“, fragte Peki. „Ich bin manchmal zum Strand geritten, doch dort sah es anders aus. Und Vater meinte, es wäre eigentlich kein richtiges Meer, nur ein großer See, aber alle sagen dazu ... Ich rede zu viel nicht wahr?“
„Soregrat ist … eine andere Welt“, offenbarte Takjin zögerlich. Peki setzte sich neben ihn und fröstelt ein ihrer dünnen, viel zu großen Jacke. „Das mit deinem Vater tut mir leid.“
„Er war ein Idiot“, sagte Peki traurig. „Er hat auf Garabaths Lügen gehört und für ihn getötet.“
„Wir … wir sagen diesen Namen hier nicht“, stammelte Takjin. „Wir nennen ihn nur den Spiegelmeister.“
„Das ist lächerlich!“, beschwerte sich Peki halbherzig.
„Es hat seinen Grund“, murmelte Takjin und sah genau wie Peki auf das Meer.
Die Wellen brachen sich am Strand. Weit draußen war ab und zu ein Delfin zu sehen, der aus dem Blau sprang. Seitlich von ihnen, an der Stelle, wo der Sandstreifen in dünnes Gras überging, standen die beiden Pferde, die Takjin und Junea gerettet hatten. Ein hellbraunes Pony und ein schwarzes Tier mit weißen Punkten.
„Ich muss wissen, dass du mich nicht belügst“, sagte Takjin nach einer Weile. „Du könntest eine Spionin sein.“
„Ich bin eine Spionin!“, brüstete sich Peki. „Nur nicht für Gar… na gut, den Spiegelmeister, sondern für Merin von Telion. Das … das ist der, den ihr mit mir aus dem Meer gezogen habt. Er war der Berater des Königs, Chirogan. Aber Chirogan wurde von meinem Paps entführt.“
„Warum?“
„Das wissen wir nicht.“ Peki spielte an ihren Fingernägeln herum. „Wir wollten ihn befreien, aber wir kamen zu spät. Da war ein Tor … Chirogan war zuerst hindurchgegangen. Dann fiel Paps durch, aber da war er schon tot. Als wir hinterhergeritten sind, landeten wir hier.“
Takjin runzelte die Stirn. „Dann müsste dieser Chirogan doch auch hier sein! Und dein Vater.“
„Das dachte ich mir auch. Funktioniert das Tor vielleicht anders, wenn man tot ist?“
„Ich weiß nicht ...“ Takjin dachte zurück an die zweite Rettung in der Nacht. Die Delfine von Soregrat waren, wie sich herausstellte, ausgesprochen gut darin, Lebewesen in Not zu wittern und ihnen zu Hilfe zu kommen. Die drei anderen hatten die Delfine aus den Tiefen des Meeres gerettet.
„Da war niemand außer euch, ich bin mir sicher“, sagte er nach einer Weile. „Erzähl mir genau, was an diesem Tor passiert ist.“
„Wir hatten uns durch Niemhain gekämpft, überall war Feuer und dann waren da noch die grauen Ritter“, berichtete Peki.
„Halt! Welche grauen Ritter?“, unterbrach Takjin sofort.
Peki sah ihn an und ein Schatten der Furcht kroch über ihr Gesicht. „Da waren Ritter ohne Wappen in grauen Rüstungen. Es … es waren sieben und sie hatten irgendetwas mit Gar... mit dem Spiegelmeister zu tun.“
„Sieben?“, hauchte Takjin und eine Gänsehaut kroch über seine Arme. Mit einem Mal schien der mittägliche Wind, der vom Meer her wehte, eisig kalt zu werden.
Peki machte eine Bewegung, als wolle sie die Erinnerung beiseite wischen. „Sie waren auch bei dem Hügel in Niemhain. Merin war völlig außer sich, er ist durchs Feuer geritten. Jen und ich konnten nichts anderes tun, als ihm zu folgen.“
„Jen?“
„Mein Pferd.“ Peki wies auf das schwarze Pony mit den weißen Punkten. „Jedenfalls sind wir zu diesem Hügel gekommen und dann in eine Art Geheimgang und da war dann ein Tor. Und auch mein Vater und Porthas Kainlin. Das war der andere Verräter.“
Takjin versuchte konzentriert, Pekis Schilderung zu folgen.
„Papa sagte, dass wir zu spät kämen und dass Chirogan schon weg wäre. Dabei zeigte er auf das Portal. Und Porthas sagte, dass … dass … dass Paps aufhören soll, zu reden. Und uns endlich töten.“ Sie atmete tief und zittrig durch, um sich zu beruhigen. Takjin saß schweigend neben ihr und streckte schließlich zögerlich die Hand aus, um sie auf Pekis Schulter zu legen. Sie straffte sich.
„Merin hat Paps erschossen, mit seinem Bogen. Papa ist dann einfach durch das Portal gekippt und war weg. Dann hat Merin Porthas gepackt und gefragt, wo Chirogan ist, und Porthas sagte … irgendwas vom Portal und das Garab... dass der Spiegelbildmeister ihn holen werde. Also, Chirogan. Dann hat Merin auch ihn getötet – Porthas – und ist durch das Tor geritten. Ich bin einfach hinterher. Dann waren wir hier.“
Peki beendete ihre Schilderung und wandte den Kopf ab. Takjin merkte trotzdem, dass sie verstohlen ihre Augen trocknete.
„Das war sicher sehr beängstigend“, sagte er mitfühlend. „Hmm, ich glaube … wenn der Spiegelmeister auf der anderen Seite des Portals war und auf Chirogan gewartet hat, dann sah er vielleicht auch, wie dein Vater aus dem Portal kam. Da hat er vielleicht gewusst, dass etwas nicht stimmt, und das Portal … ich weiß nicht, versiegelt oder so. Deswegen seid ihr hier gelandet.“
„Hier?“, wiederholte Peki und sah sich um. „Wo sind wir eigentlich?“
„In einer anderen Welt. Diese Portale führen in neue Welten.“ Takjin stockte. „Ich hoffe, der Spiegelmeister kann euch nicht folgen! Er darf niemals nach Soregrat gelangen! Das wäre das Ende!“
„Jetzt übertreibst du!“ Peki lachte, aber sie klang nicht von ihren eigenen Worten überzeugt.
„Nein. Du ahnst nicht, wie gefährlich der Spiegelmeister ist.“
„Und deswegen muss ich ihn finden“, sagte in diesem Moment eine unbekannte Stimme. Takjin und Peki fuhren in die Höhe. „Er hat meinen Bruder gefangen.“
Im Türrahmen zur Hütte lehnte ein ausgesprochen großer, schlanker Mann, der genau wie Peki rabenschwarze Haare hatte. Während Peki ihre Haare in drei (recht unordentlichen) hohen Zöpfen trug, besaß dieser Mann nur einen langen, schmalen Zopf, die restlichen Haare waren kurz rasiert. Am Gürtel des Mannes baumelten einige Eichhörnchenfelle, über der Lederhose trug er ein blaues, hochwertiges Hemd mit verziertem Saum. Ein breiter Riemen befestigte eine Art Fellaufsatz an seiner Schulter.
„Merin!“, rief Peki aus. „Wie lange stehst du da schon?“
„Lange genug. Wo sind meine Waffen, Junge?“ Der Unbekannte fixierte Takjin mit dunklen, blauen Augen.
„Ich … weiß es nicht“, gestand Takjin ehrlich. „Junea hat sie vermutlich. Sie misstraut Fremden.“
„Das ist klug von ihr.“ Merins Blick wirkte abweisend und kalt. „Sie wird sich freuen, zu hören, dass ich nicht lange bleiben werde.“
„Was?“, fragte Peki. „Wo willst du denn hin?“
„Ich muss Chirogan finden“, entgegnete Merin. „Du brauchst mir nicht zu folgen.“
„Natürlich helfe ich dir!“, schimpfte Peki. „Aber wie willst du ihn finden? Zu deiner Information: Wir sind in einer anderen Welt! Und Chirogan ist nicht hier. Weißt du, wie wir hier wieder weg kommen?“
Merin zog die Augenbrauen zusammen und funkelte Takjin an. „Was für einen Unsinn hast du dem Kind erzählt?“
„Keinen Unsinn“, antwortete Takjin unsicher. „Es stimmt, das hier ist eine andere Welt.“
Merin schwieg.
„Wir brauchen Hilfe“, führte Peki aus. „Diese Leute können uns vielleicht mehr erzählen.“
Merins Blick ruhte immer noch auf Takjin. „Diese Leute?“
Takjins Blick huschte zu Peki und sie erwiderte den Blick ratlos.
„Ich … ich heiße Takjin“, sagte Takjin leise. Er wünschte sich, Junea wäre hier. Sie würde wissen, was zu tun sei. „Ich kann euch ein bisschen was erzählen. Ihr seid auch Feinde des Spiegelmeisters, oder?“
Merins Blick verdüsterte sich leicht. Dann nickte er aber. „Dieser Spiegelmeister, wenn du ihn so nennen willst, hat meinen König entführt. Dafür wird er bezahlen.“
„Dann setzt euch.“ Takjin seufzte. „Denn ihr habt keine Ahnung, was hier alles los ist!“
Ob Junea es gutheißen würde, dass er den Fremden alles erzählte? Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich diese Geschichten nur ausgedacht hatten.