„Merin, stopp!“, rief Artreis, als der hochgewachsene Dunkelhaarige in das Portal trat. Der Schrei kratzte in seiner Kehle.
Merin war verschwunden. Unter dem Felsen schien es mit einem Mal totenstill zu sein.
„Verflucht noch eins!“, zischte Junea gereizt. „Hat sonst noch jemand vor, uns im Stich zu lassen?“
Alle sahen sie mit betretenen Gesichtern an. Junea fuhr sich durch die dunklen Haare.
„Gut. Wir brauchen jemanden, der nach Takjin sucht.“
„Ich!“, rief Peki sofort.
„Und jemanden, der Merin folgt und in seiner Welt nach einer Truhe sucht“, fuhr Junea fort und sah Peki an. „Das möchte ich eigentlich dir auftragen. Du kennst die Welt, in die Merin zurückgekehrt ist. Wir anderen nichts.“
„Ist … ist das unsere Welt?“ Peki sah zu dem blauen Portal.
Mosa nickte. „Ich bin mir sehr sicher. Das Portal führt in eine Stadt namens Telion.“
„Ja! Das ist es!“, rief Peki. Dann sah sie zum grünen Portal und schluckte.
„Artreis, das rote Portal sollte dich nach Hause führen“, sagte Mosa. „Damit bleiben noch Menakurr und Aleé.“
„Wir folgen Artreis!“, rief Aleé, wurde aber von Menakurr durch einen Händedruck zum Schweigen gebracht.
Artreis merkte, wie sich ein unangenehmes Gefühl in seinem Magen breit machte.
„Wir haben eine andere Aufgabe“, sagte Menakurr leise.
Junea würde die beiden Zwerge losschicken, um Takjin und den Enderstab zu retten. Das würde Artreis von seinen teuren Freunden trennen.
Er las in Menakurrs Miene, dass der Zwerg das ebenfalls verstanden hatte. Innerlich verfluchte Artreis Merin für dessen Sturköpfigkeit. Wenn Merin sich nicht weigern würde, ihnen zu helfen, hätte Peki nach Takjin suchen können und er wäre nicht so schnell wieder von Menakurr und Aleé getrennt worden.
Er wusste, dass er egoistisch dachte.
„Es reicht, wenn einer von euch geht“, schlug Junea vor.
„Ich könnte Takjin suchen“, sagte Artreis sofort.
Takjin und den Rittern zu folgen, war sicherlich gefährlicher. Er wollte Menakurr und Aleé beschützen.
„Nein, ich glaube, du solltest in deine Welt zurückkehren“, meinte Junea. „Jetzt, da wir wissen, wessen Sohn du bist.“
Artreis wich ihrem Blick aus. An den Gedanken, von irgendeiner rätselhaften Frau abzustammen, hatte er sich noch nicht gewöhnt.
„Es ist gefährlich“, warf Menakurr ein. „Wir alle sind in dieser Welt Hochverräter! Unter Menschen genauso wie unter Zwergen.“
„Und sie halten euch für tot“, unterbrach Junea die Diskussion. „Artreis, du gehst. Menakurr oder Aleé kann dich begleiten.“
Die Zwerge sahen einander an und dann Artreis. Er räusperte sich. „Ich gehe allein. Schon gut, Freunde.“
Er bemühte sich um ein tapferes Lächeln. Menakurr und Aleé kamen zu ihm, um ihn kräftig zu umarmen. „Du passt auf dich auf, ja?“
„Nur, wenn ihr auf euch aufpasst. Mit diesen Rittern ist nicht zu spaßen!“, antwortete Artreis und erwiderte die Umarmung.
„Äh“, meldete sich Peki aus dem Hintergrund. „Die Ritter wurden übrigens in alle Portale gezogen.“
Junea sah sie an. „Was sagst du?“
„Takjin ist mit drei Rittern im grünen Portal verschwunden, die anderen vier sind in den anderen Welten“, sagte Peki. „Tut mir leid, das hätte ich wohl vorher sagen sollen.“
„In der Tat“, brummte Junea. „Das ändert die Sache. Die Ritter sind nicht länger vereint, das ist gut, aber sie sind auch überall, und das macht unsere Aufgabe umso drängender. Wenn sie auch nur eine der magischen Truhen finden, ist es aus, jetzt, da sie vermutlich auch den Enderstab haben. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren! Brecht auf!“
„Wie, ohne alles?“, fragte Menakurr.
„Wir haben keinen Proviant vorbereitet“, sagte Mosa.
Olar ging zu Kamban und durchsuchte dessen geräumige Satteltaschen. „Nein, ich habe nichts. Soll ich kurz los?“
„Nein!“, fuhr Junea auf, ehe sie sich beruhigte. „Es tut mir leid. Du hast natürlich recht, Menakurr. Vor euch liegen unabwägbare Gefahren und ich würde euch gerne mehr mitgeben als nur die gewaltige Verantwortung. Wenn wir die Zeit hätten, würde ich es tun, doch ich fürchte, wir dürfen nicht länger zögern. Es steht zu viel auf dem Spiel.“
Artreis, Menakurr und Aleé standen Arm in Arm und sahen Junea an. Aleé winkte Peki zu sich und drückte sie herzlich an sich. „Viel Glück!“
Damit war jede Diskussion beendet. Unter unzähligen Glückwünschen von allen Seiten stellten sich die Gruppen vor ihre Portale. Artreis warf einen letzten Blick zu den Zwergen. Würde er sie jemals wiedersehen?
„Wenn die Ritter euch zuvorzukommen drohen, zögert nicht, die Truhen zu zerstören. Ihr Inventar geht dabei nicht verloren“, wies Junea sie an. „Aber die Artefakte dürfen auf keinen Fall zum Spiegelmeister gelangen.“
Sie reichte jedem von ihnen die Hand, als letzte, nachdem sich auch Mosa und Olar schon verabschiedet hatten. „Haltet Augen und Ohren offen, aber seid vorsichtig. Die Tore sollten übrigens offen bleiben, sodass ihr immer zurückkehren könnt.“
Artreis sah, dass Peki sich etwas entspannte. Sie stand, ihre Jen am Zügel führend, vor dem blauen Portal und knabberte auf ihrer Unterlippe.
Junea, Mosa und Olar stellten sich ihnen gegenüber auf. Artreis schluckte und warf einen letzten Blick auf seine Freunde. Würde er sie jemals wiedersehen? Auf der anderen Seite des Portals erwarteten ihn Zwerge und Menschen, die ihm nach dem Leben trachteten. Menakurr und Aleé erwarteten die mächtigen, grauen Ritter.
Als er sich zu dem Portal umdrehte, hörte er in seinem Rücken Juneas gedämpfte Stimme: „Es kann auch sein, dass die Ritter durch diese Portale zurückkommen wollen. Wir müssen wachsam bleiben.“
Dann tauchte er in die violetten Flammen seines Portals ein. Alles … wurde schwarz.