~ Genre: Horror, Mystery - Triggerwarnung ~
Die Straße liegt vor mir. Mein Atem rasselt in meinen Ohren. Ich erstickte fast an Hustenanfällen. Doch ich laufe weiter, so schnell ich kann.
Immer wieder stolperte ich. Meine Augen tränen von der kalten Luft. So viel ich auch blinzele, der Weg bleibt verschwommen. Doch ich renne weiter, so schnell ich kann.
Der Schweiß steht mir auf den Armen. Ich muss dampfen wie eine heiße Tasse Tee in der Winterluft. Meine Turnschuhe rutschen auf dem gefrorenem Pflaster.
Doch ich fliehe weiter, so schnell ich kann.
Die Puste geht mir aus. Meine Lungen fühlen sich an, als würde ich Glasscherben atmen. Ich kann die Füße kaum noch heben. Doch ich darf nicht stehen bleiben.
Ich muss weg, fort von hier, so weit es nur irgend geht. Ich falle beinahe, als ich neben den Bordstein trete. Mein Knöchel knickt unter mir zur Seite. Ich fange mich im letzten Moment.
Ich kann nicht mehr auf den Weg achten. Meine Knie protestieren schmerzend, und der Knöcheln sticht. Ich humpele ein wenig, hüpfe auf einem Bein und renne dann normal weiter. Die Schmerzen vergehen schnell. Das ist nicht gut.
Ich versuche, schneller zu werden. Tatsächlich kann ich meinen erschöpften Füßen neue Höchstleistungen entlocken.
Ich werde nie im Leben schnell genug sein. Die Straße, die weit vor mir liegt und sich zum Horizont erstreckt, wird mein Ende sein. Der Weg ist das Ende.
Es ist dunkel. Ich laufe durch den Lichtkreis einer Straßenlaterne. Tauche dahinter wieder in die Dunkelheit ein. Mein Schatten tanzt vor mir über den Boden.
Wie hatte es soweit kommen können? Wie war ich hier gelandet? Es hatte nur eine kleine Feier werden sollen, mit wenigen Freunden. Jetzt laufe ich mir die Lunge aus dem Leib. Ich kriege kaum Luft, wie ein Asthmatiker.
Aber es war nicht diese eine Feier gewesen. Noch nicht einmal der Tag, als es zum ersten Mal passiert ist. Als sie mich wieder grün und blau geschlagen haben und da plötzlich etwas anderes in mir war - etwas fremdes. Der Notarzt konnte ihnen nicht mehr helfen. Die Psychologen hatten mir nicht erklären können, was geschehen war. Ich selbst habe es der Polizei nicht erklären können.
Aber auch das war nicht die Antwort. Wann hatte es angefangen? Und wie hätte ich wissen sollen, dass ich auf dieser Straße landen würde?
Ich laufe noch schneller. Die Knie schmerzen nicht mehr, ich nehme an Geschwindigkeit zu. Doch mein Herz schlägt so schnell, und immer unregelmäßiger. Vielleicht ist ja auch das meine Chance.
Wann hat es angefangen? Mit der ersten Beleidigung? Mit dem ersten Schlag ins Gesicht? Mit meiner Geburt? Oder mit diesem Gefühl in meinem Bauch, nicht nur Angst und Hilflosigkeit, sondern Wut. Hass.
Die Hälfte der Straße liegt hinter mir. Ich versuchte, Luft zu kriege. Wenn stehen bliebe, würde ich vielleicht eine halbe Stunde lang noch keuchen. Doch ich bleibe nicht stehen. Habe ich keine Seitenstiche mehr? Oder halluziniere ich bereits unter Sauerstoffmangel?
Ich versuche, die Augen offen zu halten, und komme mir wie ein Zombie vor. Laufe ich überhaupt noch?
Meine Schritte auf dem Pflaster sind unheimlich laut. Als würden die Steine unter meinen Schritten bersten. Die Winternacht wird immer wärmer, wie von Feuer.
Nein! Das darf nicht passieren, nicht schon wieder!
Ich balle die Hände zu Fäusten. Kontrolle.
Konzentration, Kraft, Kontrolle. Mein Mantra. Meine Rettungsleine.
Ich senke den Kopf. Wäre ich in einem Film, würde ich jetzt Funken atmen, und meine nach vorne gerichteten Augen rot glühen vom inneren Feuer. Doch so ist mein Darth-Vader-Keuchen das, was einem Film noch am nächsten kommt.
Schneller. Ich muss es schaffen, muss einfach. Wenn ich aufgebe, ist alles verloren. Meine Freunde, vielleicht die ganze Welt. Ich.
Eine neue Straßenlaterne. Die Straße ist fast vollkommen dunkel. Da knallt es, und die Lampe verlöscht mit einem Flackern. Ich renne weiter. Mit voller Geschwindigkeit werfe ich mich verzweifelt gegen eine Hausmauer. Übersät von Schürfwunden taumele ich wieder zurück und weiter die Straße entlang. Mein Kopf dröhnt, ich spüre meinen Herzschlag in den Schläfen. Ich bin lebendig! Ich bin frei!
Nein, das darf ich nicht denken. Dieses Gefühl, halb Hass, halb wilde Freiheitslust, das ich zu gut kenne.Es ist schon zu oft passiert. Noch einmal könnte ich nicht zurückkehren. Als hätte ich nur noch Geld für einen letzten Hinflug, doch käme nicht mehr zurück. Es ist immer eine unregelmäßige Anzahl an Flügen, die man bei sowas hat. Doch dafür dauert jeder Urlaub ein wenig länger. Es ist ein Urlaub, den ich nicht antreten will.
Der Bordstein hört auf. Da sind die Warnschilder. Meine Schürfwunden haben sich bereits wieder geschlossen, die Lungen atmen regelmäßig und langsam, fast genießerisch. Ich fliege durch die Dunkelheit. Ich darf meine Freunde nicht hassen, es war nicht ihre Schuld, das hatte ich immer wieder gesagt. Die anderen, ja. SIE hatten mich schlecht behandelt, mich geschlagen, gehasst, beleidigt. Aber meine Freunde traf keine Schuld. Daran musste ich festhalten, nur noch ein paar Meter. SIE hatten es verdient, was ich ihnen angetan habe. Wenigstens einen Teil davon.
Auch mein Hals schmerzt nicht mehr, und meine Arme sind ausgebreitet wie Flügel. Keine Fäuste mehr. Nur mein Kopf schmerzt wie verrückt.
Ich hasse meine Freunde nicht, aber dieses Gefühl ist so viel mächtiger als mein Verstand. Es ist warm, und es kriecht immer weiter hinauf. Doch den Kopf hat mir der Hass noch nicht genommen, und mit den Augen sehe nur ich, wohin mich die Füße tragen.
Über den Zaun. Hinauf in die Luft.
Über die Klippe am Ende der Straße hinweg und ins Meer darunter.
Ich würde niemanden mehr verletzten.
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Obwohl diese Geschichte für sich allein stehen könnte, gibt es eine inoffizielle Fortsetzung: "Sinfonie der Wut". Hier werden ein paar Hintergründe und offene Fragen geklärt.