Shanora atmete noch einmal tief durch, sie fühlte sich nicht bereit zu tun, wozu sie nun gezwungen war.
Alles hatte sie versucht, um das zu vermeiden, aber allem Anschein nach waren ihre Bemühungen umsonst gewesen.
Sein Hass auf sie und ihren Bruder hatte ihn zu sehr verzehrt, so sehr, dass er bereit war die Frau zu töten, die ihn geliebt hatte.
"Es ist schon seltsam!", murmelte sie, fest eingeschlossen in die Kutsche, die sie an den Ort bringen sollte, an welchem sich ihr Schicksal entscheiden würde.
"Was meinst du?", Arya sah sie fragend an was Shanora kurz erschreckte, ihr war nicht bewusst gewesen dass sie das laut gesagt hatte.
Shanora seufzte: "Der Dunkle hat Finn erschaffen, als seinen perfekten Erben. Jemand mächtigen und bösen der Elensar in ewige Dunkelheit stürzen sollte und nur dafür geboren wurde, um mich zu töten!"
Shanora sah aus dem Fenster der kleinen schwarzen Kutsche, die von einem großen Nashorn gezogen wurde und betrachtete das Ergebnis des Dunklen.
Der junge Mann, der auf einem Pferd neben der Kutsche ritt und dabei fast aus dem Sattel fiel, weil er von einem der schönen Kirschbäume eine Blüte pflückte und sie dann an die Reiterin hinter sich, Delina , weiterreichte.
Shanora konnte sehen, wie gerührt die junge Frau von dieser kleinen Geste war und vor allen konnte sie dieses abgöttisch verliebte Grinsen in Finns Gesicht sehen. Er war eine so gute Person das sie ihm mehr als alles andere wünschte diese Frau würde ihn glücklich machen. Ihn für das Lieben was er war, der loyalste und tapferste Mann in ihrem Leben.
"Der Dunkle hat mit Finn seinen größten Gegner erschaffen!", stellte Shanora fest, "Jemanden der seine Macht nur dafür einsetzen wollte uns alle zu beschützen! Mich zu beschützen!"
Arya nickte: "Bei allem was man ihm angetan hat... Bei allem was auch wir ihm zugemutet haben! Er blieb immer diese Person! Jemand der nie mutwillig jemandem Schaden zufügen wird und einen Weg sucht den Kreislauf der Rache zu durchbrechen! Bewundernswert!"
Shanora stimmte ihr zu, dann wurde sie grüblerisch: "Hätte er IHN behalten und als seinen Sohn und Erben großgezogen! Das hätte ihm mehr gebracht, er war wahrscheinlich vom Tag meiner Geburt weg eifersüchtig darauf, das er niemals einen Thron erben würde! Und dann wurde seine Familie getötet, nach meiner Geburt! Meinetwegen und er hat mich weiter gehasst und verflucht! Ich habe das nie bedacht, Arya!"
Arya verstand langsam, was Shanora so quälte: "Du hättest nichts davon verhindern können! Er hat uns alle getäuscht und... Wir werden ihn aufhalten!"
Shanora nickte: "Ich werde ihn stoppen! Denn er ist, trotz reinblütiger Abstammung vom weißen Thron, böser als der Dunkle selbst. Dieser hat wenigstens keine Show abgezogen und nie geleugnet was seine Ziele sind!"
Arya seufzte tief: "Ich kannte ihn kaum, deinen sogenannten Bruder! Er hat viel Zeit mit Delina verbracht, aber auch sie hat er getäuscht! Und Church und Sassy... Es ist also wirklich nicht deine Schuld, Shanora!"
Shanora nickte und starrte weiter aus dem Fenster der Kutsche, egal was Arya ihr sagen würde, ihre Geburt war der Beginn von allem gewesen.
Der Dunkle hatte direkt danach den weißen Thron angegriffen, war ungestraft geblieben und noch lange in Elensars oberstem Rat gesessen. Niemand hatte etwas gegen ihn unternommen. Weil die Angst vor seinem Namen die Bewohner von Elensar schon um den Schlaf gebracht hatte. Immerhin war es dem Dunklen gelungen den weißen Thron zu vernichten, wie man lange geglaubt hatte.
Sie war ein Kind gewesen, mit der Verantwortung für ein Königreich, behütet in einem Wald, bis er auch ihr jemanden weggerissen hatte. Geweint hatte Shanora damals, aufgestampft und verlangt das man etwas unternehmen müsse, ihn daran hindern müsse weiter zu morden.
All die Gesichter der Menschen, die für sie gestorben waren, Gesichter die sie nie wieder sehen würde.
Sie hielt den schwarzen Stein, den sie in der Brusttasche ihrer Jacke mit sich trug, fest in der Hand, ihre letzte Verbindung zu einem der größten Helden die für Elensar gestorben waren.
Es gab keine Gerechtigkeit für Church, keine Erlösung.
Egal was man ihm angetan hatte, egal wie oft er kurz davor gewesen war die Kontrolle zu verlieren. Er hatte Shanora beschützt und gerettet, wenn sie sich selbst in Schwierigkeiten gebracht hatte.
Die Erinnerungen an ihn fühlten sich wie grausame Schatten in ihrem Herzen an, Shanora war nicht sicher, ob sie sich je von all den Verlusten erholen konnte.
Und jetzt, als sie noch nicht einmal einen der wichtigsten Menschen in ihrem Leben zu Grabe tragen hatte können, jetzt war, sie gezwungen wieder alle zu gefährden die ihr nahestanden.
Es gab keine Gerechtigkeit in diesem Krieg, nur Tote und Trauernde, da war sie sich mittlerweile sicher.
"Wir sind bald da!", ließ Finn sie wissen, "Kameon hat berichtet das Ladira sich mit den anderen in den Ruinen des weißen Throns verschanzt hat! Sie sind sicher, ein Bannkreis von Sassy schützt dieses Gebiet! Er wird ihnen nichts anhaben können!"
Shanora atmete tief durch: "Diesmal wirst du keinen Alleingang durchziehen, oder?"
Finn schüttelte entschieden den Kopf: "Nein, Schwester! Ich werde an deiner Seite sein und wenn mein Plan aufgeht, ist das Gebiet, in dem wir kämpfen, sowieso nichts weiter als Asche und verfluchter Wald!"
Delina holte mit ihrem Pferd auf und sah ebenfalls angespannt aus: "Seltsam nach all den Jahren wieder Nachhause zu kommen!" Shanora stiegen die Tränen in die Augen: "Osilia musste brennen, damit man eine Waffe gegen mich erschaffen konnte... Ich habe euch allen nichts als Leid gebracht!"
Delina brauchte einen Moment um zu verstehen, was sie meinte: "Nein, Shanora! Osilia musste in den Flammen eines grausamen Psychopathen brennen, der schon viel zu lange nicht aufgehalten wurde, egal zu wem Ladira ging! Es war nicht deine Schuld, du warst damals noch ein Kind!"
Finn stimmte ihr zu: "Churchs Liebe zu dir war so rein und so stark das er all die Jahre durchgehalten hat! Und das nicht, weil du die Erbin des weißen Throns bist, sondern um deinetwillen, Shanora!"
Shanora umklammerte den Stein und schloss für einen Moment die Augen: "Ich werde ihn in meinem Herzen tragen bis wieder bessere Tage auch uns zukommen! Und ich werde ihn nie vergessen!"
Finn lächelte sofort: "Niemand von uns wird das. Kann jemand überhaupt wirklich tot sein solange er geliebt wird? Ich denke, dann lebt man weiter, wenn man von so vielen geliebt wird!"
Delina nickte: "Das ist ein schöner Gedanke! Ich glaube er hat Frieden gefunden wo er jetzt ist... Und außerdem ist sein Vermächtnis bei Ladira...!"
Arya schloss für einen Moment die Augen: "Sein anderes ist wahrscheinlich tot..."
Plötzlich ertönte eine aufgebrachte Stimme hinter ihnen: "Das glaubst du aber selbst nicht, Elfchen! Jemand wie Amelie stirbt nicht einfach! Keine Sorge, sie ist irgendwo da draußen!"
"Wo ist Church?", rufe in einer Schlacht, bekannte Gesichter...
Amelie sah sich um, alles Schatten und Schemen in einem erbitterten Kampf.
Aber etwas stimmte nicht, etwas war anders.
Ein weit entfernter Ort schien sie zu sich zu rufen, also verließ sie das unheimliche Schlachtfeld, wanderte durch in Rauch versinkende Wälder bis sie ihr Ziel erreichte.
Ein riesiger schwarzer Drache stand vor einem wahrscheinlich durch eine Explosion verwüstetem Ort.
Er schien aus schwarzen Fäden zu bestehen, seine Augen waren ebenso dunkel und glänzten unheimlich.
"Wo bin ich hier?", fragte sie das unheimliche Tier, das ihr eine Antwort schuldig blieb und sie nur weiter argwöhnisch anstarrte.
Plötzlich ging jemand an ihr vorbei, ein großer Mann mit ebenso schwarzen Augen.
"Church!", rief sie aus und folgte ihm durch Rauch und Nebel in das Gebäude, durch verfallene Gänge bis zu einer Schleuse in welcher ein Monster auf sie wartete.
"Gefallene!", entfuhr es ihr, "Church pass auch!"
Dieser schien sie nicht wahrnehmen zu können, er musterte die unheilvolle Kreatur ohne Angst.
"Was willst du hier?", eine Männerstimme, so spöttisch und mit einem Hauch Wahnsinn in ihr.
"Dasselbe könnte ich dich fragen!", gab Church zurück und ging an der Kreatur vorbei, weiter in die Schleuse hinein.
"Du hast meine Illusion also durchschaut, wie gerissen von dir, Belial!", diese Stimme, Amelie bekam es mit der Angst zu tun.
Sie hatte sie schon einmal gehört, als sie beobachtet hatte wie der Mann getötet wurde, den alle Alpha genannt hatten.
Aber es war der Mann mit der Maske gewesen, Finn.
Amelie versuchte weiter in die Schleuse vorzudringen, sich einen Weg durch den Nebel zu bannen um ihn sehen zu können.
"Wo ist er!", hörte sie ihren Vater wütend fragen, "Lass mich sofort zu ihm!"
Die Stimme, diese furchtbare Stimme: "Er ist da wo er immer hätte sein sollen!"
Dann ging er an Church vorbei und damit auch an Amelie und sie starrte ihn mit offenem Mund an.
Nur einem wäre es gelungen sie glauben zu lassen Finn wäre ein Mörder gewesen, noch vor seiner Verwandlung in eine Abscheulichkeit.
Jemand der aussah wie Finn, der dieselbe Statur hatte. Dieselben türkisen Augen.
Aber es war keine Güte darin zu finden, nur Hass und Hohn.
"Church!", Amelie kämpfte sich durch die Nebel, folgte ihrem Vater, der einige der Gefallenen erledigte und vor einer Türe zu stehen kann.
"Geh nicht durch diese Türe!", donnerte eine laute tiefe Stimme durch Amelies Kopf.
Church sah plötzlich belustigt aus: "Was, nach all den Jahren sprichst du einmal zu mir, weil ich eine Türe öffnen will?"
Amelie wurde plötzlich einiges klar, Finn war nicht in einer Explosion umgekommen und ihm war auch klar gewesen das diese Falle aus seinen eigenen Reihen stammte.
Also hatte er es irgendwie geschafft Church eine Nachricht zu senden, die nur dieser verstehen konnte. Aber wie?
Und Church hatte sich auf die Suche nach Finns Körper gemacht, der durch Shanoras eingreifen im Untot gefangen war.
Und dieser schreckliche Mann hatte Finn in eine Zelle am Ende eine Schleuse gesperrt, aber warum? Und was hatte er, damit gemeint das Finn da war, wo er immer sein sollte?
"Amelie...", eine leise Stimme, so weit entfernt und doch so traurig erregte ihre Aufmerksamkeit.
"Warum? Warum Church? Wie ist das möglich?"
"Ich dachte nicht das... Ich hätte für Sicherheitsvorkehrungen gesorgt, wenn ich gewusst hätte..."
"Wenn du was gewusst hättest? Dass du mich schwängern kannst?"
"Sie ist meine Tochter..."
"Nein, ich will das sie fernab dieser Welt aufwächst und nicht in den Krieg zieht..."
"Das kannst du nicht alleine entscheiden... Ich will sie halten, nur einmal!"
"Ich habe gehört, was du getan hast, in Katzus!"
"Ich habe getan was ich tun musste!"
"Nein du hast die Kontrolle verloren und ich werde nicht zulassen, dass du meine Tochter in Gefahr bringst!"
"Jule, bitte... Bitte lass sie mich sehen! Bitte lass uns eine Lösung finden!"
"Du hattest zwei Jahre keine Zeit... Es ist zu spät Church!"
Amelie hielt sich die Ohren zu, sie wollte dieses Gespräch zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater nicht mitanhören.
"Auch wenn er immer als das Monster galt... Hatte er wahrscheinlich den sensibelsten Kern von allen... Er war nie stark genug diese Bürde zu tragen Nephilim. Ich frage mich, ob du es bist!", der Drache, der schweigsame Drache sprach plötzlich zu ihr.
"Ich bin verwirrt, Drache!", sagte sie dann und sah das Ungetüm an, wie es plötzlich aus völliger Dunkelheit um sie erschien und sie bedrohlich anvisierte.
"Drache... Törichtes Wesen, ich bin kein Drache! Ich bin ein Titan, eingesperrt in einen Wirt der mich beherbergen darf!", brüllte das Wesen und stampfte wütend auf.
"Was auch immer... Mein Vater... Was hat er mit mir gemacht? Was ist das für ein Fluch all diese Dinge sehen zu müssen... Ist das die Hölle? Bin ich in meiner persönlichen Hölle, weil ich gestorben bin?", Amelie sah frustriert auf ihre Hände, die sich stellenweise im Nebel auflösten.
"Hölle?", grölte das Untier, "Dein Vater hat dir sein Leben geschenkt und deine Krankheit im Austausch dafür auf sich genommen! Das nennst du eine Hölle? Ich nenne es einen Akt der Liebe!"
Amelie seufzte tief, egal ob Drache oder Titan, das Wesen hatte recht: "Was machen wir dann hier? Ist das unser kennenlernen?"
Schnell schnappte das Wesen direkt vor ihr in den Nebel: "Kennenlernen? Wir sind einander nicht ebenbürtig, vergiss das nie! Das ist nichts, als mein Loslösen von Belial damit ich mit dir verschmelzen kann, dumme Göre!"
Amelie versuchte keine Tränen zu vergießen: "Du mochtest ihn, nicht wahr? Du bist traurig über seine Entscheidung! Und hältst mich für undankbar weil ich bis zum Schluss von seiner Schuld überzeugt war!"
Der Titan hielt inne: "Er hat nur versucht zu helfen und war trotzdem der Junge, den niemand wollte..."
Amelie schüttelte den Kopf: "Es ist nicht vorbei, Drache! Wir können dafür sorgen das sein Tod nicht umsonst war! Wir beide können für Gerechtigkeit sorgen!"