~ Genre: Piraten, Psychologisch ~
Altersfreigabe P16 -- Nichtbeachtung auf eigene Gefahr
Ich, Brighton in England:
Was ist schon Zeit? Ein sinnfreies Aneinanderhängen von Stunden, Minuten und Sekunden, von Atemzügen und Herzschlägen. Sie ist eine Entschuldigung, um zu vergessen, ein Gefängnis aus Langeweile, eine Lüge. Ein Mittel, um Entfremdung und Entfernung zu messen.
Tick, Tack.
Ich bin sehr, sehr weit von meiner Kindheit entfernt. Aber ich bin am gleichen Ort, im selben Dorf.
Messen wir doch einmal in Strecke statt in Zeit. Ein Herzschlag ist ein Fuß, ein Atemzug ist ein Schritt. Ein Tag ist eine Meile. Es reicht für grobe Schätzungen – genauer möchte ich nicht werden.
Mein letztes Lachen ist ein paar Fuß her. Ich lache oft, damit ich nicht alleine bin. Lachen bedeutet `Freunde´. Alleine lacht man nicht.
Fern am Horizont sehe ich noch, wie man die Tür zu meinem Zimmer schließt. Sie soll geschlossen bleiben, bis ich keinen Fuß mehr gehe. Die Sicht meines Horizontes ist klar, ich kann meilenweit über flache Hügel sehen. Denn das Abschließen der Tür liegt bereits unzählige Meilen hinter mir.
Nur hundert Schritt zurück, in einer kleinen Talsenke, liegt das Mittagessen. Es gab Brei. Fast wie früher.
Die kleine Hütte, in der ich aufgewachsen bin, liegt viele, viele tausend Meilen außer Sicht. Hinter den Bergen, hinter dem Meer. Dort, wo noch die Sonne scheint und kein Regen fällt. Doch die Hütte ist in einem Sumpf versunken. Und ich kann nicht zurück, um sie auszugraben. Ich muss vorwärts gehen, kann nicht anders, immer weiter.
In bin dreißigmal 365 Meilen gelaufen. Meine Füße schmerzen. Die Hütte wird von der Flut verschlungen.
Von der hungrigen Flut, mit der die Piraten kamen.
Feuer und Wasser zerstört meine Vergangenheit, noch heute. Es ist lange her. Ich entferne mich. Stück für Stück, Schritt für Schritt, Tick für Tack.
Doch was ist schon Zeit? Alles passiert jetzt, nur an anderen Orten.
James Lockwood, Meer vor der englischen Küste, 1642:
Der Kampf war so wundervoll blutig. James Lockwood tanzte. Sein Säbel schnitt pfeifend durch die Luft und schmatzend durch Fleisch. Männer schrien, Metall traf klirrend auf Metall. James war genau dort, wo es wirklich blutig und wirklich hässlich wurde. Dort, wo die Schmerzensschreie am lautesten klangen, stand James Lockwood und zerschnitt seine Gegner mit konzentrierter Präzision.
Er verzog keine Miene. Er kämpfte schweigend, wie ein Fischer der seinen Fang ausnimmt. Gedärme machten die Holzplanken rutschig, vermischten sich mit dem Regen. Fisch oder Mensch, Mensch oder Fisch. Was spielte das für eine Rolle?
Seine Freunde beschrieben James Lockwood als einen Mann, der wie die See war. Unberechenbar, berechnend, viel zu tief, als dass man auf ihren Grund blicken konnte. Er konnte fröhlich sein, doch das Wetter schlug schnell um. Gefährliche Räuber lauerten in seiner Tiefe. Das Meer schwieg, auch wenn es Menschen und schiffe verschlang.
Kapitän Phinneas Rodgers dagegen schrie und fluchte, schimpfte und spuckte, knurrte und zischte, wie eine ganze Schiffsladung giftiger Seeschlangen. Er kämpfte mit Degen und Entermesser, schnell und tödlich.
„Elende Hunde! Euch werde ich es zeigen! Kielholen werde ich euch, jeden einzelnen, und auf eure Überreste pissen! Ihr werdet euch wünschen, eure Huren von Mütter hätten euch nie in diese Welt gepresst! Ihr werdet davon träumen, von der See verschlungen zu werden!“
„Ahoi, Capt'n, wollt Ihr etwa ein paar der Schweine lebendig?“, fragte James über den Schlachtlärm: „Leichen kielzuholen wird niemandem etwas bringen!“
Kapitän Rodgers starrte James aus wilden Augen an: „Scheiß drauf, wir schmeißen diese ehrlosen Bastarde den Fischen vor – und zwar maulgerecht zerschnitten!“
James nickte, als hätte er den Befehl bekommen, den Kurs zu ändern. Er stieß seinen Säbel in die schmale Brust des Küchenjungen, der gerade den Koch angesprungen und ihm die Kehle zerschnitten hatte.
Nach dem Tod des Smutje verteidigten nur noch James und Lockwood das Schiff. Wer noch treu zu dem Kapitän gestanden hatte, tränkte jetzt die Planken in Rot. Doch auch die Meuterer hatten große Verluste erlitten. Phinneas stellte sich dem dunkelhäutigen Steuermann, James trat alleine den letzten vier Gegnern entgegen.
Er lächelte. Ein schneller Schlag aus dem Handgelenk – die Qualle auf James' Arm tanzte als wäre sie lebendig – und ein Kopf rollte. Ein Angriff zur Backbordseite, der Gegner blockte. James' Kraft durchschlug jedoch die dünnere Waffe und schlitzte den Mann auf wie eine Makrele. Eine weitere rote Flut. Der dritte Pirat griff an. James wich aus, durchtrennte mit einer Hinterhand die Kniesehne des Mannes und durchbohrte ihn, als er fiel.
Der Vierte ergriff die Flucht. James folgte ihm. Er drängte sein Opfer bis an die Reling zurück, behielt auf dem schlingernden Schiff und dem rutschigen Deck das Gleichgewicht, während der Flüchtende stolperte.
„Ich ergebe mich!“, rief der Mann und schleuderte seine Waffe in die hungrigen Wellen vor dem Bug: „Ich werde verhandeln, James.“
James grinste grimmig zurück und richtete die Spitze des schweren Säbels auf die Brust des Unbewaffneten. Der stolperte zurück und hob die Hände: „B-bitte! James! Um unserer Freundschaft willen!“
James knurrte: „Ich bin nicht mit feigen Verrätern befreundet, Jones.“
„Nein!“, kreischte der Matrose: „I-ich wollte nicht – bitte, James! Ich flehe dich an! Ich habe doch nur –“
Weiter kam Mike Jones nicht, denn James stieß den Säbel nach vorne. Der letzte Meuterer taumelte reflexartig zurück und lehnte sich zu weit über die Reling. Das Schiff stampfte. Ein kurzer Schrei, dann ein Platschen, als der Mann im Wasser landete. Er durchbrach mit ungeschickten Bewegungen die Wasseroberfläche. Mike Jones konnte als einer der wenigen Männer an Bord schwimmen, doch er hatte keine Chance, das nahe Ufer zu erreichen. Denn der Sog des fahrenden Schiffes zog Jones unter den Kiel. Dann färbte sich das Wasser rot.
„Beinahe wie Kielholen“, murmelte James Lockwood und säuberte den Säbel an seiner Leinenhose.
Mit schweren Schritten trat Kapitän Rodgers neben ihn, eine Hand auf eine blutende Wunde an seiner Seite gepresst. Er hatte den Steuermann besiegt, doch diese Verletzung trug er davon.
„War das nicht Mike?“, fragte Phinneas Rodgers.
James zuckte mit den Schultern: „Ein Verräter, nicht mehr.“
James kniete sich hin und zerriss das blutige Hemd eines Toten. Dann machte er wortlos einen behelfsmäßigen Druckverband um die Wunde seines Kapitäns: „Wir müssen das Schiff aufgeben. Zu zweit können wir nicht steuern. Mit einem Beiboot sollten wir bis zum Land kommen.“
James deutete auf die Küste, wo winzige Lichtpunkte im Regen zu sehen waren. Phinneas Rodgers nickte schweigend und betrachtete den Mann, der soeben kaltblütig wie die See seinen besten Freund ermordet hatte.
Ich, Brighton, England:
Ein Vogel fliegt vorbei. Eine Möwe, nah am Meer ist sie frei. Die Tür öffnet sich. Es ist Abend. Ein Mann tritt hinein, lächelnd, nett. Ich fürchte ihn.
Vögel sind frei. Sie leben nicht im Meer. Aber sie fressen Fische. Sie sind Eindringlinge, unberechenbare Faktoren. Sie stürzen aus dem Himmel, mischen sich in den Kampf von Jäger und Beute ein, ungefragt.
„Wie geht es dir?“, fragt der Mann. Ich schweige. Ich umklammere die Knie und schaukele wie ein Schiff. Wie soll es wem gehen?
Er kniet sich hin, streckt eine Hand nach mir aus. Plötzlich ist er ein Pirat, grinsend, das Weiß seiner Kleidung wird rot. Ich zucke zurück, ich möchte schreien. Doch ich kann nicht. Ich schlage nach seiner Hand. Der Wärter knurrt und hebt einen Eimer mit Wasser. Wann ist er hineingekommen? Wo kommt er her? Warum bringt er die See mit?
„Pass auf, was du tust, Irrer!“
Die See. Ich liebe sie. Dort ist alles klar. Fische und Wasser. Große fressen Kleine. Keine Sorgen, Niemand, der dir Schutz verspricht. Alles ist klar, jeder weiß, wie die See atmet. Wann die Flut kommt, und wann sie geht, alles ist klar. Nur Möwen, die sind nicht klar.
„Möchtest du nicht mit mir reden?“, fragt der Arzt, mit einer Stimme wie weicher Sand. Rau. Er klebt. Wie die Stimme meines Vaters.
Vater hat mir gezeigt, wie die See atmet. Er zeigte mir Angeln und Fischen. Mutter klagte darüber, wie arm ein Fischer wäre. Ich sollte es besser machen als Vater. Ich solle lernen, lernen, lernen. Nicht Angeln lernen.
Die Stimme wie Sand: „Sag mir doch deinen Namen. Wie heißt du?“
Mutter, ich hasse dich. Du bist kalt, kalt wie Wasser. Du bist ein Fisch, schuppig mit glotzenden Augen. Du bist ein Fisch. Ich bin ein Fischer, ein Jäger, eine Qualle. Ich töte dich, ich fange dich. Ich spieße dich auf, ich steche dich, ich nehme dich aus, verdaue dich. Alles ist klar. Alles ist einfach. Deine Innereien bekommen die Vögel.
„Mann, rede, du irrer Idiot!“
„Lassen Sie meinen Patienten bitte in Ruhe.“
Ein Vogel fliegt vorbei. Die Möwe fliegt zum Meer.
James Lockwood, Meer vor der englischen Küste, 1642:
Der Regen fiel dichter und stärker. Das blasse Licht drang aus den fernen Hütten eines Dorfes. Es zeigte Rodgers den Weg. James ruderte schweigend. Der schwarze Zopf klebte nass auf seinem Rücken. Die Tätowierungen auf seinen Armen wurden lebendig, während er ruderte. Die Seeschlange auf dem linken und die Feuerqualle auf dem rechten Arm, unter dem Anker. Alle hatte Mike Jones einst gestochen.
Kapitän Rodgers beobachtete seinen letzten Matrosen unbehaglich, der ihn Stück für Stück dem Ufer näher brachte.
Die Feuerqualle war noch nicht fertig. Drei Tentakel fehlten, und die Lücken fielen auf. Mike und James hatten die Qualle nie vollendet – einer aus Angst, der andere aus Desinteresse. Die Feuerqualle war wie das Spiegelbild James', wenn er in die silberne See blickte. Ein gefährlicher Jäger, tödlich und unterschiedslos in seinen Opfern. Ein kaltes, unmenschliches Ding, ein Tier, das keine Räuber kannte.
James ruderte schweigend. Er hielt seinen Rhythmus, als würde ein unhörbarer Trommler ihm den Takt vorgeben. Das Ufer rückte kein Stück näher. James hatte dem Ufer den Rücken zugewandt. Das Schiff trieb hinter ihnen, führerlos und mit einer toten Mannschaft. Ein weiteres Geisterschiff. Der Regen strömte und James ruderte schweigend.
Phinneas fröstelte und verlagerte sein Gewicht. Er stöhnte, als Schmerzen durch seine Seite schossen.
„Wie sieht der Plan aus, Capt'n?“, fragte James. Eine Veränderung lief durch den massigen Körper. Die strengen Brauen waren mehr besorgt als angsteinflößend. Die Augen, kalt und unbarmherzig wie die See, leuchteten auf. Als ob die Sonne sich nach einem schweren Sturm zeigen würde und das Meer erhellte. Durch die dringenden Fragen von seinen düsteren Gedanken abgelenkt, entspannte sich Phinneas unbewusst: „Wir brauchen einen Hafen, ein Schiff und dann eine Crew. Und dazu brauchen wir Gold.“
James nickte dem Kapitän zu: „Unter deinem Sitz – fünf Kisten, so viel wie das Boot tragen kann.“
Phinneas beugte sich vor und biss gegen den Schmerz die Zähne zusammen. Tatsächlich standen fünf kleine Kisten unter dem Holzbrett, auf dem er saß. Er hatte sich nach dem Kampf ausgeruht – scheinbar hatte James diese Zeit genutzt.
„Das muss reichen.“, befand Rodgers. James ruderte schweigend weiter. Rodgers hob den Blick zum Ufer: „Noch eine Meile bis Land.“
James drehte sich um und betrachtete die fernen Lichter, bevor er sich umdrehte und weiter ruderte.
„In einem ganz ähnlichen Kaff bin ich geboren.“, sagte er. Ein Schatten zog über sein Gesicht und verschloss es.
Rodgers richtete sich wieder auf und betastete seinen Verband. Er wusste es bereits. James war ein Fischer gewesen, ein naiver Junge, den die Piraten mit Rum abgefüllt auf das Schiff getragen hatten. So, wie sie es mit vielen machten. Doch dieser Junge war nicht geflohen und nicht in der ersten Schlacht über Bord gegangen.
Dieser Junge konnte die Stimmungen der See lesen, wie ein Gelehrter ein Buch. Er wusste, wie man Lebewesen ausbluten ließ. Er konnte navigieren und kochen. Ein Fischer mit Fleisch und Blut. Bald war er derjenige der Mannschaft, der Rodgers mit seiner Rasur half.
Jetzt spürte der Kapitän ein Unbehagen dabei, dem Matrosen auch nur den Rücken zuzuwenden. Er befürchtete, das ein Sturm aufziehen konnte.
James Lockwood konnte das Meer lesen – doch welcher Mann konnte James Lockwood lesen?
Ich, Brighton, England:
Alles wird gut. Das sagt der Arzt immer wieder. Das sage ich mir selbst immer wieder. Alles wird gut. Ich werde gesund, ich werde wieder normal sein. Die Angst und die Erinnerungen verfolgen mich. Doch ich entkomme ihnen.
„Du musst dich erinnern.“, sagte die Stimme wie Sand.
Ich höre ihn nicht. Es ist dunkel, draußen wie drinnen. Ich friere. Asche wird von hinter den Bergen, aus alter Zeit, zu mir getragen.
„Was ist geschehen?“
Es liegt so weit entfernt, dass ich es nicht sehen kann.
Die Piraten kamen erst spät. Vielleicht war Feuer und Blut ein Segen. Piraten brannten und mordeten. Sie haben mein Haus niedergebrannt.
Und Mutter hat mich geküsst. Hat mich auf den Mund geküsst und mich dabei berührt. Sie hat mir ein Schlaflied gesungen, wie könnte ich es je vergessen?
„The moon had climb'd the highest hill
Which rises o'er the source of Dee,
And from the eastern summit shed
Her silver light on tow'r and tree;
When Mary laid her down to sleep,
Her thoughts on Sandy far at sea;
When soft and low, a voice was heard,
Sweet Mary, weep no more for me!
O, maiden dear, thyself prepare;
We soon shall meet upon that shore
Where love is free from doubt and care,
And thou and I shall part no more!
Loud crow'd the cock, the shadow fled;
No more of Sandy could she see:
But soft the passing spirit said:
Sweet Mary, weep no more for me!“
Und Vater war auf See.
Immer wieder. Immer länger. Das Lied hörte nie auf. Ich träumte von der See, sie brachte die Piraten. Hungrige Flut. Ich kehre zurück, wenn ich Salzwasser rieche. Ich kehre nach Hause zurück, wenn das Lied erklingt. Als wären da keine Meilen, keine Jahre, zwischen hier und dort. Als würde ich nicht vorwärts, sondern im Kreis laufen. Berge und Meer spielen keine Rolle.
Ich bin noch im selben Dorf. Im Geiste bin ich viele, viele tausend Meilen gerannt. Nicht weit genug. Ich muss mich erinnern. Ich kann nicht entkommen.
Alles wird gut. Allerdings nicht für mich.
James Lockwood, ein Dorf an der englischen Küste, 1642:
Land unter den Stiefeln. Nach der langen Zeit an Bord ungewohnt und fremd. Es war keine Heimat für James, und er schwieg, niedergedrückt von den schwarzen Regenwolken. Die Schritte der beiden Piraten knirschten auf dem Kies wie auf Knochen. Kies oder Knochen, Knochen oder Kies. Gab es Unterschiede?
James spürte es. Jedes Haar auf seinem Rücken stellte sich auf. Die Brandung, das Zirpen der Grillen, der Geruch nach Feuer. Seit Jahren war er nicht mehr an Land gewesen. Auf dem Meer war vieles einfacher.
Der Wind schien zu singen. Er zerrte an James' Haaren, die wie Tentakel einer Qualle tanzten. Der Regen fiel in dicken, schwarzen Tropfen, wie Tinte, deren Worte niemand lesen konnte. Die Küste war schwarz und leer. Kein Hafen in Sicht, keine Weiterfahrt. Nur eine Ansammlung einsamer Hütten, geduckt zwischen zwei Hügel und an das Meer geschmiegt.
James fühlte sich fremd. Ihm war, als sähe er die Hütten plötzlich im Sonnenschein. Mal stand die Sonne hoch, mal niedrig. Tausende von Tagen, wie Erinnerungen.
Dazu kamen Wortfetzen, Gerüche, Gesichter. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Vor seinen Augen tanzten Blitze und Punkte. Er taumelte.
Phinneas fragte etwas. James nickte Das Festland schwankte wie Wasser. Der Mond fiel in silbernen Tränen auf die Erde. Die Kälte war heiß. Kanonendonner erfüllte die Luft.
Eine Stimme fragte: „Bist du wach?“
„Was ist wahr? Sag mir, wer du bist.“
Die Welt bebte. Sand konnte sprechen. Vögel flogen im Wasser. James hielt sich die Ohren zu. Eine Stimme sang im Wind: „Sweet Mary, weep no more for me!“
James schrie. Er fiel.
„Öffne die Augen. Konzentriere dich. Wer bist du? Was ist dein Name?“, die Stimme wie Sand: „Du träumst. Öffne die Augen.“
Sterne. Wasser. Fische. Eine Qualle, machtlos in der Strömung. „Sweet Mary, weep no more for me!“
Kälte. Feuer. Tod.
„Es wird alles gut. Jetzt sag mir: Wie ist dein Name?“
Augen auf.
Ich öffnete die Augen.
Mein Mund bewegte sich. Taumelnde Worte auf meinen trockenen Lippen: „Mein Name ist James Lockwood.“
Wasser. Feuer. Meer und Land. Fische und Vögel, Vögel und Fische. Was trennt sie, wenn nicht das Meer? Zwei Welten. Zwei Seelen.
Ein Traum ist so viel erträglicher als das Land. Ich kuschel mich in meine Ecke. Fort aus Brighton, segel fort! Etwas ist zerbrochen. Eine Kette bindet, was einst frei war. Vogel und Qualle.
Ich bin James, James ist ich. Wir fliehen gemeinsam. Wer flieht, wer rennt? Wer ist der Schatten, wer der Gegenstand?
Das Meer ist blutrot. Der Himmel ist schwarz, der Mond fällt in silbernen Tränen.
Bitte, bitte tut James nichts. Lasst mich in Ruhe.
Gebt mich frei. Wir können nicht mehr.
Die See schreit auf.
Sweet Mary, weep no more for me.
„Mary's Dream“: Seemannslied aus dem 17 Jhd., Volksgut