~ Genre: Fantasy, Liebe, Traurig ~
Hinweis: Der Ausschnitt gehört eigentlich zu einer Geschichte von mir ("Die Geschichte von Misa und Wolf"). Allerdings hat das nicht so wirklich hinein gepasst, deshalb hab ich es hier rein gepackt. Die Geschichte muss nicht unbedingt bekannt sein, und der Ausschnitt gehört nicht zum Canon. ^^ Sagen wir mal, es sind zufällig die gleichen Namen.
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Misa hält mich in einer Umarmung gefangen. Mein Kopf liegt auf ihrer Schulter. Ich würde ihr gerne sagen: »Weine nicht.«
Doch ich kann mich nicht verwandeln. Sonst werde ich immer zum Menschen, wenn ich in Misas Armen bin. Doch das ist seit ein paar Tagen vorbei. Ich bin im Fell eines Hundes gefangen. Im Fell eines alten Hundes.
Also weint Misa weiter. Ich sitze reglos da und kann mich nur gegen sie drücken. Ach, das macht alles nur noch schlimmer! Ich kann sie nicht trösten.
Misa greift mein Halsband mit zitternden Fingern und öffnet den Verschluss, um es mir abzuziehen. Ihr Blick begegnet meinem. Sie sieht immer noch so jung aus. Ich erkenne die Einsamkeit wieder, die in ihrem Blick war, bevor wir uns getroffen hatten. Jetzt kehrt sie zurück.
Misa nimmt mir mein Halsband ab. Sie kann vor lauter Tränen nicht sprechen. Doch schon wird die Tür geöffnet. Vor mir kniend atmet Misa mehrmals tief durch, um sich zu fangen. Dann steht sie auf. Ihr Vater hält die Tür auf. Dahinter ist es hell, blendend hell nach der Dunkelheit in diesem Raum.
"Es ist soweit", sagt Marc.
Misa nickt und geht vor. Ich folge ihr langsamer. Meine Beine zittern. Je näher ich dem hellen Rechteck der Tür komme, desto schwerer lastet mein Gewicht auf meinen Pfoten. Die Angst drückt mir die Kehle zu.
Über die Schwelle. Ich stolpere, doch ich kann mich abfangen. Misa und Marc beobachten elend, wie ich mich Pfote für Pfote vorwärts kämpfe.
Doch vor der hellen Liege ist Schluss. Ich sehe zu der Fläche hoch und fühle mich unendlich klein. Von hinten umfassen Misas Arme meinen Brustkorb, sie hebt mich hoch, als hätte ich kein Gewicht. Bevor sie mich sanft absetzt, kann ich ihren Atem spüren. Er geht schwer. Sie kämpft noch immer gegen die Tränen.
Auf der Liege drehe ich mich um und lecke ihr das Gesicht ab. Sie krault mich und lächelt so unendlich traurig. Ich muss sie von Marc ablenken, der die letzten Vorbereitungen trifft. Doch dann hängt die Flasche an dem Metallständer und der Schlauch ist angeschlossen. Meine Pfoten tragen mich nicht mehr und ich lege mich auf die Liege. Den Kopf in seitlicher Position beobachte ich Misa. Marc hat ihr einen Sessel neben die Liege gestellt, in den Misa sich jetzt sinken lässt. Ihr Vater nimmt ganz vorsichtig meine Vorderpfote und streicht das Fell ein wenig zur Seite. Er hebt den Schlauch, der in einer dünnen Nadel endet und sucht nach meiner Vene.
Misa beißt sich auf die Unterlippe. In ihren blauen Augen stehen schon wieder Tränen. Ich recke den Hals und stupse sie sanft am Arm an. Misa bricht in Tränen aus.
Ich winsele. Das wollte ich doch grade verhindern! Ausgerechnet jetzt versage ich in meiner Arbeit.
Ein kurzer Schmerz. Marc hat die Nadel eingeführt. Es ist ein seltsames Gefühl. Kalt und stechend. Ich zittere. Dabei ist das Ventil an der Flasche noch nicht aufgedreht.
Marc umarmt Misa kurz: "Willst du es tun?"
Sie nickt, die Lippen fest aufeinander gepresst. Zwei Tränen quellen aus ihren Augen über. Marc gibt ihr einen Kuss auf die Stirn: "Einfach aufdrehen. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst."
Misa erwidert die Umarmung kurz. Dann geht Marc. Wir bleiben zu zweit zurück. Der Raum scheint eisig kalt zu sein. Ich sehe Misa an und wünschte, ich könnte irgendwas sagen. Alles wäre besser als dieses Schweigen.
Misa setzt sich wieder in den Sessel: "Wir zwei hatten eine tolle Zeit, was, Wolf?", fragt sie. Ihre Stimme zittert. Ich blinzele zweimal. Ja. Mein Leben mit Misa war garantiert die aufregenste und schönste Zeit meines Lebens. Ich bin so dankbar, dass ich den Großteil meiner kurzen Hundejahre mit ihr verbringen durfte.
"Es konnte einfach nicht so weitergehen", fährt Misa fort: "Jedes Mal, wenn du anfingst zu stolpern ... oder wenn du dich nicht verwandeln konntest ... oder wenn du dir gegen den Kopf getreten hattest, weil du keine Kontrolle mehr hattest - das war, als hätte man mich auch getreten. Ich - ich möchte dich nicht verlieren, Wolf. Versprich mir, dass du nicht wirklich gehst!"
Ich strenge mich an und wuffe gedämpft. Das werde ich tun. Ich werde sie beobachten, wie sie alt wird. Für immer an ihrer Seite sein. Über das Ende hinaus.
Misa lächelt und jetzt laufen die Tränen ungehindert. Sie hat ihr Gesicht auf ihren Arm gestützt und den Arm auf der Liege aufgelegt, sodass sie mir ins Gesicht sehen kann. Mit der freien Hand krault sie mich hinter dem Ohr: "Bist du bereit?"
Ich nehme alle meine Kraft zusammen und belle bestätigend. Himmel, bin ich heiser. Misa steht auf und wischt sich Tränen von den Wangen, nur, damit Neue an ihre Stelle treten können.
Sie dreht das Ventil auf. Die kalten Tropfen fallen ganz langsam in den Schlauch. Ich beobachte, wie sie durch silberne Kurven rinnen, um nach einer weiten Reise in meinen Blutbahnen zu verschwinden.
Seltsamerweise wird mir warm. Misa hat sich wieder gesetzt. Sie hält meine Pfote in ihrer Hand. Ihr Kopf liegt nur Zentimeter von meiner Schnauze entfernt auf der Liege. Sie hält meinen Blick fest. Meine Angst lässt nach.
"Du hast einen Wunsch frei, Wolf", flüstert sie.
Ich recke den Kopf. »Vergiss mich nicht«, möchte ich sagen. »Ich will, dass du mich nie vergisst.« Doch meine Kraft lässt nach. Ich werde nichts mehr sagen.
"Das werde ich. Ich verspreche, dass ich dich niemals vergesse", sagt Misa. Woher wusste sie das nur? Ihr Kinn bebt. Sie sieht so wunderschön aus, sogar jetzt noch.
Misa lächelt. Ich spüre, wie mein Fell verschwindet. Ich lächele zurück. Als Mensch.
"Niemals?", frage ich leise. Misa nickt. Ich erwidere den Druck ihrer Hand, mehr kann ich nicht tun, während meine Augen langsam zufallen.
Mir ist warm. Ich sinke langsam in das Licht. Mit jedem Atemzug lasse ich ein bisschen los, lasse mich fallen.
Dann ist alles hell und ich rieche Vanille, Kirschblüten und Honig.