~ Genre: Tierfantasy ~
Die Geburt eines Helden
oder:
Die Geburt eines Erzfeindes
Tatchy blieb wie angewurzelt stehen. Sein Rückenfell sträubte sich, dass die feinen Härchen leise knisterten. Der junge Kater drehte sich um, die Ohren gespitzt, die Augen weit aufgerissen.
Etwas näherte sich ihm knapp über dem Waldboden. Tatchy konnte es nicht einordnen, denn das Wesen war rund, hellblau und sprühte Funken.
Einer der Funken setzte das Blatt eines Strauches in Brand.
Tatchy rannte, was seine Muskeln hergaben. Er streckte die Vorderbeine aus, grub die Krallen in den Boden und zerrte mit aller Kraft, stieß sich mit den Hinterbeinen vom Laub ab. Tatchy hatte die Ohren eng angelegt, hörte das Rauschen des Blutes darin. Mit weit aufgerissenen Augen suchte er nach einem Ausweg oder einem sicheren Versteckt.
Stattdessen lichtete sich der Wald vor ihm. Die leuchtende Kugel trieb Tatchy aus dem Wald heraus, auf eine offene Wiese. Er hörte einen schrecklichen Lärm und fand sich plötzlich von anderen Katzen und weiteren Waldtieren eingefasst wie von den Wänden einer Schlucht. Die Tiere brüllten und schrien und kreischten. Sie standen im hohen Gras, trommelten mit den Hufen auf die Erde, wirbelten Gras und Dreck in die Höhe.
Tatchy drückte sich enger an den Boden, das Gras peitschte sein weißes Bauchfell. Die Kugel knisterte hinter ihm, immer lauter, immer näher.
Dann gab es plötzlich einen lauten Knall und eine Druckwelle schleuderte Tatchy vorwärts. Er fiel ins Gras und blieb liegen. Er keuchte, kein Muskeln wollte ihm noch gehorchen. Es war aus!
Doch die Kugel war spurlos verschwunden. Während er zu Atem kam, während seine Sicht wieder schärfer wurde und das pumpende Adrenalin verschwand, sah Tatchy andere Kater, verfolgt von anderen Kugeln aus blauen Licht, die auf ihn zustürmten.
An einer bestimmten, unsichtbaren Linie explodierten die Kugeln.
Tatchy erhob sich verwirrt und putzte nervös sein Ohr. Die fremden Katzen und Kater umringten ihn, einer davon, ein kleiner, schwarzer Kater, der als vierter eingetroffen war, sprang vor.
„Wer ist das hier? Ein Prolet?“ Der kleine Schwarze fauchte Tatchy an.
Tatchy wich zurück. „Wer seid ihr? Was ist das für ein Ort?“
Immer mehr Katzen umringten ihn.
„Ein verdammter Proletenkater! Und er hat die Ziellinie als Erster überschritten!“, maunzte ein hellbeiger Kater mit einem schwachen Tigermuster.
„Das ist gegen die Regeln!“, heulte der kleine Kater auf. „Er muss disqualifiziert werden!“
„Hab dich nicht so, Brüderchen“, meinte eine elegante, goldgefärbte Katze. „Du weißt selbst, wie die Regeln aussehen. Das klare Licht hat ihn erwählt, und er hat die Herausforderung angenommen. Er hat nach allen Regeln gewonnen!“
Die drei Katzen, die um Tatchy versammelt standen, musterten ihn. Tatchy starrte den beigen Tigerkater, die goldene Katze und den kleinen Schwarzen an, eng an den Boden gedrückt. Diese drei waren direkt nach ihm eingetroffen, der Tiger als erster, dann die goldene Katze, schließlich der Schwarze.
„Ihr seid die Maucha-Geschwister!“, stotterte Tatchy nach einem Moment, denn nun erkannte er die drei Katzen. „Prinzen und Prinzessin der Katzen!“
Er senkte den Kopf zwischen die Vorderpfoten. Er zitterte.
„Hebe den Kopf, unbekannter Kater“, sagte die goldene Lea Maucha. „Du bist der Sieger des Blitzrennens. Nenn uns deinen Namen, erster Proletarier, der dieser Rennen überlebt hat.“
„Ta … Tatchy“, murmelte Tatchy leise. Er blinzelte zu Lea hoch, die ihn gutmütig anlächelte. „Komm, Tatchy. Wir gehen zur Siegerehrung. Es wollen dich bestimmt alle sehen.“
Tatchy sah die hübsche Lea nervös an. Sollte er ihr wirklich in die Halle der Katzenkönige folgen? Seine Pfoten bewegten sich fast von selbst. Dem kleinen Kater wurde schwindelig. Wie war er hier gelandet?
„Meinst du, dass das eine gute Idee ist, Schwester?“, fragte der Getigerte.
Lea nickte. „Ich werde gerne auf den dritten Platz zurückfallen, allein, um seine Geschichte zu hören.“
Der Tiger seufzte und schenkte Tatchy einen Blick, der nicht eben freundlich war. „Auch ich werde von meinem Sieg zurücktreten, allein der Ehre wegen. Dann komm, Tatchy ohne Nachnamen.“
Maurice blieb zurück, als seine Geschwister mit dem schwarz-weiß gefleckten Proleten abzogen. Wütend grub der jüngste Bruder seine Krallen in den Schlamm. Die Menge der versammelten Tiere löste sich langsam auf, und Maurice kämpfte gegen die Tränen an.
Er hatte trainiert. Monatelang hatte er für dieses Rennen trainiert, um wenigstens einmal nicht hinter seinen größeren Geschwistern zurückstehen zu müssen. Er hatte eine eigene Rennstrecke gebaut und er hatte so viel geübt, um schneller und schneller zu werden.
Jetzt kam ein einfacher Waldkater vorbei, mischte sich in das Rennen ein und gewann auch noch ohne Anstrengung? Maurice legte die Ohren an. Was für eine Demütigung! Aus der Spitzengruppe verdrängt, durch einen verdammten Proletarier! Einen Kater ohne Nachnamen und Geschichte, vermutlich sogar ein ausgesetztes Kätzchen, das in einem Graben im Menschenland aufgewacht war!
Maurice grub die Krallen in die weiche Erde. Nein, er würde nicht zusehen, wie dieser Emporkömmling den Hof der Katzenkönige übernahm. Eher würde einer von ihnen beiden sterben!