Ava
Eine eisige Windböe zehrte fest an meiner Kleidung und wirbelte meine sanften blonden Locken durcheinander. Langsam streiche ich mir eine Strähne aus dem Gesicht, um erneut einen guten Blick auf das nächtliche Himmelszelt erlangen zu können. Ich konnte nicht sagen warum, doch irgendwie fühlte es sich so an, als wäre in Riverdale schneller die Nachtruhe eingekehrt, als in Mystic Falls. Die Vampire, die sich nachts auf den Straßen herumtrieben, fehlten einfach. Zwar hatte ich nicht lange in der Stadt gelebt, doch trotzdem war es komisch nicht mehr von allen Seiten von Magie umgeben zu sein. Hier war alles so normal. Nicht, dass ich dies nicht schätzte – ein wenig Normalität würde ihnen allen sicher mehr als guttun -, doch es war ungewohnt. Kaum hier angekommen, hatten Alaric und Caroline uns Teenagern eingebläut, dass keiner in der Stadt jemals von unseren besonderen Kräften erfahren durfte.
Nach dem Essen hatte ich mich in das Zimmer, das ich mir von nun an mit Hope Mikaelson teilte, zurückgezogen und hatte das Fenster geöffnet, mich auf die Fensterbank gesetzt und meine Beine herausgestreckt. Das tat ich oft und nach dem vergangenen Tag brauchte ich einfach mal eine Auszeit von all dem Trubel.
Ehrlich gesagt hatte ich ziemlich Bammel vor dem ersten Schultag in der neuen Stadt. Bisher hatte ich wegen meines Nachnamens nie wirklich dazugehört. Denn obwohl nicht Kais Tochter war, löste der Name ‚Parker' in vielen Leuten, besonders in den Bewohnern von Mystic Falls, Angst und Schrecken aus. Und das, obwohl ich nichts dafür konnte, ganz anders war, als die Parkers, die vor mir kamen. Josie und Lizzie konnten sich da wirklich glücklich schätzen, dass sie den Namen ihres Vaters trugen und zu jung waren, um sich an unseren Onkel zu erinnern. Ich hatte ihn jedoch kennengelernt, auch wenn ich mich nur noch an Bruchstücke erinnerte. Zwar stammte auch Hope aus einer teilweise geächteten Familie, doch der Name ‚Mikaelson' rief in der jungen Tribridin stolz hervor. Bei mir war das jedoch ganz anders.
Schnell versuchte ich auf andere Gedanken zu kommen, da ich bereits spürte, wie meine Kräfte zu erwachen begannen. Deshalb richtete ich meinen Blick lieber wieder auf die Sterne, so wie ich es immer tat, wenn ich spürte, wie alles um mich herum zu viel wurde. Meine Mutter Liv hatte mir, als ich noch klein war, immer erzählt, dass jede Hexe, die starb zu einem neuen Stern am Himmel wurde und so auf die anderen Hexen aufpasste. Zwar wusste ich mittlerweile genau, dass das Quatsch war, doch trotzdem gefiel mir der Gedanke, dass meine Mutter da oben war und auf mich hinab sah.
„Ava?", als ich eine Stimme hinter mir wahr nahm, zuckte ich leicht zusammen und fuhr schnell herum. Im Türrahmen stand Hope, die mich mit leicht besorgtem Blick ansah. „Oh, hey", stotterte ich leicht, überrascht von ihrem plötzlich aufhalten und unschlüssig, was ich sagen sollte: "Was machst du hier?" „Na ja, das ist auch mein Zimmer", erinnerte sie mich, sich ein wenig verlegen am Hinterkopf kratzend: "Außerdem wollte ich nachsehen, ob es dir gut geht. Du bist nach dem Essen so schnell verschwunden." Ich antwortete ihr überraschend ehrlich, wenn man bedachte, dass wir bisher nie viel Zeit verbracht hatten: "Ich brauchte nur ein wenig Zeit für mich." „Soll ich wieder gehen?", fragte sie mit schief gelegtem Kopf. Unsicher zuckte ich mit den Schultern. Schließlich hatte sie recht. Das war auch ihr Zimmer und ich hatte kein Recht sie in irgendeiner Weise wegzuschicken: "Nein, schon gut. Komm ruhig rein."
Daraufhin stieß Hope sich vom Türrahmen ab und ging langsam auf ihr Bett zu, bevor sie die Tür ins Schloss hatte fallen lassen. Ich änderte meine Sitzposition, sodass ich einen besseren Blick auf sie erhaschen konnte. Ihre Besorgnis um mich verwunderte mich, da wir nie wirklich viel Zeit miteinander verbracht hatten. Lediglich auf den Schulfluren waren wir uns das ein oder andere Mal über den Weg gelaufen oder hatten im Unterricht hin und wieder ein Wort gewechselt.
Doch je mehr ich über sie nachdachte, desto klarer wurde mir, wie viel wir gemeinsam hatten. Wir stammten von bekannten, aber zerbrochenen Familien ab, deren Mitglieder großen Schrecken sowohl über die übernatürlichen Wesen, als auch über die Menschen gebracht hatten. Mit diesem Vermächtnis mussten wir nun zu leben, egal, ob wir es als Strafe oder als Segen sahen. Entkommen konnten wir unseren Blutlinien nicht. Uns verband allerdings noch eine weitere Sache. Die Alaric und Caroline hatten uns aufgenommen, wie ihre eigenen Kinder und behandelten uns nun wie einen Teil ihrer Familie.
„Kann ich dich was fragen?", brach ich nach einigen Sekunden die entstandene Stille. „Klar", sie nickte knapp und legte sich aufs Bett. „Bist du jemals darüber hinweggekommen, dass deine Eltern gestorben sind?", ich wusste zwar, dass ich mich auf dünnes Eis begab, doch diese Frage hatte mich schon lange beschäftigt. Sie schluckte kurz, schüttelte dann aber den Kopf: "Es gibt gute und schlechte Tag, an denen ich sie manchmal mehr und manchmal weniger vermisste. Doch darüber hinwegkommen werde ich wohl nie. Und du?" In ihren Augen lag eine Ehrlichkeit, die Vertrauen ihr gegenüber in mir hervorrief. Ich biss mir auf die Lippe, antwortete dann aber, da sie wahrscheinlich eine der einzigen Personen in meinem Umfeld war, die verstehen konnte, wie ich mich fühlte: "Mir geht es nicht anders und ich hasse meinen Onkel dafür, was er meiner Familie angetan hat." „Dein Onkel?", fragte sie ehrlich interessiert. Schwer schluckte ich, sprach dann aber weiter: "Er hat nicht nur Alarics Ehefrau Jo, sondern auch meine Mutter ermordet." „Und wo ist er jetzt?", Hope legte den Kopf leicht schief. „Ich habe keine Ahnung, aber ich bin mir sicher, dass Alaric und Caroline es wissen", ich spüre einen festen Stich in meinem Herzen. Ich musste es wissen, wissen, wo er sich aufhielt, um nachts ruhig schlafen zu können. Würde er uns hier finden, wären wir alle, nämlich in großer Gefahr.